Königsweg mit Zugabe - vom Tierlauf- zum Cheibehore


Publiziert von lorenzo , 13. Juli 2021 um 19:24.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Berner Voralpen
Tour Datum:10 Juli 2021
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 9:30
Aufstieg: 1575 m
Abstieg: 1575 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Parkplatz Schlatti oder cff logo Schwenden i.D., altes Schulhaus (5min länger)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:LK 1227 Niesen, 1247 Adelboden; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981

Laut M. Brandt fügt der "ziemlich zerhackte" Tieflaufhore NW-Grat "der Gipfelüberschreitung SE-NW ein sehr interessantes Stück Kletterei bei."  Obwohl ihm zufolge "die Überschreitung von P. 2151 (bzw. des unteren NW-Grats)...in SE-NW-Richtung interessanter ist... lässt sie sich in beiden Richtungen ausführen". Wegen Schwierigkeiten bis VI oder IV+/A0 und meiner Bevorzugung einer Gratbegehung von unten nach oben, schien für mich aber die NW-SE-Richtung interessanter zu sein. Vor meinem Versuch im November 2020, von N zum Sattel ca. 2100m zwischen unterem und oberem NW-Grat zu gelangen, war ich aus dem Tälchen N des Tierlaufhore ab ca. 1850m über eine Grasrampe in der E-Flanke des Riprächler zu dessen Gipfel P. 2151 aufgestiegen, hatte aber beim dortigen Beginn des unteren NW-Grats wegen rutschigem Fels infolge von Rauhreifbeschlag kehrt gemacht. Nachdem mir der obere NW-Grat wenige Tage später geglückt war, wollte ich den unteren NW-Grat nun an einem milden Julitag bei trockenem Fels probieren.

Obwohl es in den Vortagen wiederholt stark geregnet und gewittert hatte, waren am letzten Samstag Gras und Fels nur frühmorgens und am Schatten noch z.T. feucht. Für den Zustieg wählte ich die etwas bequemere Variante über die Riprächler NNW-Flanke von weiter unten, die aber natürlich auch nicht umsonst zu haben ist. Auf P. 2151 angelangt, holte ich die Kletterausrüstung hervor und begann, begleitet vom betörenden Rauschen des nahen Gurbsbachs, mit der Überschreitung des landschaftlich einzigartig gelegenen unteren NW-Grats. Auf dem Gratabschnitt zwischen P. 2151 und der folgenden Gratsenke, der aus recht solidem Kalk besteht und luftige Genusskletterei bietet, sicherte ich mich für eine Seillänge. Über den anschliessenden leichten Grasgrat erreichte ich den Gratgipfel, von dem und von zwei tiefer liegenden Gratpunkten mich dreimaliges Abseilen an Blöcken und zuletzt an einem eingerichteten (jedoch in die Jahre gekommenen...) Stand zum Sattel ca. 2100m hinunter führte. Hier konnte ich erstmals durchatmen: die erste Hürde war genommen, noch warteten aber mit dem oberen NW-Grat und dem Abstieg die Zweite und Dritte, bevor das Gröbste überstanden war.

Der Felsriegel im oberen NW-Grat schien mir diesmal dank einer Griff-Trittkombination etwas mehr rechts einfacher zu sein, so dass seine Erkletterung auf Anhieb gelang. Beim weiteren Anstieg, der mit Genusskletterei in gutem Fels aufwartete, gewahrte ich einen Wanderer, der vom Sattel 2100 durch die SW-Flanke zum Gipfelturm aufstieg. Auf dem Gipfel atmete ich noch einmal durch und machte ein paar Fotos, bevor ich durch die ausgesetzte SE-Rinne, die mir diesmal auch leichter vorkam als letztes Mal, zum oberen SE-Grat abkletterte. Gemeinsam stiegen der Wanderer und ich dann über die NNW-Flanke ab, wo wir nach der Bewältigung des untersten Felsriegels beide endlich richtig aufatmen konnten...Wir verabschiedeten uns, er hatte 
nachmittags zuhause noch zu tun und kehrte ins Tal zurück, ich querte dagegen zum Gurbsattel, um, wie schon beim Zustieg zum Wiriegraben spontan erwogen, bei voraussichtlich bis am Abend anhaltend gutem Wetter noch weiter zum Cheibehore aufzusteigen.

Nach einer erholsamen Pause ging es trotz Kletterausrüstung und (um Gewicht zu sparen) zu knapp bemessener Trinkreserve (für die das Cheibehore noch nicht vorgesehen war) leichtfüssig über den Gurbsgrat zum Cheibehore WNW-Grat. Auf Gurbs Metteberg und am Wiriehore tummelten sich etliche Wanderer und Trailrunner, während ich auf dem Grat vorläufig noch alleine war. Erst nach den eindrücklichen Kalkschieferplatten auf dem inzwischen flyschhaltigen P. 2398 vor der Schlüsselstelle angekommen, erblickte nördlich unterhalb vom Grat ein bimmelnde Schafherde, die sich am taufrischen Gras zwischen Geröll- und Altschneeflecken gütlich tat. Die abzukletternde Schlüsselstelle fiel mit Bergschuhen und ohne aufgeschnallte Ski um einiges leichter, ebenso wie die Genusskletterei über den nachfolgenden Grat und das ausklingende Auf und Ab zum Gipfel. Die Quellwolken hatten inzwischen zwar zugenommen und verschleierten das sonst prächtige Panorama v.a. Richtung Berner Alpen, noch schienen die angekündigten abendlichen Gewitter aber in unsichtbarer Ferne zu schweben.

