Brienzergrat, to T5 or not to T5
Höchster Punkt: 2350m
Höhenmeter: +1300m, -2300m
Laufzeit laut Wegweisern: ?
Reine Laufzeit: ca. 6h20 (schnell)
Distanz: 22.5km
Zeiten (wenige Pausen):
- Brienzer Rothorn 10:00
- Tannhorn 12:00
- Allgäuwlicke 12:50
- Augstmatthorn 14:45
- Harderkulm 17:00
Wenn du den Brienzergrat einmal gesehen hast, geht er dir so leicht nicht mehr aus dem Kopf. Trotzdem brauchte ich fast zehn Jahre, um mich doch endlich aufzumachen, seinem Ruf zu folgen. Mit T5 ist er in einem Schwierigkeitsgrad bewertet, dem ich bisher aus dem Weg gegangen bin, und die scharfen Graskanten aus der Ferne betrachtet liessen mich schon auch die Vorfreude mit etwas Schaudern mischen. Natürlich sind die meisten Stellen dann aus der Nähe einiges weniger tragisch als von fern, aber trotzdem empfand ich die erste Hälfte dieser Wanderung als mental anstrengend, denn abschüssig ist es da häufig. Insgesamt für mich einen Schluck schwieriger als die T4 Wanderungen, die ich bisher gemacht habe, deshalb scheint T5 berechtigt.
Nach kurzem Übermutsausflug auf den Schöngütsch kriegte ich schon mal die ersten Grenzen aufgezeigt und musste etwas zurücklaufen, um den richtigen Weg zu finden. Beim Lattgässli hatten die einzigen Steinböcke, die ich an diesem sehr sonnigen Tag zu Gesicht kriegte, schattige Zuflucht gefunden. Über den Chruterepass und Briefegrätli, aufs Briefehörnli mit der vorgelagerten Burg, Wannepass und Balmi, spätestens jetzt war's vorbei mit Gipfeln zählen. Der schmale Pfad führt häufig 1-2 Meter links unter dem Grat entlang, was die Ausgesetztheit etwas abschwächt, aber ganz entspannt läuft es sich nur selten.
Beim Tannhorn war ich auf die oft beschriebene Schlüsselstelle gespannt, und kratzte mir davor die Erde aus dem Schuhprofil, welche meine Schuhe recht rutschig gemacht hatte. Bei nasser Witterung würde ich die Wanderung nicht unternehmen. Die mit einem schlaffen Schnürsenkelstahlseilchen "gesicherte" T5-Stelle, die man südseitig vom Grad passiert, muss man sich zwar etwas festhalten, aber ich empfand dies als deutlich weniger schwierig als die direkt darauf folgende Gratpassage, bei der die Steilheit links und rechts so gross ist, dass ein Fehltritt wahrscheinlich der letzte wäre.
Auf dem Tannhorn verweilte ich nicht lange, auch weil dies schon andere taten. Allgemein waren einige Leute unterwegs, aber es auf die Länge verteilt sich das dann doch ziemlich gut. Ein etwa 50jähriger Norddeutscher (aus der Nähe von Kiel, wie er betonte) kam mir entgegen und fand es tröstlich, dass er nur noch etwa dreieinhalb Stunden bis zum Rothorn vor sich hatte. Er war schon um sieben auf dem Augstmatthorn gewesen, und entsprechend früh in Habkern gestartet. Ich überlegte mir kurz, ob der umgekehrte Weg mit weniger Abstieg als Aufstieg vielleicht die bessere Variante wäre, aber kam zum Schluss, dass es doch angenehmer war, mir die grösseren Schwierigkeiten zu Beginn vorzuknöpfen.
Die letzte Stelle, die mir noch einmal etwas Adrenalin bescherte war der Abstieg vom Allgäuwhoren zur Allgäuwlicka. Danach ist es zwar immer noch häufig steil, etwa rauf aufs Schnierenhireli, aber für mein Gefühl nicht mehr wirklich ausgesetzt - kann aber auch an der mentalen Abstumpfung gelegen haben.
Sobald es aufwärts ging fühlte ich mich stets gut, abwärts schmerzten teilweise doch bereits die Knie etwas. Entsprechend genoss ich den Aufstieg zum Augstmatthorn, da hat man endlich das Gefühl, ein paar Meter zu steigen ohne dass es gleich wieder runter geht.
Vom Augstmatthorn an finden sich dann auch noch einmal deutlich mehr Leute, und sobald der Weg unterhalb vom Hardergrat/Tritt in den Wald führt, vermisst man die Grataussicht. Die Wanderzeit von 2h30 für Augstmatthorn - Harderkulm ist meiner Ansicht nach zu kurz angegeben. Mit einem Tempo, bei dem ich normalerweise mindestens einen Drittel auf die angebene Zeit einspare war ich 2h10 unterwegs, bevor ich auf der von Touristen und Sonne überfluteten Restaurant-Terrasse stand.
Zu Hause angekommen las ich, dass nur 5 Tage zuvor ein 61jähriger Wanderer am Briefengrat tödlich verunglückt ist. Da ist es irgendwo klar, denkt man auch über den Sinn des eingegangenen Risikos nach... Einerseits möchte ich die Erfahrung des Brienzergrats bestimmt nicht missen. Zu eindrücklich war sie dafür, und während in diesem Schwierigkeitsgrad für mich viel Konzentration gefordert ist, kommt auf der positiven Seite mehr Adrenalin zurück. Andererseits ist für einen Typen, der mehr Entspannung und sportliche Betätigung sucht als die Aufregung, dies nicht unbedingt das Ziel. Ich denke wer von der Allgäuwlicka zum Augstmatthorn läuft, hat auch schon einen Grossteil der Schönheit des Brienzergrats erlebt, und war weniger ausgesetzt. Wie dem auch sei... jetzt denke ich ständig an den Niesengrat :/.

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