Das Knarzen von Leder


Publiziert von Henrik , 5. Oktober 2009 um 16:36.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum: 4 Oktober 2009
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI 
Zeitbedarf: 3:00
Aufstieg: 150 m
Abstieg: 740 m
Strecke:Anzonico - Sobrio - Giornico
Zufahrt zum Ausgangspunkt:ÖV
Zufahrt zum Ankunftspunkt:ÖV
Kartennummer:Leventina 1 : 50 000

 
 
..."Der Geruch von Leder, das Knarzen von Leder, das Gefühl von Leder. Einfach geil... Meist knarzen (knarren) Schuhe im Bereich der Faltlasche, ein wenig Hirschtalg in die Faltlasche und es ist weg. In der Regel!" meint lakonisch ein Blogger zum Thema HANWAG. Damit wäre ich mitten in der Schuhdebatte, die ja auch hin und wieder auf hikr. thematisiert wird. Es gibt solche, die vergessen sogar die Schuhe im Zug oder merken beim Rucksackdepot, dass im Kofferraum am PP noch welche stehen, die man zwecks Fussentlastung hätte mitnehmen können – man schleppt ja sonst schon oft genügend Unnötiges zum Gipfel oder sie lassen sich aus wie hier
 
Meine liebgewonnen Nepal Pro von Scarpa habe ich nun vier Jahre getragen – da ich auch in Zukunft kaum über 2500 m hinaus unterwegs sein werde, reicht ein einfacher Trekkingschuh. Da ich auf Leder stehe (bitte genau lesen), kommt nur Leder an meine Füsse, zumindesten beim Wandern! Da ist die Auswahl heutzutage allerdings sehr begrenzt, was die Leute bei Sport Bächli eigentlich auch wundert. Seit wir GoreTex haben, ist Leder im Abseits – obwohl mit ein wenig Pflege (...) die Langlebigkeit durchaus konkurrenzfähig ist. Drei grosse Namen stehen auch für Leder(schuhe): Scarpa, Meindl und Hanwag. Da ich nebst einem grossen Maul, grosser Körpergrösse auch noch grosse Füsse habe, aber einen CO2-relevanten kleinen Fussabdruck hinterlasse, die beiden erstgenannten Marken aber keinen 46,5 im Programm hatten, blieb HANWAG übrig. Ich war misstrauisch.
 
Ich fuhr zu Bächli nach Kriens ins SchappeCenter: Jolanda Lötscher und Christian Bernhard kennen mich schon durch andere Einkäufe – Christian nahm sich beinahe 2 Stunden Zeit, ich stiefelte im Laden auf und ab, die Böschungsrampe dito und sogar auf dem Aussenplatz liess man mich stolzieren. Gegen zwölf Uhr Mittag fiel der Entscheid.
 
Danach fuhr ich mit Hanwags-Grössen und neuen Merrell-Schuhen (gleichentags in Seengen gekauft) mit dem ICN nach Bellinzona und zurück nach Basel – um meiner Lust nach Bahnfahren nachzukommen. Das Tessin strahlte wie die letzten Tage nicht mehr und ich konnte entlang der Leventina nochmals unsere Wanderung aus der Ferne inspizieren (Strada alta dei monti).
 
Für den Sonntag war wieder mal was anderes geplant als das was schliesslich durchgeführt wurde: ich wollte zum Saisonabschluss mit dem letzten Kurs von Airolo nach Andermatt fahren – das Poschti über den Gotthard endet am 4. Oktober, ich finde bedauerlicherweise einfach viel zu früh! Als ich dann im Zug sass Richtung Tessin, stieg ich erst in Faido aus. Nun ist es ja so beim „silberquäki“, dass der auch meist ein Sammelsurium von Karten der Grossregion mit sich schleppt.. Oder Ausdrucke (siehe Community-Beitrag).
 
Ziel meines relativ spontanen Entschlusses war in Sobrio Mittagessen in der Osteria Ambrogini (für die Community Touren & Tafeln) – denn der Eindruck vom letzten Wochenende dort war nach wie vor stark. Erstaunlicherweise war der Bus heute von Airolo nach Bellinzona gut belegt – sogar der Minibus von Lavorgo sowohl nach Chironico wie nach Sobrio war fast voll: Klettern und Bouldern waren die Ziele, mit dem ÖV.
 
Ich startete meine Testrunde mit den neuen Schuhen in Anzonico. Der Himmel über der Leventina war knapp dunstig, aber sattblau. Es lag Tau im Gras, Schafe blöckten, Kühe gaben unterschiedliche Laute ab, Autos hupten sich in den engen Kurven unterhalb der Ortschaften durch – die Autobahn im Talkessel war wie immer in der Leventina nicht zu überhören. Aber das Knarzen störte am Meisten.
 
