Alle Jahre wieder: ein kurzes Rendez-vous mit den Gemsen


Publiziert von lorenzo , 12. Juli 2016 um 01:04.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum: 9 Juli 2016
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: S
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1535 m
Abstieg: 1535 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Rosenlaui, Gletscherschlucht oder mit dem Auto (gebührenpflichtige Strasse ab Biel)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Unterkunftmöglichkeiten:Engelhornhütte AACB
Kartennummer:LK 1229 Grindelwald, 1230 Guttannen, 1210 Innertkirchen; K. Ochsner, Engelhornführer, AACB 1990, und Kaspar und die 27 Engel, Berge Nr. 93 1998

Nach einer Skitour vorletzten Winter auf den Gemschberg und einer Klettertour letzten Herbst über das Gemschgrätli zog es mich diesen Sommer wieder einmal zum Gemsensattel in den Engelhörnern. Bei meinem letzten Besuch vor sieben Jahren war ich Richtung Urbachengelhorn und über die wunderbare Südgruppe zum Gstellihorn weiter geklettert. Dieses Mal war wieder die Mittelgruppe an der Reihe. Die vor über hundert Jahren am 14. Juli 1910 durch die Seilschaft Thorleif Björnstad, August Mottet, Franz Müller und Jules Streuli eröffnete Überschreitung der Mittelgruppe vom Gemsen- zum Simelisattel gilt als lange und ausgesetzte klassische Genusskletterei in meistens rauhem und griffigem Kalk. Der Zustieg aus dem Ochsental zum Gemsensattel führt über abschüssige Schrofen und griffarme Plattenschüsse mit wenig Sicherungsmöglichkeiten und bildet das eigentliche Pièce de Résistance der ganzen Tour.

Es handelt sich sicher nicht um die schwierigste Tour in den Engelhörnern, aber neben der Überschreitung der Südgruppe wohl um eine der schönsten. Hat man nach einigen angstvollen Augenblicken endlich den mythenumwobenen Gemsensattel erreicht, balanciert man auf luftigem Grat hoch oben über dem Rosenlaui und dem Urbachtal, sieht nach Westen weit in die sanften Voralpen, im Süden die leuchtende Wetterhorngruppe über dem Rosenlauigletscher und nach Osten über das rauhe Haslital zu den Zentralalpen. Entfernte Schläge von holzhackenden Sennen, das vertraute Tuten des kurvenden Postautos, heraufklingende Kuh- und Schafglocken von umliegenden Alpweiden, vereinzelte Schreie herumsegelnder Alpendohlen und das Rauschen von Reichenbach und Urbachwasser unterstreichen nur die tiefe Ruhe dort oben, erinnern uns daran, dass wir frühmorgens aufgebrochen sind, und mahnen uns, doch vor dem Eindunkeln wohlbehalten ins Tal zurückzukehren.


 

Induuchlen


Aabe chund
uber Bäärga embrin,
leid si im Grund
sametig hin.
Liid ubere Wwääldren,
si gspirren ne chuumm,
liid ubere Fäldren
en duuchliga Fluumm.
Spinnd um mi z ringsum
und liired mi in.
Weis niimma, ob i diheimmen
old wiit, wiit furt bin.


(Albert Streich 1897-1960)

 

 

Zustieg zum Gemsensattel
Von Rosenlaui-Gletscherschlucht auf dem weiss-rot markierten Hüttenweg bis vor die Engelhornhütte, rechts abzweigend auf einem Pfad ins Ochsental und durch dieses bis ca. 2080m. Links über eine in den Talgrund hinausragende Felszunge auf eine grasig-felsige Rampe und über diese hinauf (2 Stufen II-III, alte Hk, Bh, Steinmann). Weiter über einen Schrofenhang und nach kurzer Rechtsquerung durch eine Felsrinne (II) in den Sattel links vom Ruppspitz (2313). Auf der anderen Seite hinunter, Querung der 1. Plattenmulde unter der Mittelspitze und dem Klein Engelhorn auf Geröllbändern, über einen wenig ausgeprägten Rücken in die 2. Plattenmulde unter der Gemsenspitze und durch diese hinauf, bis sie zu steil wird. Nach rechts über eine griffarme Platte und ein Band zu steilen Plattenrissen und diesen folgend leicht rechtshaltend hinauf (Steinmann). Über Schrofenhänge (Gras, Geröll) und einen langen Risskamin (II, ev. Schneereste) zum Gemsensattel, 3h 30min, ZS.

