Chratzchummlete am Niesengrat


Publiziert von Maisander , 3. September 2015 um 16:29.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Berner Voralpen
Tour Datum:28 August 2015
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE   Niesenkette 
Zeitbedarf: 6:15
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1800 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bushaltestelle Frutigen, Rohrbach
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bushaltestelle Achseten, hoher Steg
Kartennummer:1247

Nebst den Aufschwüngen zum Landvogtehorn weist der Niesengrat noch zwei andere knusprige Gratabschnitte auf: der Übergang vom Linter- zum Ladholzhorn und die scharfe Nordkante des Erbithorns. Diesen mir bislang unbekannten Flecken will ich heute einen Besuch abstatten.
 
Meine auch ansonsten unzuverlässige (oder vielmehr: inexistente) innere Uhr versagte auch heute, so starte ich erst am frühen Nachmittag beim Rohrbach-Beizli im Frutigtal. Die Hitze ist schier unerträglich, der Weg durch Wälder und Wiesen steil und lang. Eine unterhaltsame Dorfete mit der äusserst wohlwollenden ("Jäääh weit dr äs Kafi, äs Glas Milch?") und rundum zufrieden wirkenden Älplerin auf der Chratzchumialp frischt mich wieder auf. Sie sei gerade daran, ihre Küche herauszuputzen und die Alphütte winterfest zu machen.
 
By the way: Chratzchumi! - was für ein Name! Wer zum Teufel kam auf diese Idee? "Bisch äs Chratzchumi": Bezeichnung für jemanden, der sich oft und gerne zwanghaft kratzt…??? Oder ging es einfach darum, eine Alp so zu taufen, damit ja kein Deutscher… egal!
 
Vom Chratzchumisattel (jahaa, den gibts auch noch!) macht das Linterhorn einen abweisenden bis furchteinflössenden Eindruck. Allerdings ist das Gelände weitaus zahmer als es den Anschein macht: meines Erachtens ein stattliches T5, aber kaum je ein T6, wie man etwa zu hören bekommt. Interessanterweise ist dieser Anstieg im alten Voralpenführer von Maurice Brandt mit EB bewertet...! Definitiv anspruchsvoller ist der folgende Gratabschnitt hinüber zum Ladholzhorn: Zuerst über hohe Absätze hinab an eine formschöne, glatte Felsplatte, dieser entlang und schliesslich in den Sattel P. 2258m absteigen. Nun die bekannten zwei Varianten: entweder links absteigend über ein Band das Couloir verlassen oder direkt über die Gratkante hoch. Ich versuche mich an letzterem und komme dabei psychisch an meine Grenze: die Kletterei zwar unschwierig, der Fels oder die für den Niesengrat typischen hybriden Verbindungen von Erde, Gras und Gestein aber unzuverlässig und das Ganze zudem unangenehm ausgesetzt. Irgendwann gibts kein zurück mehr, aber irgendwann bin ich dann auch oben - und sichtbar erleichtert. 
 
Ein weiteres exponiertes, plattiges Gratstück umgehe ich linksseitig, ebenso einen letzten brüchigen Aufschwung. Über einen Grashang zuletzt aufs Ladholzhorn. Um in den Ladholzsattel zu gelangen, lohnt es sich nun, mehr oder weniger direkt der Gratschneide zu folgen. Einige Male muss dabei leicht nach rechts auf angenehme Bänder ausgewichen werden, da die hohen Stufen direkt am Grat zu knackig sind, um sie abzuklettern. Auch für den folgenden Aufstieg aufs Winterhorn kann man sich meist an den Grat halten, allerdings ist das Gestein hier weniger fest; von einem heimtückischen Schubladen-Griff kann ich mich gerade noch rechtzeitig lösen.
 
Der Abstieg in den Sattel P. 2448m hält keine besonderen Schwierigkeiten bereit, allfällige Hindernisse kann man westseitig umgehen. Vor mir schwingt sich nun der eindrucksvolle Nordgrat des Erbithorns wie eine Haifischflosse in die Höhe. Wie man hier hinauf gelangt ist zumindest aus dieser Perspektive rätselhaft; probieren lautet die Devise. Nach einigen gut zu bewältigenden Kraxelstellen stehe ich vor einem terrassenartig gestuften Abschnitt. Um auf die nächste Ebene zu gelangen, ist ein etwas unangenehmer Kletterzug (III) unter einem Dach nötig. Anschliessend westseitig über tritt- und griffarmes Gelände hinauf zu einem Wändli mit horizontal geschichteten Platten und hochtrittigen Stufen. Hier findet man zwar guten Halt, hat aber auch ordentlich Luft unter dem Hintern. Zuletzt weiche ich noch leicht in die Ostflanke aus, bevor ich über Fels und Gras den Gipfel erreiche. Abstieg in die Westflanke ausweichend und über zwei gutgriffige Wändchen in den Otterepass hinab. Zur Otterealp hinauf führt eine neu erstellte Strasse, für Älpler praktisch, für  Wanderer weniger. Zum Glück blieben Teile des Wanderwegs im unteren Teil bestehen, und in einer Haarnadelkurve bietet sich ein einladender Tümpel im Bach zum Bade an. Auf direktem Weg zum Rinderbach-Schulhaus, von da auf einer Art Wildheuerpfad abkürzend zur Talstrasse und Bushaltestelle Hoher Steg.
 
Resumée: Interessante und anregende Grattour mit einigen heiklen, grenzwertigen Abschnitten. Wer hier nicht abkratzen und dem ominösen Chratzchumi in leibhaftiger Gestalt begegnen will, sollte eine gute Portion Trittsicherheit und Schwindelfreiheit mitbringen.
 
 
 
 

Tourengänger: Maisander


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»