Bei einer weiteren Pause und beim Abstieg über den gutmütigen SE-Grat bewunderte ich die steil aufragende NW-Flanke von Männliflue und Schattigi Schibe mit ihren eindrücklichen Faltungen. Unterhalb vom Bütschisattel erleichterten Altschneereste das Vorwärtskommen, während sich oben am WNW-Grat eine Vierergruppe, die ich schon vom Gipfel aus gesehen hatte, noch im Aufstieg befand. Bei den langen Flachpassagen auf Bütschi, Oberste und Underste Gurbs tröstete mich neben den wunderbaren Landschaftseindrücken die Einsicht, dass hier im Winter und Frühling mit Ski auch nicht viel gewonnen gewesen wäre. Und beim Schlussabstieg von Underste Gurbs bekam ich angesichts von zwei MotocrossfahrerInnen, die zwischendurch Pause machen mussten, den Eindruck, dass sogar diese Disziplin noch anstrengender ist als einfaches Wandern... 


Zustieg Riprächler
Vom Parkplatz Schlatti (ca. 1175m) auf dem weiss-rot markierten Bergweg (wr) über die Abzweigung 1331 und die folgende kleine Alp zur Kreuzung 1399 und durch den Balmiwald und den Wiriegrabe bis ca. 1730m unterhalb Wirie (1855m). Horizontale Querung über Stauden und Geröll nach W und durch eine kurze Schrofenrinne (I) im untersten Felsgürtel zur Riprächler NNW-Flanke. Über diese auf felsdurchsetztem Gras, eine Bachrinne querend nach SE bis ca. 2000m, dann über den breiten Grasrücken nach S hinauf zum grasigen NW-Grat und auf diesem über mehrere Höcker, die überklettert (I-II) oder NE oder SW umgangen werden können, zum höchsten Punkt des Riprächler, P. 2151, 2h 15min, T4.

Tierlaufhore
Unterer NW-Grat: eine 1. Stufe (4m, unten überhängend, zum Abklettern vermutlich mind. IV) kann NE ausgesetzt auf einem Grasband umgangen werden. Auf dem folgenden breiten Schrofengrat leicht ansteigend zum Beginn eines scharfen felsigen Gratabschnitts. Über den zuerst blockartigen Grat leicht absteigend einfach (II) zu einer 2. Stufe (1. Stand an Block für 1 SL), an der SW abgeklettert wird (3m, III). Weiter links entlang der weiterhin leicht abfallenden Gratschneide ausgesetzt (II, Zwischensicherungen u.a. mit Camalots, Kk und Schlingen) zu einer 3. Stufe, von der NE abgeklettert wird (3m, III). Von der Gratsenke über leichte Felsen und Schrofen hinauf zu einem Felskopf (2. Stand). Nun über den felsdurchsetzten Grasrücken leicht  ansteigend und zuletzt über einige Höcker zum Gratgipfel (ca. 2150m). Eine 1. Abseilstelle (Felskopf) führt 10m hinunter zu einem Grassattel (Schlüsselstelle im Aufstieg, V-VI, alte Hk u. Bh). Über Schrofen in Kürze auf den folgenden Gendarm, von dem eine 2. Abseilstelle (Felskopf) 5m zur darunterliegenden Gratfortsetzung führt (könnte ev. auch abgeklettert werden). Auf dieser zuerst leicht ansteigend und zuletzt NE auf Schrofen absteigend zur 3. Abseilstelle (3 alte Schlingen, Tännchen), die 20m weiter unten auf leichten Felsen endet, auf denen zum Sattel ca. 2100m abgestiegen werden kann, 1h 45min, ZS. 

Oberer NW-Grat: vom Sattel ca. 2100m auf dem folgenden felsdurchsetzten Grasrücken bis unter einen ca. 10m hohen Felsriegel, der von einem Kamin mit Klemmblock durchzogen wird. Stand an einem Block, über eine leicht überhängende Stufe (3m, IV) auf ein Band, und auf diesem und über einige Stufen schraubenförmig im UZS (III) zu Stand an rostigem Hk und Felszacke über dem Felsriegel (Zwischensicherungen mit Camalots, Rocks und Schlinge an Felszacke). Auf Schrofen und Geröll gerade hinauf, bis über Felsbänke nach rechts auf die felsige Gratschneide gequert werden kann. Auf dieser ausgesetzt in schöner Kletterei (II) über mehrere kleine Aufschwünge hinauf, und zuletzt auf Schrofen zum Gipfel (2242m), 1h, WS.

