Großer Daumen Nordwestgrat, Kleiner Daumen, Heubatspitze und Rotspitze


Publiziert von quacamozza , 28. Juni 2018 um 13:31.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:20 Juni 2018
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Mountainbike Schwierigkeit: L - Leicht fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 1800 m
Strecke:P Grüebplätzle-Mitterhaus-Haseneckalpen-Großer Daumen-Kleiner Daumen-Heubatspitze-Rotspitze-Retterschwangtal-P Grüebplätzle (20 km)
Kartennummer:AV-Karte Bayerische Alpen BY 4 1:25 000 Hochvogel, Krottenkopf

Der Große Daumen ist als klassischer Allgäuer Wanderberg bekannt. Außerdem führt über ihn die Verbindung zwischen dem Hindelanger Klettersteig und den Hohen Gängen. Die Kombination dieser beiden Klettersteige ist eine großartige, aber konditionell fordernde Tour.

Weniger bekannt und begangen ist der Nordwestgrat, eine ansprechende Kraxeltour mit weitreichender Aussicht. Auf den 350 Höhenmetern sind einige ausgesetzte und anspruchsvolle Passagen zu überwinden. Das Gestein ist dabei zwar nicht von der Qualität eines Aggenstein-Westgrates, aber oft noch passabel, und das stetige Höhersteigen auf der anfangs luftigen Schneide macht ohnehin Spaß.


Zwar kenne ich den *Nordwestgrat bereits von einer Tour vor einigen Jahren. Die komplette Daumen-Runde, das heißt also die Gipfelumrahmung der Haseneckalpen, habe ich aber noch nie gedreht. Sie wird vorwiegend von Einheimischen, etwa den Kreuzaufstellern der Heubatspitze, als Konditionstour gemacht. Höchste Zeit also auch für mich, dieses Allgäuer Must-have anzugehen.



Zur Schwierigkeit:

Großer Daumen Nordwestgrat: einige Stellen III, meist umgehbar, oft II, Gehgelände bis T 5; der II.Grad sollte auch beim Abklettern sicher beherrscht werden
Kleiner Daumen bis zur Schneid: I-II und T 4-5, zeitweise klettersteigähnlich versichert, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich
Rest unschwieriges Wandergelände T 3


Zum Zeitbedarf:

P Grüebplätzle-Retterschwangtal-Radldepot Abzweig Haseneckalpen: 40 min radeln
Abzweig Haseneckalpen-Mittlere Haseneckalpe: 45 min
Mittlere Haseneckalpe-Auf dem Falken: 45 min
Auf dem Falken-Großer Daumen: 1 Std 15 min
Großer Daumen-Kleiner Daumen: 30 min
Kleiner Daumen-Heubatspitze: 55 min
Heubatspitze-Rotspitze: 20-25 min
Rotspitze-Radldepot: 1 Std 5 min
Radldepot-P Grüebplätzle: 15 min radeln



Ein perfekter Sommertag erwartet mich am Grüebplätzle (813m). Ich bin zwar um halb 9 ein bisschen spät dran, aber bei dem stabilen Wetter ist das kein Problem.

In unangenehmer Erinnerung von damals ist mir die extreme Bremsenplage an der Oberen Haseneckalpe, daher nehme ich mal eine lange Hose mit (sehr zu empfehlen). 

Während sich die Fußgänger beim 6,5 Kilometer langen Weg in und durchs Retterschwangtal auf der Straße die Füße platt laufen, geht's mit dem Mountainbike schneller und komfortabler. Auf dem ersten Stück ist es zwar etwas anstrengend, aber spätestens ab dem Café Horn am Taleingang wird's flacher, und dann kann man die Landschaft richtig genießen. Mittlerweile sind noch zwei weitere Jungs mit Rad unterwegs. Auf dem Nordwestgrat werde ich allerdings allein sein. 800 Meter nach der Alpe Mitterhaus, an der ich später einkehre (auch sehr zu empfehlen), deponiere ich das Bike.
Ein Dutzend neugieriger Rinder nähert sich meinem Drahtesel. Weiterlaufen möchten sie zunächst nicht. Erst als ich zur Seite gehe, wird der "Zug" Richtung Ställenalpe fortgesetzt. Über die Tiere erfahre ich nachmittags an der Alpe noch mehr. 

Anschließend führt ein steiler und steiniger Ziehweg hinauf durch den Wald auf die erste Terrasse. Von der ursprünglichen Hütte der Unteren Haseneckalpe P.1401 ist momentan nur noch ein Fundament übrig. Über eine weitere Stufe geht es hinauf zur Mittleren Haseneckalpe (1592m), an der man sich an zwei Brunnen stärken kann. Der Weiterweg zur Oberen Haseneckalpe (1692m) ist zwar markiert, aber ganz schön zugewachsen. Und was machen die Bremsen? Deren Aktivität ist glücklicherweise noch gebremst. 

