Kurzbericht 

Doppel Vanil - à Double Crème...


Publiziert von lorenzo , 27. April 2021 um 21:16.

Region: Welt » Schweiz » Freiburg
Tour Datum:14 April 2021
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Ski Schwierigkeit: SS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-FR   CH-VD 
Zeitbedarf: 7:45
Aufstieg: 1620 m
Abstieg: 1620 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Grandvillard, village oder mit dem Auto
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Unterkunftmöglichkeiten:Hòtel-Restaurant du Vanil Noir
Kartennummer:LK 1245 Château d'Oex; www.camptocamp.org

Nach dem Unterricht ging ich mit zwei Schulkameraden bisweilen noch zum Beck nebenan, wo wir darüber diskutierten, ob seinerzeit das Geld oder das Rad die bahnbrechendere Erfindung gewesen war, und über andere Dinge, die unbedarfte Sechstklässler halt so herumtreiben. Der eine lutschte genüsslich an einer Doppel Vanille, ich an einem Drei Musketiere, und der Dritte, der Klassenbeste und ein begnadeter Schachspieler, erzählte von Dostojewski, den er damals schon mit seinem überragenden Verstand verschlang, während wir beiden anderen noch tief in "Jan und die Detektive" stecken geblieben waren. "Die drei Musketiere" lasen wir in einer stark gekürzten und vereinfachten Schülerfassung damals noch im Französischunterricht. Und von den fünf Elefanten hatte ich mir später immerhin vier zu Gemüte geführt, der fünfte, "Ein grüner Junge", war ich wohl selber geblieben, wenigstens hinter den Ohren...

Das unerbittliche Rad der Zeit drehte sich schneller und schneller, und auch die unselige Geldspirale setzte seither immer wieder zu inflationären Höhenflügen an, aber bis heute kann ich einer Doppel Vanille nicht viel abgewinnen. Zunehmenden Gefallen fand ich mit den Jahren dagegen an den Vanils. Abgeleitet vom gallischen "vanno" für "Hang"  und vom keltischen "van"  für "Felschaos"  wird "Vanil" für "Felsgipfel" oder "Felsgrate, die extreme Steilhänge dominieren" verwendet, wie man sie beide in den Préalpes à discrétion finden kann, sogar im Doppel. Und solche Doppel Vanils, mit oder ohne Doppelrahm, sagten mir besonders zu, obwohl oder villeicht gerade weil man sie nicht wie Glacekugeln genüsslich auf der Zunge zergehen lassen kann, sondern sich an ihnen die Zähne ausbeissen muss. Als ich die letzte Skitour in den Préalpes plante - als Ausweichziel für eine andere im Unterwallis, die wegen der Lawinensituation und angekündigter extremer Kälte für mich nicht in Frage kam - ahnte ich aber noch nicht, dass ich schon bald wieder auf die Zähne beissen müsste...


Eigentlich hatte ich geplant, mit Ski nach Bounavaux und von dort zum Plan des Eaux und weiter zum Vanil de l'Ecri aufzusteigen, durch das SW-Couloir abzufahren, über den NW-Grat zur Pointe de Paray hoch zu steigen und über die W-Flanke nach Les Tsavas ab- und zum Ausgangspunkt zurückzufahren. Als ich aber auf Schneeresten in Les Baudes anlangte, schlug mich der düster aufragende Vanil Noir in seinen Bann. Mein Plan geriet ins Wanken, und bis Bounavaletta war ich hin- und hergerissen. Dort entschied ich mich, zuerst den Vanil Noir zu überschreiten, und bog nach links ab. Beim Aufstieg durch anstrengenden Bruchharsch zum Col de Buonavaletta kam ich zudem zum Schluss, statt durch das Vanil de l'Ecri SW-Couloir, wo ebenfalls "carton" zu erwarten war, durch das NW-Couloir abzufahren, das einen vielversprechenden Eindruck machte und noch eher Pulver versprach. Über den Sattel zwischen Le Curtillet und dem Vanil de l'Ecri wollte ich dann zur Pointe de Paray hinüber queren.

