Piz Casnil (3189 m) via SW-Flanke


Publiziert von marmotta , 5. September 2013 um 20:45.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Bregaglia
Tour Datum: 1 September 2013
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1150 m
Abstieg: 1150 m
Strecke:Bergstation Albigna-Seilbahn - Staumauer Lägh da l'Albigna - Capanna da l'Albigna - Pass da Casnil Nord - Piz Casnil retour
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Albigna, Pranzaira, Seilbahn Pranzaira-Albigna (Tel. 058 319 64 14)
Kartennummer:LK Blatt 1276 Val Bregaglia, Blatt 1296 Sciora

Im Gebiet rund um den Albigna-Stausee kommen Kletterer und Alpinisten voll auf ihre Kosten: Kühne Felsformationen wie die berühmte Fiamma am Spazzacaldeira laden zu interessanten und genussvollen Kletterfahrten in bestem Granit ein, die firnbedeckten Dome von Cima del Cantun und Cima di Castello bieten das ganze Spektrum von der einfachen Gletschertour über kombinierte Fahrten in Fels und Eis bis hin zu den klassischen, reinen Steileistouren. Idealer Ausgangs- und Stützpunkt ist dabei die schön gelegene Capanna da l´Albigna (2333 m), die bei Benutzung der  kleinen Werkseilbahn der ewz zur Staumauer des Lägh da l´Albigna in weniger als 45 Gehminuten erreicht ist.
 
Doch auch der reine (Alpin-)Wanderer findet im Albigna-Gebiet schöne und interessante Touren in einer spektakulären Umgebung: Der als Teil des Sentiero alpino Bregaglia gut markierte Übergang vom Val Forno über den Pass da Casnil Sud (2941 m) ins Val d´Albigna ist längst zum Klassiker avanciert, Ambitionierte machen noch den Abstecher via Pass da Casnil Nord (2971 m) auf den Piz Casnil (3189 m). Da es sich hierbei um den einzigen einfach zu besteigenden Dreitausender des Gebiets mit einer erstklassigen Aussicht auf die Gipfel des Fornobeckens sowie der Sciora- und Bondascagruppe handelt, ging ich davon aus, dass es auch auf Hikr.org haufenweise Berichte über die Besteigung dieses beliebten Gipfels gebe. Weit gefehlt - der Piz Casnil war bis dato ein grosser weisser Fleck auf der Hikr-Landkarte! Allein aus diesem Grund macht ein ausführlicherer Bericht über die Besteigung auf dem "Normalweg" Sinn.
 
Von der Capanna da l´Albigna (2333 m) führt ein gut markierter Steig nach NE zu den idyllisch gelegenen Seelein auf ca. 2570 m und von dort weiter auf eine kleine Hochebene (bis hierhin T2-T3), um schliesslich -nun etwas alpiner angehaucht- über mehrere kleine Felsstufen und Blockwerk zum Pass da Casnil Sud (2941 m) zu leiten (T4). Bereits nach wenigen Metern geniesst man herrliche Blicke auf die steilen Firnwände auf der Nordseite des Cima dal Cantun mit seinem grossen Gletscher. Weit unten besticht der Lägh da l'Albigna mit seinem milchigem, hellblau bis grünlich schimmernden Wasser.
 
Ich verliess den weiss-blau-weiss markierten Bergweg auf ca. 2900 m, am Ende der Felsrippe, welche zur Graterhebung zwischen den beiden Casnil-Pässen führt. Die markierte Route würde hier nach SE zum Pass da Casnil Sud (2941 m) führen, ich querte jedoch direkt unter den Gratfelsen der Erhebung P. 3040 auf hartgefrorenem Firn nach N. Sicherheitshalber montierte ich für die Traverse der ersten Firnflanke die Steigeisen - mit etwas Vorsicht wäre es wohl auch ohne gegangen, aber ich hatte sie nun mal dabei und ein Ausrutscher würde in diesem Gelände kaum ohne (schmerzhafte) Folgen bleiben. Man könnte die Firntraverse auch umgehen, indem man bereits deutlich weiter unten nach N quert, angesichts der riesigen, teils instabilen Blöcke erscheint dies aber deutlich mühsamer und wenig empfehlenswert.
 