Überschreitung der Mittelgruppe
Vom Gemsensattel in Genusskletterei (III) zuerst direkt über den S-Grat, dann rechts davon auf die Gemsenspitze. Abstieg über den ausgesetzten N-Grat (II, ev. Abseilen über eine ca. 7m hohe glatte Platte) in die Scharte Gemsenspitze-Klein Engelhorn. Über den SW-Grat zu einem Gendarmen, der überklettert wird (IV-, Bh), und nach rechts über grauen, kompakten Wasserrillenfels in einen Kamin. Durch diesen unter den überhängenden Gipfelgrat und nach rechts auf ein ansteigendes Band aus gelbrötlichem, scharfem und löchrigem Fels. Auf diesem ausgesetzt nach rechts hinauf (IV, Bh) und nach links durch einen Geröllkamin in eine Scharte im Gipfelgrat. Über diesen, einen weiteren Gendarmen auf der Ochsentalseite querend (Bh), auf das Klein Engelhorn. Unter dem Gipfel 25m zu einem Absatz im N-Grat abseilen, dann nochmals 20m in die Scharte Klein Engelhorn-Mittelspitze. Auf dem breiten S-Grat zuerst in der Mitte, dann rechts hinauf unter den überhängenden Gipfelaufbau, und auf einem Band nach links ausgesetzt zu einer Nische. Über eine senkrechte Wandstufe rechts haltend (III+, einzementierter Ringhaken, Eisenstange) auf die Mittelspitze. Abstieg entlang dem NW-Grat meistens auf Bändern in der der Urbachflanke (I-II) in die Scharte Mittelspitze-Ulrichspitze. Auf dem S-Grat über den ersten Gratturm und durch mehrere Kamine (III) auf die Ulrichspitze. Abstieg über den ausgesetzten N-Grat zum Vorgipel und 25m Abseilen in die Scharte Ulrichspitze-Getrudspitze. Auf dem S-Grat zu einem gelben Überhang, der direkt erklettert wird (IV, Bh), dann rechts haltend hinauf (Hk). Nun entweder weiter nach rechts in einen Kamin und durch diesen auf eine abgespaltene Schulter, oder nach links zu einer kurzen Verschneidung, durch diese hinauf und wieder rechts haltend über Stufen auf einen Absatz (III). Wieder gemeinsam über die Gipfelwand in der Urbachflanke (III, Bh) auf die Gertrudspitze. Abstieg durch einen Riss nach N auf ein Schuttband und 20m Abseilen in den Sattel Getrudspitze-Vorderspitze. Über den plattigen SE-Rücken einfach auf die Vorderspitze, 3-5h, S. Abstecher zur Hohjegiburg: über den NE-Grat einfach in die Scharte 2590 (I) und auf Bändern in der Urbachflanke unter dem W-Grat (I) auf den Gipfel, hin und zurück je 15min, L.

Abstieg über den Simelisattel
Von der Vorderspitze Richtung NNW über die schuttbedeckte Flanke auf Pfadspuren rechts haltend hinab zu einem Rücken und auf diesem weiter hinunter, bis rechts durch eine Rinne auf ein Schuttfeld abgestiegen werden kann. Auf diesem nach links hinunter in die Scharte oberhalb des Vorderspitze-Gendarms zu einem Ringhaken. 20m Abseilen, links durch eine Rinne (I-II) absteigen und nach rechts zum Simelisattel queren (Steinmänner). Nach SW durch eine Schuttrinne hinunter und an Ringhaken 2x 25m über glattgeschliffene Stufen abseilen. Nach E über Schrofen auf eine Grasschulter (Steinmann) und durch ein Couloir (II) hinunter auf die Plattenschüsse unter der Vorderspitze. Über diese auf Schrofen (Gras, Platten, Geröll)  links am Zapfen (2269m) vorbei hinunter, zuletzt 25m durch die 1. Rinne abseilen und über Geröll ins Ochsental absteigen. Durch das Ochsental zur Engelhornhütte und auf dem Hüttenweg zurück, 2h 45min, ZS.

Material: vollständige Kletterausrüstung mit 40-50m Einfachseil, 5-6 Express, einigen Schlingen, ev. ein paar kleinen bis mittleren Friends und einem Kk-Set.

