Im Gletscherkessel Präg frisch zubereitet: Wolkensuppe Schwarzwälder Art


Publiziert von Schubi , 26. Februar 2020 um 23:57.

Region: Welt » Deutschland » Südwestliche Mittelgebirge » Schwarzwald
Tour Datum:21 Juni 2019
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Aufstieg: 685 m
Abstieg: 685 m
Strecke:18 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Pkw: Parkplatz Ortsmitte/Rathaus Präg ÖPNV: Buslinie 7321 aus Todtnau
Zufahrt zum Ankunftspunkt:s.o.
Unterkunftmöglichkeiten:Einige in Präg

Als im letzten Sommer meine Lebensgefährtin noch in Freiburg wohnte, habe ich auf der Landkarte des Südschwarzwalds ein Naturschutzgebiet namens Gletscherkessel Präg entdeckt. Dass es im Schwarzwald zu den Eiszeiten Gletscher gab, wusste ich schon von Wanderungen zur Karseen im Nordschwarzwald, aber ein ganzer Kessel davon? Das machte neugierig.

Die besondere Bedeutung des Gletscherkessels Präg liegt darin, daß ganze sechs (!) Gletscher (spez.: Talgletscher) nicht nacheinander in ein Haupttal abflossen, sondern sich gleichzeitig an einer Stelle des Talbodens vereinigten, und sich dort auch gegenseitig verdrängten und in die Höhe schoben. Faszinierend die Vorstellung, dass da, wo heute das Dorf Präg liegt, die Mächtigkeit des Eispanzers bis zu 450 Metern Höhe erreicht hat (übrigens ein Maximalwert für den Schwarzwald in der Würm-Eiszeit). Wer geologisch näher interessiert ist, kann noch in diese schöne Abhandlung von 1961 reinblättern.

Den ganze Kessel zu umwandern wäre als Tages-Unternehmung etwas zu ambitioniert gewesen. Also legte ich mir eine Tour zurecht, die auch über einen der den Kessel einrahmenden Berge führen sollte, und zwar den Hochkopf (1263 m). Kollege alpstein war auf ähnlicher Route dort im November ebenfalls unterwegs und so wie ich von der naturräumlichen Geschichte dieses Kessels beeindruckt. Meine Fortsetzung der hier erzählten Wanderung fand dann übrigens im Februar 2020 in der gegenüber liegenden Ecke des Kessels, dem Prägbachtal, statt.


  Los ging es an einem Junitag mit gemischten Wetterprognosen. Wolken nach Sonne, ein Regenguss während der Wanderung, Wasser in Eisform, das jahrtausendelang eine Landschaft prägt: wenn da mal nicht "Water Of The Gods" von den Changes als Soundtrack passt.

Ich stelle den Wagen am Parkplatz vor dem ehemaligen Rathaus in Präg ab. Auf der Tour will ich auch die oben erwähnten drei kleinen Seen (Eiserosions-Kolke) hinter einer Moräne an der Seite des Talbodens sowie die benachbarte Blockhalde nordwestlich des Dorfs besuchen, also lege ich noch eine kleine Extraschleife an den Beginn der Wanderung. Dazu gehe ich auf der Dorfstraße ein Stück nach Norden und links auf den Seeweg, der einmal entlang der Seen und an der Halde vorbeiführt und im Bogen anschliessend wieder zurück zum Dorf. Gleich zu Beginn treffe ich auf einen älteren Herren und wir kommen ins Gespräch. Trotz Krücken und schweren Gangs macht er täglich seine allmorgendliche Runde zu den Seen. Es stellt sich heraus, dass er hier früher Bergbauer war und er erzählt von den schweren Arbeit mit der Sense auf den steilen Mahdwiesen rund um den Gletscherkessel. Früher ging praktisch nix maschinell, jetzt fast alles. Am ersten See flattert, von uns gestört, ein Graureiher auf, dem wir wohl damit sein Frühstück ver-grau-lt haben. Der See zeigt leider einem Verlandungsprozess. Die beiden anderen Seen sind trockengefallen, aber laut meines Begleiters füllen sie sich nach niederschlagsreichen Zeiten wieder temporär. Gleich nebenan hängt im Hang eine Blockhalde ("Seehalde") mit frostgesprengtem Granitgestein, sie ist beeindruckend groß und reicht bis runter zum Weg. Ich habe dazu noch folgende spannende Infos gefunden:

