Kulturhistorische Wanderung in und um Flums


Publiziert von PStraub , 8. November 2019 um 21:41.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum: 7 November 2019
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Aufstieg: 200 m

Angereist bin ich per Bike ab Unterterzen. Obwohl es eine recht direkte Verbindung entlang dem Waffenplatz gibt, ist die offizielle Bike-Route zwischen Walenstadt und Flums chaotisch signalisiert und fast nicht aufzufinden.

Meine Runde bestand aus zwei Teilen: Im alten Flumser Dorfkern sind Rathaus, das "Ritterhaus", die Kirche St. Justus und das "Predigerhaus" nur ein paar Schritte voneinander entfernt.
Die Ruine Gräpplang und die Kapelle St. Jakob liegen knapp 2 km nordwestlich davon.  


Flums pulsiert nicht gerade vor Leben.
Verglichen mit Walenstadt, Sargans oder Bad Ragaz, die etwa gleich viele Einwohner haben, scheint hier die Zeit stillgestanden zu sein; irgendwie hat man den Eindruck, Flums sei in einer Zeitschleife gefangen.
Und tatsächlich traf das hier Jahrhunderte lang zu. Während sich überall Territorialherrschaften etablierten, blieb Flums und Umgebung eine spätmittelalterliche Feudalherrschaft.
Formelle Landesherren waren die Landvögte in Sargans, das Sagen aber hatte die Familie Tschudi auf Gräpplang. Die aus Glarus stammende Familie hatte 1528 die Herrschaft Flums-Gräpplang dem Grauen Bund abgekauft, der damals den Besitz des Bistums Chur treuhänderisch verwaltete. Die Tschudis führten auf Schloss Gräpplang ein fürstliches Leben, bis sie, hochverschuldet, 1767 Schloss und Besitz an lokale Verwandte abtreten mussten.

Vermutlich gerade weil Flums so aus der Zeit gefallen war, haben sich hier Bauzeugen aus uralter Zeit in vergleichsweise ursprünglicher Form erhalten.

Zwar zeigen reiche Funde aus der Bronzezeit, dass zumindest Gräpplang und St. Georg (ob Berschis) schon früh wichtige Siedlungsplätze waren. Doch hier geht es um Bauten, die noch einigermassen intakt sind.

Teile der Kirche St. Justus stammen aus der Karolingerzeit. 831 wird St. Justus im Churrätischen Reichsurbar als „ecclesia plebeia“ (Leutkirche) aufgeführt.
Kirchen gab es damals fast nur in Klöstern und Städten: Wenn Flums eine eigene Pfarrei hatte, musste es ein wichtiges Zentrum gewesen sein. Es war sicher die einzige (Volks-)Kirche im Sarganserland, wenn nicht noch weiter herum.
Zudem lassen Grabfunde aus dem 7. Jahrhundert im Umfeld vermuten, dass bereits dieser Bau einen Vorgänger hatte.
Erst 1863 wurde St. Justus durch eine grössere Kirche auf der andern Seite der Bergstrasse ersetzt. Somit diente für über 1000 Jahre der im Laufe der Zeit nur vergleichsweise unwesentlich veränderte Bau als Pfarrkirche für Flums, Berschis und Tscherlach.
Um 1450 wurde der Chor durch einen in gotischem Stil ersetzt, das spätgotische Kreuzrippengewölbe zeugt von beachtlichem Können der lokalen Meister. Weniger glücklich war der Einbau von barockem Krimskrams. Und diverse Male dürften Fensteröffnungen herausgehauen und wieder zugemauert worden sein.

Noch im 13. Jahrhundert muss es Flums gut gegangen sein. Die Herren von Flums kamen als bischöfliche Verwalter (Viztum) zu einem beträchtlichen Vermögen. Statt ihrer vermutlich recht bescheidenen Burg im Dorf, wahrscheinlich nur ein Wohnturm aus Holz, die dort stand, wo heute das Rathaus steht und von der nur noch der Name Turmstrasse zeugt, liessen sie auf Gräpplang eine Burg bauen.
Das Dorfwappen ist übrigens jenes dieser Ritter von Flums, die Farbgebung dürfte allerdings der Phantasie entsprungen sein.

Christof, der dritte Tschudi auf Gräpplang, liess für seine zukünftige Witwe an prominenter Stelle im Dorf einen Witwensitz (1574) bauen, der im Dorf "Ritterburg" genannt wird. Bemerkenswert die durchgehende Fensterreihe - ein "Fensterwagen" - im ersten Stock.

Auf der andern Seite der Justuskirche steht das Alemannen- oder Predigerhaus (ca. 1300). Die Prediger (Dominikaner) sind ein Bettelorden und waren deshalb fast nur in Städten anzutreffen.
Doch da es mit Ausnahme von Pfäfers in der ganzen Region kein Kloster gab, ist es durchaus plausibel, dass sie im Spätmittelalter hier eine Niederlassung hatten. Die hohe Qualität sowohl des südlichen Teils in (Holz-)Strickbau- als auch des nördlichen Teils in Bruchstein-Bauweise weisen auf vermögende Bauherren hin.

Gräpplang wurde, nachdem es die letzten Tschudis gehörig heruntergewirtschaftet hatten, auf Abbruch verkauft. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts fanden sich in Flums Leute, welche die Reste des einst stolzen Herrensitzes retten wollten. Heute ist die Anlage im Besitz der Gemeinde Flums und öffentlich zugänglich.   
-> Der Wikipedia-Text ist mangelhaft, bessere Infos findet man im Buch GRÄPPLANG (ISBN 978-3-033-00834-2).

Zuletzt fuhr ich noch nach St. Jakob hoch. Die Kapelle steht prominent über Tal und Schloss, es wird vermutet, dass sie ursprünglich zu einem kleinen Frauenkloster gehörte.
Die romanische Altarapsis (1100 oder älter) ist gegenüber dem (neueren) Schiff abgesenkt.
Im obigen Link heisst es: "Anscheinend soll neben der Kapelle ein Kloster für Frauen gewesen sein, welche zur Zeit der Reformation aber vertrieben worden seien und dann das Kloster Weesen gegründet haben." Das ist ahistorischer Unfug. Hätte um 1520 hier noch ein Konvent bestanden, gäbe es Dokumente darüber und Baureste davon. Ausserdem ist das Kloster Weesen weit älter (anfang 13. Jhd., seit 1256 Dominikanerinnen).

So habe ich einen wettermässig zweifelhaften Tag aufs vergnüglichste verbracht. Und erst noch (hoffentlich) keine Geheimtipps verraten ..

Tourengänger: PStraub


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»