Der WNW-Grat zum Tête de l'Herbette hatte schon vom Zustieg aus einen ansprechenden Eindruck gemacht, der sich bei der Ankunft auf dem Col de Buonavaletta bestätigte. Abwechselnd auf hartem Firn und in losen Pulverwällen einsinkend, und von der stetigen Bise zunehmend ausgekühlt, stieg ich in packendem Nordwandambiente direkt zum Gipfel, wo mich endlich die lang ersehnte Sonne empfing und die gefrorenen Finger und Zehen rasch aufwärmte. Die Zweiergruppe, die hinter mir Richtung Bounavaletta aufgestiegen, aber  vorher nach rechts abgebogen war, erreichte schon den Gipfel des Vanil de l'Ecri, und kurze Zeit später erblickte ich sie wieder bei der Ausfahrt aus dem NW-Couloir. Dieses war also schon vorgespurt, und ich konnte beruhigt sein. Der Abstieg über den kurzen und an sich leichten, aber ausgesetzten S-Grat wurde bei dem unberechenbaren Lotterieschnee zu einem Balanceakt, der entsprechende Vorsicht erforderte.

Für den folgenden Abschnitt östlich entlang dem Vanil Noir N-Grat bis zur übernächsten Scharte konnte ich zwar die Ski benutzen, auf der immer wieder abrutschenden losen Pulverschicht war ein entspanntes Aufsteigen aber kaum möglich. Wieder zu Fuss stieg ich in leidlichem Trittschnee auf der Gratschneide vor den Pas de la Borrière, zu dem ich auf den mit Pulver überzogenen Felsen vorsichtig queren und abklettern musste. Das prächtige hochgebirgsartige Ambiente entschädigte aber für alle bisherigen Mühen. Der anschliessende Gipfelgrat liess sich trotz dem inzwischen vertrauten unzuverlässigen Schneegemisch ohne Probleme begehen. Die Erleichterung beim Gipfelkreuz hielt aber nicht lange an, denn der schwierigste Teil, der Abstieg zum Plan des Eaux, stand noch bevor. Nach einem Augenschein und ein paar Fotos entschied ich mich angesichts einer hässlichen Grundlawine im SW-Hang über dem Creux du Combe gegen eine Abfahrt dorthin und für die absteigende Querung entlang der Alpinwanderroute durch die z.T. apere SSE-Flanke. Wieder einmal wurde die Wahl zur Qual bzw. zu einer Geduldsprobe, indem der Schnee nur ausnahmsweise Trittkonsistenz aufwies, und unter der lockeren Pulverschicht auf der harten Firnunterlage, im gefrorenen Gras oder auf den vereisten Felsen bei jedem Schritt Halt gesucht, und jede Bewegung mit dem Eisgerät oder Felsgriffen abgesichert werden musste. Irgendeinmal waren aber auch dieser Spiessrutenlauf durch die SSE-Flanke und der anschliessende Eiertanz über den verwächteten und inkonsistenten unteren SW-Grat überstanden - geschlagene anderthalb Stunden hatte ich dafür gebraucht -, und ich konnte die letzten paar Meter 
wieder auf Ski sanft zum Plan des Eaux hinuntergleiten. Gefühlte WS nach der Hochtourenskala im Auf- und ZS im Abstieg war meine ernüchternde Bilanz.

Schon halb eins, und ohne dass ich es gemerkt hatte, waren nach dem strahlenden Morgen und Vormittag wie angekündigt beunruhigend viele Quellwolken aufgezogen. So rasch wie möglich sputete ich zum Vanil de l'Ecri hinauf, der vom Plan des Eaux zum Glück nur einen Katzensprung entfernt ist. Ich nahm die Felle ab und warf einen Blick hinüber zur Pointe de Paray, wo ich zwar Aufstiegs- und Abfahrtsspuren erkennen konnte, sich von Les Tsavas her aber dichte Wolken näherten. Ich beschloss, zuerst abzufahren, und erst dann über einen allfälligen weiteren Aufstieg zur Pointe de Paray zu entscheiden. Den Abfahrtspuren der beiden anderen folgend, gelangte ich bequem zur Einfahrt ins NW-Couloir. Dieses wies eine harte, aber griffige Unterlage auf, die von einer unregelmässigen Pulverschicht überzogen war, und liess sich bis auf eine kurze Rutschpassage durch den steilen Flaschenhals im oberen Drittel gut befahren. Gegenüber Le Curtillet angelangt, werweiste ich einen Moment, liess den Sattel Richtung Petsernetse dann aber mehr oder weniger schweren, oder villeicht doch eher leichten Herzens links liegen und fuhr, wieder den Spuren der beiden anderen folgend, hinunter nach Bounavau, wo ich mir unterhalb der Hütte erstmals eine längere Pause genehmigte. Als ich mich zu Fuss auf den Rückweg machte, war der Vanil Noir bereits umwölkt und nicht mehr zu sehen. Und zurück beim Parkplatz freute ich mich darüber, abermals in den unverhofften Genuss einer Doppel Vanil der besonderen Art gekommen zu sein, wie man sie sich bissfester und mit mehr Doppelrahm kaum vorstellen kann...

