Überschreitung Lüsener Fernerkogel (3299m) - der Nordgratklassiker am (ewigen) Eis


Publiziert von Daniel87 , 10. September 2022 um 00:59.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Stubaier Alpen
Tour Datum: 4 September 2022
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1700 m
Abstieg: 1700 m
Strecke:P Lüsens-Längentaler Alm-Nordgrat LFK-Gipfel-Normalweg via Rotgratferner/Lüsener Ferner-Hängebrückenweg-P
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Via Sellraintal in Gries abbiegen und weiter nach Praxmar. Kurz vor Praxmar links halten und weiter bis Lüsens zum P (5 Euro).

Wie ein Wächter ragt der Lüsener Fernerkogel mit seinem abweisenden Nordgrat über dem Tal in die Höhe und fesselt den Blick des Betrachters und lässt ihn dabei nicht mehr los. Man fragt sich, wie sich da wohl ein angenehmer Anstieg ergeben möge. Der Nordgrat überzeugt dennoch mit seinem gutmütigen Charakter, wenn man sich darauf einlässt, gleichzeitig geizt die Tour nicht mit Eindrücken, vor allem bei der klassischen Überschreitung. Auf der anderen Seite nämlich liegt ein Gletscher von beachtlicher Größe mit fast 3 1/2 km Länge, eingelagert wie in einem Hochbecken - willkommen in einer Welt aus Eis, umrundet von Granitgiganten über 3000m - was für eine gänzlich andere Stimmung. Am Rückweg eröffnen sich beim Moränenabstieg Einblicke in den dammartigen Gletscherschliff, den der im Rückzug begriffene Lüsener Ferner freigegeben hat, und der diesen abschließt und außerdem in tief eingeschnittene Schmelzwasserschluchten mit spekt. Wasserfällen, was die bis dahin rundum gelungene Unternehmung zusätzlich aufwertet.

In der Überlegung den Lüsener Fernerkogel im Winter oder im Sommer zu besuchen habe ich mich heute doch für die apere Version entschieden, schließlich wirkt das Gelände - wie ich später noch merken werde - über weite Bereiche höllisch steil um es mit Ski zu begehen, auch der Gipfelanstieg mit Skischuhen ist sicher alles andere als eine gemütliche Geschichte - davon werde ich besser Abstand nehmen, außerdem kommt man so in den Genuss des wunderbaren Nordgrats!

Von Lüsens folgt man dem markierten Weg Richtung "Westfalenhaus". Noch vor Erreichen der Längentaler Alm geht's links weglos ab zum Nordgrat des Lüsener Fernerkogel. Über später sehr ausgeprägte Spuren zunächst links (östlich) haltend, auf begrünten Blaubeerhängen hinauf und um die erste unterste Steilstufe des Grats in einem recht großen Linksbogen herum, bis man schnell oberhalb selbiger steht. Nun (fast) immer in direkter Linie stets steil hinan, der Grat gibt die Linie vor, die Schwierigkeiten steigern sich behutsam (Sg I-II). Der Gipfel zeigt sich schon recht früh, da ist es allerdings noch ziemlich weit. Weiter oben schnürt sich der Grat deutlich und weiter aufsteilend zusammen, nachdem man nun schon recht lange angestiegen ist, und mündet somit in der Schlüsselpassage. An dieser Stelle sollte man sich leicht links der rechten Kante halten, wo es nicht ganz so steil erscheint (Sg II (+) / mäßig ausgesetzt / plattig). Es schließt eine markante Gratschneide an, die ganz gut direkt angegangen werden kann (Sg II). Danach wieder leichter, bis kurz vor dem Vorgipfel ein schon lange vorher sichtbarer Turm erscheint, der erneut linksseitig umgangen wird (Sg II / weißer Pfeil). Vom Vorgipfel dann über gutmütige Blöcke ebenso in direkter Linie zum Gipfel mit Buch und Kreuz und umfassender Aussicht.

Runter geht's für die Überschreitung über die markante Rinne/Einschnitt in der Südflanke, die zum Rotgratferner reicht, dabei kann man leicht zu weit nach links geraten (bis Sg II / bei idealer Linie nicht über I+). Dort unten steige ich dann zwischen Felstrümmern, auf Eis, am linken Rand des Gletschers ein wenig ab, nach einiger Zeit entscheide ich mich die ausgeaperte Oberfläche zu queren um die gegenüberliegende Schulter zu erreichen (Steigeisen notwendig / steil!), obwohl man den Ferner unterhalb leicht umgehen kann, was ich zu spät sehe (Gegenanstieg 50 HM). Bei der Schulter südlich des Ferners geht's ein Toteisfeld hinab, was flach geneigt gequert wird - jenseits wiederum eine weitere Schulter hinauf, wo ein kunstvoller Steinmann steht. Hier blickt man auf den Lüsener Ferner, welchen man nun ansteuert: unschwierig wird dieser absteigend rechterhand erreicht (Sg I; Abstieg "Plattige Wand"). Nun folgt man dem Gletscherabwärtsverlauf - am linken Rand ist auf Geröllhalden, gemäß "Gletschergefahren" eine Umgehung leicht möglich. Schließlich erreicht man die Endmoräne des Ferners oberhalb des großen Gletscherschliffs, dort steht ein Wegweiser, welcher den markierten Weg ins Tal anzeigt. Nach einer kurzen Hochfläche geht's diesen Weg steil hinunter, kurz vor dem Talboden erreicht er gar eine Hängebrücke, die eine Klamm überspannt, wenig später noch über zahlreiche gut gesicherte Treppen zum Ausgangspunkt.

