(Kein) Fletschhorn
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Warnung zu Beginn: Die Bilder sind zum Teil NSFW, also Anschauen auf eigene Gefahr.
Ende Juli habe ich endlich mal wieder Zeit für drei Tage Bergtour, und da wir nur kurzfristig den Termin festlegen können, fallen die meisten höheren Berge aus, da alle Hütten belegt sind. Also entschliessen wir uns für eine Tour abseits der Moderouten - das Fletschhorn über den Breitloibgrat, mit Start am zen-Biwak.
27.7.2024
Geplant ist, das Auto in Saas-Grund bei der Bergbahn abzustellen, und dann noch mit dem Bus am gleichen Tag zum Simplonpass zu wechseln, wo wir uns im Hospiz einquartieren wollen. Aufgrund der Verkehrslage und des Busfahrplans müssen wir umplanen, schaffen es gerade noch so, in Visp das Auto in die Tiefgarage zu stellen und den Kram zu packen, bevor wir 50 Sekunden vor Abfahrt der letzten Verbindung zum Simplon den Zug nach Brig besteigen. Der Rest ist eine lockere Fahrt hoch, Bier trinken im Hospiz, und dem Schlechtwetter draussen zuzusehen.
28.7.2024
Um 10 Uhr nehmen wir den Bus nach Egga, steigen von dort erst den Wanderpfaden folgend bis hinter Rossbodustaful, dann dem meist gut erkennbaren Pfad zum Nordgrat bei etwa 2500m, der zum Biwak hoch führt, und abschliessend über Geröll, Firn bzw. Schnee und etwas Kraxelei im Höhenbereich um die 2900m zur Biwakschachtel hoch. Der Weg folgt dabei von P2616 über Schutt hinüber zur eisgefüllten breiten Rinne, die sich vom Biwak aus nach Norden herunterzieht, und dort entweder über Firn/Eis oder links davon im fels hinauf (T4). Das Biwak ist wie erwartet leer, der letzte Besuch bereits mehrere Tage her.
Den restlichen Tag verbringen wir damit, Wasser von einem Bach zu holen, der sich etwa 50m nordwestlich vom Biwak, von der Senggchuppa aus herunterkommend befindet, sowie den Übergang morgen auf den Gletscher zu erkunden, und zur Sicherheit noch ein paar Steinmännchen auf dem Weg dorthin zu errichten.
Die Biwakschachtel liegt gut geschützt vor Lawinen und Steinschlag, auf einem breiteren Gratrücken. Dass der Platz gut gewählt ist, sehen und hören wir den ganzen Tag über in Form von teilweise beachtlichen Steinlawinen, die von der Chuppa aus zum Griessernugletscher hinunterpoltern, oder alternativ den Bereich der Fletschhoinnordwand unsicher machen. Auch in der Nacht dann rumpelt es fröhlich weiter, aber immer mit ordentlich Abstand.
29.7.2024
Um 3:30 Uhr klingelt der Wecker, um kurz nach 4 Uhr brechen wir auf, mit dem Ziel, den Sattel und Einstieg zum Breitloibgrat auf 3300m etwa zum Sonnenaufgang zu erreichen, dann über den Grat hinauf, und auf der anderen Seite zur Weissmieshütte und weiter nach Saas-Grund hinunter zu steigen. Ich gehe vorraus, lege am Übergang zum Gletscher die Eisen, Helm und Gurt an, richte das Seil her, und setze mich kurz auf einen grösseren Felsklotz, um meinem Kollegen Platz zum Aufrüsten zu machen. Das Letzte, was ich dann noch mitbekomme, ist Lärm von hinten, drei Felsbrocken und Staub im Taschenlampenlicht. Da ich auf dem Felsen festgepinnt herumsitze, bleibt mir nur noch Ducken.
Das nächste, woran ich mich erinnere, ist: ich habe keine Steigeisen mehr an den Füssen, der Helm ist weg, und ich sitze mit einem Kopfverband im Geröll. Mein erster Instinkt ist: Orientierung, aber ich schaffe es nicht, die Swisstopo App zu starten und drücke nur unkonzentriert und ohne richtigen Blick aufs Handy irgendwelche Apps an. Mein Kollege bestätigt meine Ansicht, dass links von uns das Biwak sei, aber der Rückzug zur sicheren Unterkunft scheitert, denn ich kann mich nicht wirklich auf den Füssen halten. Mehr als Sitzen ist nicht drin, aber da es komischerweise schon hell wird, und zudem eh ein Heli hereingeschwebt kommt, erledigt die Idee von alleine. Nach einer kurzen Erkundungsrunde und dem Anhängen des Bergretters am Seil, landet dieser zielgenau bei uns, und ein Umkuppeln später geht es per Luftpost raus. Leider fehlen mir vom Flug jegliche Erinnerungen, ausser dem Moment, wo ich während des Flugs in den Heli gezogen werde. Nach einmal Aussteigen und einer zweiten Runde, bei der mein Kollege und der Bergretter zusammen an der Leine herunterkommen, geht es dann nach Visp ins Krankenhaus. Wie lange ich ohnmächtig war, können wir nur schätzen, aber es waren sicher 5-10 Minuten.