Abstieg NNW-Flanke: Vom Gipfel (2242m) nach SE durch eine Rinne (10m, II, z.T. brüchig, ausgesetzt, Abseilmöglichkeit) schraubenförmig im GUZS hinunter zum oberen SE-Grat und diesem entlang, einen Gendarmen rechts umgehend (Pfadspuren) zum SE Vorgipfel. NW von diesem in die NNW-Flanke, kurz über diese hinab und Querung über eine Felsstufe nach rechts zum E Rand. Diesem entlang auf Schrofen und Geröll (Pfadspuren) hinunter zu einem ca. 10m hohen Felsgürtel, durch den in einer gestuften Rinnenverschneidung (II, Abseilmöglichkeit) abgeklettert werden kann. Auf dem folgenden Grasrücken bis zum schwach ausgeprägten Sattel ca. 2115m, nach SE auf Schrofen (Pfadspuren) zum Bergweg bei ca. 2070m, und auf diesem zum Gurbssattel (2109m), 30min, L oder T5.

Cheibehore
Aufstieg Gurbs- und WNW-Grat: vom Gurbssattel (2109m) auf dem Grasrücken (Pfadspuren) über den Gurbsgrat (2238m, 2274m) in eine erste Senke (ca. 2250m), über eine Kuppe zu einer zweiten Senke und über einen plattigen Schieferhang (I) und felsdurchsetztes Gras (Wechsel zu Flysch, Pfadspuren) zum Vorgipfel 2398. Abklettern über eine senkrechte, aber gutgriffige Stufe (5m, II) in eine Scharte, dann über einen felsigen Gratabschnitt (I) und eine weitere Stufe (5m, I-II) hinauf und einfach auf Gras und Felsen über mehrere Höcker auf den Gipfel (2461m), 1h, T5 oder L.

Abstieg SE-Grat-Bütschisattel-Bütschi-Gurbs: vom Gipfel des Cheibehore (2461m) auf dem felsdurchsetzen Grasgrat (Pfadspuren) zu einer oberen Schrofenstufe bei ca. 2400m, über die von NE nach SW abgestiegen werden kann. Weiter zu einer unteren Schrofenstufe bei ca. 2290m, über die direkt abgestiegen wird, und in Kürze zum Bütschisattel (2236m). Auf Grasschrofen, Geröll und Altschnee nach W zum Bütschi (2009m), über den folgenden Rücken und S entlang vom Moor (1902m) sowie entlang dem Gurbsbach zum Beginn des weiss-rot markierten Bergwegs unterhalb Oberste Gurbs (1916m). Auf diesem über die Brücke 1585, Underste Gurbs (1506m und 1459m) und die Abzweigung 1331 zurück, 2h, T3.

Insgesamt 8h 30min-9h 30min.

Verhältnisse: sonnig mit Schleier- und Quellwolken, mild. Gras und Felsen morgens und schattseitig feucht, sonst trocken.

Material: übliche Kletterausrüstung mit 50m Einfachseil, je 3 grossen und kleinen Schlingen, 5 Express, einem Satz Rocks, 3 kleinen und mittleren Friends.

Fahrplan: 6.45 Start, 9 Uhr Riprächler, 10.45 Sattel ca. 2100m, 11.45 Tierlaufhore, 12.15 Gurbssattel, 13.45 Cheibehore, 16.15 retour.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (4)


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Aendu hat gesagt: Bravo!
Gesendet am 13. Juli 2021 um 20:02
Da hesch wieder äs Schmankerl gmacht. Gseht schön us!

Gruss, Aendu

lorenzo hat gesagt: RE:Bravo!
Gesendet am 14. Juli 2021 um 17:14
Merci Aendu!

Es isch o würklech schön gsi, u wär sicher öppis für Di: churzi Afahrt, rächt guete Fels (ähnlich wie a de Spillgerte, aber chli liechter), super Ambiente u keni Lüt...

Beschti Grüess

lorenzo

Bergamotte hat gesagt:
Gesendet am 13. Juli 2021 um 22:54
Immer wieder spannend, über Touren abseits des Mainstreams zu lesen, auch wenn für mich eine Schuhnummer zu gross.

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 14. Juli 2021 um 17:45
Hallo Gabriel

Vielen Dank! Wahrscheinlich machen Mainstreamtouren nur 5-10% aller je begangenen bzw. in Führern beschriebenen Routen aus. Umso grösser dürfte folglich der Fundus an nicht mehr begangenen oder nicht mehr im Trend liegenden Routen sein (leider auch an nicht mehr begehbaren, z.B. wegen Felsstürzen oder Gletscherschwund), worüber sich glücklich schätzen darf, wer lieber im Abseits unterwegs ist.

Ob diese Schuhnummer zu gross ist, bezweifle ich allerdings...

Beste Grüsse

lorenzo


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