Überschreitung Waxensteinkamm - eine luftige Kraxelei über dem Eibsee


Publiziert von algi , 29. September 2011 um 16:37.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum:28 September 2011
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Garmisch nach Hammersbach. Vor dem Ort befindet sich rechts ein großer Besucherparkplatz.

Vorbemerkung:
Als Solo-Unternehmung hat man es hier mit einer Extrem-Tour zu tun, die wohl nur einem kleinen Kreis von Spezialisten vorbehalten ist. Ich gehe davon aus, dass diese Klientel ihre eigenen Fähigkeiten und das vorhandene Risiko verantwortungsbewußt einschätzen kann.

Empfehlen würde ich die Tour einer Seilschaft, in der zumindest die IV-er Seillängen gesichert werden.
Oder man erreicht den Waxensteinkamm z.B. auf dem Normalweg des Kleinen Waxensteins, dann fallen die IV-er Stellen weg. Kletterschwierigkeit III ist jedoch in jedem Fall obligatorisch.
Bei strammer Durchführung habe ich genau 10 Stunden Zeit benötigt ( incl. 45 Min. Pause ). Man sollte sich also auf einen langen Tag gefasst machen, bei dem vom Einstieg bis zum Erreichen der südl. Riffelspitze fast durchgehend hohe Konzentration erforderlich ist. Die Tour hat lange ausgesetzte Passagen, und eine kleine Unachtsamkeit kann sofort zum "Schnellabstieg" durch die Nordwand führen.

Ausrüstung:
KEINE Wanderschuhe, am besten geeignet ist ein Kombi-Schuh, mit dem sowohl geklettert, als auch steiles Schrofengelände sicher bewältigt werden kann ( ich hatte 2 Paar Schuhe dabei, einen leichten Wanderschuh für Zu- und Abstieg, und einen Kombi-Schuh für den Rest ).

Für die direkte Überschreitung des hinteren Waxensteins nach Westen muss eine ca. 15 m hohe Wand in der Schwierigkeitsstufe III - IV abgeklettert werden. Das Abklettern dieses Wandls ist zwar möglich, aber sehr gefährlich, und für Leute unter 180 cm Körpergröße kaum durchführbar.  Am Gipfel ist jedoch eine Abseilstelle eingerichtet, deshalb würde ich auch die Mitnahme einer ca. 30 m langen Reepschnur ( mind. 6 mm ) oder eines Seiles zum Abseilen bzw. Runterhangeln anraten.

Tourenbericht:
Ein Tourenbericht von trainman hat mich dazu animiert auch mal auf den großen Waxenstein zu steigen. Allerdings wollte ich gerne eine Rundtour unternehmen. Beim Schmökern im Führer ist mir aufgefallen, dass es doch möglich sein müßte, den gesamten Waxensteinkamm, ausgehend vom kleinen Waxenstein bis zur Riffelscharte, zu überschreiten. Sentimentale Erinnerungen an meine Jugendzeit haben mich jedoch dazu bewogen, nach 35 Jahren nochmal über die Zwölferkante auf den Zwölferkopf zu klettern. Dann fehlt zwar der kleine Waxenstein als erster Gipfel in der Überschreitung, aber was solls.

Um 7:00 Uhr marschiere ich vom Parkplatz los. Nach dem Desaster von letzter Woche, achte ich genau darauf, den richtigen Weg zu finden, frage sogar einen zufällig vorbeikommenden Jäger nach dem rechten Weg. Dieser erteilt mir bereitwillig Auskunft.
Gegen 9:00 Uhr stehe ich am oberen Ende der Mittagsreiße. Schuhe wechseln, dann gehts los.

Schnell noch ein paar Eckdaten zur Zwölferkante:
Wandhöhe 400 m
Kletterlänge ca. 560 m, davon 8 Seillängen II, 2 SL III und 4 SL IV.
Charakter: klassische Freikletterei, erstbegangen 1920, immer noch kein Speck - liegt wohl an den 1000 Hm zum Einstieg.

