Piz Roseg 3937m - Nordostwand


Publiziert von whannes , 25. Mai 2011 um 19:23.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Oberengadin
Tour Datum:24 Mai 2011
Hochtouren Schwierigkeit: S+
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Bernina-Gruppe   Piz Bernina 
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit ö.V. nach Pontresina und von dort mit dem Bike bis mindestens zum Hotel Roseg
Unterkunftmöglichkeiten:Tschiervahütte SAC

Die Nordostwand des Piz Roseg war früher mal eine klassische Eiswand. Mit der drastischen Ausaperung führt die heute gebräuchliche Route nun mal links und rechts um die vielen Felshindernisse vorbei. So kann auch heute noch ein Grossteil im Firn/Eis gemacht werden, wobei aber die Hauptschwierigkeit meist in der Überwindung eines Felsriegels in der unteren Hälfte der Wand besteht. Als Vorteil des Eisschwundes darf die Reduktion der Eisschlaggefahr erwähnt werden, ob diese aber durch die erhöhte wieder Steinschlaggefahr wettgemacht wird, bleibt wohl im Ungewissen…

Im Juli 2009 stand ich auf dem Piz Morteratsch und erblickte zum ersten Mal in die Nordostwand des Piz Roseg. Eine schöne Wand mit homogener Steilheit von 50-60°, nur einmal durch einen Felsriegel unterbrochen. Von da an war diese Wand als Fernziel gesetzt, dass ich sie bereits nach weniger als zwei Jahren habe durchsteigen dürfen, hätte ich damals bestimmt nicht gedacht. Zu Beginn dieses Jahres habe ich mit einem guten Kollegen zwei mögliche Daten fixiert, während bei der ersten Option Neuschnee das Vorhaben verunmöglichte, so klappte die Durchsteigung diese Woche bei guten Bedingungen.

Zustieg und Biwak

Da der Winterraum der Tschiervahütte derzeit nicht zugänglich ist, beschlossen wir, unseren Aufenthalt im Gebiet mit einem Biwak zu bereichern. Nach einer Recherche im Internet wusste ich, dass dies in der Region von P.2814 beim Piz Umur gut möglich sein sollte.

Zusammen mit dem für diese Tour zwingenden Bike, nahmen wir für die Gletscherpassagen zu unvernünftiger Zeit auch noch Schneeschuhe mit. Für unsere Komfortansprüche mussten natürlich auch noch ein leichtes Zelt sowie Schlafsack und Matten mit. Mit dem mörderisch schweren sowie einer Velotageskarte bewaffnet trafen wir nach 3-4h Zugfahrt um 11:00 in Pontresina ein.

Der Weg in Richtung Tschiervahütte war angenehm flach, doch das Gewicht am Rücken forderte trotzdem zwischendurch eine Pause ein. Nach dem Hotel Roseg folgt noch etwas Bike-Strecke, danach versteckt man das Bike am besten irgendwo im duftenden Lärchenwald. Zu Fuss gings dann zügig zur Hütte, wo uns die Hüttenwartin zu unserer Überraschung frage, ob wir Übernachten wollten: Bedingt durch die Umbauarbeiten, ist die Hütte momentan innoffiziell (!) bewirtet (Ein kurzer Anruf wird es weisen…). Da wir unser Gepäck aber nicht umsonst hochgeschleppt haben wollte, lehnten wir höflich ab um marschierten weiter.

Wie erwartet, zeigte sich die Anhöhe bei P.2814 (787990 141085) als geeigneter Biwakplatz. Wir erreichten ihn dank den Schneeschuhen einigermassen schnell, wobei die letzten Hänge über mühsam verschneite Geröllhalden erklimmt werden mussten.

Als dann das Nachtessen anstand, bemerkte mein Kollege, dass er die falsche Gaskartusche mitgenommen hatte: Campingaz != Primus. Kalte Nudelsuppe und kalter Kartoffelstock gingen ja noch, aber die Polenta war in ihrer sandartigen Konsistenz SEHR gewöhnungsbedürftig.

Der Gipfeltag

Dank guter Ausrüstung hatten wir beide hervorragend geschlafen und wurden um 3:00 unsanft vom Wecker aus dem Schlaf gerissen. Das Morgenessen mit kaltem Porridge und Tee gestaltete sich eher ungemütlich und jeder Bissen war eine Tortur. Beim Loslaufen waren wir deshalb umso erstaunter, dass es bereits 03:50 war.

Die Schneedecke bis zum Einstieg war nur mässig gefroren, so schätzten wir auch hier wieder den Komfort der Schneeschuhe. Diese deponierten wir auf dem Gletscher, seilten uns los und marschierten nun mit zwei Eisgeräten mutig auf die Wand zu.

Nach dem problemlosen Passieren des Bergschrundes wird es steil, bald schon queren wir in gutem Trittschnee über ein Firnband nach links hinauf unter den berühmt-berüchtigten Felsriegel. Nach dem Studium diverser Berichte, wollten wir ihn möglichst link und nicht etwa bei der dünnsten Stelle durchsteigen. Mittels zwei Friend konnte ich einen guten Stand einrichten und war auch nicht wirklich unglücklich darüber, dass mein Kollege sich für den Vorstieg der ersten Länge anbot.