Nach insgesamt 1 h 45 min hatte ich -zuletzt über sanfte Firnfelder aufsteigend- den Pass da Casnil Nord (2971 m) erreicht und stand damit unmittelbar vor der mächtigen Südwestflanke des Piz Casnil, die unten in einer Blockhalde ausläuft. Dort turnten einige Steinböcke herum, denen irgendetwas nicht ganz zu passen schien. Weiter oben konnte ich dann auch 2 Bergsteiger beobachten, die sich bereits auf die markante Rinne in der SW-Flanke des Piz Casnil zubewegten. Diese Rinne mündet in der Flankenmitte in eine couloirartige Plattenwand. Ich beschleunigte etwas und kam den beiden Berggängern schnell näher, doch plötzlich hatte ich sie aus den Augen verloren. In der Annahme, die Beiden seien nun bereits in dem Wandteil verschwunden, wo sich die Flanke etwas "zurücklegt", kletterte ich munter weiter durch die Rinne nach oben, bis ich den wandartigen Teil der Flanke erreicht hatte. Ich wunderte mich zwar schon ein wenig, dass die Beiden vor mir scheinbar "ohne mit der Wimper zu zucken" ungesichert diesen plattigen Wandteil überwunden hatten, merkte aber noch immer nichts von meinem Irrtum! Hatten die Schwierigkeiten bis hierhin bei höchstens T5, II gelegen, konnte man das, was nun folgte, kaum mehr als "Wandern" bezeichnen! Ohne Kenntnis der weiteren Route und der Schwierigkeiten, die mich möglicherweise weiter oben erwarten würden, war mir nicht mehr wohl - auch schien dieser Teil nicht mehr zur Führerbewertung (II) zu passen. Vorsichtig kletterte ich dennoch rechtshaltend einige Züge über eine plattige, griffarme Rampe (III) nach oben. Wie das meistens so ist, schien es wenige Meter weiter oben einfacher zu werden - doch da ich ja damit rechnen musste, hier auch wieder abklettern zu müssen, verliess mich wenig später der Mut bzw. siegte die Vernunft. Denn bereits jetzt hatte ich grösste Mühe, die wenigen Meter, die ich im Aufstieg noch problemlos überwunden hatte, wieder (sicher) abzuklettern! Irgendjemand musste in der Zwischenzeit die kleinen Griffe und Tritte entfernt haben… ;-)  Die typischen, bauchig abgeschliffenen Granitfelsen wären zwar zum (Hoch-)Klettern ein Genuss gewesen - im Abstieg, seilfrei und mit Bergschuhen, für mich jedoch eher grenzwertig. Ich musste mir eingestehen, dass dies entweder nicht die richtige Route war oder meine Fähigkeiten einfach nicht ausreichten, um diesen Gipfel zu besteigen.
 
So schnell wollte ich aber nicht aufgeben und querte nach rechts zum Südgrat hinüber, um allenfalls über diesen Blockgrat zum Gipfel zu gelangen. Fast am Südgrat angekommen, sah ich plötzlich die beiden Berggänger von vorhin wieder, die sich nun bereits im Abstieg befanden! Und siehe da, die Beiden stiegen ohne Schwierigkeiten im linken, blockigen Teil der Flanke ab und umgingen so die couloirartige Plattenwand, die ich (ungesichert) nicht zu durchsteigen gewagt hatte. Manchmal sieht man wirklich vor lauter Bäumen den Wald bzw. vor lauter Felsen den Berg nicht mehr!
 