Ich schnürte unterwegs die Schuhe mal anders – und hätte das eigentlich unterlassen sollen, denn damit begannen die Probleme. Doch die 1 ½ h nach Sobrio waren auch beherrscht von wunderbaren Eindrücken wie Stille und Ruhe, zirpenden Insekten, Spinnennetze, die einen ins Gesicht flogen, weggeworfene Altreifen auf wilden Deponien, schwache Markierungen entlang der traditionellen Strada alta und einfach das Alleine-Unterwegs-Sein – im morgendlichen Tau durchs Gras, etwas Poesie. Zwischen Anzonico und Cavagnago weiss man die Gotthardbahn unter sich tief im Gestein ihre Piroutten drehen – im Kehrtunnel der Biaschina. Kommt man auf Ronzano zu, fällt der Blick auf den Campanile der Kirche San Lorenzo – dahinter türmen sich auch bei Dunst der mächtige Pizzo Magn und der Masnan auf (je nach Licht- und Wetterverhältnissen durchaus wuchtig schön). Kurz vor zwölf erreiche ich die Osteria: ich spienzle in die Küche hinein, gewahre hinter der Theke eine der beiden Gastgeberinnen und dann herzlichste Begrüssung wie auch Erstaunen.....schon wieder hier? Ich setze mich an die Sonne (die Terrasse wie die Gaststube sind sehr gut besetzt), bestelle einen weissen Merlot und freue mich auf das Mittagessen, dessen Umfang nicht auf eine Essenskarte kommt, denn es gibt nur ein Menü.
 
Eine Wandergruppe aus der Region Zürich palavert laut gestikulierend über unmögliche Staus bei Spreitenbach; eine Familie mit zwei Kindern werweisst, ob sie den steilen Weg nach Usc nehmen sollen, ein Einheimischer steht lässig am Küchenfenster und raucht. Kurz danach setzen sich vier nassgeschwitzte Wanderer (zwei Paare) aus Tiengen an meinen Tisch – die eine der Frauen mit knappsten Shorts...und lackierten Fingernägeln in einem Blau, das ich noch nie gesehen hatte. Einer der Männer fragt, ob er sich von meinem nicht angerührten Brot bedienen darf, aber sicher entgegne ich. Guiliana serviert mir als Entrée einen kleinen Tessinerteller, danach gemischter Salat und schliesslich ein mundender Rindsbraten mit Reis, garniert mit Peterli. Die Sonne steht im Zenit.
 
 
Die Zürcher brechen auf, die Tienger auch, sie möchten nach Biasca wandern – ich gebe Empfehlungen ab, schliesslich sind Claudia und ich ja letztes WE hier gewesen. Frischer kommt man ja kaum an Infos! Zum Abschluss noch ein Espresso – und als ich bezahle, weiss ich, hier bin ich bald wieder mal zu Gast: 35 Franken inkl. Wein (2 dl).
 
Ich schnüre meine Schuhe nochmals neu! Schnürtechniken machen angeblich mehr aus jedem Schuh, meinte Christian in Kriens – jedenfalls eine Lektion wert. Noch schnell ein Bild für Ursi’s Wandersite – ein Blick aufs Handy (meine Uhr) und dann renne ich los hinunter nach Giornico. Der Wegweiser verheisst 1 h 25 m. Die Fleecejacke auf den Rucksack verschnürt. Heute ohne Stöcke, dafür die Füsse im Schraubstock! Ich eile, schneller, testend wie die Sohlen sich verhalten, sich nirgends festhalten müssen Vorgabe, nur der Weg zählt. Plötzlich eine Einheimische, die gemächlich denselben Weg nach unten gewählt hat – fast renne ich sie über den Haufen. In Serpentinen, durch hohes Gras, irgendwo im Hinterkopf das Bild auf hikr. von der Viper (...). Ich breche mir einen dürren Ast aus dem begleitenden Dickicht. Ich bin jetzt kaum zu bremsen und spüre nichts im Schuh, noch nicht. Stufen, grosse Abstände, links rum, dann rechts, zum Glück keine Erlendickichte, die Sonne brennt auf die immer wieder offenen Partien mit freiem Fels in Hangneigung 45 °, wenige Markierungen, verblasste und auch zwischendurch wie neu. Zwei Bildstöcke und ein zerfallenes Rustico. Kurz vor Giornico kommen mir vier Wanderer entgegen – kurzer Schwatz, ich eile weiter.....und dann plötzlich der Schmerz, ein Blitz am rechten grossen Zeh, ich unterbreche den „Flug“: ich beisse mir auf die Lippe und schmecke mein Blut! Schon sehe ich den Campanile und die Hauptstrasse – ich verlangsame etwas den eilenden Schritt und blende den Schmerz aus: ich muss lediglich ankommen. Die Osteria hat einen Tisch im Freien, unter dem Sonnenstoren. Ich bin bachnass wie schon lange nicht mehr und ich blicke auf die Uhr: 50 Minuten für 737 Meter Höhendifferenz. Aber mit zwei grossen Blasen an der rechten Zehe bzw. und seinem Nachbarn. Und ich beiss’ mir auf die Zähne...ich entledige mich der heiss gewordenen Socke (in aller Öffentlichkeit!) und lass den kühlen Wind, der durch das Dorf weht an meinen Fuss – wie tut das gut. Ich gönne mir eine ganze Stunde in Giornico – nehme dann neu bestrumpft den Bus nach Airolo. Setze mich nochmals für einen Espresso an die Sonne und besteige den Zug um 16.58. 
 