Der Fels ist in diesem Teil wirklich nicht schwierig (II-III), aber recht brüchig und gute Placements sind rar. Durch eine solide Firnauflage mussten wir aber nur wenige Stellen klettern. In der Mitte des Riegels machten wir nochmals Stand und ich stieg die zweite Seillänge über Fels, Firn und eine kurze ca. 70° steile Eisstufe hoch. Oberhalb des Riegels blieb mir dann nichts anderes übrig, als mittels T-Schlitz eine mässige Verankerung zu erstellen.

Der Weiterweg sah gut aus, so banden wir uns wieder aus und querten nun nach rechts aufsteigend unter am nächsten Felshindernis vorbei hinauf. Nachdem die Firnauflage immer dünner wurde und bald Blankeis zu sehen war, sicherten wir zwei volle Seillängen in der nun aufstiegsmässig nach links verlaufenden Route. Die zweite Seillänge war dabei die unangenehmste Passage der ganzen Tour, da wir hier kaum verfestigten Pulverschnee auf Blankeis hatten.

Bald wechselten die Bedingungen im nun steilsten Teil der Wand wieder in guten Trittfirn. In diesem konnten wir fast bis zur Schneekuppe aufsteigen, ganz am Schluss sicherten wir nochmals eine Seillänge in annäherndem Blankeis.

Gross war die Freude und laut die Jauchzer, als wir gegen 10:00 endlich den Ausstieg etwas links von der Schneekuppe erreichten. Wir konnten kaum glauben, dass diese herausfordernde Tour so gut geklappt hatte. Wir waren vorher nie zusammen in den Bergen gewesen, zum ersten Mal gemeinsam unterwegs klappte alles reibungslos, als wären wir schon lange ein eingespieltes Team.

Das wir nicht auf den Hauptgipfel steigen würde war von vorherein klar, so hielten wir uns nicht lange auf und begannen nach den Pflicht-Fotos sogleich mit dem Abstieg über den Eselsgrat. Wir hatten hier super Trittschnee und waren sehr bald beim ersten Felsturm. Dieser wird überstiegen, woraus etwas weiter eine kurze Abseilstelle folgt. Von dort ca 20m über den hier flachen Grat zur bestens eingerichteten Abseilpiste (Jeweils zwei verbundene Bohrhaken). So konnten mit wir 4x 50m abseilen plus einmal mit Schlinge+Maillon direkt den Gletscher erreichen.

In mühsamster Spurarbeit durch mehrschichtigen Bruchharst-Sulz-Schnee erreichten wir gegen 12:00 viel zu anstrengend die Schneeschuhe, mit denen wir dann aber schnell wieder beim Biwak waren. Dort hiess es schnell alles zusammenpacken und dann mit den wieder sehr schweren Rucksäcken Richtung Tschiervahütte abzusteigen.

Der Abstieg von P.2814 zum Gletscher war dann nochmals eine Herausforderung für sich. In den verschneiten Geröllhalden versank man zum Teil bis zum Bauch in irgendwelchen Löchern. Da half manchmal nur noch Rucksackausziehen und sich irgendwie auszubuddeln.

Der Rest ist schnell erzählt: Bei der Tschiervahütte gab es natürlich ein wohlverdientes Bier, es folgte der Abstieg zu den Bikes und dank des um 5min verpassten Zugs durften wir in Pontresina nochmals ein Bier geniessen.

Fazit: Für mich war es die bisher herausforderndste Tour. Nicht unbedingt technisch, aber an die Steilheit von bis zu 60° und die konstante Ausgesetztheit während längerer Zeit muss man sich erst mal gewöhnen. Während der Durchsteigung ergeben sich keine wirklichen Ruhepunkte, wenn man etwas aus dem Rucksack haben will, muss man das den Kollegen machen lassen. Im Sinne einer mentalen Vorbereitung war deshalb ich vorbeugend alleine durchs Chalttäli vom Vrenelisgärtli gestiegen, ich wollte damit sicherstellen, dass mein Kopf bei einem solchen Unternehmen auch mitmacht. Doch es hat wirklich alles super funktioniert, grossen Dank auch an meinen Seilpartner Martin!

Tourengänger: whannes


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Kommentare (14)


Kommentar hinzufügen

Alpinist hat gesagt: respekt
Gesendet am 25. Mai 2011 um 19:48
Hallo whannes.
Super, sehr eindrückliche Tour, gut beschrieben und sehr intressante Bilder.
Allzeit gute Touren.
Gruess cornel

whannes hat gesagt: RE:respekt
Gesendet am 25. Mai 2011 um 19:58
Danke! Du warst ja auch schon ein paar Mal nordseitig unterwegs, macht schon noch Spass, gell !

