Auf Steinbockspuren auf den falschen Berg


Publiziert von MatthiasG , 20. Oktober 2016 um 14:53.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Silvretta
Tour Datum:16 Oktober 2016
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 3:00
Aufstieg: 750 m
Abstieg: 750 m
Strecke:knapp 8km gesamt

Diesen Sonntag gelang mir eine unfreiwillige hikr-Erstbesteigung, dabei war eigentlich etwas ganz gemütliches geplant. Denn eigentlich wollte ich nur schnell auf die Vallüla springen, damit ich da halt auch mal oben war.

Da ich sowieso mit Massenandrang auf diesem leicht erreichbaren Berg gerechnet hatte, und das Wetter sehr stabil war, habe ich erst mal gemütlich ausgeschlafen, und bin erst gegen 10 aus dem Bett gekrochen. Dann hab ich sehr schnell gepackt, und da ich mir über die Schneesituation und Routenführung nicht ganz sicher war, auch Pickel und Steigeisen mitgenommen.

Dann im Renntempo die Silvrettastrasse hoch, wo ich mehr als 10 Autos überholt habe. Da fühlte ich mich gleich wieder wie 20, also eher kindisch. Aber ich hatte an diesem Tag einfach keine Geduld für Leute, die da mit 30 in der 80er Zone hochkriechen. Auch am Berg ging es im selben Stil weiter - Laufschritt bis es zu steil wurde. Zu Beginn sah es dann auch so aus, als hätte ich Steigeisen und Pickel völlig umsonst mitgenommen, da südseitig alles aper war.

Oberhalb des Bielerkopfes hatte ich dann keine Lust mehr auf Weg und beschloss, den Bielerspitz (von Westen ca. T4+ weglos, am Weg wahrscheinlich T3) direkt mitzunehmen. Zuerst ging ich einfach gerade auf den Gipfel zu, dann die Höhe haltend auf Trittspuren nach Westen, bis zum Grat, und dann ziemlich direkt von Westen nach Osten den Grat hoch. Der Gipfel ist mit einigen deutlichen Steinmännchen gekennzeichnet. Dann ging ich weiter nach Osten. Da mir der Grat gut gefiel, und ich nicht so weit runter oder gar zurück wollte, und auch den abzweigenden Weg von der Karte nicht klar identifizieren konnte, blieb ich auf dem Grat und beschloss spontan erst etwas weiter östlich und mit weniger Höhenverlust zum Weg zu queren.

Dort wo der Grat dann Richtung Norden kurvt, und deutlich felsiger wird, begann ich langsam Höhe abzubauen, mit dem Ziel ungefähr bei 46.93119, 10.10796 (WGS 84) in östliche Richtung der Grasflanke entlang zum Weg abzusteigen.

Wenn da nicht der Steinbock über mir gewesen wäre, den ich überraschender Weise trotz Kopfhöhrern und relativ hohem Tempo erblickte. Sofort nahm ich Deckung und justierte mich so leise wie möglich um. Fotoapperat in der Linken, Pickel in der Rechten, Kopfhöhrer und grellgelbe Jacke verpackt, kletterte ich so leise wie möglich über Steilgras und kleine Felsabschnitte (ca. I) zum Grat hoch.

Da ich nur das Weitwinkel-Objektiv hatte, musste ich mich auf ca. 10 Meter anpirschen, was aber nicht problematisch war, da ich den Wind hatte, der Grat gute Deckung bot, und ich auch relativ gut getarnt war. (Nicht-Jäger sollten bitte immer mindestens 50m Abstand von Wildtieren halten, da eine Flucht für die Tiere viel Energie kostet, welche sie eigentlich zum Überleben im Winter brauchen) Nachdem ich dann gefühlt eine Million ziemlich uninteressante Fotos von seinem Gehörn gemacht hatte, ging ihm entweder das Klicken des Fotoapperates auf die Nerven, oder es wurde ihm zu warm, jedenfalls stieg er dann gemächlich auf die Nordseite ab. Ich ließ ihm etwas Vorsprung, um ihn nicht zu beunruhigen, und kletterte die letzten Meter zum Grat, wo ich ihn dann endlich auch als Ganzes fotografieren konnte.

