Engelhörner für Einsteiger (Klein und Gross Simelistock)


Publiziert von Fico , 10. September 2015 um 22:32.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum:21 August 2015
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: 4+ (Französische Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 600 m
Abstieg: 600 m
Strecke:Engelhornhütte - Chli Simelistock - Gross Simelistock - Engelhornhütte (ca. 3 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Meiringen Mit dem Auto bis zur Alp Gross Rychenbach.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:gleich wie Ausgangspunkt
Unterkunftmöglichkeiten:"Bett und Zmorge", Meiringen (www.bettundzmorge.ch)
Kartennummer:1210 (Innertkirchen)

Die Engelhörner sind ein bekanntes Klettergebiet im Berner Oberland, das ich bisher nur vom Hörensagen kannte. Eines schönen Morgens fand ich in meinem elektronischen Posteingang eine Einladung von ‚bergpunkt‘ zu folgender Spontantour: „Überschreitung des Klein und Gross Simelistock in den Engelhörnern, Organisation und Führung durch dipl. Bergführer, Kleingruppe mit zwei Gästen.“ Eine solche Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen. Wenige Stunden später meldete ich mich an. Am Abend war die Tour bereits ausgebucht.
 
Zwei Tage später, am Vortag der Tour, reise ich mit der Bahn nach Meiringen. Andernfalls hätte ich, um morgens rechtzeitig um halb neun beim Treffpunkt am Bahnhof zu sein, vor fünf Uhr in der Frühe den ersten Zug nehmen müssen. Lieber etwas gemütlicher, wenn es geht. Bei „Bett und Zmorge“ habe ich kurzfristig eine sympathische und preiswerte Unterkunft gefunden. So wird aus der Tagestour unverhofft eine Art „Kurzurlaub“.
 
Eine Bergkette mit schroffen Felszacken wie die Zähne einer gigantischen Säge, ein Eldorado für waghalsige Klettertouren – für mich ausserhalb jeder Reichweite, so stellte ich mir stets die Engelhörner vor. Kaum denkbar, dass dieses Bild, das ich mir gemacht hatte, nun ganz plötzlich ändern und auf einmal das Unmögliche möglich werden sollte. Und doch, in der Ausschreibung heisst es bezüglich der Anforderungen lediglich: „Meistens 3a-b. Am Gipfelturm zwei Seillängen 4a.“ Das sind eigentlich ganz moderate Kletterschwierigkeiten, denke ich mir. Anfangs Juni im Alpstein waren diese eher etwas höher. Auf der Ausrüstungsliste steht noch, wie eine Art „Warnhinweis“: „Die Tour kann auch mit den Bergschuhen geklettert werden. Mit Finken ist aber der Genuss deutlich höher!“ So nehme ich die Kletterfinken für alle Fälle mit, bin jedoch fest entschlossen, sie im Rucksack zu lassen.
 
Ausgeruht und ausgiebig gefrühstückt, mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof Meiringen. Vom „Bett und Zmorge“ sind es nur fünf Minuten zu Fuss. Dort treffe ich Angela, meine heutige Seilpartnerin, und Christian, der uns wohlbehalten hinauf und wieder hinunter führen wird. „Seht ihr den Daumen dort oben? Das ist der Gross Simeler, unser heutiges Tagesziel.“ Etwas verblüfft schaue ich hinauf. Gestern Abend war die ganze Bergkette noch von Wolken verhüllt, heute Morgen hebt sie sich vom strahlend blauen Himmel ab. Als ich zu unserem Treffpunkt marschierte, hatte ich den steil aufragenden Turm wohl bemerkt, aber niemals gedacht, dass ausgerechnet das der Gross Simelistock wäre. Eher hätte ich auf einen der breiteren Gipfel getippt.
 
