»Vier Esel für zwei Biwakiere«: Überschreitung des Dent Blanche (4.357 m)


Publiziert von EverWrest , 19. Juni 2014 um 15:32.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:21 August 2013
Hochtouren Schwierigkeit: S
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 2650 m
Abstieg: 2650 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Taxi Fredy oder Ähnliches
Unterkunftmöglichkeiten:Biwak am Col Durand & »Zweiesels-Biwak« auf der Dent Blanche
Kartennummer:LK Zusammensetzung Zermatt

Es gibt Bergtouren, die vergisst man nicht, erst recht, wenn dabei wirklich – angefangen beim Berg, über die Seilschaft bis hin zu Verhältnissen und Wetter – alles gepasst hat. Die Überschreitung des Dent Blanche vom 20.-22. August 2013 war ganz sicher eine solche eine Tour: Dieser kolossale Berg steht isoliert und exponiert. »Die kühnen, luftigen und unverschämt langen Grate sind genau auf die vier Himmelsrichtungen ausgerichtet«. Die dadurch vorgezeichneten Routen auf den Berg gehören zu den großen Klassikern. Der »Viereselsgrat« (S/3c) ist eine Route davon und zugleich eine der bekanntesten kombinierten Westalpenführen – gleichwohl seltener begangen: Dieser ostseitig ausgerichtete Grat ist lang (1.200 Hm), ungewöhnlich steil, weitgehend brüchig und oben hinaus mit großen Wechten bestückt – kurz: »Ein echter Hammer«. Namensgebung und Erstbegehung (am 11. August 1882) sind – mit dem bekannten Ausspruch U. Almers, am Gipfel angekommen, – Legende: »Wir sind doch vier Esel, auf diesem Weg aufzusteigen!«. Weil er – ganz nach unserem Geschmack – von jeglichem Zugangskomfort verschont geblieben ist, qualifizierte er sich zu unserer diesjährigen Saisonabschlusstour im Wallis, zumal wir lange genug darauf gelauert hatten [...]. Das seit Wochen stabile Hoch hielt an und wir waren  vorbereitet für ein weiteres Kapitel »Brösel, Bruch und Schotter: Im steilen Scheiß«.
 



Wobei Geschmack? – Eigentlich steckt uns das Schlafen auf den Isomatten aus den letzten Wochen ziemlich in den Knochen und jeder könnte sich mittlerweile auch ein richtiges Bett wieder gut vorstellen. Aber es hilft nichts: Leidenschaft ist, wenn's Leiden schafft…


Same procedure as last weeks: Taxi Fredy fährt nach Zermatt. An Bord: Einige Tagesausflügler und eine Horde tatenfreudiger Bergsteiger. Ab hier beginnt die Tour. Vorbei an Zmutt, bis zum Abzweig Arbenbiwak auf bekanntem Weg, unterhalb der Matterhorn-Nordwand entlang zur Schönbielhütte (2.694 m), wo wir nach Mittag eintreffen. Hinter der Hütte führt der Weg in NE-Richtung weiter gleich steil bergan durch ein Gerölltal zur Schönbiellücke (3.209 m) unterhalb des Schönbielhorns: Ein Schritt voran, zwei zurück. Jedenfalls fühlt es sich so an und die herumfliegenden Steine machen es auch nicht gemütlicher hier. Man hatte uns gewarnt… Danach geht es über schwache Wegspuren zum Hohwänggletscher, wo wir anseilen und die Steigeisen auspacken. Den Steilaufschwung, der die beiden Gletscherplateaus verbindet, gehen wir linkshaltend an, aber immer wieder zwingen uns große Spalten zu Umwegen und wendigen Seilmanövern. Sieht in der Karte einfacher aus als es tatsächlich ist. Die Nachmittagshitze tut ihr Übriges hinzu, die Angelegenheit hier nicht sicherer zu machen. Nach einigem Zick-Zack erreichen wir aber wohlbehalten den Col Durand (3.428 m), einen alten Hochalpenpass, wo wir unser erstes Biwak geplant haben. Viel pass-iert hier aber dennoch nicht. Genau genommen sind wir alleine hier oben…


Einige geübte Handgriffe und ein recht ansehnliches Nachtlager hinter einem Felsblock ist aus Geröll und Eis herausgepickelt. Da bleibt sogar noch Zeit, um die morgige Route einzusehen: Der Col gibt den Blick frei auf den unteren Teil des Eselsgrats, der steil und hoch aus dem Eis ragt. Aber zuvor müssen wir in der kommenden Nacht eine Blankeisflanke absteigen und den Bergschrund überwinden, durch den das Schmelzwasser vom Pointe de Zinal tosend gen Tal fließt: Hineinfallen verboten! – Abendessen wie gehabt: Tütennudeln und »heiße Tablette« auf Schmelzwasser. Früh geht’s zu Bett – in der Grand Mountet brennt noch Licht…