In der Hoffnung den Steinbock eventuell noch einmal von der anderen Seite zu sehen, umstieg ich einen Felszacken (ca. 10 Meter runter, 10 Meter Richtung Norden und dann wieder 10 Meter nach oben, sieht man gut am GPS Track), aber von da war der Bereich verdeckt, in den er gestiegen war. 

Jetzt war ich aber schon bis auf 100 Meter an die Kleine Vallüla vorgerückt, also beschloss ich, diesen Gipfel mitzunehmen. Nach einer kurzen Kraxelei (Großteils I, eine Stelle II) erreichte ich auch diesen Gipfel, und musste mich nun entscheiden, entweder das aufgestiegene Stück wieder abzuklettern, und dann südlich einen Abstieg zum Weg zu suchen, oder dem Gratverlauf zu folgen und zu hoffen, dass ich dort einen guten Abstieg finden würde, um den Weg direkt zur Vallüla fortzusetzen. An dieser Stelle kündigte ich dann meiner Frau über SMS an, dass ich mich eine Stunde verspäten würde.

Natürlich war ich zu faul, das teils schon Bekannte zu wählen, und ging weiter ins Unbekannte. Zuerst war das auch einfach, aber dann gelangte ich an eine unübersichtliche Stelle mit einer Geländekante, wo ich nicht beurteilen konnte, ob es dahinter nur ein paar Meter, oder gleich 100 Meter senkrecht runter gehen würde. Auf der Flanke, auf der ich mich befand, war östlich Steilgras (fast senkrecht) und westlich plattiger Fels mit nur einem Querriss (ebenfalls fast senkrecht). Ein Ausrutscher egal in welchem Bereich dieses Trichters hätte mich auf jeden Fall stets in Richtung der besagten Geländekante stürzen lassen, also konnte ich hier wirklich nichts riskieren.

Da ich Steigeisen mit hatte und der Fels mindestens nach einer II aussah, entschied ich mich für das Gras. Ich klemmte mich mit Hilfe des Pickels und einem Stein irgendwie ein, und fummelte vorsichtig die Steigeisen aus der Tasche. In einem Balanceakt führte ich das erste Steigeisen zum ersten Fuß und stellte mit großer Enttäuschung fest, dass ich die falschen Steigeisen mitgenommen hatte! Diese sind für Eisklettereien im Winter auf steigeisenfesten Schuhen gedacht, ich hatte aber nur meine halb-steigeisenfesten Schuhe an. Da ich auch keine Bandschlinge oder ähnliches hatte, gab es keine Chance die Steigeisen an meinem Schuh zu befestigen.

Also doch über den Fels. Nach langem Suchen konnte ich irgendwie den Pickel einklemmen und mich in den Querriß absenken, wo ich einen relativ guten Stand vorfand. Von dort konnte ich dann einen Untergriff entdecken, welcher sich aber leider beim Belastungstest lockerte. Als ich das instabile Stück Fels abmontiert hatte, war dort leider gar kein Griff mehr. Über Balance und Reibung gelang es mit dann aber nach langer Herumprobiererei trotzdem kontrolliert den Rest der Felsstufe abzusteigen. Da war die Erleichterung groß!

Noch größer wurde die Erleichterung, als ich ein paar Schritte weiter feststellte, dass der restliche Abstieg bis in den Sattel ohne weitere Schwierigkeiten machbar war. Ich war eine III abgeklettert, wo man ohne weiteres eine I bis II hätte nehmen können, aber das konnte ich vorher von oben einfach nicht sehen. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir dann, dass ich ziemlich viel Zeit verbraten hatte, und der Umweg über den Grat zurück deutlich schneller gewesen wäre. Da ich aber wieder auf dem Normalweg war, beschloss ich die letzten paar Höhenmeter im Laufschritt noch schnell zu machen.