Mit dem Auto von Christian fahren wir zum Parkplatz gleich unterhalb der Alp Gross Rychenbach. Von dort ist es etwa eine Stunde bis zur Engelhornhütte. Der Weg zum Einstieg zieht sich wie ein langgezogenes S in die Höhe. Anfänglich ein guter Pfad, der allmählich schmaler und steiler wird. Dort wo die Felsen beginnen, machen wir Halt. „Falls du die Kletterfinken zuunterst im Rucksack hast, lege sie oben hin, damit sie griffbereit sind, wenn du die Schuhe wechseln willst.“ Es ist, als hätte Christian es geahnt. Ich packe den ganzen Rucksack um, die Finken sind nun ganz oben. Man kann ja nie wissen…

Kurz nach uns ist ein weiterer Bergführer, ein gemütlicher Berner Oberländer, mit zwei Gästen beim Rastplatz angekommen. Wir sollen ruhig als erste Seilschaft gehen, meint er, zuerst gebe es jetzt eine Pause für seine Gruppe. Christian hat sich angeseilt und das Seil verkürzt, am andern Ende hat er zuerst Angela und dann mich eingebunden. Anfänglich geht es über gut gestufte Platten hinauf, ungefähr wie bei vereinzelten Kletterstellen im II. Grad auf Alpinwanderwegen. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass nachher statt eines Pfades ein Felsgrat folgt, der allmählich ausgesetzter und luftiger wird. Oft belaste ich die Tritte nicht mit dem ganzen Körpergewicht und stütze mich lieber mit den Händen ab. Dann passiert auch nicht viel, wenn mir einmal ein Fuss abrutscht, was zum Glück nur ganz selten vorkommt.
 
Wer denkt, es gehe immer nur steil aufwärts, täuscht sich. Zwischendurch muss man auch, bevor man weiter nach oben kommt, ein paar Meter wieder absteigen. Auf diese Weise erreichen wir allmählich den Klein Simelistock und ruhen uns ein wenig aus. Anschliessend lässt uns Christian so richtig am Seil herunter, ganz wortwörtlich und ohne jeden Hintergedanken. Das geht schneller, als wenn wir selbständig abseilen oder gar abklettern würden. Er selbst steigt mit Leichtigkeit die gut und gern 20 Meter auf den Übergangsgrat hinunter. Bevor wir weitergehen, weist er mich nochmals ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, die Schuhe zu wechseln: „Nachher wird es deutlich schwieriger.“ Erneut lehne ich ab. Es ist, als hätte ich soeben meine allerletzte Chance verwirkt.
 
In der Tat, der Gross Simelistock macht seinem Namen alle Ehre. Er ist nicht nur höher als sein kleiner Bruder, mit seinen fast senkrechten, turmhohen Wänden ist er auch spürbar anspruchsvoller. Zuerst versperrt eine Felsnase den Weg und muss umklettert werden. Wer daran nicht oder nur mit grösster Mühe vorbei kommt, kann sich die Sache nochmals überlegen und notfalls umkehren. Gleich danach folgt die Seillänge, die als Schlüsselstelle bezeichnet wird. Nach meinem Empfinden sind es sogar mehrere Schlüsselstellen… Um sie zu knacken, brauche ich etwas Zeit und taste mit den Fingern solange den Fels ab, bis ich einen Griff finde, an dem ich mich mit einem guten Gefühl hochziehen kann. Erfreulicherweise hat es immer wieder auch kleine Absätze, auf denen ich angenehm stehen kann.
 
Erleichtert beim nächsten Stand angekommen, habe ich Zeit, um mich zu erholen und zu fotografieren. Während ich die Aussicht auf die Wetterhorngruppe und die Tiefblicke ins Ochsental geniesse, hat der andere Bergführer ebenfalls den Stand erreicht. Er ist in den Finken unterwegs, schaut auf meine Füsse und meint dann mit einem leicht verlegenen Unterton: „Aber mit Kletterfinken hat man doch viel mehr Genuss!“ Welchen Genuss? In den klobigen Bergschuhen sind meine Füsse wunderbar geschützt und schmerzen nicht, wenn ich in eine scharfkantige Wasserrille hineinstehe. Und davon abgesehen ist auch die Herausforderung ein Genuss – vor allem nachdem ich sie erfolgreich gemeistert habe.
 
Die nächste Seillänge ist ganz ähnlich wie die vorangegangene und hat nochmals viele kleine „Schlüsselstellen“. Wieder wesentlich einfacher hingegen ist die letzte Seillänge auf dem luftigen Gipfelgrat.  Eine eigentliche Genusskletterei zum Abschluss. Als ich ganz oben bin, stelle ich mich in Siegerpose hin. Christian weigert sich allerdings, mich derart zu fotografieren: „Setz dich hin! Du bist noch nicht gesichert!“ Auch Angela, die bereits sitzt und sich mit beiden Händen an die Felszacken klammert, meint: „Bitte, sitz ab!“ Vernünftigerweise leiste ich der Aufforderung sogleich Folge, nachdem vor lauter Euphorie mein nicht mehr ganz jugendlicher Übermut für einen Moment mit mir durchgebrannt ist.
 
