Knapp vorbei ist auch daneben: Steinschlag zwischen Staubern und Saxer Lücke


Publiziert von countryboy , 22. Oktober 2016 um 22:45.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum: 8 Oktober 2016
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AI   CH-SG   Alpstein 
Zeitbedarf: 1 Tage
Aufstieg: 390 m
Abstieg: 390 m
Strecke:ca. 6.2km: Staubern - Saxer Lücke - Staubern
Zufahrt zum Ausgangspunkt:mit Auto oder ÖV (Postautohaltestelle Holengass) bis Talstation Staubernbahn (Frümsen)
Unterkunftmöglichkeiten:Berggasthaus Staubern
Kartennummer:online Kartenausschnitt 1:25'000

Howdy!

Wer ständig mit "Howdy" grüsst, muss sich nicht wundern, wenn das phonetisch jemand, z.B. das Gebirge, für bare Münze nimmt und irgendwann mit "Hau di!" zurückgrüsst. So geschehen an einem eigentlich friedlichen Samstag Nachmittag. Angesagt war und hat nach kleinem Schrecken auch stattgefunden: ein lange voraus geplanter Jassabend (für die ausländischen Kollegen, die tatsächlich noch nie davon gehört haben: ein in der Schweiz weit verbreitetes Kartenspiel, dessen Spielkunst man praktisch mit den Genen mitgeliefert bekommt). Nun war es so, dass Petrus an dem von uns ausgesuchten Wochenende nicht nur zufällig gerade pullern musste und die Ostschweiz dummerweise drunter stand, nein, er hatte auch noch Kaffeekränzchen mit Frau Holle. Während es bei der Staubernbahn Talstation also noch auf mich runterbrünzelte, ging es bei Ankunft auf der Staubern nahtlos in Schneefall über. Tatsache war, dass ich mit der Absicht, mir noch etwas die Beine zu vertreten, etwas früher als meine Freunde angereist war und mich drum sogleich auf den Weg machte. Der Plan, die Hüser etwas zu erkunden, war angesichts des Wetters schnell in den Wind geschlagen und so nahm ich mit etwas Panoramawandern Staubern-Saxer Lücke-Staubern vorlieb. Wer sich die Fotos ansieht, merkt schnell, dass bei dem Wetter in Sachen Panorama kein Preis zu gewinnen war. Aber Bier, Wein und deftiges Essen schmecken nun mal besser, wenn man Wanderschuhe nicht nur an den Füssen getragen, sondern diese Füsse dann auch etwas bewegt hat. Frohen Mutes zog ich also los in absoluter Gewissheit, dass mir auf dieser Route weder Kälte, Regen, Schneefall oder dicker Nebel etwas anhaben könnten und wurde bereits ein Viertel Stündchen später eines Besseren belehrt (zwischen Stauberenkanzel [1860] und Hinteren Hüser [1952]): Bestimmt jeder kennt das Geräusch, wenn Stein auf Stein schlägt. Im gleichen Moment, als ich besagtes Geräusch von links oben kommend wahrnahm, schlug auch schon ein frühstückstellergrosser Stein eine Elle vor mir auf den Boden und kullerte anschliessend weiter ins Tobel runter. Da fragt sich dann auch ein countryboy, was er jetzt denken oder fühlen soll. Intensiv darüber nachdenken? Verdrängen? Ich wusst's in jenem Moment jedenfalls nicht, bin einfach weitergewandert und hab so gut wie möglich die frühwinterliche Stimmung aufgenommen. Nachdem ich mir bei der Saxer Lücke einer Schicht Kleidung entledigt hatte, machte ich mich auch bald wieder auf den Rückweg, denn für einen kurzen Besuch bei der Bollenwees wäre es zu knapp gewesen. Das Jassen sollte unter keinen Umständen verspätet starten! Genau dieser Gedanke war es wohl, der mich dann auf dem Rückweg doch noch etwas ins Grübeln brachte. Um ein Haar wär's überhaupt nix geworden mit dem Jassen!  Es ist müssig drüber nachzudenken, ob's jetzt ein gebrochener Arm, eine Gehirnerschütterung oder direkt der Abflug zu Petrus und Frau Holle hätte werden können. Jedenfalls zeigt's einmal mehr, wie schnell das normale Leben vom einen auf den anderen Moment erlöschen könnte. Dem "Risiko" Bergwandern setz ich mich aber auch weiterhin gerne aus. Andernfalls würde wahrscheinlich irgendwann einfach ein unerwarteter Herzinfarkt oder ein entgegenkommender, hirnloser Raser in die Bresche springen, wenn es dann soweit ist, dass mein Streichhölzchen schicksalshaft in ganzer Länger abgebrannt ist. Da oben ist's ja vielleicht auch ganz nett, vorausgesetzt bei Petrus' und Frau Holles Kaffeekränzchen gibt's auch Tee und feinen Kuchen. Und von dort könnte ich bestimmt auf alle Ewigkeit den Hikrn dabei zusehen kann, was sie zu Hikrn macht. ;-) Ach ja, da war ja auch noch der Jassabend... Irgendwann am Nachmittag traf ich also wieder im Staubernrestaurant ein und gesellte mich zu meinen inzwischen eingetroffenen Freunden... 

