Piz Morteratsch 3740m und zur Diavolezza 2960m auf Reserve


Publiziert von alpensucht , 18. August 2016 um 17:16.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:13 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Piz Bernina   Bernina-Gruppe   Palü-Gruppe 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1800 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Bovalhütte - Scharte - Gipfel - Scharte - Hütte - Mortratschgletscher - Persgletscher - Diavolezza ca. 13km

Die üppige Einlauftour über den Piz Boval am Vortag steckt uns noch ein wenig in den Beinen. Dennoch geht es wieder pünktlich um 4:15 Uhr hinaus aus den Lagern zum Frühstück und vor die Hütte zum zweiten Akklimatisierungstag.

Da wir am Vortag unsere Eisausrüstung deponierten, können wir heute ziemlich schnell den Aufstieg in die Bovalscharte in Angriff nehmen. Das Wetter bringt etwas Ernüchterung: oberhalb von 3200m liegt „Schönwetterdunst“, wie es der Bergführer der ersten Seilschaft heute ausdrückt. Eine andere steigt später sogar in den Spraunzagrat ein.

 

In die Bovalscharte ohne Eisausrüstung im Rucksack T5+, II, 2h

5 Uhr. Dem Stirnlampenschein jener ersten Seilschaft kommen wir bald wieder näher. Unterhalb der Felsen von Gianda Boval wähle ich im Halbdunkel den mühsameren aber direkteren Aufstieg links und überhole so unsere Vorderleute. Weiter oben leuchte ich meinem Tourenpartner Johannes, damit er mich wieder findet. Er hält sich hinter den beiden zuerst Gestarteten auf der besten Route. Ich begehe das Firnfeld weiter rechts und muss dann oben heikel ohne Steigeisen und Pickel nach links queren, um zum Einstieg zu gelangen.

Die anderen sind noch weit zurück. Den Einstieg verpasse ich im Halbdunkel und muss anschließend wieder etwas zurück in der Randkluft des großen zentralen Firnfelds und dem Felsansatz queren. Inzwischen sind alle am Einstieg. Die beiden deutlich älteren Kameraden lassen uns den Vortritt.

Der abgespeckte Fels ist trotz des leichten Gepäcks etwas unangenehmer zu klettern als am Vortag (T5+), weil die feuchte Luft die Reibung vermindert hat. Sogar einige Schneeflocken fallen, während wir routiniert aufsteigen. Um 6:55 Uhr erreichen wir unser Depot in der Scharte. Nach wenigen Minuten kommen die anderen beiden am kurzen Seil an uns vorbei. Inzwischen sehen wir nicht weiter als 30m, die Temperaturen mögen knapp unter 0°C liegen und es weht ein eisiger Wind. So in etwa wurde es am Vortag prognostiziert.

 

Piz Morteratsch - Normalweg von Norden WS, 40°, 1h 45min

Nach etwa 10min sind beide Seilschaften bereit zu starten. Nach einigem Hin- und Her lassen uns die anderen am ersten steileren Aufschwung vor. Viel schneller sind wir jedoch auch nicht. Müssen wir auch nicht. Akklimatisierung erfordert kein Maximaltempo und fühlt sich besser an, wenn man langsamer geht. Nach der Querung unter den Felsen folgt ein breiter, steiler werdender Firnrücken. Nur selten kann ich hier eine verwehte Spur ausmachen, bleibe aber instinktiv in etwa auf der richtigen Route. Sicherheit gibt die nahe Seilschaft, die wir hinter uns zwar kaum sehen, aber hin und wieder gut hören können. Der dortige Bergführer war sicherlich schon hunderte Male hier.

 

Nach einem 35° Hang bis unter Felsen gehen wir noch steileres Gelände in wieder erkennbarer Spur links unterhalb und folgen den bis zu 40° steilen Serpentinen. Der Firn bietet guten Halt. Die überfrorenen Felsen brauchen wir nicht zu berühren. Ein bei guter Sicht sicherlich genialer Firngrat folgt auf rund 3500m. Einige Böen zwingen mich in die Knie zu gehen, damit ich nicht umgerissen werde. Johannes ist manchmal kaum zu erkennen, obwohl wir den Seilabstand von kaum 15m gewählt haben.

 

Mein Höhenmesser zeigt trotz der am Vortag bei schönem Wetter kalibrierten Höhe nur knapp über 3600m an, als wir über die letzte Firnkuppe gehen. Dahinter geht’s wieder hinab in den Fels zum Vermessungspunkt. Ich vermute, es gehe noch weiter, doch der gleich hinter uns eintreffende Bergführer erklärt uns am Ziel angekommen. 8:45 Uhr.

