Rechnung beglichen: Von Jenins auf den Falknis (2560 m) am kürzesten Tag des Jahres


Publiziert von marmotta , 22. Dezember 2013 um 20:37.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Prättigau
Tour Datum:21 Dezember 2013
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT4 - Schneeschuhtour
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   FL 
Zeitbedarf: 8:30
Aufstieg: 2450 m
Abstieg: 2450 m
Strecke:Jenins - Ruine Aspermont - Schlossguot - P. 1383 (Falknisblick) - Caspus - Bärenhag - Vorderalp - Kamm (P. 2030) - Alp Bad - Fläscher Alp - Talegg - Fläscher Tal - Falknis retour
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Jenins, Rathaus
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Jenins, Rathaus
Kartennummer:LK 1156 Schesaplana (1:25.000)

Im Leben scheint sich alles irgendwann und irgendwie auszugleichen: Nachdem der frühe Wintereinbruch die (spät-)herbstliche Wandersaison mehr oder weniger versaut hat, beschert uns die anhaltend milde und trockene Witterung nun mitten im Winter eine Zwischensaison, in der man süd(west)seitig die völlig aperen Flanken und Grate mühelos bis in Höhen von knapp 2000 m begehen kann. So sind plötzlich Touren möglich, die in einem "normalen" Winter eigentlich gar nicht gehen, sei es wegen der (zu) grossen Schwierigkeiten durch Eis und Schnee oder einfach, weil bei entsprechender Schneelage der Zustieg viel zu beschwerlich und lang wäre. Am Falknis (2560 m) beispielsweise habe ich mir schon einmal im Januar 2009 die Zähne ausgebissen - mangels entsprechender Aufstiegshilfen (die Älplibahn ist im Winter nicht in Betrieb) sind auf der "Winterroute" von Jenins durch das Fläscher Tal knapp 2500 Hm zu bewältigen. Erschwerend kommt hinzu, dass in dieser im Winter menschenverlassenen Gegend selten eine Spur vorhanden ist und die Route lange Flachpassagen und Gegenanstiege aufweist, so dass Tourenski trotz der rassigen Abfahrt vom Gipfel zum Oberst See eher nicht das Mittel der Wahl darstellen - abgesehen davon, dass eine Abfahrt wohl selten bis ins (föhnbegünstigte) Tal möglich sein dürfte. Mein Versuch mit Schneeschuhen endete damals am Fläscher Fürggli, wo ich völlig entkräftet umkehren musste…
 
Die derzeit günstigen Bedingungen wollte ich nun für einen erneuten Versuch nutzen, den Falknis im Winter zu besteigen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

 
Man mag sich durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, für eine derart lange Tour ausgerechnet den kürzesten Tag des Jahres rauszusuchen. Nun, eigentlich hatte ich die Besteigung des Falknis an diesem Tag auch gar nicht geplant - sondern wollte (nach einem Velosturz vor einigen Tagen noch etwas gehandicapt) nur mal schauen, wie so die Verhältnisse in der Bündner Herrschaft sind. Doch die Dinge haben sich während der Tour unerwartet positiv entwickelt, so dass ich die Gelegenheit beim Schopfe packte - wenngleich es am Ende doch ganz schön hart wurde…
 
(Zu) spät für die Jahreszeit starte ich um 9 Uhr im schönen Bündner Weindorf Jenins (629 m) - wo ich doch etwas erstaunt über die aktuelle Schnee- bzw. Nichtschneelage bin. In der Bündner Herrschaft sieht es eher nach Herbst denn nach 4. Adventswochenende aus: Die steile Südflanke des Falknis ist völlig aper und würde sogar den Direktanstieg via Enderlinhütte ermöglichen. Da das aber zwangsläufig mit einem anstrengend steilen Aufstieg verbunden ist, hatte ich diese Idee von vornherein verworfen. Im Übrigen müsste man für diese Route auch bei den aktuellen Verhältnissen zur Sicherheit Alpinausrüstung (Steigeisen, Pickel) mitführen und diese dann nebst den Schneeschuhen den Berg hinaufschleppen. In meinem Alter muss ich mir das nicht mehr antuen… :-)
 