Erst gab's Jauseplättchen und dazu ein feines Weizen, 
und wer das Leben feiert, dem ist es nicht ums Geizen.
So folgten Abendessen und zwei Fläschchen Blauburgunder,
der ging ja sowas von genüsslich unsere Kehlen runter.
Auch später beim Jassen bis tief in die Nacht,
ist der Weinkonsum kein bisschen abgeflacht.
Doch irgendwann dann doch, zu später Stunde,
fand sie ein müdes Ende, unsere heit're Runde.
Es folgte der stille Gang in unser 5er-Schlafgemach
von wegen Schlafen? Fehlanzeige, ich lag einfach wach!
Bei immer stickigerer Luft und Schnarch-Getöse
betete ich demütig irgendwann: Oh Herr, erlöse!
Mich von dieser nächtigenden Pein,
lass mich in mein heimisch Bettelein.
Freilich gab's keine Antwort auf mein Gebet,
ich hab mich weiter hin und her gedreht...
Um sechs Uhr flüsterte ich zu mir: Kapitulation,
und stahl mich aus dem Kämmerlein davon.
An Desertation war freilich nicht zu denken,
so liess ich mich stattdessen reich beschenken:
Bald wich die Nacht und schenkte mir die Sonne,
welch friedlicher Morgen, welch eine Wonne!
Mit dem Staubernwirt philosophierte ich dann übers Leben,
ass Brot und Käse, trank heisse Schokolade, Frühstück eben.
Sobald alle verköstigt, unsere spätere Talfahrt  lief behende,
ein Staubern-Weekend mit viel Gemütlichkeit und Happy-Ende. :-)

Das sollte ursprünglich ja ein Kurzbericht werden und ist dann aus dem Ruder gelaufen. Wandermässig gibt's eigentlich nichts, was nach einem Bericht verlangt, dafür halt etwas leicht Denkwürdiges, was irgendwie halt auch zu den Bergen gehört.

countryboy

Tourengänger: countryboy


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Kommentare (23)


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Stevo47 hat gesagt:
Gesendet am 22. Oktober 2016 um 23:45
Ciao Yves, eine nachdenkliche Geschichte mit einem lyrischen Schluss - Gott sei Dank bist du uns erhalten geblieben! Köstlich geschrieben...und der Himmel kann warten! Danke & viele Grüsse, Steve

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 20:49
Hallo Steve, sowas Ähnliches hat wohl jeder mal erlebt oder es ist einfach eine Frage der Zeit, wenn man oft genug in den Bergen ist. Schön gesagt: der Himmel kann warten, derweil geniessen wir weiter die schöne Bergwelt... :-) Gruss, Yves

Felix hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 08:04
super gemacht!

lg Felix

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 20:55
Mérci Felix. Hab da was gelesen, dass du dich der Organisation eines Hikr-Treffs 2018 annehmen wirst. Werde also auf mich acht geben, um das nicht zu verpassen... ;-) Gruss, Yves

alpstein hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 08:58
Hallo Yves,

Glück gehört eben manchmal auch dazu. Dein Hut hätte im Ernstfall wahrscheinlich nicht viel genützt. Solche Situationen gehören halt zum allgemeinen Lebensrisiko dazu. Wie schnell so ein Stein da sein kann, haben wir auch schon erlebt.

Grüße
Hanspeter

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 21:29
Hallo Hanspeter
Wie wahr, so ein bisschen Filz kann da nicht viel ausrichten. Wie du schon sagst, das ganze Leben ist ein Risiko. In der Ausrüstung eines Eishockeygoalies könnte man wohl noch Einiges wegstecken, aber so wären keine Touren nach unserem Gusto möglich. Also machen wir unseren Schutzengeln weiterhin viel Arbeit... Auf einen guten November! Gruss, Yves

dominik hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 09:20
Dein Reim auf einen lustigen Abend gefällt mir. Und btw: Das Leben dauert so lange bis es zu ende ist. Ausnahmen gibt es nur ganz, ganz selten :-)

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 21:51
Danke Dominik. Zuerst war da nur ein Satz, in dem sich zufällig was gereimt hat ...und dann hab ich irgendwie dran rumgebastelt. Was das Lebensende angeht, geht's uns wahrscheinlich allen gleich: es darf möglichst lange dauern und wenn's soweit ist, am liebsten möglichst schnell enden. Gruss, Yves

WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 10:56
Ich sag es ja immer wieder "so ein Hut tut einfach gut" und bringt Glück! Sehr witzig geschrieben, du weißt ja, solche Berichte mag der WoPo. Von daher gibt's für deinen Bericht 5 Sterne auf der nach oben hin nicht offenen Skala.
Grüße aus Flachlandhausen
WoPo

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 22:01
Hallo WoPo
"So ein Hut..." stimmt: tut einfach gut und bringt Glück. Und da deine Berichte allseits Freude bereiten, freut's mich, ein paar Zeilen zurückzuschenken. Was einen deiner Bildkommentare in deinem Hikr-Treff-Bericht angeht, ja, mein Bermuda-Käppl hat sich als Zweithut bestätigt; entweder wenn ich Windböen zu befürchten habe oder wenn ich mit countrygirl unterwegs bin. Die findet meine Nr. 1 nämlich - und das lässt sich nach 23 Jahren Einsatz nicht abstreiten - etwas zu schmuddelig. ;-)
Gruss, Yves

georgb hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 11:01
Du solltest deine Berichte immer aus dem Ruder laufen lassen, wenn am Ende sowas Schönes dabei rauskommt, Kompliment!

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 22:04
Hin und wieder macht's Spass abzuschweifen. Aber ich gehör dann doch zur konservativeren Sorte, die meinen, dass die Beschreibung von Bergtouren die Mehrheit der Berichte ausmachen sollten. Jedenfalls danke. Ich werd's gerne zulassen, dass es wieder mal passiert... ;-)

georgb hat gesagt:
Gesendet am 24. Oktober 2016 um 11:22
Solche Anlässe sind ja auch nicht wünschenswert und sollten die ganz große Ausnahme bleiben!!! Aber Gedichte schreiben zu können ist eine Gabe, Kompliment Yves

CampoTencia hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 11:07
Ich hab's schon immer gesagt: Jassen ist gefährlich, darum lass ich die Finger davon und gehe nur auf Touren :-)))
Wie viele von uns hast auch du dem Schutzengel Danke zu sagen, ohne ihn geht's halt eben nicht

LG Herbert

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 22:08
Scharf kombiniert Herbert: die Gefahrenaussetzung ist allein auf den Jassabend zurückzuführen! Ich werde dieses gefährliche Spiel hinterfragen müssen. :-D
LG, Yves

Krokus hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 11:22
Dem Himmel sei Dank, dass der Stein nicht den Hikr-Poeten im Visier hatte. Ich bin wirklich froh, dass ich mich auf weitere fröhlich-informative Berichte freuen kann. Viel Glück auch weiterhin. L. G. Ella

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 22:12
Danke Ella. Der Schutzengel meinte wohl, dass wir noch zu wenig gemeinsame Touren unternommen haben... ;-) LG, Yves

Flylu hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 11:28
Bei solchen Situationen wird einem bewusst wie verletzlich man doch ist. Doch die Liebe zu den Bergen ist nun mal grösser und wir nehmen das Risiko in Kauf. Und wenn wie du es sagst, das Streichhölzchen nun mal abgebrannt ist, dann lieber in den Bergen als im Bett oder sonst wo.
Schön das es dir gut geht.
LG, Lucia

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 22:14
Das Leben soll so lang sein, wie es nun mal kommt. Aber das Ende, da sind wir uns auch einig, das darf dann gerne schnell sein. Bis dann erfreuen wir uns aber hoffentlich noch vieler schöner Touren in den Bergen. LG, Yves

rkroebl hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 20:54
Schön, wenn's Dir aus dem Ruder läuft, Yves! :-)

Danke für die nachdenklichen und die schmunzelnden Gedanken, die Dein Bericht ausgelöst hat.

LG, Ray

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 23:22
Mit "nachdenklich" und "schmunzelnd" triffst du wohl sehr gut zusammengefasst meine eigenen Gedanken beim Verfassen des Berichts. Wenn man oft in die Berge geht, ist die Versuchung gross, sich auf einem vertrauten T2-Weg bald mal so sicher wie auf einem Dorftrottoir zu fühlen. Dann ist's ja eigentlich gut, wieder mal den Zeigefinger vorgehalten zu kriegen. LG, Yves

dulac hat gesagt:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 21:26
Um ein ähnliches Erlebnis bin auch ich vor einigen Jahren nicht herumgekommen – nur konnte ich mir keinen so schönen Reim drauf machen – Glückwunsch, dass es glimpflich abgelaufen ist und Kompliment für den überaus gelungenen nachdenklich/amüsanten Bericht!

LG Wolfgang

countryboy hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 23:33
Vielen Dank Wolfgang. Angesichts deiner häufigen Bergtouren ist verständlich, dass du Ähnliches erlebt hast. Schön bist auch du mit dem blossen Schrecken davon gekommen! Hoffe auf möglichst wenig Anlass für weitere nachdenkliche Berichte... Amüsantes hingegen gebe ich bei Gelegenheit gerne wieder zum Besten...
LG, Yves


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