"Als der Weg vor einigen Jahren verbreitert wurde, hat man in den Fuß der Blockhalde eingegriffen und Eis gefunden... im August! Das war der Beweis für die lange vermutete Anwesenheit von dauerhaftem Eis in Blockhalden, die für die Kaltluftströme am Fuß von Blockhalden verantwortlich sind. Dass es am Fuß dieser Blockhalde sehr kühl ist, wird auch durch den Fund eines Käfers deutlich, dessen Verwandtschaft in Schneetälchen der Alpen zuhause ist. Der Präger Dammläufer (Nebria praegensis), wie das neu entdeckte Tier benannt wurde, ist ein Relikt der Eiszeiten und hat sich im Laufe der langanhaltenden Isolation zu einer eigenen Art entwickelt." (Quelle)

Der ältere Herr zeigt mir den mittleren, verlandeten See und nimmt dann auf einer Bank am letzten See Platz, wo wir uns verabschieden. Nach dem Wegbogen gehe ich direkt zurück zur Dorfmitte und von dort durch den Eulenbachweg südwestlich ein Stück das gleichnamige Tal hoch, auch dieses wurde durch einen der sechs Gletscher geformt. Hier beginnt der "Weidelehrpfad", dem ich nun bergan folge. Rund um Präg gibt es immer noch die Bewirtschaftung auf sog. Allmende-Weiden:

"Neben der natürlichen Entstehungsgeschichte spielt auch die kulturräumliche Nutzung im Präger Kessel eine wichtige Rolle. Jahrhundertelang wurde ein großer Teil der Gemarkung von allen Bürgern gemeinsam als 'Gemeine Weide"'genutzt. Die Flächen waren im Besitz der Gesamtheit aller Dorfbewohner. Diese Form von Gemeinbesitz und Gemeinnutzung geht auf alte germanische Rechtsordnung zurück. Seit dem 12. Jahrhundert werden die gemeinschaftlich genutzten Weide- und Waldflächen als 'Allmende' (was allen gemein ist) bezeichnet. Vielerorts wurde die 'Gemeine Weide' in der Vergangenheit in Privateigentum aufgeteilt. Im südlichen Schwarzwald, im Alpenraum und auf Gotland (Schweden) lebt jedoch die mittelalterliche 'Gemeine Weide' in Form der heutigen Allmendweiden fort. Diese Form der aktiven Landschaftspflege hat dazu geführt, dass Allmendweiden hauptsächlich aus Grasland bestehen, ergänzt von großen Einzelbäumen, wie den markanten Weidbuchen, Gehölzgruppen sowie Gesteinshalden und Felsen. Man nennt sie daher auch 'Wildes Feld', das durch Gesteinsmauern vom 'Zahmen Feld' im Tal getrennt war. Die Allmendweiden faszinieren durch ihre einzigartige, teils mit Relikten aus der Eiszeit durchsetzte Flora und Fauna einschließlich seltenster Pflanzenarten. Typische Pflanzen sind Arnika, Flügelginster, Silberdistel, in den höchsten Lagen auch Schweizer Löwenzahn. im 20. Jh. tendenziell übernutzt und von Erosion bedroht, führte der dann folgenden Rückgang des Viehbestandes zur Verbuschung der Weiden. Heute jedoch arbeiten Ziegen und die im Schwarzwald schon immer gerne eingesetzten Hinterwälder Rinder wieder dem Verschwinden dieser Kulturlandschaft entgegen und erhalten diesen besonderen Lebensraum." (Quelle)

Interessant in diesem Zusammenhang finde ich die erst durch die Weidewirtschaft entstandene Artenvielfalt in Flora und Fauna, auf den ersten Blick sozusagen "paradoxerweise" entstanden: meist führt der Eingriff des Menschen ja in die entgegengesetzte Richtung. Ein ähnlich positives kultugeschichtliches Beispiel ist die Beweidung der Grinden-Hochflächen im Nordschwarzwald. 