Kurz nach dem Sattel - kaum zu fassen auf einer so leicht erreichbaren Tour - schon wieder Steinwild! Und da ich aus dem ersten mal genau gar nix gelernt hatte, pirschte ich wieder den Steinböcken nach! Es war ein kleines Rudel, welches gerade dabei war den Grat Richtung Vallüla aufzusteigen. Sie hatten mich schon längst gesehen, aber trotzdem konnte ich noch ein paar nette Bilder schießen, denn sie hatten es nicht eilig. Dann pirschte ich leise wieder rückwärts davon, und als ich weit genug weg war, stand ich auf und begann im Laufschritt, über Felsblöcke springend, auf den Weg zurück zu rennen.

Kurz vor dem Weg, in recht leichtem Gelände, kam dann auf einem feuchten Grasfleck der Ausrutscher. Es war gerade steil genug, dass ich nicht von selbst zum Stillstand kam, und im Reflex drehte ich mich auf den Bauch, stieß den Pickel in den Boden, und die linke Hand griff automatisch irgendwo in den Fels, wo sie eine meterlange Blutspur zog. Ich hatte mir irgendwie den linken Ringfinger aufgeschnitten, und es blutete wie verrückt. Der Pickel hielt zum Glück sofort, und ich hatte sonst keinerlei Verletzungen davon getragen. Aber in dem Moment fiel mir ein, noch bevor ich überhaupt danach zu suchen begann, dass das erste Hilfe Set noch im großen Rucksack zuhause war. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ohne erste Hilfe Set am Berg war, und ist der Fehler, für den ich mich im Nachhinein fast am meisten schäme.

Ein kurzer Blick auf die Verletzung und die Uhr sagten mir eindeutig, dass die Vallüla vertagt werden musste. Den Finger konnte ich nicht loslassen, da er sonst sofort wieder heftig zu bluten begann. Also joggte ich gemütlich auf dem Normalweg nach unten. Schon nach wenigen hundert Metern wieder Steinwild! Ein ganzes Rudel diesmal. Ich blieb auf dem Weg, musste aber warten, um sie nicht aufzuschrecken, zumal ich diesmal über ihnen war, und das mögen die Tiere in den Bergen nicht so gern. Als sie endlich vorbei gezogen waren, ging es weiter, bis ich zum Glück auf ein nettes Familienpicknick traf. Menschen mit Kindern - die haben sicher ein Pflaster, dachte ich mir, und so war es auch. So bekam ich wieder eine Hand frei, und konnte das Tempo etwas erhöhen.

Am Ende hatte ich genau die eine Stunde Verspätung, die ich erwartet hatte, und konnte meine Verabredung einhalten. Der Finger wäre im Krankenhaus natürlich genäht worden, aber eine kleine Narbe mehr fällt bei mir wirklich nicht mehr auf, also habe ich es nach gründlicher Wundreinigung wieder einmal mit Steri-Stripes geklebt. 

Fehler und Lektionen:
  • nicht am Vortag gepackt
  • spät aufgebrochen
  • nicht an den Plan gehalten
  • kein Teleobjektiv mit
  • zu faul für ungefährlichere Umwege
  • hektisch und unter Zeitdruck
  • ungeeignete Steigeisen
  • fehlende erste Hilfe Ausrüstung

Alles vermeidbare Fehler, wobei jeder Einzelne für sich relativ harmlos ist, aber in Summe dann doch etwas dummes passieren kann. Am peinlichsten ist mir wie schon erwähnt das Weglassen der ersten Hilfe, für genau solche Sachen habe ich eigentlich Checklisten, die ich normaler Weise selbst bei einfachen Unternehmungen stets abarbeite. Am gefährlichsten ist aber aus meiner Sicht Hektik und Zeitdruck, was die meisten anderen Fehler sowie den Ausrutscher verursacht hat. Ich bin mir sicher, man wäre mir nicht böse gewesen, hätte ich meine Verabredung abgesagt. Aber das wollte ich nicht, und bei so einem Wetter zuhause bleiben wollte ich schon gar nicht. Das muss ich nächstes Mal besser lösen. 

ACHTUNG: Der GPS Track führt durch absturzgefährliches, wegloses  Gelände, und entspricht ganz sicher nicht der idealen Linie. 

Tourengänger: MatthiasG


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