Bemerkung: die Tour sollte nur bei trockenen Felsen und sicherem Wetter unternommen werden, da ein Rückzug vom Gemsensattel heikel ist und zwischen Gemsen- und Simelisattel keine Fluchtmöglichkeiten bestehen.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (10)


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mde hat gesagt: The place to be!
Gesendet am 12. Juli 2016 um 09:28
Wow, du warst am SA auf der Gertrudspitze?!? Kaum zu glauben, aber ich auch! Allerdings etwas später, und nur auf dieser. Wir sind durch die Westwand über die Neutour "Queen of Desert" (7a+) dorthin gelangt.

Vielen Dank für den schönen Tourenbeschrieb und die Fotos, macht Appetit!

Lg, M

lorenzo hat gesagt: RE:The place to be!
Gesendet am 12. Juli 2016 um 14:57
Hallo Marcel

das ist natürlich starker Tobak, was ihr euch da reingezogen habt! Gerade habe ich die Route, die rechts von Albatros verläuft, auf www.filidor.ch gefunden. Gratuliere!

Dann seid ihr aber spät eingestiegen: ich war etwa um 15 Uhr zurück im Ochsental und um 15.30 bei der Engelhornhütte. Seid ihr etwa dort auf der Terrasse an der Sonne gesessen? Auf meinen Fotos konnte ich euch jedenfalls nicht finden.

Alles Gute beim nächsten Trip in den Engelhörnern!

lorenzo

mde hat gesagt: RE:The place to be!
Gesendet am 12. Juli 2016 um 16:10
Ja gell, Sportklettern und früh Aufstehen verträgt sich nicht so gut ;-) Vor allem bei einer solchen Westwand an einem gewitterfreien Tag, da wurde die Taktik "ausschlafen und an der Sonne klettern" gewählt. Als Du bei der Engelhorn-Hütte vorbei bist, da waren wir noch schwer am Ackern und als Du auf dem Gipfel warst, da steckten wir noch weit in der Tiefe ausserhalb vom Föteler-Ausschnitt...

Dir auch alles Gute, keep the reports coming, immer wieder inspirierend, selbst für einen ollen Sportkletterer (jedoch mit alpinen Wurzeln) wie mich!

Lg, Marcel

lorenzo hat gesagt: RE:The place to be!
Gesendet am 14. Juli 2016 um 11:39
Danke! Und den Tipp werde ich mir merken: ausschlafen und erst einsteigen, wenn sich die Wolken verzogen haben, das macht Sinn...

mde hat gesagt: RE:The place to be!
Gesendet am 14. Juli 2016 um 11:50
Genau! Vor dem Dunkelwerden (oder dem Gewitter) wieder Heimkommen gehört zum Tipp aber auch noch dazu ;-)

lorenzo hat gesagt: RE:The place to be!
Gesendet am 14. Juli 2016 um 12:17
Verstanda!

mazeno hat gesagt: Schön!
Gesendet am 12. Juli 2016 um 13:35
Perfekte bildliche Darstellung einer vielfältigen Route. Gratuliere!
Früher ein grosser Klassiker der Sektion Bern/SAC
Gruss
mazeno

lorenzo hat gesagt: RE:Schön!
Gesendet am 12. Juli 2016 um 14:44
Hallo mazeno

Vielen Dank! Mit dem Trend zu schwierigeren Sportkletterrouten hat diese Tour wahrscheinlich etwas an Anziehungskraft verloren. Aber sie hat noch kaum Speck angesetzt und meiner Meinung nach noch immer das Zeug zu einem veritablen Klassiker...

Gute Touren und Grüsse

lorenzo

silberhorn hat gesagt:
Gesendet am 13. Juli 2016 um 21:22
Deine Leistung kann ich nur theoretisch durch viel Gelesenes nachvollziehen. Bin überzeugt darum sei ein "gut gemacht Bravo!" von mir angebracht.

Der zweite Abschnitt so.................schön!

Für die wunderbaren Photos grosses Merci!
Die Engelhörner wie ich sie zuvor noch nie sah sind mir eine Freude.

Nebenbei eine Anmerkung.
Es gibt eine Community "Kletter Topos".

Liebe Gruess
maria

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 14. Juli 2016 um 12:07
Hallo Maria

Danke für Deine schöne Rückmeldung und den Hinweis auf die Community. Ich muss mich wohl auch an der eigenen Nase nehmen, dass aus diese bisher noch keine Fundgrube bzw. kein Sammelsurium geworden ist...

Beste Grüsse

lorenzo


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