Tja, wo ist er denn nun, der richtige Einstieg ? Die Beschreibung ist nicht wirklich eindeutig, nach einigem Hin und Her verliere ich die Geduld, und gehe die nächstbeste Möglichkeit an. Vom Schwierigkeitsgrad her passt es so ungefähr, spätestens nach 2 SL bin ich dann wirklich auf der richtigen Route. Vor allem die wasserzerfressenen Platten im oberen Wandteil sind ein Klettergenuss, immer wieder erstaunlich, was die "Alten" damals schon drauf hatten.

Nach ca. 2 Stunden habe ich diesen Kletterausflug hinter mich gebracht, also Topo wieder einpacken und AV-Führer raus.
Die kurze Beschreibung zum Gratübergang hinüber zum Großen Waxenstein passt genau ( immer am Grat entlang ), wo bleiben denn nur die III-er Stellen ? Kaum gedacht, schon stehe ich vor einem nahezu senkrechte Kamin, der nun zu einer Scharte abgeklettert werden muss. Hölle mir graut, aber es sieht dann doch viel schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Auf der anderen Seite der Scharte geht es über eine kurze Wandstelle ( auch so in diesem Schwierigkeitsbereich ) wieder hinauf, dann stehe ich schon am Gipfel. Das ging aber flott.

Nun geht es auf bezeichnetem Steig ( verwaschener roten Punkt ) westlich zu einem Sattel, von dem der bez. Weg über eine Rinne ins Höllental hinab führt.
Mein nächstes Ziel ist der hintere Waxenstein, den AV-Führer hab ich wieder weggepackt, da mir der Weg eindeutig erscheint: immer am Grat entlang. Steile felsdurchsetzte Schrofen führen wieder zu flacheren Grasschrofen, zuletzt geht es über eine kurze Kletterstelle auf einen Kopf ( dort wo die Gams im Bild steht ). Nun weiter am teilweise ausgesetzten Grat auf den höchsten Punkt im näheren Umkreis. Ich gehe mal davon aus, dass dies der hint. Waxenstein ist, denn an einem Kreuz oder einer Gipfelbezeichnung komme ich heute nicht mehr vorbei. Super Aussicht, ein paar Fotos machen, eine kleine Pause einlegen.
Wie komme ich denn von diesem Klapfen wieder runter ? Außer einer Abseilstelle finde ich jedoch keine Abstiegsmöglichkeit, also wieder zurück und diesen Gipfel großräumig umgehen ? Das gefällt mir gar nicht, also schau ich mir das Abseilwandl mal genauer an. Bis auf die letzten 4 Meter scheint das machbar, wenn ich vorsichtig bin, den Rest kann ich von oben nicht einsehen. Ich klettere wie auf Eiern gehend ab, und stehe kurz darauf ca. 4 - 5 Meter über der Scharte, oberhalb eines glatten Überhangs. Erster Gedanke: das ist unmöglich, zweiter Gedanke: wenn ich meine Hände an den Griff bekomme auf dem ich gerade stehe, und mich ganz lang mache, dann könnte ich evt. einen ersten Tritt unterhalb des Überhangs erreichen. Wenn nicht, dann muss ich wieder hoch. Und tatsächlich, auf den Zehenspitzen stehend, erreiche ich den obersten Tritt, nur kann ich die Hände nicht loslassen, weil ich sonst nach hinten wegkippe. Ich schmiege meinen Körperschwerpunkt so nah wie möglich an die Wand, mit rechts eine winzige Delle halten, dann kurz die linke Hand weg vom guten Griff. Für ein paar Sekunden kann ich das halten. Nochmal sammeln und konzentrieren, im zweiten Versuch klappt es dann, und ich stehe in der Scharte ( Nachahmung nicht empfohlen ).

