Grossartige Bergfahrt über den Heimstock 3101m


Publiziert von Bergamotte , 17. Juli 2018 um 18:12.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Surselva
Tour Datum:12 Juli 2018
Hochtouren Schwierigkeit: ZS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GL   CH-GR   CH-UR   Claridengruppe 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 1480 m
Abstieg: 2020 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Taxi Furger od. Fahrbewilligung Gemeinde Sumvitg (7.-)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Taxi Zimmermann ab Hinter Sand
Unterkunftmöglichkeiten:Planurahütte / Camogna Cugn im Val Russein (kann auf Anfrage gemietet werden)
Kartennummer:1193 Tödi

Der Heimstock vereint so ziemlich alles, was ich in den Bergen suche: Abgelegenheit, Einsamkeit, wildes Gelände, grossartige Panoramen. Trotzdem habe ich seine Begehung Jahre vor mir hergeschoben. Der Grund ist simpel: Ich habe mich nicht an die Normalroute ab Planurahütte getraut. Der Grat ab Piz Cazarauls soll brüchig und ausgesetzt sein, Absicherung kaum möglich. Aber genau wusste ich das nicht, denn Infos zu diesem Berg sind spärlich gesät.

Erst kürzlich wurde mir bewusst, dass sich der Gipfel aus der Surselva (genauer dem Val Russein) weit gutmütiger besteigen lässt als von der Glarner Seite. Die Route der Erstbegeher über den Westgrat geht sogar als gehobene Alpinwanderung durch. Und auch am Südgrat und in der Südostflanke sind interessante Varianten möglich. Aber als Königstour gilt natürlich die Fortsetzung über den brüchigen Nordostgrat zum Piz Cazarauls. Da ich bei Schwierigkeiten jederzeit in die Surselva hätte zurückkehren können, stand einem Versuch somit nichts im Weg.


Nach einer recht milden Nacht - wie üblich ohne viel Schlaf - pelle ich mich um halb sechs aus dem Biwaksack vor der Alphütte unweit vom Melkstand P. 1843. Hier, zuhinterst im engen Val Russein, braucht man sich keine Gedanken machen um verpasste Sonnenaufgänge... Die Älpler sind um diese Zeit bereits mit dem Vieh beschäftigt. Aufbruch um 6:15 nach Kaffee und einem passablen Beutelfrühstück. Für einmal brauche ich mir um die Wasservorräte keine Sorgen machen, davon gibt's im Val Russein reichlich.

Auch ohne meine Reko-Tour auf den Cuolm Tgietschen am *Vortag wäre die Routenfindung auf der ganzen Tour kein Problem gewesen. Die Schwierigkeiten liegen anderswo: in der absoluten Einsamkeit / Abgeschiedenheit (kaum Handyempfang) und dem brüchigen Fels. Zunächst geht es simpel das Val Pintga da Russein hinauf, wo ich zum x-ten Mal diese Saison auf Munitionsschrott treffe. Es liegen noch grössere Schneefelder, welche bei Bedarf umgangen werden können. Das gilt selbst für den etwas steileren Schlussaufschwung in die Fuorcla Val Pintga (2825m). Früher in der Saison möchte ich hier aber nicht ohne Eisen hoch.

Oben auf dem Grat öffnet sich der grandiose Blick über den Hüfifirn. Kurze Pause zum Verschnaufen und Geniessen. Übrigens, wer vom Gletscher zum Grat aufsteigt (eine empfehlenswerte Rundtour ab Planurahütte), tut das nicht im tiefsten Punkt, sondern etwas weiter nördlich, wo der Firn bis ganz oben reicht (vor Ort und auf LK offensichtlich). Die Westflanke am Heimstock macht selbst aus der Distanz einen gutmütigen Eindruck. Den Routenbeschrieb im Führer ignoriert man am besten, mich hat er nur verwirrt. Eigentlich ist alles ganz simpel: Man verbleibt wo immer möglich auf dem Gratrücken. Nötige Umgehungen sind ganz kurz und vor Ort offensichtlich (kleine Felstürme od. Platten). Ab dort, wo das Gelände plötzlich aufsteilt (kleiner Kessel), sind kleinräumig viele Varianten möglich. Die Felsqualität ist ganz leidlich - besser man gewöhnt sich nicht daran. Viel zu schnell findet der genussvolle, breite Westgrat auf dem Heimstock (3101m) sein Ende: T5+ / WS-.

