Es gibt Tage, da läuft es wie am Stüdlgrat


Publiziert von Paco , 1. Dezember 2019 um 22:19.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Glocknergruppe
Tour Datum:31 März 2019
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Klettersteig Schwierigkeit: K2 (WS)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   A-T   A-K 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1900 m

„Johann Stüdl war maßgeblich an der touristischen Erschließung der Glockner- und Venedigergruppe in den Ostalpen beteiligt. Als er mit seinem Bruder Franz 1867 erstmals nach Kals am Großglockner kam, um von dort den höchsten Berg Österreichs zu besteigen, wurde er darauf aufmerksam, dass die Kalser einen Geldgeber für ihr Vorhaben suchten, eine neue Route auf den Großglockner über den Südwestgrat zu erschließen. Stüdl investierte nicht nur in die Errichtung einer Steiganlage mit Eisenstiften und Seilen, sondern finanzierte 1868 auch den Bau der nach ihm benannten Stüdlhütte am Fuß des Südwestgrates, die erste Schutzhütte in den Zentralen Ostalpen überhaupt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich für den Südwestgrat zu Ehren Stüdls die bis heute gebräuchliche Bezeichnung Stüdlgrat durch.“ [Quelle: Wikipedia]

Es war ein Wiedersehen mit dem höchsten Berg Österreichs. Im Juni 2017 war ich mit meinem Freund Joan, aus dem Herzen Kataloniens, auf meiner ersten Hochtour unterwegs. Den Großglockner über den Normalweg hatten wir uns vorgenommen. Stützpunkt war die damals noch nicht bewirtschaftete Erzherzog Johann Hütte, kurz Adlersruhe auf 3454 m…

Eineinhalb Jahre später die Rückkehr nach Kals. Diesmal auf Ski, der Stützpunkt die Stüdlhütte, das Gepäck um Kletterausrüstung bereichert und mit Bernd als Seilpartner.
Den Stüdlgrat haben wir uns vorgenommen. Lange stand er schon auf der Wunschtourenliste, doch der Respekt vor den Schwierigkeiten dieser hochalpinen Unternehmung und den Erfahrungen am Hintergrat ließen uns zögern.
Die Wettervorhersage bescheinigte perfekte Bedingungen und unser Gefühl war zuversichtlich, dass wir fit sind für diese große Tour.
Der Plan? Aufstieg am Samstag auf ca. 3300m, dort die Ski und Skischuhe unterhalb der Adlersruhe deponieren. Dann mit Bergschuhen zur Luisenscharte, dort noch den Einstieg inspizieren, alles auf uns wirken lassen und zurück zur Stüdlhütte. Sonntag dann sehr früh los, um den Grat unter die Steigeisenzacken nehmen.

Die Hütte war bewirtschaftet und wartete mit einem Buffet per excellence auf. Von allem Genug bis nichts mehr reingeht. Es war die Henkersmahlzeit. Die Energie werden wir am nächsten Tag brauchen. Die Nachtruhe im Matratzenlager wollte sich nicht so recht einstellen, doch irgendwann gingen die Lichter im Zimmer und auch bei uns aus. Einen Platz in der Hütte zu bekommen war bis zuletzt ein Bangen und Zittern, bis ein Anruf beim Chef die erlösende Nachricht brachte, dass wir heute nicht draußen nächtigen müssen. Also bitte liebe Hikr-Gemeinde, rechtzeitig reservieren ;-) !!

Eine gefühlte halbe Stunde nach dem Einschlafen klingelte schon wieder der Wecker. Zehn vor Fünf. Wie kann das sein? Es war die Nacht der Zeitumstellung und uns wurde eine Stunde geklaut. Das Abendessen lag noch schwer im Magen, wir haben uns aber ein ausgiebiges Frühstück verordnet. Wieder Buffet, wieder bis zum Anschlag. Der Bauchnabel stülpte sich nach außen. Herrlich wenn man bedenkt, was man nicht hier hoch schleppen musste und man sonst nur Haferbrei und Zuppa di Quattro Formaggi in Winterräumen gewohnt ist.