Den nächsten Turm umgehe ich südlich, und schon wartet der Ostgrat der Schöneckspitze mit neuen Herausforderungen. Sieht vogelwild aus, und es kostet schon Überwindung sich darauf einzulassen. Nicht in die senkrecht abfallende Nordwand blicken, sondern sich aufs Klettern konzentrieren. Zunächst Querung unter den Überhängen nach links, und einen brüchigen, aber großgriffigen Riß hoch, im weiteren Verlauf verfolgt man den sehr ausgesetzten Grat bis zum Gipfel. Letzlich ist es dann nur halb so wild, wenn man seine Psyche im Griff hat.  Beim Abstieg nach Westen stoße ich wieder auf einen Abbruch, diesmal geht es aber ganz easy: es ist ein Fixseil angebracht. Ich möchte diesen harten Nylonstrang zwar nicht belasten, aber er vermittelt eben ein Gefühl der Sicherheit.

Die Überschreitung der Schönangerspitze sieht zwar spektakulär aus, aber auf den Grasschrofen finde ich immer gute Trittmöglichkeiten, also fast a "gmahte Wiesn".

Danach kommt der Ostabbruch der nördlichen Riffelspitze ins Blickfeld. Schaut sehr beeindruckend aus, ich bemühe mal vorsichtshalber wieder den AV-Führer. Man kann sowohl über den Südost- als auch den Nordostgrat aufsteigen. Der Südostgrat ist zwar leichter, doch dafür müsste ich nochmals mind. 150 Hm absteigen. Also NO-Grat, und dafür etwas schwerer. Es ist das Übliche, ausgesetzter Grat, der langsam in eine nach links hochziehende Rampe übergeht. Die Rampe läßt sich sehr gut klettern, nach dem Ausstieg führt ein abschüssiges Steiglein ( ich nehme an, dass dieses nur von Gemsen stammen kann ) zum Gipfel.

Der Übergang zur südlichen Riffelspitze soll nur ein I-er sein. Von Sattel gehts erstmal ein bischen holprig weg, dann ist es aber doch einfacher als gedacht.

Juhuu geschafft, ich stürme der Riffelscharte entgegen, und reisse mir die Kletterkombilatschen von den Füssen. Tief durchatmen und nun den schönen Abstieg durch das Höllental genießen.

Gruss Albert


Tourengänger: algi


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Kommentare (4)


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ADI hat gesagt:
Gesendet am 29. September 2011 um 17:53
Respekt!
Äußerst luftige Aktion ohne Seil.....
Wär mir glaube ich einen Tick zuuu luftig....


VLG, ADI

bergsteire hat gesagt: Abenteuer...
Gesendet am 30. September 2011 um 09:06
Eine abenteuerliche Schilderung wie aus einem Bergsteigerroman aus den 30er Jahren, kolossal.

kardirk hat gesagt:
Gesendet am 30. September 2011 um 19:51
Absolut Klasse,

als Freund von Gratüberschreitungen bin ich begeistert von Deinem Bericht. Leider ist das ein/zwei KLassen zu hoch für mich. Aber Bericht und Bilder lassen die Tour super miterleben. Weiter so.

Viele Grüße
Dirk

gstuermer hat gesagt:
Gesendet am 6. Oktober 2011 um 21:42
Absolut klasse, hab jetzt noch feuchte Hände vom Lesen. Kann das gut nachvollziehen, vorallem nachdem ich vor zwei Tagen am Hohen Riffler/Verwall den Nordgrat (mit Zustieg über Mittagspitze/Gauderkopf) gemacht habe. Ein sehr lohnender IIIer, fast nur bombenfester Fels, das wäre doch sicher auch was für dich?
Dazu gibts irgendwann noch ein Video von mir, hab einige Aufnahmen gemacht. Fotos findest du bereits unter https://picasaweb.google.com/104070142892787241610/HoherRifflerNordgrat

Viele Grüße,
Thorsten


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