Während die beiden anderen sich auf dem Normalweg dem Gipfel des Großen Daumen nähern, zweige ich weglos über die zunächst flache, später mäßig steile Grasrampe (in der AV-Karte zutreffend "Kührücken" genannt) nach rechts ab und erreiche so die Gratschulter Auf dem Falken (1911m). Die obersten Meter sind knapp T 4. Entgegen meinem früheren Bericht muss man also, wenn man sich nur weit genug links hält, nicht die Hände zu Hilfe nehmen. 

Bald gelangt man zu zwei Gedenktafeln. Ab hier wird es ernst. Das erste Stück ist schrofig und teilweise ausgesetzt. Einige Zacken, die ersten II er Stellen, müssen überklettert werden. Die folgenden Türme kann man überklettern oder umgehen. Das Gestein ist einigermaßen fest. Man muss aber trotzdem aufpassen. Ich gönne mir wie damals die eine oder andere knackige Stelle, die bereits deutlich über den II. Grad geht. Wenn man will (ich wollte heute nach den vielen harten Touren der letzten Woche nicht) ist sogar ein IV er dabei.
Dann wartet eine zwei Meter hohe Mauer mit aufliegender, schräger Platte, eine Stelle, die ich nach der Lektüre meines Tourenberichts wieder abgerufen hatte. Der Fels ist solide. Man muss aber gut zupacken, eine glatte III er Passage. Bald wird der Grat einfacher. Sogar einiges an Gehgelände ist dabei. Weiter oben können einige Zacken rechts umgangen werden. Leider habe ich trotz einiger Suche das Gratbuch nicht gefunden, da sich mittlerweile mehrere Steinmännle am vermuteten Ort befinden. 
Die Gipfelwand kommt mir heute vergleichsweise einfach vor. Direkt rechts des nun kantenartigen Grates befindet sich ein Riss. Dieser wird durchklettert (III-). Oben geht's dann über ein Band zwei, drei Meter nach rechts, dann wiederum zum Grat und über kleinere Stufen und die Schlussrinne (bis II+) zum Ausstieg, der durch einen großen Steinmann markiert ist. Über das Gipfeldach ist der Große Daumen (2280m) in Kürze erreicht. 

Auf dem Gipfel habe ich guten Handyempfang und teile meine Freude und mein Wohlgefühl gleich mal mit zwei (!) Anrufern. Unglaublich, dass ich hier vor gerade mal zwei Monaten im meterhohen Schnee hochgestiegen bin. 

Da es erst 12 Uhr ist habe ich noch jede Menge Zeit. Meine Gedanken kreisen um große Touren. Vor allem die 45 Kilometer-Komplettrunde von Hinterstein über die Klettersteige bis zum Imberger Horn "über alles drüber", die wir damals leider nicht vollenden konnten, spukt in meinem Kopf. Dagegen ist mein heutiges Programm nur zum Schmunzeln. Aber auch der nun folgende Teil der Daumen-Runde ist reizvoll.


Es geht auf markiertem Weg zur ersten Abzweigung (2163m), an der man zurück zu den Haseneckalpen kommen könnte. Danach verliert der Weg bis in die Daumenscharte (2160m) nur noch wenig an Höhe. Nach der Scharte wird's wieder alpiner. Einige leichte Kletterstellen mit und ohne Seilhilfe stehen auf dem Programm. Auf jeden Fall zu viel für die "Wiesengänger"-Wanderer. Aber auch in Anbetracht der 1500 Höhenmeter in den Beinen gilt es, hier nicht auszupsychen. Nachdem neulich ein Wanderer beim Überholvorgang direkt neben mir einen Grashang hinuntergeflogen ist (glücklicherweise ohne schlimmere Verletzungen), male ich mir schon das nächste Horrorszenario aus. Aber ich bin ja heute nicht am Tegelberg unterwegs. 

Der Kleine Daumen (2197m) wird überschritten. Ein bekannter Allgäuer Gipfel, der auch nach einem Dutzend Tourenberichten immer noch keinen Wegpunkt hat. Nach gut 20 Höhenmetern Abstieg folgt eine weitere Abzweigung, diejenige, die ich nach dem kurzen Abstecher zum Kreuzgipfel (2191m) nehmen werde. Auf diesem Gipfel kann ich mich nach fünf Bruttostunden Gehzeit zum ersten Mal in ein GB eintragen. Nur wenige Seiten zuvor erinnert mich mein April-Eintrag an eine der schönsten und eindrücklichsten Wintertouren der vergangenen Saison. 

