Piz Boval 3353m Ostgrat und Überschreitung nach Süden


Publiziert von alpensucht , 16. August 2016 um 23:24. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:12 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Bernina-Gruppe   Piz Bernina 
Zeitbedarf: 8:45
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Morteratsch-Bovalhütte-Piz Boval-Misaungletscher-Tschiervagletscher-Bovalscharte-Hütte ca. 12km

Die richtige Mischung aus einer entspannten Akklimatisierungstour zum Einlaufen und einem anregenden und motivierenden Erlebnis zu finden, fällt manchmal nicht allzu leicht. Für mich ist es wichtig einerseits mit (als solche) weniger bekannten Tourenpartnern in einer Seilschaft zu funktionieren und auch dessen momentanes persönliches Können einschätzen zu können. Dennoch bin ich bestrebt das Maximum des Potenzials meiner Tourenpartner herauszuholen, ohne sie zu überfordern und eine möglichst gute Übersicht über Routen der folgenden Tage zu bekommen.

 

Allein die Aussicht auf eine erste Tour im Angesicht von Palü, Bellavista und Bernina erfüllen uns mit unbeschreiblicher Vorfreude bei der weiten Anreise in den hintersten Winkel Graubündens. Da ich in den letzten Wochen insgesamt volle 14 Tourentage weitgehend selber geplant und durchgeführt habe, übernahm Johannes für mich zur Entlastung Grobplanung und Reservierungen.

 

Zustieg zur Bovalhütte T3, 1h 40min

Morgens um 8:30 Uhr laufen wir am unteren Parkplatz mit unserem Mehrtagegepäck los. Einem neuen Wasserkraftwerk muss die bisherige Landschaft um die Station Morteratsch weichen. Erinnerungen aus einem vergangenen Winter begleiten unseren Weg auf die westliche Moräne des Morteratschgletschers. Jetzt sieht die Landschaft lebendiger und bunter aus – es gibt viel mehr als Schnee und Fels zu sehen.

Besonders diese Stelle, wo Horst und ich 2015 einen T-Anker als Standplatz und eine Eisschraube zur Zwischensicherung benutzten, um von der Bovalhütte wieder ins Tal zu gelangen (kein Tourenbericht), beeindruckt mich jetzt: Steile, grün-schrofige Felsstufen, um die der markierte Weg steile Serpentinen mit Drahtseilen versichert zieht. Nun liegt diese in wenigen Minuten hinter uns und kaum 30min später schreiten wir oberhalb der erwähnten Moräne vergnügt gen Bovalhütte, die wir um 10:10 Uhr erreichen. Hüttenroutine: Einchecken, Auspacken, Wasser auffüllen, Tour ergänzend anhand von Literatur vor Ort und auf Sicht im Gelände vorbereiten – und Aufbruch zur Tour.

 

Piz Boval Ostgrat T5, II, 2h 35min

10:50 Uhr beginnen wir den Aufstieg in Richtung Bovalscharte. Wir folgen weitgehend den Steinmännchen auf der besten Wegtrasse. Zwischendurch zweigen öfters kleine Wege oder Wegspuren in verschiedene Richtungen ab. Bei Nebel dürfte diese Route nicht einfach zu finden sein. Doch hält sich unser Wetter gut. Quellwolken mildern das Potenzial zur mittäglichen Hitze, die sich durch die Kaltfront der vergangenen Tage noch in Grenzen hält.

Nahe an den Felsen des Corn Boval führt der Steig steil durch das wilde Gelände. Je weniger Grün wir wahrnehmen, desto anspruchsvoller wird das Gelände.

 

Im oberen flachen Abschnitt zweigt unsere Route nach rechts ab über steilen Schutt in die Rinne, die von der Scharte zwischen Corn Boval und Boval Ostgrat hinab zieht. Wir erkennen wenige Begehungsspuren und ersteigen weiter oben zügig die letzte kleine Steilstufe (I-II). In der Scharte legen wir die Gurte an, obwohl das Gelände nicht nach nötiger Sicherung (z.B. sehr ausgesetzte, plattige Stellen, die nicht umgehbar sind) aussieht. Das Seil lassen wir noch im Rucksack.