Etwas bedröppelt stieg ich den beiden Italienern entgegen, die mir bestätigten, dass man dort, wo es im Couloir schwieriger wird, entweder zum Südgrat hinüber quert oder eben -zahlreichen Steinmännchen folgend- nach links in die Felsblöcke ausweicht, welche den couloirartigen Wandteil nordwestlich begrenzen. Dummerweise kann man am letzten Steinmann in der Rinne aber tatsächlich nicht erkennen, dass die einfachste Route "um´s Eck herum" über Felsblöcke zu dieser griffigen Plattenverschneidung führt. Von dort weg ist die beste Route (T5, II) einigermassen logisch und -auch dank der gut sichtbaren Steinmännchen- unter normalen Umständen kaum mehr zu verfehlen. Bei Nebel dürfte die Orientierung aber auch in diesem Teil der Wandflanke sehr schwierig sein!
 
Ohne Schwierigkeiten erreichte ich nun in wenigen Minuten über gut gestufte Platten und Felsblöcke den exponierten Gipfel des Piz Casnil (3189 m), wo mich eine prächtige Rundumsicht für meine Mühen belohnte. Nur im Norden verstellt der etwas höhere Piz Bacun (3244 m) einen kleinen Ausschnitt des fantastischen Panoramas, im Süden dominieren die eis- und schneebedeckten Gipfel über dem Fornobecken, die von hier ihre gewaltigen Nordwände präsentieren. Dahinter ragt majestätisch und unverkennbar der Monte Disgrazia (3678 m) empor. Und natürlich dürfen auch die berühmten Bergeller Granitberge der Sciora- und Bondascagruppe nicht fehlen, allen voran der Pizzo Badile mit seiner markanten und legendären Nordkante!
 
Der Abstieg erfolgte ohne Schwierigkeiten auf der Aufstiegsroute. Es gibt nicht unbedingt eine "Ideallinie", in den gut griffigen Blöcken und Plattenverschneidungen gibt es oft mehrere Möglichkeiten. Bis auf 2 kurze Passagen bin ich alles vorwärts abgestiegen. Im Wesentlichen kann man sich gut an den vorhandenen Steinmännern orientieren. Achtung, es hat auch einige lose Blöcke - sind mehrere Personen am Berg unterwegs, ist das Tragen eines Helmes nicht ganz abwegig.
 
In der Querung vom Pass da Casnil Nord zum Wanderweg, der vom Pass da Casnil Sud zur Albignahütte führt, war die Firnflanke unter P. 3040 nun deutlich weicher, so dass die Steigeisen im Rucksack blieben.
 
Der restliche Abstieg zur Capanna da l'Albigna war dann schnell bewältigt, nach einer gemütlichen Pause mit Kaffee und Kuchen ging es hinunter zur Bergstation der Albignabahn unterhalb der Staumauer, wo erwartungsgemäss ein ziemlicher Andrang herrschte (letzte Talfahrt offiziell um 16:45 Uhr).
 
Fazit und Schwierigkeitsbewertung:
 
Die Besteigung des Piz Casnil ist eine äusserst lohnende Tour, die dank der schnellen und bequemen Erreichbarkeit des Lägh da l'Albigna vom erfahrenen und konditionsstarken Alpinwanderer gut als Tagestour vom Bergell aus unternommen werden kann. Sowohl Fern- als auch Nahsicht vermögen zu beeindrucken. Besonders eindrücklich fand ich den Blick über den Forno-Gletscherstrom auf die gewaltige Nordwand des Cima di Rosso.
 
Der Zustieg vom Alpinwanderweg "Capanna da l'Albigna-Pass da Casnil Sud" zum Einstieg unter der SW-Wand wird wegen der ausgedehnten Blockhalden mit zunehmender Ausaperung mühsamer, weshalb ich die Tour im Falle einer Wiederholung eher früher im Jahr durchführen würde. Bei hartgefrorenem Firn (am frühen Morgen) sind in der Traverse unter P. 3040 Steigeisen zu empfehlen, alternativ kann aber auch weiter unten in mühsamem Blockgelände gequert werden. In der SW-Flanke lasse man sich nicht (wie ich) verleiten: Das markante Felscouloir vermittelt nur scheinbar den besten Durchstieg durch die SW-Flanke. Durch die griffarmen Platten und den Wandcharakter ist diese Route deutlich schwieriger als der blockige Wandteil, der das Couloir (in Aufstiegsrichtung) links begrenzt!

Tourengänger: marmotta


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