Durch wildes, häufig seilversichertes Gelände steige ich hinunter und lande unten im Grünen. Wechsel von Hauptdolomit zu Flysch. Fantastisch, die Blumenpracht. Zuvor schaue ich mir noch intensiv die kurze Nordkante des Kleinen Daumen an, eine "scharfe" (AV-Führer) IV er Kletterei. Über zwei Hügel verläuft der Weg in eine Scharte (1893m) und auf der anderen Seite zum 2017 neu aufgestellten GK auf der Heubatspitze (2008m). Der grandiose Nahblick aufs soeben überschrittene Daumenmassiv weiß zu gefallen. 

Auf dem hügeligen Verbindungsgrat wandere ich weiter nach Westen. Die letzten 85 Höhenmeter hinauf zur Rotspitze (2034m; GK und GB) sind steil, aber einfach. Der Gipfel entlohnt mit einem weiteren tollen Anblick der Daumen-Nordseite.

Der teilweise abgerutschte Weg unterhalb des Verbindungsgrates zwischen Rotspitze und Heubatspitze erfordert absolute Trittsicherheit. An einer Stelle darf sogar gekraxelt werden. Etwas unterhalb der Scharte (1893m), P.1865, dirigiert mich der Wegweiser dann auf einen schmalen Pfad steil hinunter zur Mittleren Haseneckalpe (1592m), womit sich meine heutige Runde schließt. Der Rest ist genussvolles Schlendern ins Tal. 

Die Alpe Mitterhaus (1084m) ist bis 17.00 Uhr geöffnet. Hier ist nicht allzu viel los. Ich tausche mich mit zwei anderen Wanderern aus. Die sind zu Fuß und müssen nun den Asphalthatsch rauslaufen. Ich dagegen habe noch Zeit, um mich über die Alpe zu erkundigen und die Füße hochzulegen, bevor es zurück nach Bad Oberdorf geht.


Insgesamt eine sehr empfehlenswerte Teilrundtour, die nur gelegentlich in dieser Form begangen wird. Wer mit dem Bike kommt, hat mehr Zeit und Komfort. Nicht vergessen: für den Grat und den Abstieg vom Kleinen Daumen den Helm mitnehmen. 















Tourengänger: quacamozza


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Kommentare (4)


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Tuppie hat gesagt: Sehr schöner Bericht...
Gesendet am 29. Juni 2018 um 10:56
...zumal die Ecke eh einer meiner Leiblingsecken im Allgäu ist. Dazu tolle Fotos: danke fürs virtuelle Mitnehmen!
Aber: "Wechsel von Hauptdolomit zu Flysch" stimmt nicht, da man dort lediglich in die sog. Allgäuer Schichten hineinläuft, die geologisch dem Flysch vielleicht hier und dort ähneln, aber genetisch mit ihm nicht gemeinsam haben.
LG
Thomas

quacamozza hat gesagt: RE:Sehr schöner Bericht...
Gesendet am 29. Juni 2018 um 11:53
Grüß Dich Thomas,

natürlich hast Du recht mit Deinem Hinweis, vielen Dank.
Das ist jetzt übrigens schon das zweite Mal in dieser Woche, dass ich Flysch und Fleckenmergel verwechsele. Ich werde wohl so langsam senil. Ist ja beruhigend, dass wenigstens mein Wille, einen qualitativ guten Bericht zu schreiben, noch erkennbar ist ;-)

Ich glaube, die Rotspitze besteht dann sogar wieder aus Hauptdolomitfels..

Liebe Grüße
Ulf

Tuppie hat gesagt: RE:Sehr schöner Bericht...
Gesendet am 29. Juni 2018 um 15:18
Hi Ulf,

der Wille kommt ganz klar (erfolgreich) zur Geltung! Wie gesagt, schöne Dokumentation einer tollen Rundtour. Zu den Haseneckalpen muss ich auch mal wieder...
Korrekt: Rotspitzgipfel wie auch Breitenberggipfel bestehen wieder aus Hauptdolomit, die Allgäu-Schichten sind mehr oder weniger auf die Einschartung zwischen Daumen und Heubatspitze beschränkt. Als verwitterungsanfällige Gesteine bilden sie nunmal oft Scharten.

Dir einen guten Bergsommer,
ich hoffe, wir sehen uns im August...
LG
Thomas

quacamozza hat gesagt: RE:Sehr schöner Bericht...
Gesendet am 29. Juni 2018 um 17:26
Vielen Dank nochmal für diese lehrreichen Infos.
Ja, ich denke, dass es klappt :-)

Grüßle
Ulf


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