Cardinal und Fayencen


Publiziert von Henrik , 6. September 2012 um 19:17. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Neuenburg
Tour Datum: 4 September 2012
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-NE 
Aufstieg: 100 m
Abstieg: 100 m
Strecke:TuTen in Neuchatel
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV
Kartennummer:Ein Gourmet zeigt einem andern Gourmet einen neuen Tempel

... Bern und Zürich haben das Gleis 13. Basel hat auch eines, aber ohne Perronanlagen – was könnte dahinter stecken? Am Gleis 12 legen eine Vielzahl von S-Bahnen ab, der Grossraum Bern ist bahntechnisch gut ausgebaut. Die 20 Minuten bis zur Weiterfahrt nach Neuchâtel nutze ich für ein paar Momente einer näheren Betrachtung in Sachen Architektur und Bahnbetrieb. Die Perronverlängerungen Richtung Westen sehen elegant aus – die an Wellen gemahnende Bogenstruktur der Überdachung hat etwas Ähnlichkeit dem Bahnhof in Dornach (SO), sie sind der Kontrast zu den  tonnenschweren Zügen, die fast ununterbrochen von einem der betriebsamsten Bahnhöfe der CH aufbrechen. Die Passagierzahlen liegen mir hier vor, aber Basel hinkt eindeutig hinten nach. Angeschlossen an das oben erwähnte Gleis 13 finden sich Unterkünfte und Pausenräume für das Gleispersonal der SBB. Sowohl am Boden wie über den Fahrleitungsdrähten herrscht Spannung sprichwörtlich – es reift erneut der Wunsch, wie ABoehlen sich ausschliesslich und mit Hingabe dem Phänomen Bahnhof auszusetzen!
 
 
... um 10.53 fährt die BLS S-Bahn-Linie als RegioExpress RE 3032 (die Waggonzusammensetzung kann hier erspäht werden) von Gleis 12 ab Sektor C nach Neuchâtel – zwischenzeitlich sind wir nun zu zweit. Da wir uns lange nicht mehr gesehen haben, nehmen wir von der Landschaft kaum etwas wahr, doch als wir Gümmenen passieren, wird die Erinnerung wach. Auf dem Zihlkanal ist gerade kein Passagierschiff auszumachen, nach St. Blaise weiss der regionale Bahnkunde, das Ziel rückt näher. Über dem Lac de Neuchâtel hängt eine eher graue Suppe, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhofsgelände der elegante Glasbau des Statistischen Amts des Bundes. Statt mit der Metro uns ins Zentrum bringen zu lassen, spazieren wir hinunter in die Cité. Da wir noch ein wenig Zeit übrig haben, erkunden wir die Gassen, lebhafter Publikumsverkehr. Der Markt schliesst am Place Pury. Der Takt ist ein anderer, es riecht anders, die Farben sind anders, das Stimmengewirr ist vielfältig, die Melodik ein wenig wie Ferien. Wir steigen die Rue du Pommier hinauf mit ihren Prunk- und Feudalbauten, darüber der Burgsitz mit Schloss und Repräsentationsgebäuden. Und erfahren durch ein Schild an einem der historischen Häuser etwas über die Geschichte des Kantons Neuenburg, dem jüngsten Spross der Eidgenossenschaft (mal abgesehen vom Kanton Jura [1979] und der Gebietsrevision im Laufental von 1994). An der Rue du Château mit seinem Tour de Diesse (Teil der Festungsanlage) und dem „Fontaine du Banneret“ vorbei gelangen wir zur Rue du Moulins, ein paar Schritte weiter an der Rue du Seyon sind wir am Ziel: der Brasserie le Cardinal, auch ein historisches Gebäude mit ganz speziellem Intérieur. Zaza hat einen kleinen Tisch für uns reservieren lassen.
 
