Erkundung der Waxensteingruppe von Norden: Abenteuerlicher Durchstieg der Mittagsschlucht


Publiziert von alpensucht , 10. August 2016 um 16:19.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum: 3 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 7:45
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Waxensteinhütte-Mittagschlucht-Scharte-Normalweg Gr. Waxentein-Höllentalanger-Hammersbach-Waxensteinhütte

Markant und schroff sticht der Waxensteinkamm von Garmisch-Partenkirchen nordwestlich vor der Zugspitze aus der Silhouette. Steilheit und Wildheit prägen das Massiv und lassen es durch seine bleichen Wände und Kanten interessant für Kletterer werden. Von Norden zieht von der Scharte zwischen Vorderem Waxenstein und Zwölferturm die Mittagsschlucht herab, auslaufend in die große Mittagreis'n. Wenige 100m östlich dieser Schuttrinne liegt die Waxensteinhütte (eigentlich nur exklusiv für Mitglieder der Sektion München-Oberland!) schön verborgen im Wald.

Seit zwei Tagen wollen wir schon Alpinklettern im Wetterstein, doch wird Jonas erst krank, dann kommt noch etwas dazwischen, so dass wir uns nun erst an diesem schönen, warmen Mittwoch treffen werden. Am Vortag bin ich nach vergessenen Stöcken in Garmisch und einigen Verhauern (es gibt keine Wegweiser zur Hütte!) auf die Waxensteinhütte gelaufen. Dort sagte man mir am Telefon, es sei noch einer von 6 Schlafplätzen frei. Bei der abendlichen Ankunft finde ich eine Familie mit drei kleinen Kindern vor, die hier ihren Urlaub verbringt.

Zustieg    T4, I,  45min
Um 6:40 Uhr beginne ich mein voraussichtlich abenteuerliches Unternehmen. Mit Jonas bleibe ich ständig in Kontakt, weil er den AVF besitzt und mir wertvolle Infos zu möglichen Routen mitteilt. Die Schlucht soll "nur" II sein, so kann ich es sicher solo angehen, doch wird das Finden der besten Route kein leichtes Spiel. In der Karte sind von der Scharte aus Wegspuren hinüber zum Normalweg auf den Großen Waxenstein eingezeichnet. Außerdem erinnere ich mich an verschiedene wilde Berichte bei Hikr, wie z.B. die Überschreitung von algi.
Ich folge dem Hüttenzugangsweg nach Osten bis zur Mittagreis'n und dieser dann aufwärts in unschwierigem Gelände. Es ist ratsam regelmäßig innezuhalten und den am wenigsten mühsamen Weg über festere Felsblöcke oder jeweils an einer der beiden bewachsenen Rändern der Reise auszumachen. Oft sind Begehungsspuren erkennbar und Steinmännchen helfen auch. Innehalten lohnt sich auch schon unterhalb des Einstiegs, denn der Morgen und der Ausblick über das Tal sind wunderschön.
Kurz vor dem Einstieg befindet sich ein großes, pickelhartes Schneefeld. In Aufstiegsrichtung rechts davon versuche ich in losem Schutt höher zu gelangen, bringe dadurch jedoch größere Teile des Hangs in Bewegung. Also links herum über eine brüchige Felsstufe (II). Hier ergibt sich zunächst noch der einfachste Weg durch Folgen der augenscheinlich einfachsten Linie (flacheres Gelände, größere Tritte, weniger brüchig usw.).

Die Schlucht direkt  T6, III,  1h 50min
Laut Jonas' SMS, die Schlucht sei mit II bewertet müsste ich relativ gut und ohne Probleme hinauf gelangen. Doch schon der Blick hinauf lässt vermuten, dass es nicht einfach wird.
Zunächst gehts eine nach links geneigte Verschneidung ca. 15m hinauf. Der linke Wandteil ist zum Glück geneigt und mit guten Tritten versehen (II), jedoch wie fast alles hier unten im Schlund ziemlich brüchig.
Danach geht's wieder kurz ins Gehgelände, welches zur nächsten Steilstufe leitet.

Bald wird mir klar, dass ich den mentalen Umkehrpunkt überschritten habe, weil ich einige brüchige Stufen keinesfalls wieder abklettern möchte. Mehrere Abseilstellen und Normalhaken passiere ich und schmeiße eine Menge Zeugs hinab. Irgendwie erschließt sich jede Stufe beim Einsteigen von selbst.