Schwierigkeiten:

Wanderweg zum Einstieg Nordgrat: T2 (1 Stunde).
Nordgrat LFK: T5/II (Mittelteil am Grat bis II+, mäßig ausgesetzt und plattig; bei Nässe etwas heikel; an der felsigen Kante auf Dauer recht anstrengend (teils umgehbar); 4 Stunden).
Abstieg Normalweg via Gipfelsüdflanke: T4-/I+ (I-II, bei idealer Linie I+; 1/2 Stunde).
Weiterer Normalweg: WS/I-II (Gletscher scheinbar nun umgehbar, T3+, sonst Steigeisen in bis 30° geneigtem Eis; 2 Stunden).
Wanderweg nach Lüsens: T3/I (steil; weiter unten oft (neue) Sicherungen; 2 Stunden).

Fazit:

Interessanter, abwechslungsreicher und sehr anregender, langer Felsgrat für versiertere Bergsteiger bei dem man die Zeit vergisst - schnell sind mehrere Stunden vergangen. Der Normalweg zum Gipfel, den man im Abstieg nimmt, verläuft in toller Gletscherlandschaft. Ideale Tour in der Hitze des Sommers, dann im einigermaßen gekühltem Hochgebirge - zu lange sollte man allerdings nicht warten, im Herbst kann am Nordgrat schnell der Winter zuschlagen - bei der heutigen Begehung wurden die ersten Neuschnee(reste) auf 3200m aufwärts angetroffen. Überlaufen ist hier nichts - heute konnte man entfernt zwei weitere Bergsteiger wahrnehmen, sonst eine absolut einsame Angelegenheit, die Runde!

Tourengänger: Daniel87


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Kommentare (4)


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sven86 hat gesagt:
Gesendet am 11. September 2022 um 10:35
Danke für die ausführlichere Dokumentation des Normalweges, aus dem ich bisher nicht so wirklich schlau geworden bin. Jetzt glaube ich, dass ich mir den an einem guten Tag bei passenden Verhältnissen (wohl besser aper wie bei Dir, wenn auch mühsamer) mit entsprechender Ausrüstung durchaus zutrauen kann.
VG Sven

Daniel87 hat gesagt: RE:
Gesendet am 11. September 2022 um 19:19
Danke für deinen Kommentar, ich fand den Normalweg von Lüsens da rauf, muss ich sagen, mindestens genauso schön, wie über den Nordgrat, da es landschaftlich einfach spektakulär ist. Die objektiven Gefahren sind, wie ich fand überschaubar, nur die mitunter teils vorhandene, kleine Randkluft am Rotgratferner, habe ich vergessen zu erwähnen, muss man halt bisschen schauen, im aperen Zustand, gut machbar ...

VG Daniel

derMainzer hat gesagt: Finaler Gipfelgrat
Gesendet am 11. September 2022 um 17:07
Griaß di Daniel87,

schöner Bericht mit eindrucksvollen Fotos vom Nordgratverlauf. Da hast du dir wohl sehr viel mühe bei der Berichtserstellung gegeben. Ich finde auch die Bilder von den Schlüsselstellen trotz des Zeitdrucks beim Aufstieg sehr gut aufgenommen. Man erkennt darauf einiges. Deinen Bericht auf den Nordostgipfel der Partenkirchner Dreitorspitze fand ich schon sehr inormativ. Endlich konnte ich trotz der vielen Berichte und Filme von Influencern im Internet endlich die Aufstiegsroute ab der Wand/Scharte hinter dem Klemmbock gut nachvollziehen. Da kann man nur sagen, weiter so. Hoffentlich klappt es im nächsten Jahr mit der Überschreitung der Partenkirchner Dreitorspitzen.

P.S. Über den Zeitbedarf würde ich mir bei den Witterungsverhältnissen (Nässe) an diesem Tag inkl. den vereisten Gletscher beim Abstieg keine Gedanken machen. Wichtig ist der erfolgreiche Abschluss der Tour am Tag und bezwungen hat man den Gipfel doch erst, wenn man wieder sicher im Tal steht. Weiterhin wünsche ich dir schöne Touren.

Pfiat di
derMainzer

Daniel87 hat gesagt: RE:Finaler Gipfelgrat
Gesendet am 11. September 2022 um 19:49
Hallo Mainzer, danke Dir!

Ja, ich versuche immer ein Mindestmaß an Qualität reinzubringen... Ich glaub' die annähernd 300 Fotos waren der Grund für den Zeitverzug :-) ... Mich wundert immer das Tempo von einigen, ich nehme mir immer Zeit, insbesondere bei solch interessanten Unternehmungen beim Auf- und Abstieg, sodass ich die Stimmung auch aufnehmen kann und nicht nur ein sportliches Programm abarbeite um am Ende 15 Uhr wieder zu Haus zu sein, da kann ich gleich daheim bleiben. Außer bei anstrengend-langen Touren, wo die Zeit vorraus. nicht reichen wird, wie "Weissmies-Sommer" oder "Similaun-Skitour" da beeil ich mich schon, wenn's geht ... :-)

Habe zum Dreitorspitz-Nordgipfel auch vorher das Video von "Alpinefex" gesehen, die sind da glaube ich, nach dem Klemmblock, in direkter Linie zum Gipfel angestiegen, also nicht nach AV-Führer, was ich auch beim ersten Mal so versucht habe (Sg Stellen III-) ... Mal schauen, wenn ich einen dritten Anlauf (für die Überschreitung) versuche.

Wünsch dir auch noch schöne Touren!

VG Daniel


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