 
... die beiden Treppenstufen hochgestiegen, ist man gleich umgeben von einer ganz speziellen Atmosphäre. Eine Gaststube (unter Heimatschutz) dieser Art habe ich bis dato noch nie erleben dürfen – ich bin weder Kosmopolit noch Künstler, der Ort verströmt aber mehr als einen Hauch von Oase, très sympa! Palaver, Gerüche, die Fortsetzung der Strasse, die Melodik und die nicht hörbare Musik, die, die einen am Nacken ergreift, berührt – ohne Sound. Wir setzten uns und betrachten die Fayencen an den Wänden, die Fenster mit ihren Kristallgravuren (so was ist heute ja nicht mehr Standard) und sind beinahe etwas überfordert mit der reichhaltigen Speisekarte (ausschliesslich en français). Wir entscheiden uns nicht fürs Tagesmenu, sondern für ein Assiette végétarienne du jour und Entrecôte de boeuf parisienne, im Glas ein Rivella und einen Rosé. Erstaunlicherweise, obwohl Mittagszeit, ist das Lokal [Beliebte Pariser Brasserie mit authentischem Dekor des ausgehenden 19. Jh. (herrliche Original-Wandkacheln), als historisches Monument klassiert, mit attraktiver Speisekarte.] schwach belegt. Ich schliesse mit einem Fruchtkuchen, und obligat dann es Café und en Espresso. Innert kürzester Zeit habe ich zwei ausgezeichnete Tempel des Genusses kennen lernen dürfen -  es muss hier erwähnt werden: der Unruhestifter ist Zaza, denn beide kannte er vor mir!
 
... da Zaza noch einen Termin am Spätnachmittag in Bern zu berücksichtigen hat, verlassen wir dieses Bijou, eine der besten Adressen in der Romandie, am Place Pury vorbei, steigen über die Geleise der Trambahn, die von Neuchâtel nach Boudry fährt und stehen am Ufer des Lac de Neuchâtel – nach wie vor ist es eher grau, aber die Bise schiebt die Wellen erregt vor sich hin. Auch die Sonne hält sich nicht zurück, sie verleiht dem aufgewühlten See eine ganz spezielle Note, ein wenig Ost- oder Nordseegefühl kommt auf. Wir verbleiben am Uferweg, zuerst ansichtig des Prunkbaues des Hotels Beau Rivage mit seinem gepflegten Garten dem Haus vorgelagert, dann die Uferpromenade, mit den verblichenen Rast- und Ruhebänken, die alle besetzt sind. Zuerst flanieren wir auf dem Quai Osterwald, gelangen zur Anlegestelle der Schiffe der LNM, bleiben in Wassernähe und folgen einige Hundert Meter der gepflegten „Strandpartie“. Trotz der Bise gibt es einige Unentwegte, die ins Wasser steigen. Andere spielen auf den angrenzenden Parkanlagen Ballspiele oder stossen Kinderwagen vor sich her. Wir peilen das Funiculaire an, dass die Uni mit dem Bahnhof verbindet – zwei Minuten Fahrt, und das seit der Expo 2002.
 
... meine Weiterreise erfolgt per Bus, mit der Gelben Klasse. Ich möchte den letzten Freitag mit Lagopus und Tobi  in der Gegenrichtung nochmals erleben. Jetzt scheint ein wenig die Sonne und das Grau hat sich gelichtet. Meine Route: Neuchâtel – Les Ponts-de-Martel – La Chaux-de-Fonds – Glovelier – Basel. Dreimal umsteigen, eine immense Fülle von neuen Sichtweisen, jede Fahrt ist in ihrer Art einmalig, auch beim 103 Besuch dieser Region! Und ich bin mit Kleinbahnen unterwegs – S-Bahn-Charakter. Les-trains-rouges-qui-bouges. Überrascht konstatiere ich, dass in Glovelier die Neuzeit auch bei den Bahnhofsanlagen der CJ begonnen hat. Die alten, in der Strasse eingebrachten Schienen weichen einem echten kleinen Bahnhof – auf Frühjahr 2013 dürfte dieser Umbau abgeschlossen sein.
 
... die Bahnhofskatze von Glovelier habe ich nicht gesehen, aber die Fressnäpfe stehen immer noch am Gleis 1! 
 


Tourengänger: Henrik , Zaza


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Kommentare (3)


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stephen hat gesagt: Cardinal...
Gesendet am 6. September 2012 um 20:27
mein Lieblingsrestaurant in Neuchâtel... now I'm feeling homesick again!

CarpeDiem hat gesagt:
Gesendet am 6. September 2012 um 22:18
Nur um eine kleine lächerlich blöde Stunde haben wir uns in Neuchâtel verpasst. Um 12h34 stieg ich dort in den BLS-RegioExpress nach Bern...

Gruss, Anne-Catherine

Felix hat gesagt:
Gesendet am 10. September 2012 um 13:59
toll gegessen, geschrieben und fotografisch dokumentiert!
lg Felix


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