Nur die vorletzte verschneidungsartige Steilstufe hat es sehr in sich: links eine glatte, nasse Wand und rechts einige Trittstufen in einer leicht überhängenden Wand, die jedoch vollbeladen sind mit großen, losen Steinen, oder aus solchen bestehen (kaum mit Untergrund verbunden).
Beim ersten Versuch rechts hinauf berühre ich einen der größten mir im Wege liegenden Brocken leicht - er kracht ohrenbetäubend hinab und reißt unterhalb sicher eine Menge Material mit.
Ich schreie laut hinab und bete, dass sich jetzt niemand im Einstiegsbereich aufhält. Der Lärm hat mir irgendwie den Mut entzogen, es hier weiter zu versuchen (jedenfalls schwieriger als II). Ich klettere wieder zurück und probier es weiter unten links, wo das Gelände immerhin geneigt, aber überaus brüchig ist. Dieses Unterfangen breche ich wieder und erst nach 7m ab, was einige Zeit des Abkletterns (brüchig, III) unter maximaler mentaler Belastung (z.B. ein Schutthäuflein auf einem abwärts geneigten kleinen Tritt antreten und voll belasten, um den anderen Fuß weiter runter setzen zu können) erfordert.

In diesen Situationen bin ich froh solche Kletterzüge hunderte Male in sicherem Gelände (schon als Kind) oder auch das Abklettern in der Halle trainiert zu haben.

Erneut starte ich einen Versuch direkt die kaminartige Verschneidung mit der nassen, trittarmen Wand links und dem etwas überhängenden Wandteil rechts - und es gelingt auf einmal relativ gut (III). Manchmal hilft eine kleine Schwerpunktverschiebung oder eine leichte Körperdrehung und man kann sofort den nächsten Zug assoziieren. Nach dieser Schlüsselstelle lehnt sich das Gelände zurück und ein Klemmblock im letzten Kamin markiert den Ausstieg. Erst gehe ich direkt im Kamin, wobei dessen Grund völlig durchnässten und weichen Schutt enthält. Wiedermal erinnert mich das Gelände an die Kluften und Kamine im lieben Elbsandsteingebirge. Nach einigen Metern wähle ich das gut gestufte, schrofige Wändchen links des Kamins und steige zuletzt unschwierig in die Scharte aus. 9:20 Uhr.

Querung und Normalweg ins Höllental  T5-, I,  3h
Sonne, tiefes Durchatmen, ein Blick auf die Karte und die weiteren Kurznachrichten meines Freundes.

Da ich ihn pünktlich in Hammersbach abpassen möchte, muss ich leider auf den Gipfel des Zwölferkopfes und des Großen Waxensteins verzichten. Ein bisschen froh macht mich der Gedanke, nun auf einem teils trassierten Weg gehen zu dürfen.
Nach einigen Metern wird mir klar, dass auch dieser "Weg" mental fordernd ist, denn das brüchige Gelände befindet sich immer auf der anderen Seite der abzusteigenden Rippen, die vom Zwölferkopf hinabziehen und die ich überqueren muss, um zum Normalweg zu gelangen. Nach dreivier solcher Rippen bemerke ich auf einem Stein die roten Initialien des Hauptgipfels und pausiere zunächst auf der darüber liegenden begrünten Rippe mit Steinmann. 10:40 Uhr.

Auf dem Normalweg sehe ich manchmal nicht sofort die Markierungspunkte von oben und leiste mir dadurch einen längeren aber unproblematischen Verhauer in den Platten (darunter kommt noch ein von oben nicht erkennbarer Abbruch). Der Weg wurde hier ja schon oft beschrieben. Mir taugt er außerordentlich gut. Man muss jederzeit noch auf seine nächsten Tritte achten und es ist dennoch mental entspannt im Vergleich zur Mittagsschlucht. Die langen Hangtraversen auf schmaler Trasse durch das steile Wiesengelände lässt mein ohnehin schon großen Respekt für die Erstbegeher (und Erhalter!) noch mehr anwachsen. Die kleinen Steilstufen steige ich genussvoll meist taloffen ab.

11:30 Uhr. Unten am Mariensprung kühle ich mich ordentlich ab und schaue mir anschließend kurz das Innere der neuen Höllentalangerhütte an. Der untere Bereich zumindest erinnert lediglich an alle Spender und ansonsten viel mehr an einen Keller im Plattenbauviertel als an eine Berghütte.