6:30 Uhr starteten wir in Richtung Luisenscharte, dem Einstieg auf den Grat. Die Morgenstimmung war grandios und das Farbenspiel des Sonnenaufgangs unbeschreiblich schön. Der Weg führt über das zerfurchte Teischnitzkees, welches aufgrund der meterhohen Schneedecke ganz harmlos erscheint. Nach etwa eineinhalb Stunden kommen wir zur Scharte. Die ersten 300 hm gingen wir am gleitenden Seil –es gibt Bergsteiger, die nennen es ‚laufendes Seil‘- [Als könne ein Seil laufen, Anm. des Autors]. Das Gelände war nicht schwierig und hin und wieder mit Eisenstangen gesichert. Immer auf der Schattenseite (westlich) der Gratschneide, sodass mein Trinkschlauch einfror. Also hieß es der Sonne entgegen und nach ca. 1 Stunde erreichten wir den sogenannten Frühstücksplatz auf 3550m. Bereits hundert Meter über der Adlersruhe! Wir nutzten die Rast um dem Namen alle Ehre zu machen und etwas zu frühstücken. So recht wollte ich nichts essen, da das Mahl in der Stüdlhütte so üppig war. Aber man weiß ja nie wofür es gut ist und das Pflichtbewusstsein trieb mir weitere Kalorien in die hohle Birne. Trinken konnte ich noch immer nichts, da der Eispfropfen im Trinkschlauch sich noch nicht so recht verflüssigen wollte.

Von hier aus sind es eigentlich nur noch 250 hm zum Gipfel, aber jetzt beginnen erst die Schwierigkeiten. Ab sofort galt es von Standplatz zu Standplatz zu sichern, da wir uns in sehr exponiertem Gelände bewegen. Der Fels wechselte sich mit Schnee und Eis ab, mal mehr mal weniger luftig. Aber egal wo man ausrutschen könnte, viel Überlebenswahrscheinlichkeit gibt es da nicht. Seilsicherung ist dringend anzuraten, wobei es auch immer wieder free-solo Aspiranten gibt.
Wir verkürzten das Seil auf ca. 35m, was sich als gutes Maß herausstellte, da durch die verwinkelte Routenführung die Seilreibung sonst zu groß gewesen wäre. Seillänge um Seillänge arbeiten wir uns nach oben, lange Passagen auch ohne Höhengewinn. Aber das Gipfelkreuz rückte immer näher. Es war ziemlich viel los am Gipfel.

Die Stüdlhütte fasst 122 Gäste und in der Adlersruhe waren bestimmt wieder ein paar knüppelharte Jungs und Mädels aus den osteuropäischen Gefilden über Nacht, die auch das unbeheizte Notlager nicht abschreckt. Dort passen regulär 4 Personen rein. Damals bei der Tour mit Joan waren wir 21 Personen drinnen und noch ein paar draußen in Zelten. Die drinnen mussten fast senkrecht von der Decke hängend schlafen, so eng war das. Aber zurück zum Wesentlichen:

Es schadete also nicht etwas später am Gipfel zu sein, um der Rush-Hour aus dem Weg zu gehen. Der Glockner wartet an Sommertagen mit bis zu 500 (!) Begehungen auf. Verglichen damit, heute relativ wenig los. Darüber hinaus waren wir die einzige Seilschaft auf dem Stüdlgrat an diesem Tag, was das Erlebnis maximierte. Auf dem Weg zum Dach Österreichs sind einige Schlüsselstellen mit Drahtseilen entschärft, die seit Stüdls Zeiten gewiss eine Erneuerung erfuhren. Wir griffen beherzt zu, da diese Stellen gut 600m Luft unter den Sohlen boten. Das Gipfelkreuz war schon sehr nah und wir konnten auch die Stimmen hören, aber die Tour wollte nicht enden. Wir schauten auf die Uhr. 12 Uhr.
Mittagszeit. Von Hunger keine Spur. Das Wasser floss auch wieder durch den Schlauch und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Sicht bis zum Horizont. Kein Grund zur Eile also.
Aber lange konnte es nicht mehr dauern. Eine Schlüsselstelle noch über einen abdrängenden Fels und dann in leichtem Gelände bis zum Gipfel. Trotz der inzwischen guten Hydration merke ich die Höhe deutlich. Ich konnte kaum ein paar Schritte gehen ohne gleich wieder anzuhalten. Bernd tänzelte mit langem Atem, wie ein Hochseilartist über den Grat. Ihm war nichts anzumerken. Wahrscheinlich beschäftigte sich mein Körper gerade intensiv mit Abendessen und Frühstück. Naja, ein leichter Kopfschmerz und Schwindelgefühl machten sich bemerkbar. Nach jeweils 5 Schritten musste ich kurz inne halten, danach ging es weiter.

Endlich konnten wir den Weiterweg sehen und bereiteten uns auf die finale Seillänge vor. Noch einmal tief durchatmen, einen Schluck trinken und kurz nach 13 Uhr erreichten wir den Gipfel. Bernd und ich waren überglücklich. Weit und breit kein höherer Berg. Erst 175 km weiter baut sich der Gran Zebrù um 53m höher auf. Wir genießen die Rundumsicht.

Der Magen knurrt. Der Magen knurrt? Ja, jetzt knurrt der Magen. Scheinbar sind die Köstlichkeiten des Buffets verarbeitet. Da auf dem Gipfel erst die Hälfte geschafft ist, wollten wir gleich weitergehen und erst pausieren, wenn wir wieder sicheren Boden unter den Füßen haben. Also machen wir uns an den Abstieg über den Normalweg. Erinnerungen an 2017 kamen auf. Vom Großglockner in die Glocknerscharte, wo die Pallavicinirinne heraufzieht. Über diese Scharte müssen alle gehen, die zum Glockner wollen. Auf einem hüftbreiten Firngrat 5 Schritte bis zu anderen Seite, dem Kleinglockner. Zu diesem wieder 30m hinauf und dann sehr exponiert auf dem Rücken zum sogenannten Bahnhof. Danach das 40° steile Glocknerleitl abwärts und von dort über das Kleinglocknerkees zur Adlersruhe. Bei guten Bedingungen dauert der Abstieg zu Hütte ca. eine Stunde, bei schlechter Sicht und Sturm kann es schnell um Leben und Tod gehen, wie zahlreiche Dramen am Glockner bescheinigen.

An der Adlersruhe machen wir eine ausgiebige Brotzeit. Was jetzt folgte, war nur noch Genuss. 150hm abwärts dem oberen Mürztalersteig folgend, warteten unsere Skier auf uns. Kaum waren die Latten an den Füßen, brausten wir dem Tal entgegen. Ich erinnere mich noch an den schmerzhaften 5-stündigen Kniekiller-Abstieg mit Joan. Diesmal per Express, mit kurzer Zwischenstation an der Stüdlhütte, denn wir hatten noch ein Rendezvous mit einem alkoholfreien Weißbier. Und dann genussvoll durch den Firn nach unten. Okay... in den sonnenbeschienenen Flanken glich es eher Wasserski, aber diesmal waren wir in 45 min unten und mit jeder Menge Spaß.

Es war ein tolles Wiedersehen mit diesem wunderschönen Berg und mit Sicherheit wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Der Südwestgrat ist eine wunderbare Tour und Bernd und ich sind froh, dass diesmal alles funktionierte wie geplant...
Denn Kenner des chiemgauer Matterhorns wissen: "Es gibt Tage, da läuft es wie am Stüdlgrat."

Großglockner. 30./31. März 2019


Tourengänger: Paco


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