 

Kurze, steile Kraxelstellen (II) bilden den Auftakt. Nach wenigen Metern zeigt sich, dass der Ostgrat, wie viele andere „Grate“ auch eher breit und wenig ausgeprägt sind. Hier trifft das vor allem auf den mittleren Teil zu. Meistens finden wir Gehgelände in Form von Schutt und Geröll vor. Wenigstens ragen zwischendurch häufig kompakte Felsen vom Gratrumpf heraus, die man erklettern kann.

Auf etwa 3200m steigen wir ein steiles Firnfeld (25-30°) hinauf, welches noch gut ohne Steigeisen begehbar ist, wenn man den Sichelschlag mit dem Schuh ordentlich anwendet. Unsere Eispickel und Stöcke bieten zusätzlich Sicherheit und erleichtern den Aufstieg. Zum Schluss erfolgen noch einige Meter über unschwierigen Fels bis zum Gipfelaufbau. Diese letzten vielleicht 15m führen rechts herum ziemlich luftig auf den höchsten Punkt (II).

13:25 Uhr. Da wir so gut in der Zeit liegen, machen wir eine längere Gipfelrast und wägen Vor- und Nachteile der Überschreitung nach Süden ab.

 

Überschreitung nach Süden in die Bovalscharte T5+, II, WS+, 45°, 2x30m Abseilen, 2h 50min

Unsere Abenteuerlust überwiegt und wir steigen vorsichtig vom Gipfelaufbau ab. Der Gratverlauf nach Süden wirkt im Überblick ziemlich wild und anspruchsvoll. Der Topoführer verspricht (bei korrekter Routenwahl) eine schöne Tour im II. Grad mit unschwierigen Gletscherpassagen.

Nun erweisen sich kombinierte Überschreitungen in unbekannten Gelände oft als zeitaufwändiger, als man es sich bei der Planung wünscht.

Als wir nach wenigen ausgesetzten Kraxelmetern an eine kühne Abseilstelle (ordentliche Schlinge mit Redundanz liegt vor) gelangen, zögern wir etwas, da wir feststellen, dass wir nach vollzogenem Abseilprozess den Point of no Return überschritten haben.

 

Wir wollen und können es, deshalb gehen wir es an. Ich seile zunächst durch die Kluft 10m ab auf das erste Band. Eventuell kann man von hier wenig schwierig, aber sehr ausgesetzt hinüber zur kleinen Scharte vorm nächsten Turm queren. Eine gute Möglichkeit für einen Standplatz erkenne ich nicht. Deshalb entscheide ich mich, die gesamten 30m abzuseilen auf den Ansatz des kompakten und sehr steilen Gratfelsens. Hier setzt eine Rampe (II-III) an, die hinauf in gestuftes Gelände zur Scharte führt. Bevor ich weiter abseile, schwinge ich das entlastete Seil an einer gefährlich scharfen Kante vorbei, um mehr in die Nähe der Fallinie der Abseile zu gelangen. Dennoch pendle ich noch einige Meter nach rechts und stoße mir dabei hart das Knie an irgendeinem Vorsprung. Unten angekommen, klettere ich schnell einige Züge die Rampe links (südlich) hinauf, falls Johannes Steine schmeißt.

Kurze Zeit danach stehen wir vor dem nächsten Turm. Sicherlich führt eine nicht allzu schwierige Route direkt über alle Türme in die Scharte. Der Topoführer auf der Hütte legte jedoch nahe, hier zum Misaungletscher abzusteigen und drüben auf den Tschiervagletscher zu wechseln. Da ich keine mobilen Sicherungsmittel außer Schlingen mitführe, seilen wir hier lieber dem enstprechend auf den Gletscher ab. Davon muss ich Bergwiesel zunächst mal überzeugen, weil sich der folgende Routenverlauf nach bereits über 6h Stunden Tourzeit weiter vom Ziel (westlich) entfernt.

