Zwischen Arztpraxis und Klinikareal: Spaziergang durch den Schärmenwald


Publiziert von ABoehlen , 16. Februar 2024 um 22:12.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Bern Mittelland
Tour Datum:27 Juni 2023
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 1:00
Aufstieg: 100 m
Abstieg: 100 m
Strecke:Ittigen – Schärmenwald – Ittigen, 4 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Ittigen bei Bern
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Ittigen bei Bern
Kartennummer:LK 1167 Worb

Einleitung

Ittigen bei Bern ist nicht gerade der Ort, der einem als Ausgangspunkt für Wanderungen als erstes in den Sinn kommt. Auch ich bin im Laufe des Jahres 2023 primär aus gesundheitlichen Gründen wiederholt in dieser Berner Agglomerationsgemeinde anzutreffen, da sich inzwischen alle meine Ärzte dort befinden. Nach einer Untersuchung am Morgen des 27. Juni nutzte ich das sonnige und noch nicht zu heisse Wetter für einen kleinen Spaziergang in der Umgebung. Da ich im Nachbarort Bolligen aufgewachsen bin, kenne ich diese Gegend gut, insbesondere den nahe gelegenen Schärmenwald, welcher früher der am einfachsten von zuhause aus zu erreichende Wald war. Dass daraus ein Hikr-Bericht werden würde, war mir an jenem Sommermorgen noch nicht bewusst, allerdings reizte es mich in der Folge, mehr über die Vergangenheit der an den Schärmenwald angrenzenden Universitären Psychiatrischen Dienste Bern UPD herauszufinden, und dazu erwies sich das 2020 aufgeschaltete Archiv der Berner Traditionszeitung «Der Bund» als wahre Goldgrube. Somit war auch bald klar, dass dieses Thema sehr wohl für einen Bericht mit entsprechend hohem Geschichts-Anteil geeignet ist.

Bahnhof Ittigen bei Bern

Aber verbleiben wir noch kurz beim Bahnhof. Dieser ist 2022 völlig neu entstanden, nachdem der seit 1974 bestehende und in die Jahre gekommene Betonbau dem Erdboden gleich gemacht wurde. Ausserdem ist die Strasse mit der Bushaltestelle umgestaltet und die Kreuzung mit ihren Lichtsignalanlagen durch einen Kreisverkehr ersetzt worden. Alles paletti also? Mitnichten. Leserbriefe in verschiedenen Zeitungen zeugen davon, dass die Erwartungen mancher Kunden nicht erfüllt werden. Im «Bund» wird beispielsweise am 8. August 2023 bemängelt, dass «Ittigen […] die bisher angebotene WC-Anlage weiterführen [sollte]» und dass «die Hitzeinsel aus Stahl, Beton, Asphalt und Schotter […] durch eine Begrünung mit wärmeliebenden einheimischen Pflanzen klimatisch erträglicher gemacht werden [sollte].» In die gleiche Kerbe haut auch der Leser, der in der «Bantiger Post» vom 6. September seinen Unmut kund tut, indem er schreibt: «Bei all dem Lob und Dankesreden bei der Kreisel-Eröffnungsfeier in Ittigen, fehlten die Worte, welche Versäumnisse, die ‹Natur› betreffend, hier einmal mehr getätigt wurden: Ganz am Ende, bei Hitze über 33 Grad, wurden ein paar Büsche/Bäumchen in den Kreisel, in die viel zu kleine Erdgrube hineingesetzt; welche Gärtner müssen dies wohl gegen ihre Überzeugung tun, beauftragt durch die Gemeinde? Übers ganze folgende Hitze-Wochenende war niemand da, welcher diese frisch gepflanzten Bäumchen goss, Hauptsache, sie stehen zur Eröffnungsfeier bereit!»