Und früh geht’s auch wieder hinaus. Sternenklare Nacht. Gefrorene Schlafsäcke. Knochenharte Stiefel. Nachdem der Biwakplatz geräumt ist, geht’s direkt zur Sache. Zunächst noch eine kurze Passage mit Firnauflage, dann Blankeis. Mit nur einem Pickel kein ganz einfaches Unterfangen. Wir packen das Seil aus… Eisschrauben gehen ins Eis, Zeit ins Land und als wir den von oben kaum einsehbaren Bergschrund endlich überwinden, dämmert es schon fast. Nun eiligst im halbrunden Bogen über das Gletscherplateau des Durandgletschers (3.228 m) an den Fuß des Viereselsgrats. Wir steuern das linke der beiden Couloirs an, das uns gleich auf die obere waagerechte Schulter im Grat bringen soll: Brösel, Bruch und Schotter. Sand ist auch darunter. Irgendwie wühlen wir uns hoch bis auf den Grat (3.371 m) und seilen dort wieder an. Dieser schaut mächtig lang aus… Eine kleine Frühstückpause und dann geht’s wirklich zur Sache. Wir folgen dem »leichten Grat« (II-III) und umgehen die ersten Türme rechts. Mein Partner ist gut drauf – dagegen hänge ich fast ein wenig im Seil. Aber wir klettern in einer imposanten Arena: Rechterhand die Nordwand mit ihrem mächtigen Hängegletscher zum Greifen nahe genau auf unserer Höhe; daneben Grand Cornier; linkerhand der Martinsgrat, Pointe de Zinal und Obergabelhorn; im Rücken Zinalrot- und Weisshorn. Den großen gelben Turm ersteigen wir rechtsseitig (III) unterhalb seiner Spitze und gelangen so in den dahinter liegenden Sattel. Wir folgen der scharfen Schneide und steigen linksseitig an den rötlichen Turm. Die Wegführung sieht hier aus der Ferne bis zuletzt nicht einfach aus. Der Grat ist brüchig und es steckt ein Fixfriend (lt. älterer Führerliteratur tlw. nur 3a/neuerdings mit 3c bewertet). Danach erreichen wir den Vereinigungspunkt von Martins- und Eselsgrat (4.034 m).


Der Gipfel liegt von hier aus noch in so weiter Ferne, dass man denken könnte, es handele sich um einen ganz anderen Berg – jedenfalls ist der Drops hier noch nicht gelutscht. Wir folgen dem nun deutlich flacheren Grat bis zu einem weiteren grimmig ausschauenden Gendarmen, der durch einen kombinierten Kamin auf der rechten Seite erklettert wird. Von nun an beginnen die verwechteten Gratabschnitte, zunächst vereinzelt, später durchgehend, sodass wir die Steigeisen erneut anschnallen. Durch die vorgerückte Tageszeit – es ist Mittag – wird dieser Abschnitt entsprechend unangenehm und heikel. Die Wechten sind bereits so aufgeweicht, dass sie mehr als nur oberflächlich zerbröseln und sich der Grisel permanent und ohne unser Zutun in Richtung Tal verabschiedet. Da sollen wir also drüber steigen? Wir versuchen es mal direkt auf der Schneide, wo sie dies zulässt – mal wühlen und pickeln wir uns deutlich unterhalb dieser durch den Schnee, wo sie es nicht anders zulässt. Erneut packen wir das Seil aus und gehen fast die ganze Seillänge aus, um im Falle des Abrutschens des Anderen den vielleicht rettenden Sprung über die entgegengesetzte Gratkante machen oder dann und wann einmal eine ›psychologische Sicherung‹ legen zu können. Am vorgerückten Nachmittag steht das Gipfelkreuz dann plötzlich vor uns, der Viereselsgrat liegt hinter uns.