Tête de l'Herbette-Vanil Noir-Vanil de l'Ecri
Vom Parkplatz ca. 945m oberhalb der Chapelle 935 gelben Markierungen folgend entlang der La Taouna und dem Rio des Marais nach Les Baudes und über La Coudre (1367m) nach Bounavau (1636m), 1h-1h 15min, WS-. Entlang dem weiss-rot markierten Bergweg über Bounavaletta (1758m) zum Col de Bounavaletta (1995m), 45min-1h, WS-. Auf dem weiss-blau markierten Alpinwanderweg bis ca. 2140m und weiter entlang dem oberen WNW-Grat auf steilen Firnfeldern und über leichte Felsen (bis 45 Grad) auf den Tête de l'Herbette (2261m), 30min-45min, T4. Abstieg über den felsigen S-Grat (I) zum Sattel ca. 2235m, T4. Entlang dem N-Grat, felsige Aufschwünge ev. E umgehend, zur Kuppe ca. 2330m, von dieser steiler Abstieg zu einem Felsband, und auf diesem und über eine Felsstufe abkletternd (Kabel, sonst I) ausgesetzt zum Pas de la Borière (2316m). Auf dem zuerst steilen, dann flacheren oberen N- oder Gipfelgrat auf den Vanil Noir (2389m), 45min-1h 15min, T5. Abstieg entlang der weiss-blau markierten Alpinwanderroute über den E-Grat, quer durch die SSE-Flanke (bis 50 Grad, Kabel, sonst I-II bzw. kombiniert) und über den unteren SW-Grat zum Plan des Eaux (2239m), 45min-1h 30min, T5. Entlang dem weiss-rot markierten Bergweg und oben über die NW-Flanke auf den Vanil de l'Ecri (2376m), 15min, WS-. Abfahrt N entlang dem Gipfelgrat zum W Vorgipfel (ca. 2230m) und durch das NW-Couloir (oben bis 45, dann 40 Grad) zur Skiroute zu Le Curtillet (2016m) und auf dieser S an P. 1770 vorbei zurück nach Bounavau (1636m), 30-45min, SS-. Auf der Zustiegsroute abhängig von der Schneelage mit Ski oder zu Fuss zurück, WS-, 30min-1h.

Variante: bei sicheren Lawinenverhältnissen kann vom Vanil Noir (2389m) über den SE-Grat bis ca. 2280m abgestiegen, über die SW-Flanke (bis 35 Grad) zum Creux de Combe abgefahren, und über die NE- und obere NW-Flanke zum Vanil de l'Ecri (2376m) aufgestiegen werden.

Insgesamt 5h-7h 45min.

Verhältnisse: bei Bise kalt und bis Mittag wolkenlos, dann zunehmend Quellwolken. Durchgehende Schneedecke ab ca. 1550m, bestehend aus harter Unterlage mit verharschtem (unter dem Col de Bounavaletta) oder verblasenem Pulver (übrige Route). Am Tête de l'Herbette WNW- und S-Grat und am Vanil Noir N-Grat, in der SSE-Flanke und am unteren SW-Grat abwechselnd verblasener Pulver und hart (Vorsicht wegen Wächten), im Vanil de l'Ecri NW-Couloir abwechselnd hart und griffig (oben kurz abgerutscht) und verblasener Pulver. Unterhalb 1550m im Aufstieg z.T. Portage, Abstieg vollständig zu Fuss. Zwischen Col de Bounavalette und Plan des Eaux abgesehen von einer kurzen Skipassage zwischen Tête de l'Herbette und Pas de la Borrière durchgehend Portage. Gute Aufstiegsspur Richtung Sattel zwischen Le Curtillet und Vanil de l'Ecri und Abfahrtsspuren in dessen NW-Couloir.

Material: Helm, Eisgerät, und Steigeisen zu üblicher Skitourenausrüstung.

Fahrplan: 6.45 Start, 8 Uhr Bounavau, 9.45 Tête de l'Herbette, 11 Uhr Vanil Noir, 12.30 Plan des Eaux, 12.45 Vanil de l'Ecri, 13.30 Bounavau, 14.30 retour.

Zweieinhalb Wochen vor dieser Tour war ich auf der Rückfahrt von Zinal im Zug der Schwester des Dritten begegnet, die mir die traurige Mitteilung überbrachte, dass er, den ich seit der Schulzeit nie mehr gesehen habe, im vergangenen Jahr unerwartet gestorben sei.

Für Christian.


Tourengänger: lorenzo


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