Zum Schermen hinüber

Mir fällt an diesem sonnigen Junimorgen vor allem auf, dass nur noch ein simples Dach die wartenden Fahrgäste schützen soll – was es bei den zunehmend heftiger werdenden Stürmen und Gewittern allerdings nur sehr unvollkommen, bzw. gar nicht zu tun in der Lage sein dürfte. Vormals gab es hier einen Warteraum, der auf allen Seiten von Mauern, bzw. Glas eingeschlossen war. Mit der Annahme, dass hier wohl noch so einiges nachzubessern sein wird, verlasse ich diesen umstrittenen Ort südwärts, quere die Worble und gelange in eine kleine Oase der Ruhe, wo ein Strässchen dem alten Mühlekanal durch dichten Baumbewuchs folgt. Schermen oder Schärme heisst dieser Ortsteil und gilt in Ittigen als Naherholungsgebiet. Aber wie man sich denken kann, wollen auch hier die Damen und Herren «Modernisierer» Hand anlegen und planen, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Dazu äusserte sich die «IG [Interessengemeinschaft] Heit Sorg zum Schärme» (https://www.schaerme.org/ ) in der «Bantiger Post» vom 22. November 2023 mit folgenden Worten: «Entlang der Worble finden sich noch einige Gebäude des ursprünglichen Ittigen. Die alte Gewerbesiedlung Schermen ist eine frühindustrielle Zone von nationaler Bedeutung. […] Der etwas verwilderte ursprüngliche Park auf dem Areal Schermen 44, der vielen Tierarten Lebensraum und Schutz bietet, soll teilweise überbaut werden. Etliche der alten und ehrwürdigen Bäume werden weichen müssen.» Dem umfassenden Beschrieb des ist-Zustandes und der geplanten Änderung folgt die Aufforderung an die Stimmbevölkerung, die Überbauungsordnung an der Gemeindeversammlung vom 30. November abzulehnen. Wie der «Bantiger Post» vom 6. Dezember zu entnehmen ist, konnte dieses Ziel zwar nicht ganz erreicht werden (dem Projekt Hinterer Schermen 44 wurde zugestimmt), die Errichtung eines zusätzlichen Gebäudes wurde jedoch abgelehnt. Es wird sich zeigen, wie sich das Gesicht dieses Ortsteils künftig verändern wird.

Grosse Veränderungen gab es hier natürlich schon früher, beispielsweise durch die Umsetzung des «Plan 74» der Vereinigten Worb Bahnen VBW (heute RBS). Führte zuvor die Bahnlinie mitten durch den Schermen, so verlief sie ab dem Sonntagmorgen, 26. Mai 1974 über die neue Strecke entlang der Worblentalstrasse, Richtung Worblaufen. Die nicht mehr benötigten Gleise wurden in der Folge abgebaut und die Strecke später in einen Fuss- und Radweg umgebaut. In gleichmässiger, sanfter Steigung überwindet er die ca. 25 Höhenmeter zwischen dem Bahnhof Ittigen und dem Eyfeld. Auch ich nehme nun diesen Weg unter die Füsse und passiere dabei den Tiergarten Zick-Zack mit seinen Zwergziegen und Hängebauchschweinen. Zur Linken sind in regelmässiger Folge die Reste der alten Fahrleitungsmasten zu erkennen. Links abbiegend erreiche ich anschliessend den Schärmenwald, der auch Schermenwald oder Schärmewald geschrieben werden kann.

Kreuz und quer durch den Schärmenwald

Links steigt dort ein Pfad relativ steil bergauf und ich folge ihm bis auf den Höhenrücken. Es handelt sich bei diesem bewaldeten Hügel um eine Moräne der letzten Eiszeit, die relativ auffällig aus den Ebenen nordöstlich von Bern (Wankdorffeld, Burgfeld, Eyfeld) herausragt. Der höchste Punkt liegt 588 m über Meereshöhe und somit gut 60 Meter über dem Worblental. Einen Weg dort hinauf gibt es allerdings nicht, aber von früher kenne ich den optimalen Zugang, der ungefähr nördlich des Reservoirs vom Waldsträsschen abzweigt. Nach etwas kraxeln durchs Unterholz bin ich bereits an der höchsten Stelle, wo es zwar keine Aussicht zu geniessen gibt, dafür deutet eine Feuerstelle darauf hin, dass dieser Punkt durchaus gelegentlich aufgesucht wird. Auch ich habe diese Erhebung während der Jahre, wo ich an der Forelstrasse im benachbarten Ostermundigen zuhause war, desöftern besucht. Es war ein idealer Punkt, um fernab von elektromagnetischen Störungen UKW-Fernempfang zu betreiben. Und da kam selbst bei normalen Bedingungen allerhand zusammen, z.B. die Europawelle Saar auf 88.00 MHz von der Göttelborner Höhe im Saarland (267 km entfernt) oder Easy Network auf 104.05 MHz vom Monte Faeto (südwestlich Bologna, 382 km), wie ich einem damals erstellten Bandscan entnehme.

Der Begriff Reservoir ist zuvor gefallen: Dort bin ich als Kind oft herumgekraxelt; es handelt sich um einen aufgeschütteten, allseits steil abfallenden Hügel, den ich damals «Reservoirberg» genannt habe. Die seinerzeit mit primitiven Methoden ermittelte Höhe von 587 m ist korrekt, wie sich anhand der Daten des Digitalen Höhenmodells swissALTI3D überprüfen lässt. Leider ist der ganze «Berg» heute eingezäunt und kann nicht mehr bestiegen werden.