Die Forststrasse (die sich an zwei Stellen erheblich abkürzen lässt) ist zwar ab einer Höhe von ca. 1100 m stellenweise vereist, doch von Schnee ist bis zur Waldgrenze kaum etwas zu sehen. Im Bereich des Bärenhags kann ich die Fahrstrasse über aperes Gelände in lichtem Wald und über verdorrte Weiden effizient abkürzen, bis ich mich auf dem oberen Boden der Vorderalp erstmals "richtig" im Schnee befinde und die Schneeschuhe montiere - auf einer Höhe von 1900 m! Die Südhänge unterhalb des Kamms (P. 2030 m) sind dann zwar wieder aper, doch ich bin zu faul, die Schneeschuhe abzuziehen und nutze das (schneebedeckte) Trassee der Alpstrasse. Kurz unterhalb des Übergangs auf dem Kamm stöbere ich ein ganzes Rudel Gemsen auf - die haben gut lachen angesichts des noch reichhaltigen Nahrungsangebots und der mühelosen Fortbewegung auf den aperen Weiden. Sogar einige Blümchen habe ich dort entdeckt!
 
Nach Überqueren des Kamms geht es dann in die Nordflanke, die ein ganz anderes Bild zeigt: Dort, wo kaum ein Sonnenstrahl hineinfällt, ist der (Pulver-)Schnee erstaunlich gut konserviert. So wird der stiebende Abstieg weich gedämpft, doch angesichts des lockeren, tiefen Schnees muss ich unweigerlich an den Rückweg denken, auf dem ich hier meine letzten Energiereserven anzapfen werde…
 
Unten an der Fläscher Alp (1809 m) angekommen, geht es bei herrlichem Sonnenschein gleich wieder hinauf zur Talegg (1899 m) , dem Übergang ins Fläscher Tal. Trotz weitgehend aperem Gelände findet sich auch hier ein schmales Schneeband, so dass ich die Schneeschuhe auch während diesem (schweisstreibendem) Südanstieg nicht abziehen muss.
 
Das Fläscher Tal entfaltet im Winter einen besonderen Reiz: Das Hochtal wird zu dieser Jahreszeit wohl kaum je von Menschen betreten und vermittelt so ein besonders starkes Gefühl von Ruhe und Einsamkeit. Glegghorn, Falknis und die Grauspitzen bilden eine fantastische Arena - Schritt für Schritt geniesse ich die Stille und lasse meine Blicke schweifen. Der Schnee trägt mehrheitlich recht gut, nur vereinzelt breche ich in Löcher zwischen den noch nicht besonders gut eingeschneiten Felsblöcken und Stauden ein.
 
Nach einer ausgiebigen Verpflegungspause am Mittler See geht es bald ans "Eingemachte": Vom Oberst See (2030 m) kann im Winter bei sicheren Verhältnissen direkt über die bis 35 ° steile Südostflanke des Falknis bis zum Gipfel gestiegen werden. Die durch die Sonneneinstrahlung aufgefirnte bzw. sulzige Oberfläche gibt genau den richtigen Grip, ab und zu sinke ich allerdings auch tiefer in den griesigen Schnee ein, als mir lieb ist. Meter für Meter arbeite ich mich in der nicht enden wollenden Flanke empor, bis ich endlich das in der Sonne blinkende Gipfelkreuz erblicke. Auf den letzten Metern werde ich vom stürmisch über die Berggipfel fegenden Südwestwind begleitet, zu Fuss erklimme ich die Gipfelfelsen und stehe am mächtigen Gipfelkreuz - 2000 m über dem Rheintal, das von einer durchgehenden Hochnebeldecke überspannt wird, so dass es aussieht, als wäre der Rhein plötzlich ein riesiger, schäumender Strom, welcher sich durch die Berge zum Bodensee hindurchwindet!
 
Lange verweile ich nicht auf dem Gipfel - zu kalt ist es mit dem Wind an diesem exponierten Ort. Natürlich nehme ich noch ausgiebig das schier unendliche Panorama in mich auf, bevor ich mich an den rasanten Abstieg zum Oberst See mache. Die 500 Hm in der aufgefirnten Steilflanke wären derzeit perfekt für eine Skiabfahrt! Doch wer trägt meine Ski zuerst 1500 Hm über die aperen Forstwege und Weiden hinauf? :-/
 