Nach mehr als neun Stunden Gratkletterei stehen wir nun an einem perfekten Hochsommertag völlig alleine auf dem Gipfel der Dent Blanche (4.357 m), wo zum ersten Mal alle Konzentration von uns abfallen darf. Ein herrlicher Moment! …


Es ist zwar noch genügend Zeit, aber die Wechten auf dem Wandfluegrat, den wir im Abstieg begehen wollen, sind sicherlich auch nicht in einem besseren Zustand als die, die wir im Aufstieg vorgefunden haben: Warum also nicht einfach auf der Dent Blanche schlafen und morgen absteigen? Gesagt - getan: Das Biwakmaterial ist für ein zweites Biwak auf dem Rückweg ohnehin im Gepäck und neben dem Gipfelkreuz ist halbwegs windgeschützt Platz für zwei Personen. So machen wir uns also daran, die Fläche einzuebnen und nach einiger Zeit ist auch dieser Part erledigt und der Biwakplatz steht – Balkon mit 360°-Aussicht gibt es gratis dazu. Abendessen wie gehabt: Tütennudeln und »heiße Tablette« auf Schmelzwasser, gereicht bei Sonnenuntergang.


Es schläft sich dann erstaunlich gut, was an der Erschöpfung liegen muss. Jedenfalls bis in den ersten Morgenstunden kalter Wind einsetzt. Wie wir anderntags erfahren, hatte es im Tal in dieser Nacht 4° C. Zur Legendenbildung sei noch gesagt, dass folgender Satz gefallen sein muss, als wir fröstelnd versuchten in die Gänge zu kommen: »Sind wir zwei Esel, hier oben in dieser Kälte zu schlafen«. Da kann man beim Versuch, in die bockharten Stiefel zu steigen, schon einmal aus der Puste kommen. Anschließend steigen wir über den Südgrat, den Normalweg ab. Anfangs im leichten Gelände, später seilen wir an einem Bohrhakenstand ab…ins Nichts, wie wir kurz darauf feststellen müssen. Eine Querung durch die Westwand später kommt uns die erste Führerseilschaft des Tages – zugleich die ersten Menschen seit zwei Tagen – entgegen: Ein »Well done, guys!« geht runter wie Butter :) Am großen Gendarmen (Eisenstifte) ist Stau – mit Gegenverkehr hatte hier um diese Zeit noch niemand gerechnet. Danach wird das Gelände wieder freundlicher. Auf ca. 3.900 m queren wir schließlich einen Eishang und dann geht’s brüchig hinunter zu Wandfluelücke, wo wir über Firn gleich P. 3.656 (Steinmänner) ansteuern, um direkt zum Schönbielgletscher hinunter zu kommen. Dazu muss man über eine kaum ausgeprägte Rippe (vom Steinmann kurz rechtshaltend, dann ziemlich gerade hinunter) durch die steinschlägige Wandflucht auf ein Band im unteren Teil gelangen, das man in nördlicher Richtung verfolgt, um schließlich über Platten (geschlagener Abseilstand) und ein Couloir den Gletscher betreten zu können. Über diesen schleppen wir uns hinunter in Richtung Schönbielhütte. Kurz vor Erreichen der Moräne verabschiedet sich zum großen Finale mein Steigeisen vom Schuh: Die vordere Steigeisenkerbe ist hin, ganz so wie die Schuhe insgesamt (O-Ton einer englischen Touristin auf der Schönbielhütte: »Oohhh, look at this boots – get some new, guy!«). Vorbei an der Schönbielhütte geht's ins Tal und mit dem Ziel: Coop. Von nun an same procedure as last weeks: Mit einer Palette billigstem Büchsbier rollt Taxi Fredy aus Zermatt. An Bord: Einige Tagesausflügler und zwei erbärmlich stinkende, aber glückliche Bergsteiger.
 



Fazit: Eine große Rundtour, perfektes Timing, Erstbeschlafung des »Zweiesel-Biwaks«, ein paar zerschlissene Schuhe und endgültig reif für einen Urlaub vom Urlaub!


Tourengänger: EverWrest


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Kommentare (5)


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WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 19. Juni 2014 um 16:50
Toller Bericht zu einer Hut-ab-Bergtour! Gratuliere und ziehe voller Respekt den Schweizhut!

EverWrest hat gesagt: RE:
Gesendet am 29. Juni 2014 um 00:15
Merci vielmals - freut mich, wenn's gefällt!

jfk hat gesagt: Great!
Gesendet am 23. Juni 2014 um 13:32
Ein super Tourenbericht zu einer noch grossartigeren Tour! Gratulation!

EverWrest hat gesagt: RE:Great!
Gesendet am 29. Juni 2014 um 00:17
Danke!

Freeman hat gesagt: Gratulation
Gesendet am 29. Juni 2014 um 13:02
Voll geil! Da habt ihr eine geniale Tour gemacht. Gratulation und Hut ab.
Beste Grüsse
Freeman


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