Einige Dreibuchstabenuntersuchungen (MRI oder sowas, Röntgen auch noch), einmal Hinterkopf rasieren und 15 Stiche später dann das Ergebnis: Grosse Platzwunde am Kopf, Schädelbruch, Fraktur des Halswirbelknochen #7. Der Helm hat das Übelste abgefedert und ist definitiv im Eimer. Die Jacke, die ich getragen habe, ist einseitig dunkelrot verblutet und weist ein halbes Dutzend Löcher auf, wo die Steine durchgeschossen sind. Der Verband hat sicher zum Glück einiges zum glimpflichen Ausgang beigetragen. Wir haben uns vor ein paar Jahren darauf verständigt, dass jeder eine Israeli-Druckkompresse dabei haben muss - auch wenn die Chance gering ist, unterwegs einen Druckverband anlegen zu müssen. Im Gegensatz zum Standard ist der Israeliverband buchstäblich idiotensicher und auch unter Stress einfach und wirkungsvoll anlegbar. Und da ich netterweise nicht nur einen Felsen abbekommen habe, sondern sicher eine ganze Menge, ist der gesamte Oberkörperbereich ab Schulteransatz braun, blau und rot gefärbt, und der linke Ellenbogen tut weh. Auch hier muss wohl etwas eingeschlagen sein. Last but not least fehlen eine Eisschraube und ein Wanderstock, die haben die Steine mit.
Aufgrund des potenziellen Hirntraumas, welches noch einsetzen könnte, bleibe ich vor Ort, und werde in der kommenden Zeit alle paar Stunden abgefragt, woran ich mich noch erinnern könne, Blutdruck und Puls gemessen, und die Pupillenreaktionen getestet. Da die Ärzte der Lage nicht trauen, verbleibt zudem die Injektionsnadel im Handrücken, bis ich entlassen werde. Der Kommentar der Krankenschwester dazu ist nur: "Wenn es rund geht, will sie sich nicht darum auch noch kümmern müssen, dann wäre eh Action angesagt".
Mein Kollege macht noch Bilder, und fährt heim, nachdem alles untersucht und geklärt ist.
31.7.2024
Entlassungstag. Um 9 Uhr watschel ich mit Zahnbürste und Zahnpasta in der Tasche zum Bahnhof, bekomme dank Verband am Kopf und an der Hand sogar im vollen Zug einen Sitzplatz, und fahr heim.
August
Den ganzen August über bekomme ich die Spätfolgen ab. Alle Gelenke im Schulter- und Nackenbereich sind geprellt, das Ganze fühlt sich an, als wenn ich Muskelkater, und auf hartem Boden ohne Matte übernachtet hätte. Als Bonus reicht es aus, irgendwo Unwissen falsch zu sitzen, z.B. bei der Autofahrt. Dann verspannen sich beim Aufstehen alle Muskeln, und drücken auf die Nervenstränge im Nackenbereich. Die Folge: innert einer Sekunde einsetzende dröhnende Kopfschmerzen, Absackender Blutdruck bis zum Punkt, dass ich Geräusche nur noch dumpf pulsierend höre, und der übliche Schwindel. Netterweise muss ich nur einmal 5 Minuten spontan auf einen Parkplatz neben das Auto sitzen und auf Besserung warten. Ansonsten kann ich mich dank Homeoffice immer aufs Bett legen und entspannen. Besser wird das Ganze erst, nachdem ich Mitte August den Schulterapparat bewege, indem ich für eine Übernachtung zur Kistenpasshütte eine Kurztour unternehme. Zwei Touren später (1x Teurihorn ab Sufers, 1x Calancahöhenweg) fühlt sich jetzt alles an wie moderater Muskelkater - also erträglich.
Ach ja: der Helm ist ersetzt, aber beim Baechli wollte keiner meinen Einwurf "Materialermüdung bzw. Materialfehler" als Rabatt für den Nachfolgehelm geltend machen.