Zufälligerweise bin ich in der Hauptblütezeit des erwähnten Flügelginsters unterwegs und staune über die gelb leuchtenden Weideflächen. Den ganzen Pfad entlang hat man herrliche Blicke über den Gletschkessel und seine Topographie. Zwischendurch komme ich an einem Aussichtspunkt mit Schutzhütte vorbei, an der man gegen einen Obulus auch leckere Spiritousen von hiesigen Brennern probieren kann. Weiter oben begegne ich auf einer Weide ein paar neugierigen Rindern, die mir aufmerksam hinterherschauen. Noch weiter oben dann an den Häusern des hochgelegenen Herrenschwand vorbei und hinter dem Ort in den Wald hinein und rüber zur Passhöhe Weißenbach-Sattel, an der es auch eine Einkehrmöglichkeit gäbe. Vesper habe ich jedoch eingepackt und nach erneutem Queren der Straße geht es nun gut beschildert hoch zu meinem Berg-Etappenziel mit dem passenden Namen Hochkopf (1263 m). Kurz habe ich noch einen südlichen Blick in das Tal von Todtmoos, dann geht es durch Wald bergan bis zum höchsten Punkt des Hochkopfs, auf dem ein schöner schindelgedeckter Aussichtsturm steht und mir wunderbare Fernblicke beschert. Nicht so wunderbar finde ich, dass die Sonne nun verschwunden ist und Regenwolken hereingezogen sind. Donnergrollen ist aus dem Westen zu vernehmen. Drüben über Herrenschwand ist der Himmel schon vergraut von Regenschleiern und kurz danach fängt es auch am Hochkopf ordentlich an zu regnen. Ich war gerade schon dabei, aufzubrechen aber jetzt verlängere ich meine Pause am Fuß schützenden Turm. Ein Pärchen aus den Niederlanden gesellt sich dazu und wir unterhalten uns nett. Der Donnergrollen verstummt bald wieder, sonst hätten wir uns besser einen anderen Ort als den Blitzschlag gefährdeten Turm suchen müssen.

Der Regen lässt schliesslich etwas nach und ich mache mich mit Regenjacke auf, entlang des Hochkopf-Wegs auf schmalem Pfad nach Osten. Bald wird der Regen aber wieder heftiger .. und ich Depp hab die Regenhose nicht dabei. Am Technik-Häuschen eines Sendemasts stelle ich mich erneut unter. Hier treffe ich auf ein Mountainbiker-Pärchen aus der Nähe. Gemeinsam hält man's aus. Nochmals scheinen die Regentropfen weniger zu werden und wieder mach ich mich auf den Weg. Aber schon nach ein paar hundert Metern prasselt es erneut heftig aus dem dunklen Himmel. Herrjeeeh ... Ich entschiede mich für eine weitere Pause mit der Pfadfinder-Maßnahme "Dicht-Am-Baum-Stehen", denn da ist es re-la-tiv am trockensten. So bleibe ich bestimmt eine halbe Stunde in die Äste einer jungen Buche eingefädelt stehen und versuche mich, in Geduld zu üben. Ich bin dermassen gut getarnt, dass eine regennass vorbeikommende Wandergruppe mich aus drei Metern Entfernung nicht bemerkt ;-) Ein Männlein steht im Walde ...

Ich glaube, etwas Aufhellung im Licht zu sehen und starte erneut. Und jep, diesmal hört der Regen endgültig auf, es gibt sogar kurzes Sonnen-Glitzern. Weiter auf dem sehr schön geführten Waldpfad enlang des Rückens vom Hochkopf, hinüber zum Ledertschobenstein (1205 m). Dort an einer Wegkreuzung hängt skurrilerweise (offenbar seit Jahr und Tag) eine Lederjacke ("Ledertschobe") zusammen mit einem Stein an einem Baum. An dieser Kreuzung lohnt sich übrigens ein 100-Meter-Abstecher auf dem Pfad nach links/Westen zum P. 1212 mit etwas zugewachsener, aber doch schöner Aussicht. Ich staune hier über das Verschiebe-Spiel zwischen schweren Regenwolken und einiger von der einsetzenden Thermik schnell durchs Bild geschobenen Wolkenfetzen. Wolkensuppe, frisch zubereitet im Gletscherkessel.