 

Zurück zur Hütte   2h 40min
Der Beginn des Abstiegs fällt uns nicht schwer, da unsere Nasen kalt sind und alles Material und unsere (Bart-) Haare von einer sich vergrößernden Frostschicht eingehüllt werden. Die traumhafte Sicht auf den Biancograt stellen wir uns vor und steigen dann schnell wieder ab. So schnell jedenfalls, wie mein Tourenpartner kann. Kurz vor 10 Uhr steigen wir von der Scharte oben ab. Die Abkletterei dauert nun mit schwereren Rucksäcken und bei ziemlich feuchten Felsen (II!) doch etwas länger. Wenigstens gelingt uns heute unterhalb das Finden der besten Abstiegsroute.

 

Gegen 11:40 Uhr treffen wir wieder auf der Bovalhütte ein. Eine riesige Wandergruppe aus Mailand trifft gerade ein. Wir sind uns schnell einig, dass wir noch den Aufstieg zur Diavolezza angehen werden. Morteratsch- und Persgletscher haben beide keine Schneeauflage da unten, also können wir bei genügend Zeitreserve sogar noch einige Steigeisenübungen im Blankeis einbauen.

 

Zunächst stärken wir uns kräftig und ruhen gut aus.

 

Übergang von der Bovalhütte zur Diavolezza über's Eis WS, 40°, 4h 30min

Erst um 13:20Uhr verlassen wir unser Refugium in Richtung westlicher Morteratschmoräne. Die italienische Wandergruppe besteht aus weit mehr Menschen, als wir an der Hütte antrafen. Etwas unterhalb pausieren noch geschätzte 80 Personen.

Die kleine Scharte in der Moräne vermittelt den gerölligen Zugang zum Eis, das zu Beginn noch von sehr viel Felsblöcken und Schutt bedeckt ist. Noch bleiben wir unangeseilt. Erst mit Verschwinden der schuttigen Auflage wird es trotz des oberflächlich morschen Eises langsam schwieriger vorwärts zu kommen. Steigeisen an, anseilen (vor allem um das Gehen in der Zweierseilschaft zu trainieren) und weiter. An vielen Spalten halten wir und werfen ehrfürchtig einen Blick ins Dunkel. Nahe am jenseitigen Ufer fotografieren wir noch einige Sprünge über wenig gefährliche Spalten, verbessern Vertikal- und Frontzackentechnik und verbrauchen dafür viel Zeit.

 

Es soll drüben gut durch das Geröll am Rande des Persgletschers aufzusteigen gehen, doch steigen wir bewusst zum Training über das Eis. Stellenweise steilt es bis 40° auf. An vielen Spalten wird kurz deutlich steileres Eis überklettert oder traversiert. An einer großen Kluft, in der weicher Schnee liegt, ist jemand vor uns bereits eingebrochen. Ich spreize aus und setze weiter links drüben eine gute Eisschraube, an der ich Johannes nachhole. Keiner bricht ein. Nochmal gut gegangen...

 

Weiter oben spüren wir, dass uns nun jeder Meter beschwerlicher wird, die Beine wollen bald richtig pausieren. Dazu bekommen sie nur noch beim Ablegen der Steigeisen Gelegenheit. Dann geht’s sehr mühsam und steil die Moräne hinauf (wir geraten auf die rechte Wegspur, obwohl uns die linke empfohlen wurde). Oben müssen wir wieder wenig hinab und in nordwestlicher Richtung unter der Moräne in angenehmen und weichen Gelände hinüber, wo der Weg sichtbar den finalen, steilen Hang hinauf zieht (T3). Hier falle ich nun immer weiter hinter Johannes zurück. Meine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme (bis dahin etwa nur 1,2 Liter) fällt mir auf, als ich mich sehr erschöpft fühle (passiert mir eher selten). Der restliche Marschtee von heute Morgen gibt dann nochmal so viel Kraft, dass ich wieder zügig bis zum Berghotel laufen kann. 17:50 Uhr.

 

Endlich da. Endlich gepfeffertes Essen (zu gepfefferten Preisen) genießen. Zweiteres versuchen wir auszublenden und freuen uns auf die anstehende Palü-Tour. Die Ausgangsposition von hier liegt wesentlich günstiger als die Bovalhütte.

Man muss nicht unbedingt nach einer Sieben-Stunden-Tour noch 600Hm Gegenanstieg in Angriff nehmen. Doch der nächste Tag sollte zeigen, wie notwendig das war. Für das einigermaßen bescheidene Wetter, sind wir doch gut auf unsere Kosten gekommen. Die Überschreitung des Piz Morteratsch werde ich sicher bei schönerem Wetter angehen.

Somit konnten wir auch den zweiten Tag in der Bernina als voll gelungen abhaken und nächtliche Regeneration anstreben.

Die beiden Spraunzagrataspiranten brachen auf etwas über 3100m ab wegen der schlechten Sicht, der vereisten Felsen und des starken Windes.

 

 

Für den nächsten Tag wird traumhaftes Tourenwetter prognostiziert. Dazu mehr im nächsten Bericht über die Palü-Überschreitung+Fortezzagrat und Abstieg ins Tal.


Tourengänger: alpensucht, jowiesel


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