Ende Juli habe ich endlich mal wieder Zeit für drei Tage Bergtour, und da wir nur kurzfristig den Termin festlegen können, fallen die meisten höheren Berge aus, da alle Hütten belegt sind. Also entschliessen wir uns für eine Tour abseits der Moderouten - das Fletschhorn über den Breitloibgrat, mit Start am zen-Biwak.
27.7.2024
Geplant ist, das Auto in Saas-Grund bei der Bergbahn abzustellen, und dann noch mit dem Bus am gleichen Tag zum Simplonpass zu wechseln, wo wir uns im Hospiz einquartieren wollen. Aufgrund der Verkehrslage und des Busfahrplans müssen wir umplanen, schaffen es gerade noch so, in Visp das Auto in die Tiefgarage zu stellen und den Kram zu packen, bevor wir 50 Sekunden vor Abfahrt der letzten Verbindung zum Simplon den Zug nach Brig besteigen. Der Rest ist eine lockere Fahrt hoch, Bier trinken im Hospiz, und dem Schlechtwetter draussen zuzusehen.
28.7.2024
Um 10 Uhr nehmen wir den Bus nach Egga, steigen von dort erst den Wanderpfaden folgend bis hinter Rossbodustaful, dann dem meist gut erkennbaren Pfad zum Nordgrat bei etwa 2500m, der zum Biwak hoch führt, und abschliessend über Geröll, Firn bzw. Schnee und etwas Kraxelei im Höhenbereich um die 2900m zur Biwakschachtel hoch. Der Weg folgt dabei von P2616 über Schutt hinüber zur eisgefüllten breiten Rinne, die sich vom Biwak aus nach Norden herunterzieht, und dort entweder über Firn/Eis oder links davon im fels hinauf (T4). Das Biwak ist wie erwartet leer, der letzte Besuch bereits mehrere Tage her.
Den restlichen Tag verbringen wir damit, Wasser von einem Bach zu holen, der sich etwa 50m nordwestlich vom Biwak, von der Senggchuppa aus herunterkommend befindet, sowie den Übergang morgen auf den Gletscher zu erkunden, und zur Sicherheit noch ein paar Steinmännchen auf dem Weg dorthin zu errichten.
Die Biwakschachtel liegt gut geschützt vor Lawinen und Steinschlag, auf einem breiteren Gratrücken. Dass der Platz gut gewählt ist, sehen und hören wir den ganzen Tag über in Form von teilweise beachtlichen Steinlawinen, die von der Chuppa aus zum Griessernugletscher hinunterpoltern, oder alternativ den Bereich der Fletschhoinnordwand unsicher machen. Auch in der Nacht dann rumpelt es fröhlich weiter, aber immer mit ordentlich Abstand.
29.7.2024
Um 3:30 Uhr klingelt der Wecker, um kurz nach 4 Uhr brechen wir auf, mit dem Ziel, den Sattel und Einstieg zum Breitloibgrat auf 3300m etwa zum Sonnenaufgang zu erreichen, dann über den Grat hinauf, und auf der anderen Seite zur Weissmieshütte und weiter nach Saas-Grund hinunter zu steigen. Ich gehe vorraus, lege am Übergang zum Gletscher die Eisen, Helm und Gurt an, richte das Seil her, und setze mich kurz auf einen grösseren Felsklotz, um meinem Kollegen Platz zum Aufrüsten zu machen. Das Letzte, was ich dann noch mitbekomme, ist Lärm von hinten, drei Felsbrocken und Staub im Taschenlampenlicht. Da ich auf dem Felsen festgepinnt herumsitze, bleibt mir nur noch Ducken.
Das nächste, woran ich mich erinnere, ist: ich habe keine Steigeisen mehr an den Füssen, der Helm ist weg, und ich sitze mit einem Kopfverband im Geröll. Mein erster Instinkt ist: Orientierung, aber ich schaffe es nicht, die Swisstopo App zu starten und drücke nur unkonzentriert und ohne richtigen Blick aufs Handy irgendwelche Apps an. Mein Kollege bestätigt meine Ansicht, dass links von uns das Biwak sei, aber der Rückzug zur sicheren Unterkunft scheitert, denn ich kann mich nicht wirklich auf den Füssen halten. Mehr als Sitzen ist nicht drin, aber da es komischerweise schon hell wird, und zudem eh ein Heli hereingeschwebt kommt, erledigt die Idee von alleine. Nach einer kurzen Erkundungsrunde und dem Anhängen des Bergretters am Seil, landet dieser zielgenau bei uns, und ein Umkuppeln später geht es per Luftpost raus. Leider fehlen mir vom Flug jegliche Erinnerungen, ausser dem Moment, wo ich während des Flugs in den Heli gezogen werde. Nach einmal Aussteigen und einer zweiten Runde, bei der mein Kollege und der Bergretter zusammen an der Leine herunterkommen, geht es dann nach Visp ins Krankenhaus. Wie lange ich ohnmächtig war, können wir nur schätzen, aber es waren sicher 5-10 Minuten.