Konsequenz für Hanwag: am Mittwoch gehe ich mich beratschlagen, ob ein Folgeschuh nötig sein wird... Essen in Sobrio auf jeden Fall baldmöglichst.
 
 

Tourengänger: Henrik
Communities: Touren und Tafeln


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (7)


Kommentar hinzufügen

Gelöschter Kommentar

marmotta hat gesagt: RE:Hanwag
Gesendet am 5. Oktober 2009 um 19:37
Lieber Henrik,

Dein Bericht - wie immer amüsant, unterhaltsam und ganz speziell! :-)

Zum Thema Hanwag: Mir erging es genau umgekehrt wie axalphorn - hatte bzw. habe das Modell "Yukon", ein Volllederschuh (wie zuvor alle meine Bergschuhe). Dieser hat die ersten ca. 10 Touren überhaupt nicht gedrückt, dann bildete sich aber am rechten Schuh eine Falte, durch die eine Öse derart auf den Grosszeh-Knochen drückt, dass der Schuh nun für mich unbrauchbar ist. Nach einem weiteren unglücklichen Kauf (La Sportiva Nepal Trek - zu schmal geschnitten für meinen Fuss, was sich ebenfalls erst nach ca. 5 Touren bemerkbar machte) bin ich nun auf Gore-Tex (Scarpa Triolet) umgestiegen und sehr zufrieden! Dabei hätte ich nie gedacht, einmal einen anderen Schuh als einen Lederschuh zu tragen...

Hat jemand ähnliche Erfahrungen (mit Hanwag oder anderen Lederschuhen) gemacht?

Gruess

Michael

Gelöschter Kommentar

marmotta hat gesagt: Scarpa Triolet vs. La Sportiva Nepal Trek
Gesendet am 6. Oktober 2009 um 08:08
Hallo Mark,

was die beiden absolut vergleichbaren Schuhmodelle "Scarpa Triolet GTX" und La Sportiva Nepal Trek" anbelangt, gilt: Wer einen etwas breiteren Fuss hat, sollte den Scarpa wählen, da der La Sportiva im Zehenbereich spitzer zuläuft.

Ob Scarpa ansonsten eher schmale Schuhe macht, kann ich nicht sagen.

Gruss

Michael

Tricolor hat gesagt:
Gesendet am 6. Oktober 2009 um 01:21
Hi Henrik
Ein sehr amüsierender, spannend zu lesender Bericht, bei dem man an mehreren Stellen das Schmunzeln nicht unterdrücken kann. Trotz des Themas schuhbedingte Blasen und Schmerzen, was sich für dich vermutlich nicht ganz so amüsant angefühlt hat. So ein Bergschuhexemplar ( Sportiva )hab ich auch noch im Schrank und nur noch ab und an im Einsatz, ich kann dir das nachfühlen.....is eklig beim Laufen.

LG
Antje

Zaza hat gesagt: Tipp
Gesendet am 6. Oktober 2009 um 10:00
Ciao Henrik,

Hüpf mal aus dem GA-Bereich raus und mach einen Ausflug nach Frittlingen bei Rottweil (D). Da gibt' s noch Schuhwerk von altem Schrot und Korn zu kaufen. Empfehlenswert und gar nicht teuer. Die Wartezeit liegt aktuell bei 6 Monaten.

cari saluti,

Zaza

Henrik hat gesagt: Für die Aufmerksamkeit
Gesendet am 6. Oktober 2009 um 23:32
allerseits besten Dank. Ich werde morgen Mittwoch in Kriens bei Bächli debattieren und probieren.

Dass ihr meinen Füssen diese Beachtung schenkt, freut mich als hikr. immens.

Wir dürfen froh sein, dass uns die Füsse bis auf 8878 m hinauf tragen und auf 40 615 km um den Globus!

Danke....an alle Füssler.

Herzlich

Henrik



Kommentar hinzufügen»