Am Hirzenboden (1231 m) und Westhang des Hohen Zinkens (1242 m) entlang nun bergab zum Schweinebächle, das am Südhang des Schweinekopfs (1285 m, nicht zu verwechseln mit dem Schweinkopf im Nordschwarzwald) meinen Pfad kreuzt. Dass diese schweinischen Namen gar nix mit dem Tier zu tun haben, sondern mit dem althochdeutschen Begriff "Sweini" (für Rodungsarbeiten), das hat Kollege alpstein für seinen Tourenbericht auf ähnlicher Route herausrecherchiert. Ich steige hier durch die eben erwähnten Wolken, die sich im Waldhang festgesetzt haben. Weiter unten dann noch ein kurzes Forstweg-Zickzack und schliesslich gehe ich auf dem "Unteren Schweineweg" entlang des Waldrands mit schönen Blicken zum Gletscherkessel und auf Präg. Hier begegnet mir erneut der Flügelginster, der die Matten wunderbar, teils teppichartig, gelb verzaubert. Die wellige Form der Weideflächen resultiert aus dem hiesigen Gletschergeschiebe, es sind Moränenwälle. Seltsam anzusehen auch die Inseln aus Felsbrocken in den Weiden, sie sind ebenfalls Überbleibsel aus der Eiszeit.

Ich übersehe die Abzweigung des Pfads Richtung Talboden/Dorf und laufe in einen aufgelassenen Wirtschaftsweg. Ein schöner Verhauer, wie sich herausstellt: ich entdecke seltsam gewachsene "Bonsai-Fichten", wild überwucherte Felsflanken und sehe im Steilhang unterhalb eine ganze Gemsen-Familie geschwind und geschickt durch die Bäume vor mir fliehen. Die Wuchsform der Mini-Fichten ist Resultat des beständigen Abknabberns der jungen Fichtentriebe durch ebendiese Gemsen, so erfahre ich später beim Googeln. Gemsen wurden in den 30er Jahren rund um Feldberg und dem nahen Herzogenhorn ausgewildert. Im Naturschutzgebiet des Gletschkessels Präg fühlen sie sich offenbar sehr wohl. 

Zurück zur Weggabelung und nun auf korrektem Weg den Pfad herunter Richtung Prägbach (hier Infotafeln zu Flora und Fauna). Unten laufe ich nicht den direkten Weg ins Dorf, sondern auf einem verwunschenen Pfad einmal um den Ellbogen (778 m) herum, einem seltsam übriggebliebene Mini-Berg aus präglazialen Zeiten, mitten im Talkessel. Er zwang den größten der Gletscher, den Prägbach-Gletscher, zum Umlenken und machte dadurch die "Kollision" mit den restlichen Gletschern umso dramatischer. Daraus resultierte viel Geschiebe und Gemenge, u.a. eine aufgeschichtete Schotter-Terrasse, auf dem das Dorf Präg heute steht. Der Ellbogen wird vom rauschenden Prägbach auf drei Seiten umflossen und ihm folgt der kleine Pfad. An einem Pferdegatter folge ich schliesslich dem Abzweig runter zu einer Brücke über den Bach und gehe am Rande der erwähnten (natürlich längst überwachsenen) aufgeschobenen Schotterterrasse wieder hoch zum Dorfplatz, wo mein Wagen auf mich wartet.

Fazit: eine meiner schönsten Touren bisher im Schwarzwald. Aber wie soll solch ein geologisch besonderer Ort auch langweilig sein. Viel gelernt habe ich unterwegs: über Erdgeschichte, gemeinnützig-solidarische Weidewirtschaft, Fauna und Flora. Die durch den Gewitterregen erzwungene Pause hat nicht wirklich geschmerzt, als vielmehr zu eindrucksvollen Impressionen danach geführt. Diese Tour ist ausserdem ein perfekte Ergänzung zu meiner hier vorgestellten anderen Wanderung im Gletscherkessel Präg.
 

Tourengänger: Schubi
Communities: Photographie


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Kommentare (2)


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alpstein hat gesagt:
Gesendet am 27. Februar 2020 um 09:01
Hallo Frank,

ein sehr schöner und informativer Bericht, mit welchem ich mein Wissen über den Präger Gletscherkessel weiter abrunden konnte. Die schönen Farben hatten wir bei unserem Novemberbesuch leider nicht. Ein Grund, im Frühling noch einmal in die Region zu gehen.

Beste Grüße
Hanspeter

Schubi hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. Februar 2020 um 09:15
Morgen Hanspeter.

Merci für dein Lob! Jo, solch besondere Ecken verdienen natürlich einen zweiten Besuch!

Schönen Gruß, Frank


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