Zwei, drei Meter unter dem höchsten Punkt hat es einen bequemen Rastplatz. Dort befindet sich übrigens auch das Gipfelbuch. Es ist 14 Uhr. Ziemlich genau vier Stunden sind seit der Engelhornhütte vergangen, einschliesslich aller kleinen Pausen. Davon ungefähr drei Stunden reine Kletterzeit. Was uns noch bevorsteht, ist der lange, beschwerliche Abstieg. Wer hoch hinauf will, muss irgendwann auch wieder hinunter. Bevor wir zur Abseilpiste kommen, müssen wir ein Stück abwärts klettern. Dann lässt uns Christian wiederum am Seil ab. So reicht das 50 m Seil bis auf den Simelisattel hinunter. Wenn ich jeweils selbständig abseilen muss, nehme ich es recht gemächlich und atme immer mal wieder tief durch… Diesmal geht das nicht. Mit für meinen Geschmack fast atemberaubender Geschwindigkeit sause ich wie in einer Seilbahn hinab, die Füsse kommen kaum nach, an zwei weiteren Ständen mit einem grossen Muniring vorbei und schon stehe ich unten wieder auf festem Boden.
 
Keine Frage, diese Art „Seilbahn“ ist viel bequemer als der nun folgende mühsame Abstieg zu Fuss über Felsplatten, Wegspuren mit Rollsplit oder Schrofen und Geröll. Ganz abgesehen von der Orientierung durch dieses Felslabyrinth. Wer sich nicht auskennt, hat seine liebe Not, den Ausgang zu finden. Dieser ist bei einer weiteren Abseilstelle, die in einer Rinne die letzte Steilstufe überwindet. Dann steht man auf einer Alp neben einer friedlich grasenden Schafherde, weit hinten im Ochsental. Christian zeigt auf eine hohe, düstere Felswand, die sehr abweisend aussieht. „Dort habe ich mit einem Kollegen für die Bergführerprüfung trainiert. Schwierigkeit 6a und alles mit den Bergschuhen. Heute würde ich das nicht mehr schaffen.“ Zumindest wäre heute die Motivation nicht mehr dieselbe. Den Klein und Gross Simeler jedoch überschreitet er mit den Bergschuhen noch immer spielend.
 
Engelhörner für Einsteiger? Wahrscheinlich wäre es zutreffender zu schreiben: Engelhörner für Nachsteiger. Denn es macht einen grossen Unterschied, ob man diese Tour im Vorstieg bewältigen muss oder ob man einfach nachsteigen kann. Nicht allein, weil es angenehmer ist, wenn man an den schwierigen Stellen das straff gespannte Seil am Gurt spürt. Das grösste Problem ist meiner Meinung nach die Routenfindung. Man kann hier nicht wie im Klettergarten den in der Sonne blitzenden Bohrhaken nachklettern. Die Beherrschung des angegebenen Schwierigkeitsgrades ist da vergleichsweise nebensächlich. Wer sich diesen an und für sich zutraut, tut gut daran, damit aus dem Genuss kein Verdruss wird, sich jemandem anzuschliessen, der die Gegend genau kennt. Oder leistet sich den „Luxus“ eines Bergführers. Das ist die beste „Lebensversicherung“, die es gibt!

Tourengänger: Fico


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Kommentare (2)


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Bombo hat gesagt:
Gesendet am 11. September 2015 um 10:00
Danke Dir für den tollen Bericht und auch den GPS-Track. Die Tour steht ganz hoch bei mir in der Prio-Liste, wenn alles klappt sogar kommenden Freitag...

Merci und Gratulation!

Gruess
Bombo

Fico hat gesagt: RE:
Gesendet am 11. September 2015 um 18:38
Gern geschehen! :-) Der GPS-Track müsste ev. noch ein wenig bereinigt werden. In steilen Rinnen werden die Signale oft verfälscht und an den Felswänden reflektiert, so dass man Flügel bräuchte, um dem Track zu folgen. ;-) Im Grossen und Ganzen müsste die Route jedoch stimmen.

Herzlich

Fico


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