Alpinist hat gesagt: RE:respekt
Gesendet am 25. Mai 2011 um 20:01
Ich liebe solche Sachen, gern wär ich da auch dabei gewesen :-)
Dieses "Wändli" habe ich mir nun gemerkt.
Du wildä bisch ja scho durs Chalttäli obsi gsie, suuuber. Herrlächi Tuur det ufä :-)

Bombo hat gesagt:
Gesendet am 25. Mai 2011 um 23:18
Ciao Hannes,

Hammer Gratulation - ganz grosses Kino der Superlative! Auch super Bericht mit fantastischen Bildern - Alpinismus von der schönsten Seite.

Gruess
Bombo

whannes hat gesagt: RE:
Gesendet am 26. Mai 2011 um 23:40
Hallo Dominik,

Danke dir! Es war wirklich eine Hammer-Tour bei besten Verhältnissen. Ein Projekt, das ich als Highlight meiner bisherigen Berg-Laufbahn bezeichnen darf. Unglaublich auch die Vorstellung, dass diese Wand schon mit Ski befahren wurde...

Gruss, Hannes

Zaza hat gesagt: Ski...
Gesendet am 27. Mai 2011 um 08:23
allerdings endete die Skifbefahrung leider nicht immer glücklich: Klick

Gut gemacht und prächtig dokumentiert!

Gruess, zaza


whannes hat gesagt: RE:Ski...
Gesendet am 27. Mai 2011 um 08:41
Ja ich weiss, es gelang dann 1 Jahr später. Ob eine Befahrung heute noch möglich ist? Wahrscheinlich schon, es ist in diesem Bereich ja nichts unmöglich :-/

pusteblume hat gesagt: Gratulation
Gesendet am 26. Mai 2011 um 00:32
Auch von mir Gratulation, und Dank für den schönen Bericht!

Die Liste der Traumtouren nimmt doch kein Ende, kaum ist
eine abgehakt kommt die nächste hinzu.

whannes hat gesagt: RE:Gratulation
Gesendet am 27. Mai 2011 um 08:09
Danke! Aber er ist doch eher so, dass nach dem Durchführen des Projekts mindestens zwei weitere Ziele dazukommen --> Ein richtiges Schneeballsystem ;-) (Das aber viel zu langsam funktioniert)

alpinos hat gesagt:
Gesendet am 26. Mai 2011 um 13:10
Extrem coole Tour und tolle Fotos. Auch von uns Gratulation! Wir sind schon gespannt auf Deine nächsten umgesetzten Projekte.

Gruss,
Alpinos

whannes hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 11:40
Hallo alpinos,

Vielen Dank. Ich glaube, das bleibt vorerst mein Hightlight des Jahres. Mal schauen, was der "richtige" Sommer mit wahrscheinlich übelst ausgeaperten Zuständen noch so bringt :-/

Gruss, Hannes

Nordwand hat gesagt: gratuliere
Gesendet am 15. Juni 2011 um 22:50
Habe dein Bricht erst jetzt wahrgenommen.. Gratuliere dir nachträglich... aber auch die Mönch Lauperroute wirst du bald mal schaffen....
Gruss Simon

whannes hat gesagt: RE:gratuliere
Gesendet am 19. Juni 2011 um 15:15
Ciao Simon

Danke, hat enorm Spass gemacht! Für mich und den Kollegen war es die erste "Nordwand". Darum war es umso mehr eine spannende Herausforderung, da wir beide so etwas noch nie gemacht hatten ;-) . Aber dank guten Verhältnissen und solider Vorbereitung fühlten wir uns zu jedem Zeitpunkt absolut sicher und es war von unten bis oben ein voller Genuss.

Gruss, Hannes

Nyn hat gesagt:
Gesendet am 24. Mai 2020 um 16:38
Toller Bericht, tolle Bilder. SuperTour!

Vor nunmehr schon über 30 Jahren habe ich mit meinem damaligen Spezl diese Wand machen dürfen. Ich war nicht besonders erfahren im Eis, aber u.a. moralisch ausreichend gut von ihm vorbereitet worden. (Ich hatte 1 klassichen Pickel und 1 Eisbeil)

Die Verhältnisse waren -wenn ich mich recht entsinne- gut bis sehr gut, an Felspassagen in der Wand kann ich mich nicht erinnern. Die Steiheit ging dafür auch bis gegen 70 Grad, aber nur kurz, im Schnitt meist so um die 55 Grad, kaum Blankeis. Ab der Mitte etwa und den oberen Teil haben wir länger von Stand zu Stand gesichert, wobei mein Spezl mit ca. 4 Schrauben pro Länge absicherte und ich wie ein Walross schnaufend mich so schnell es ging hinterherwühlte und pickelte. Als ich bei meinem Spezl ankam, war ich jedesmal so dermaßen alle und total außer Puste, daß ich mich nur noch in die Sicherung hängen wollte. Aber Andi sagte mir: "Nee!, häng dich nicht in die Schrauben! Wenn du die dauerhaft belastest, können die ausschmelzen. Du kannst dich ja wieder erholen, während ich vorsteige"
Wie wahr! Also drcrhbeißen..Den HG haben wir uns geschenkt, aber ich glaube, das machen fast alle Nordwandbegeher so.

War ein tolles Erlebnis.


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