Der Rest des Abstiegs wird im Laufschritt absolviert, was der allgemeinen Schönheit des Höllentals keineswegs gerecht wird. Angesichts der vielen Menschen erinnert mich der Vorgang etwas an einen hastig-stressigen Tag in Berlin mit erlaufenen S-Bahnen und verpassten Bussen. Nur sind die Leute rundherum in freundlich-entspannter Urlaubsstimmung, obwohl einige tatsächlich an meinem für mich entspannten aber flotten Abstieg Anstoß zu nehmen scheinen...
Nebenbei überschlage ich grob die Zahl der aufsteigenden Menschen. Ergebnis: über 300!

In der Klamm kann ich mich trotz der schönen Tour in den Beinen einer gewissen nervlichen Anspannung nicht erwehren, denn alle paar Schritte muss ich so lange im tropfenden Wasser stehen, bis die endlose Zahl von in Plastik gehüllten Tagesgästen eine Engstelle bewältigt hat und mir nebenbei kalt wird. Am Eingang zahle ich den Euro und eile weiter hinab. 12:20 Uhr.

Wiedersehen mit einem guten Freund und Fazit für heute
Unten kurz vor Eintritt in den Ort nehme ich noch ein Bad im kühlen Hammersbach und verpasse dadurch Jonas, der inzwischen schon den Aufstieg mit dem schweren Klettermaterial zur Waxensteinhütte unter die Turnschuhe genommen hat. Im Hotel kaufe ich noch schnell etwas Gebäck für's Frühstück der nächsten Tage. Und ein drittes Mal geistere ich nun im höchsten mir möglichen Tempo (z.Zt. 12-14 Hm/Min.) durch den Zauberwald und den weiteren Aufstiegsweg. Auf etwa 1000m kommt Jonas mir ohne Gepäck entgegen. Das gibt ein freudiges Wiedersehen! Mein Angebot ihm einiges Gepäck abzunehmen lehnt er ab.
An der Hütte (14:30 Uhr) bereiten wir uns ausgiebig ein verspätetes Mittagessen und sitzen lange beisammen. Eigentlich wollten wir heute noch etwas klettern, doch so richtig kurze Routen für den Nachmittag gibt es hier nicht für Kletterer, die sich hier noch nicht auskennen.

Dennoch laufen wir noch etwas auf dem Steiglein nach Westen hinaus bis zur nächsten Schuttreise und lassen uns gemütlich auf einem Jägersitz nieder, erzählen viel und studieren die nördlichen Waxenstein-Wandfluchten und die Literatur dazu. Jonas schläft irgendwann ein, er ist noch etwas grippal angeschlagen und in der Zwischenzeit gehe ich noch bis zur übernächsten Schuttrinne.

Hier eine seltene Pflanze und da ein Frosch am Wegrand - Erholung und Muse brauchen wilde Bergsteiger auch!
Wir einigen uns später am nächsten Tag die beliebte Zwölferkante zu klettern (12 SL, 300Hm) und unternehmen heute weiter nichts. Holzhacken, das Biwak bereiten, Ausruhen und Abendessen zubereiten füllt den Rest des Abends.

Sicherlich geht man zu zweit mental stärker in unbekanntes Terrain erst recht, wenn man Sicherungsmaterial mitführt.
Allein muss man genau wissen, wo man einsteigt und ob man notfalls wieder herunter kommt. Das Abenteuer in der Mittagsschlucht war wieder ein Meilenstein in meiner persönlichen alpinistischen Entwicklung, obwohl ich Angst und Zweifel an einigen Stellen hegte, fühlte ich mich in den meisten Passagen sicher in der Bewegung und bei der Geländebeurteilung.
Eine gewisse Unsicherheit liegt irgendwie ständig in der Luft, wenn man ohne Führerliteratur oder ausgedruckte Berichte in unbekanntes Gelände aufbricht. Dennoch wird so der Erlebniswert enorm gesteigert. Im AVF stehen auch nur drei trockene Sätze über den für mich furchteinflößenden Schlund unter der Mittagsscharte. Diese Erkundung soll sich am nächsten Tag beim Abstieg als hilfreich erweisen.



Tourengänger: alpensucht


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