Endlich wieder einmal aufs Stockhorn

Wenn ich mit dem Zug von Bern nach Thun fahre, setze ich mich in der Regel rechts an einen Fensterplatz und blicke hinüber zur Gantrischkette. Und immer wird in mir der Wunsch wach, endlich wieder einmal von Oberstocken auf das Stockhorn zu steigen. Seit meinem letzten Aufstieg von Norden sind nun doch einige Jahrzehnte verflossen.

Die Motivation war gross, das Stockhorn wieder mal anzupacken, der Zeitpunkt in jeder Hinsicht gut gewählt. Ich liebe es nicht, im Vorsommer mit dem Pickel steile Schneefelder zu queren. Ich kann warten, bis der Schnee weitgehend geschmolzen ist, und bis es blüht....

Was mich am Stockhorn besonders beeindruckt: es ragt ohne ausgeprägtes hügeliges Vorgelände ca. 1400 Höhenmeter aus dem Mittelland heraus. Ein Gipfel haargenau am Alpenrand! Das erlebt man intensiv im Aufstieg: nach jeder Serpentine des zum Fahrweg erweiterten Saumpfades liegt die Thuner Allmend weiter unten - fast wie bei einem Ballonaufstieg.

Bei Alp Unter Baach, Pt. 1338, kommt man in offenes Weidgelände, die imposante Nordwand des Stockhorns türmt sich auf. Der historische Pfad windet sich im steilen Vorgelände der Wand hoch und quert noch schneebedeckte Rinnen direkt unter der Wand. Ich beschleunige mein gemächliches Tempo. Da droht Steinschlag.

Auf Alp Oberbaach muss man unbedingt den kleinen Umweg auf Pt. 1722 machen. Grandiose Aussicht - und ebenso grandiose Flora! Vom Blick hinaus ins Mittelland und hinunter zum Thunersee bekomme ich nicht genug. Tief unter mir liegt der Feissibach, der unterhalb Unter Baach eine markante Schlucht ins Gelände gefressen hat, unten auf der Terrasse von Oberstocken Richtung Reutigen fliesst und im Reutigmoos dann plötzlich Glütschbach heisst. Besagter Glütschbach fliesst dann auf dem alten Aarelauf nordwärts und speist in der Nähe von Gwatt die einzige Suone im Bernbiet, die Bidijeri. Diese wiederum dient nicht zum Bewässern, sondern versorgt die Kaffeemaschine der Trattoria Bidimento Trentacinque mit köstlichem Bergwasser.

Zwischen Alp Ober Baach und der Baachegg quert der Weg Steilhänge mit schuttbedeckten Runsen. Weiter oben liegen einige Schneefelder, das Schmelzwasser spült bindendes Material unter den Steinen weg. Eine halbe Stunde vor mir gerieten zwei Frauen in einen Steinschlag. Zum Glück wurden sie nicht getroffen, aber ihr Schreck war gross!

Der gut ausgebaute Weg führt dann steil hinauf auf den Ausläufer des Strüssligrates - und auf der Südseite des Stockhorns, nun mit dem Panorama zu den Hochalpen, erreicht man in einer halben Stunde den Gipfel. Im Aufstieg war ich praktisch immer allein, oben auf der Gipfelterasse in grosser Gesellschaft. Ich liebe ja beides: Alleinsein und Geselligkeit.

Weil am Sonntag ein wichtiger Termin ruft, mache ich es mir jetzt bequem, steige gemütlich zu den Stockenseen ab und benütze ab Chrindi die Luftseilbahn. Ein schöner Tag geht zu Ende. Eines ist sicher: bis zum nächsten Nordaufstieg aufs Stockhorn warte ich nicht wieder 40 Jahre! Und das nächste Mal werde ich im Chrindi-Restaurant garantiert ein Kafi trinken.