So pathetisch es klingen mag, aber wie ich hier oben auf dem Gipfel sitze (nach Jahren des Wartens), glaube ich absolutes Glück zu empfinden. Wobei das milde Sommerwetter und der Rundumblick auf die Hüfiarena mit Piz Cambrialas, Gross Düssi, Schärhorn, Clariden und Tödi ihren Teil dazu beitragen. Dass die Euphorie nicht überbordet, dafür sorgt der Blick über den Nordostgrat Richtung Piz Cazarauls. Die Schlüsselstelle ist bereits von hier nicht zu übersehen. Doch schon im folgenden Abstieg in die Scharte P. 2999 wird es wider Erwarten ungemütlich. Tatsächlich stehe ich plötzlich vor einem fast senkrechten Abbruch (mind. III). Oben hängt eine improvisierte Schlinge. Ich probiere zuerst etwas rum, aber bald obsiegt die Vernunft, selbst im Aufstieg wäre das heikel geworden. Ich steige etwas zurück und umgehe die Stelle nordseitig über Gletscherschliff und den Windkolk (T6). Einfachere Varianten wären möglich gewesen, aber hierfür hätte ich die Steigeisen anziehen müssen. Die Umgehung dürfte mit zunehmender Ausaperung anspruchsvoll werden. Anschliessend einfach in den tiefsten Punkt.

Hier stehe ich nun direkt zu Füssen der Schlüsselstelle, einem zweistufigen, extrem brüchigen Aufschwung. Die erste, kurze Stufe erklettere ich direkt. In der zweiten Stufe weiche ich zunächst in eine kleine Verschneidung nach links aus, quere zurück nach rechts, dann wiederum direkt hoch. Wer am Leben hängt, der prüfe jeden Stein, hier hält absolut gar nichts. In umgekehrter Richtung wäre für mich dieser Aufschwung nicht zu verantworten. Die gute Nachricht: Zuoberst hängt ein kleiner Abseilring (am besten 50m Seil).

Es folgen nochmals zwei heiklere, aber kurze Aufschwünge. An zwei Stellen stecken (m.E. wenig hilfreiche) Schlaghaken. Mit Schlingen kann man in diesem Gelände übrigens absolut nichts anfangen. Die Hauptschwierigkeiten sind geschafft, aber die Konzentration bleibt hoch, denn links und rechts geht es doch bedrohlich runter (WS+ / T6). Kurze Stellen absolviere ich zur Sicherheit auf dem Hosenboden... Der Schlussaufschwung zum Piz Cazarauls (3063m) ist dann gutmütiges Kraxelgelände. Hinsetzen, durchatmen, Freude, Stolz. Anschliessend über den breiten Rücken runter zur Planurahütte SAC (2947m), wo ich mich ausgiebig verpflege. Es gibt wohl nur wenige Hütten in der Schweiz, die bezüglich Lage und Panorama mit diesem Kleinod mithalten können. Für die Hüttenwartin, wie eh und je ein Ausbund an Charme und Lebensfreude, trifft dies weniger zu... Später werden noch ein paar Herren aus der lokalen Baubranche eingeflogen, die eine erfolgreiche Submission feiern. Ansonsten bin ich der einzige Gast.

Der Abstieg ins Glarnerland zieht sich, ist landschaftlich aber äusserst reizvoll. Übrigens, offiziell ist der Weg zwischen Ober Sand und Hinter Sand (1299m) nach wie vor gesperrt wegen Murgang- und Steinschlaggefahr - Begehung auf eigene Gefahr. Die Alternativroute über die Fridolinshütte ergäbe doch einen rechten Umweg; den schenke ich mir. Unten gönne ich mir das Alpentaxi zum Bahnhof in Linthal, welches ich auf der Hütte vorbestellt hatte.

Zeiten
2:50  Heimstock
1:15  Piz Cazarauls
2:30  Hinter Sand

Tourengänger: Bergamotte


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