Im Fläscher Tal sind die Schatten nun länger geworden, so dass ich die Sonne, die mich zuvor über Stunden begleitet und so gewärmt hat, dass ich (bis auf den Aufenthalt am Gipfel) im T-Shirt gegangen bin, nun erst wieder am Unterst See zu Gesicht bekomme, bevor sie an der Fläscher Alp, wo der zähe Gegenanstieg zum Kamm beginnt, wieder hinter dem Berg verschwindet. Ein Blick auf die Uhr verrät mir zudem, dass ich es wohl nicht mehr bei Tageslicht bis hinunter nach Jenins schaffen werde. Das ist jedoch nicht weiter schlimm und hatte ich angesichts meines späten Starts auch gar nicht erwartet. So geniesse ich die Sonnenuntergangsstimmung hoch über dem Rheintal, in dem während meines Abstiegs nach und nach die vielen Lichter angehen. Auch der gleissende Lichterstrom der Autoscheinwerfer auf der Rheintalautobahn wirkt im Dunkeln von hier oben unglaublich. Da noch sehr viel Licht in der Atmosphäre ist, muss ich jedoch erst auf den letzten 100 Hm (auf dem steilen Burgenweg, auf dem ich abermals die Forststrasse abkürze) die Stirnlampe einschalten. Auch wenn es der kürzeste Tag des Jahres war, ist er für mich doch einer der eindrücklichsten und unvergesslichsten Tage in den Bergen gewesen!
 
Wegzeiten:
 
Jenins-Kamm: 2 h
Kamm-Fläscher Alp-Oberst See: 1 h 30 min
Oberst See-Falknis: 1 h
Falknis-Kamm: 2 h
Kamm-Jenins: 2 h  

Tourengänger: marmotta


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Kommentare (6)


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heluka hat gesagt: Schöne Tour!
Gesendet am 22. Dezember 2013 um 21:01
Wenn du wieder einmal in "meiner Gegend" eine Tour planst, könnte ich für dich "die Webcam spielen". Ich sehe vom Wohnzimmer in die Südhänge von Falknis (im 90 Grad Winkel) und Vilan. Du hättest die Tour ohne Probeme auch über die Enderlinhütte machen können, und wärst erst vor dem Fläscher Fürggli auf Schnee gestossen. So ist es meist auch im Frühling.
Gruss Heini

marmotta hat gesagt: RE:Schöne Tour!
Gesendet am 22. Dezember 2013 um 21:20
Danke! Das Angebot, von Dir als "Local" Infos über die Verhältnisse, insbesondere den Grad der Ausaperung am Falknis zu bekommen, nehme ich gerne an!

Ich bin in früheren Jahren (auch bereits vor Beginn meiner "Hikr-Zeit") mehrmals sehr früh oder spät im Jahr (März bzw. November) via Enderlinhütte zum Fläscher Fürggli gestiegen - dies war mir aber gestern zu steil, da der Rucksack mit den Schneeschuhen doch ziemlich schwer war. Im Übrigen sind aus meiner Sicht (und nach meinen diesbezüglichen Erfahrungen) zumindest die Querungen der (um diese Jahreszeit oft mit pickelhartem Schnee gefüllten) Runsen und die hartgefrorene Steilflanke unter dem Fläscher Fürggli ohne Alpinausrüstung (zu) heikel.

Möglicherweise bin ich morgen noch einmal in "Deiner" Gegend unterwegs... :-)

LG
marmotta

Ivo66 hat gesagt: Vorfreude
Gesendet am 23. Dezember 2013 um 20:23
Hallo Michael

Gratulation zur tollen Tour mit wunderschönen Bildern (wie immer bei Dir...). Am Sonntag auf der Rückfahrt aus dem Bündnerland habe ich noch gedacht, dass Du vielleicht dort oben unterwegs bist, als ich die aperen Bergflanken erblickte...
Da kommt ja schon Vorfreude auf den Frühling auf.
Frohe Festtage!

LG Ivo

marmotta hat gesagt: RE:Vorfreude
Gesendet am 24. Dezember 2013 um 08:40
Hallo Ivo,

danke für Deinen Kommentar und die Festtagswünsche! Ich wünsche Dir und Lena ebenfalls frohe und erholsame Festtage. Und ja, obwohl der Winter noch gar nicht "richtig" angefangen hat, spüre ich schon wieder Lust auf Bergtouren... :-)

LG
Michael

countryboy hat gesagt:
Gesendet am 23. Dezember 2013 um 20:51
Die Tour an sich ist eine tolle Leistung und das ganze als Schneeschuhtour? Hut ab!

Schöne Weihnachten wünsch' ich dir. Endlich gibt's eine Ladung Neuschnee...

marmotta hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. Dezember 2013 um 08:47
Danke! Die Tour war zwar ziemlich lang, aber sicher nicht mal halb so streng wie Deine Monstertour vom See zum Säntis!

Wünsche Dir ebenfalls frohe und erholsame Festtage. Und von mir aus kann der Schnee auch erst im Januar kommen...

LG
Michael


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