Einige Dreibuchstabenuntersuchungen (MRI oder sowas, Röntgen auch noch), einmal Hinterkopf rasieren und 15 Stiche später dann das Ergebnis: Grosse Platzwunde am Kopf, Schädelbruch, Fraktur des Halswirbelknochen #7. Der Helm hat das Übelste abgefedert und ist definitiv im Eimer. Die Jacke, die ich getragen habe, ist einseitig dunkelrot verblutet und weist ein halbes Dutzend Löcher auf, wo die Steine durchgeschossen sind. Der Verband hat sicher zum Glück einiges zum glimpflichen Ausgang beigetragen. Wir haben uns vor ein paar Jahren darauf verständigt, dass jeder eine Israeli-Druckkompresse dabei haben muss - auch wenn die Chance gering ist, unterwegs einen Druckverband anlegen zu müssen. Im Gegensatz zum Standard ist der Israeliverband buchstäblich idiotensicher und auch unter Stress einfach und wirkungsvoll anlegbar. Und da ich netterweise nicht nur einen Felsen abbekommen habe, sondern sicher eine ganze Menge, ist der gesamte Oberkörperbereich ab Schulteransatz braun, blau und rot gefärbt, und der linke Ellenbogen tut weh. Auch hier muss wohl etwas eingeschlagen sein. Last but not least fehlen eine Eisschraube und ein Wanderstock, die haben die Steine mit.
Aufgrund des potenziellen Hirntraumas, welches noch einsetzen könnte, bleibe ich vor Ort, und werde in der kommenden Zeit alle paar Stunden abgefragt, woran ich mich noch erinnern könne, Blutdruck und Puls gemessen, und die Pupillenreaktionen getestet. Da die Ärzte der Lage nicht trauen, verbleibt zudem die Injektionsnadel im Handrücken, bis ich entlassen werde. Der Kommentar der Krankenschwester dazu ist nur: "Wenn es rund geht, will sie sich nicht darum auch noch kümmern müssen, dann wäre eh Action angesagt".
Mein Kollege macht noch Bilder, und fährt heim, nachdem alles untersucht und geklärt ist.
31.7.2024
Entlassungstag. Um 9 Uhr watschel ich mit Zahnbürste und Zahnpasta in der Tasche zum Bahnhof, bekomme dank Verband am Kopf und an der Hand sogar im vollen Zug einen Sitzplatz, und fahr heim.
August
Den ganzen August über bekomme ich die Spätfolgen ab. Alle Gelenke im Schulter- und Nackenbereich sind geprellt, das Ganze fühlt sich an, als wenn ich Muskelkater, und auf hartem Boden ohne Matte übernachtet hätte. Als Bonus reicht es aus, irgendwo Unwissen falsch zu sitzen, z.B. bei der Autofahrt. Dann verspannen sich beim Aufstehen alle Muskeln, und drücken auf die Nervenstränge im Nackenbereich. Die Folge: innert einer Sekunde einsetzende dröhnende Kopfschmerzen, Absackender Blutdruck bis zum Punkt, dass ich Geräusche nur noch dumpf pulsierend höre, und der übliche Schwindel. Netterweise muss ich nur einmal 5 Minuten spontan auf einen Parkplatz neben das Auto sitzen und auf Besserung warten. Ansonsten kann ich mich dank Homeoffice immer aufs Bett legen und entspannen. Besser wird das Ganze erst, nachdem ich Mitte August den Schulterapparat bewege, indem ich für eine Übernachtung zur Kistenpasshütte eine Kurztour unternehme. Zwei Touren später (1x Teurihorn ab Sufers, 1x Calancahöhenweg) fühlt sich jetzt alles an wie moderater Muskelkater - also erträglich.
Ach ja: der Helm ist ersetzt, aber beim Baechli wollte keiner meinen Einwurf "Materialermüdung bzw. Materialfehler" als Rabatt für den Nachfolgehelm geltend machen.
Tourengänger:
Becks

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