Zum Abseilen ohne Materialverlust bietet sich ein guter Block in der Scharte an. Dummerweise enden unsere 30m genau auf den Bergschrund, der zum Glück noch stark überfirnt ist. Ein Abstieg zu Fuß wäre sicherlich auch gut möglich, doch traue ich der Randkluft oben nicht.

Jowiesel führt hinüber bis zum Bergschrund unter dem steilen Firnhang, den wir als Zugang zum Tschierva-Ostgrat wählen. Weiter hinten nach Westen wäre es technisch weniger schwierig, doch beschließen wir gemeinsam die kürzere, schwierigere Variante.

Die Schlüsselstelle im Eis ist hier am Schrund ganz kurz ca. 60° steil, lässt sich aber gut in zwei Zügen (Frontzacken und Schaftzug) überwinden. Oberhalb davon herrscht super Trittfirn vor, der eine wahre Freude für mich im Vorstieg bedeutet. Kurz vor Eintritt in den Fels (nach 25-30m) lege ich eine Schlinge über einen flachen, festen Stein und hole dort meinen Spezl nach.

 

Oben am Grat: oben bleiben und wieder viele Grattürme überklettern oder durch mühsames Moränengelände (grobes Geröll) hinab auf den Tschiervagletscher stolpern? Wir wählen das zweite Übel und eilen dann nach Blick auf die Uhren zügig über den glücklicherweise noch nicht sehr aufgeweichten Firn ohne Steigeisen in die Bovalscharte. 16:20 Uhr.

 

Abstieg von der Bovalscharte zur Bovalhütte   T4+, anhaltend I (Stellen II), 1h 40min

Wir setzen eine grandiose Idee zur Erleichterung des Aufstiegs am nächsten Morgen um und deponieren unsere gesamte Eisausrüstung in der Scharte unter Steinen. Gefühlte 10kg leichter klettert es sich trotz der langen Tour nun himmlisch elegant ab. Dass die meisten Quellen für diesen Abschnitt nur den ersten Grad festlegen, erstaunt mich bei einigen ziemlich abgespeckten Stellen einigermaßen. Plötzlich wirkt die Abkletterei nicht mehr ganz so elegant...

Dennoch gelangen wir ohne größere Probleme durch die gut markierten Stufen. Nur oberhalb der letzten glatten Platten suchen wir nach Anhaltspunkten, wo es hinab zum Einstieg geht. Die finden wir in den Sicherungsstangen der ehemaligen Drahtseile. Darunter rutschen wir zunächst ein langes Firnfeld sehr weit ab und müssen danach die richtige Route finden. Das gelingt uns nicht wirklich, so dass wir schlussendlich einfach den anderen Abstiegsverhauerspuren folgen und recht mühsam und ein wenig heikel irgendwann wieder links den richtigen Weg mit Hilfe von Steinmännchen finden.

 

Der Schatten der untergehenden Sonne berührt um Punkt 18 Uhr die Hütte. Wenige Minuten später berühren wir den Boden der Hüttenterrasse und beglückwünschen uns zum bestandenen Abenteuer.

 

Den folgenden Tag nehmen wir uns zur weiteren Akklimatisierung am Normalweg vom Piz Morteratsch.

 

Ein Apfel ist nicht nur der Stiel“ - das knappe Fazit meines Seilpartners wenige Tage nach der Tour dürfte zusammenfassen, wie er diese üppige Akklimatisierungsrunde empfand. Sicher war die Überschreitung in der Form allein zu diesem Zwecke etwas überfrachtet mit technischen Anforderungen. Dennoch bin ich über jeden Schritt mit Steigeisen und jeden Abseilmeter von jowiesel aus eingangs erwähnten Gründen froh und dankbar. Die Übung und Routine werden wir für unsere Haupttour benötigen.


Tourengänger: alpensucht, jowiesel


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