Auf dem Waldsträsschen und über einen Pfad gelange ich als nächstes zur Waldecke beim alten Messpunkt 570.5 (gemäss Übersichtsplan der Amtlichen Vermessung, ÜP 1:10’000). Dort stand jahrzehntelang eine sehr einfache Holzhütte, bei der ich früher oft Rast gemacht hatte und die ich sogar auf einer meiner ersten Fotografien dokumentiert habe (ich fotografiere erst seit 1992). Die Hütte steht längst nicht mehr, eine Feuerstelle und bescheidene Sitzgelegenheiten sind aber weiterhin vorhanden. Nach Süden schweift der Blick über das sanft abfallende Gelände zu Gurten, Längenberg und in die Alpen; letztere verbergen sich heute allerdings in den Wolken.

Zurück im Wald führt mich der Weg weiter über den breiten Höhenrücken hinweg. Im westlichen Teil, wo der Hügel des Schärmenwaldes allmählich in die Ebene des Eyfeldes übergeht, befindet sich eine ausgeprägte Vertiefung, die ich früher «Krater» genannt habe und die auf dem ÜP anhand der 5 m Zwischenkurve erkennbar war. Auf einem schmalen, in keiner Karte eingetragenen Pfad erreiche ich die rund 2 Meter tiefe Senke problemlos und rutsche über die steile Böschung ins Innere hinunter.

Auf einem schmalen Pfad steige ich anschliessend nach Süden ab, wobei die Höhendifferenz zwischen dem Höhenrücken der Moräne und ihrem südlichen Fuss in diesem Bereich nur noch 6 m beträgt. Unweit des Waldrandes gelange ich in die Ebene, wo sich ein ausgedehntes Schrebergartenareal anschliesst. Einst waren diese Familiengärten noch weitaus grösser, aber gut die Hälfte der ursprünglichen Fläche ist bereits dem Entsorgungshof zum Opfer gefallen. Und auch dem verbliebenen Rest droht Ungemach. Dort soll künftig ein grosses Holzkraftwerk gebaut werden, welches den Nordosten von Bern mit Fernwärme versorgen soll, wie im «Bund» vom 9. November 2023 zu lesen war. Damit wäre dann der Schärmenwald fast komplett von überbautem Land umgeben…

Bei der Wegkreuzung am südlichen Waldrand schlage ich einen Pfad ein, der wieder leicht ansteigt. Er ist auf dem alten ÜP noch eingetragen und endet mitten im Wald. Das Denkmal, welches dort an David Albrecht Ris erinnert, ist im Plan allerdings nicht eingetragen, obwohl es schon sehr lange dort steht. Auf dem etwas verwitterten Gedenkstein sind folgende Zeilen eingraviert:

An dieser Stelle
ereilte der Tod den weltmüden Wanderer
David Albrecht Ris
in besseren Zeiten
Des souverainen Raths und Archivarius
Der Stadt und Respublik Bern.
Geboren den 8. Merz 1753
[gemäss anderen Quellen 16. März]
Gestorben den 1. August 1803
Disisen [sic!] Denkstein
Einfach und fest wie er war
Sezten seine Freunde
1809


Die UPD Waldau im Wandel der Zeiten

Wie man sich denken kann, ist der Weg dort natürlich nicht einfach zu Ende, sondern führt stattdessen wieder hinauf auf den Höhenrücken, zum alten Messpunkt 570.5, wo ich zuvor Rast gemacht habe. Ostwärts geht es für mich nun weiter, dem Waldrand entlang. Nach Süden erstreckt sich das Areal der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern UPD (Waldau-Areal). So hiess das freilich nicht immer. Die zahlreichen, im Laufe der Jahrzehnte verwendeten Namen lassen wenig Gutes erahnen: Heil- und Pflegeanstalt, Irrenanstalt, Tollhaus, Siechenhaus… Dabei ist gerade für die Wahrnehmung einer solchen Einrichtung in der Öffentlichkeit ein korrekter, nicht abwertender Name äusserst wichtig. Dies hat der «Bund» am 11. Oktober 1967 in folgenden Worten auf den Punkt gebracht:

«Als letzter eidgenössischer Stand will der Kanton Bern auf Jahresende seinen staatlichen «Heil- und Pflegeanstalten» die Bezeichnung «Kantonale psychiatrische Klinik» zuerkennen. Diese längst fällige Umbenennung sollte indessen nicht als staatliche Eitelkeit oder amtliche Aufwertung bestehender Zustände missdeutet werden. Trotz den planerischen Fortschritten in den letzten Monaten bedarf es noch mancher Jahre bis die beklagenswerten Rückständigkeiten ausgemerzt sind. Aber Rücksicht auf die ungerechtfertigte Diskriminierung selbst geheilt entlassener Patienten in ihrer weitern und nähern Umgebung sowie die – ungeachtet aller therapeutischen Erfolge – seltsam hartnäckig in gestrigen Bildern wurzelnden Vorstellungen weiter Kreise in bezug auf Wesen und Möglichkeiten der Psychiatrie lassen die Abkehr vom despektierlichen Begriff «Anstalt» in der Tat wünschbar erscheinen.»

Aber nicht nur die früheren Namen zeugen davon, dass an dieser Stelle über lange Zeit Menschen einfach aus der Gesellschaft entfernt und versorgt wurden, auch die Anlage selbst entsprach diesem Bilde. Dass wir uns heute von allen Seiten her kommend auf diesem Areal frei bewegen können und ein freundliches Ensemble aus Gebäuden, Bäumen und Gärten vorfinden, ist das Ergebnis der in der Volksabstimmung vom 1. Februar 1970 gutgeheissenen «Gesamterneuerung der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern». Dass die Einrichtungen nun den Ansprüchen unserer Zeit genügen, natürlich ebenfalls. Noch 1969 beklagte der «Bund» die «Mittelalterlichen Zustände», indem er am 13. August schreibt:

«Gebäude und Einfriedungen tragen immer noch Gefängnischarakter. Die Krankenabteilungen sind für die Behandlungsmethoden aus der Zeit der Jahrhundertwende eingerichtet; seither hat sich die Behandlung von psychisch Kranken derart verändert, dass das qualifizierte Personal immer weniger bereit ist, eine Stelle unter solchen Bedingungen anzutreten.»

…und zusammenfassend am 15. September 1979:

«Die Mitte des letzten Jahrhunderts erbaute Waldau wurde nach ihrem hundertsten Geburtstag langsam zu einem abschreckenden Denkmal überholter Versorgung psychisch kranker Menschen. Insbesondere der bauliche Zustand und die Einrichtungen in dem aus dem Jahr 1855 stammenden Hauptgebäude mit seinen überfüllten Schlafsälen, den bedrückenden Einzelzellen und den hohen Abschlussmauern spotteten je länger je mehr jeder Beschreibung.»

Der Umbau in eine zeitgemässe Klinik dauerte nahezu ein Jahrzehnt. Nebst Neu- und Umbauten wurden Gebäudeteile, die nicht mehr zu retten waren, ersatzlos abgebrochen. Dazu der «Bund» vom 27. Januar 1970:

«Der vollständig veraltete Nordfügel mit den berüchtigten Zellenräumen und der missglückten Aufstockung wird abgebrochen, da ein Umbau dieses Gebäudeteils nicht mehr verantwortbar wäre. Das gleiche gilt für die sanierungsbedürftige Küche, deren bisheriger Standort denkbar unzweckmässig ist und eine betrieblich befriedigende Lösung ausschliesst. Mit dem Abbruch des Nordflügels werden die geschlossenen Innenhöfe geöffnet und optisch mit der umgebenden Landschaft verbunden. Es wird eine sehr erwünschte Auflockerung der gesamten Anlage erzielt.»

Dass diese «erwünschte Auflockerung» auch geschehen ist, lässt sich heute noch feststellen. Der Ententeich mit der Eisenplastik «Silberschwan» von Bernhard Luginbühl (1929 – 2011), ist von hochgewachsenen Bäumen umstanden und an seinem Ufer führt ein Spazierweg entlang. Ein weiterer Pfad folgt dem Waldrand, etwas erhöht und einen schönen Überblick bietend. Er führt mich zum ehemaligen «Tollhaus», das längst Althaus heisst und heute das Notfallzentrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie beherbergt. Beim benachbarten Stöckli tauche ich abermals in den Wald ein.

Mein Rundgang ist nun fast zu Ende. Über den Höhenrücken hinweg steige ich rechterhand wieder auf demselben Pfad bergab, auf dem ich zuvor aufgestiegen bin und gelange durch den Schermen zum Bahnhof Ittigen zurück. Dieser kleine Spaziergang von gerade mal einer Stunde Dauer zeigt, dass sich auch in einer auf den ersten Blick völlig unspektakulären Gegend manch Interessantes sehen und entdecken lässt. Es wird nicht der letzte gewesen sein.

Literatur und Quellen

Tourengänger: ABoehlen


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