Hohe Kiste (1922 m) - Überschreitung Hahnbichlsteig - Kistenkar


Publiziert von gero , 24. Juli 2013 um 23:48.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Bayrische Voralpen
Tour Datum:23 Juli 2013
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1325 m
Abstieg: 1325 m
Strecke:Eschenlohe (P Schellenbergstraße) - Hahnbichlsteig - Möselkar - Hohe Kiste - Kistenkar - P Eschenlohe (14,2 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von der Garmischer Autobahn (Ausfahrt Eschenlohe) kommend, quer durch Eschenlohe hindurch bis zum südlichen Ortsende. Der Beschilderung zum nett gelegenen, häufig überfüllten Wanderparkplatz an der Schellenbergstraße folgen.
Kartennummer:Freytag & Berndt WK 322 (Wetterstein - Karwendel)

Ich stehe hoch droben am Einstieg ins Kistenkar, durch das graue Wolken heraufziehen; sie geben dem Gelände ein unnahbares, ja abschreckendes Ambiente. Gleich zu Beginn leitet das exponierte, abschüssige Terrain zu einer 2m hohen Felsstufe, und ich traue mich nicht, dort abzuklettern, denn der bröselige Untergrund ist feucht. Dort hinunter soll ich steigen, in diesen grauen Höllenschlund, dessen unteres Ende mysteriös durch herumziehende Wolken versteckt ist? Niemals ...  ich drehe um und wandere auf sicherem Steig durch das Pustertal hinunter und auf der Forststraße hinaus nach Eschenlohe.

So geschehen am 16. Juni 2013; das Wetter war wenig Vertrauen erweckend, aber seitdem bohrt es in mir: vor 40 Jahren bin ich durch das Kistenkar schon einmal hinunter, und ich habe in Erinnerung, daß dort keine wesentlichen Schwierigkeiten anzutreffen waren.

Der nachfolgende Bericht ist das Resumee zweier Unternehmungen:
am 16. Juni 2013 haben zweifelhafte Wetterverhältnisse den Abstieg durchs Kistenkar verhindert;
etwa 5 Wochen später haben mir
am 23. Juli 2013 optimale Verhältnisse eine perfekte Bergtour beschert.


16. Juni 2013

Praktisch der längste Tag des Jahres ! Obwohl der Wetterbericht eigentlich gut ist, hängen schon früh um 4 Uhr ziemlich kompakte Wolken am Himmel herum. Ich wandere die Forststraße ostwärts hinauf (sie führt letztlich hinüber zum Simetsberg und zum Walchensee), komme am Abzweig des Hahnbichlsteiges vorbei: "Nur für Geübte, nicht bei Dunkelheit, nicht bei Nässe" - das Schild suggeriert den Eindruck, als sei die Hohe Kiste via Hahnbichlsteig deutlich schwerer als der Normalweg aufs Matterhorn (eine glatte Fehlinformation, wie sich 5 Wochen später zeigen wird). Kilometerweit wandere ich also 90 Minuten lang die harmlose, etwas monotone Forststraße hinauf bis zum beschilderten Abzweig Richtung Krottenkopf.

Ab dort wird es interessanter: ein Bergsteig führt durch Mischwald aufwärts, später mündet der Hahnbichlsteig ein, es geht am Wetzstoa (nicht mehr als eine Bachrunse, die gequert werden muß - einige Fixseile erleichtern diese Passage etwaigen weniger bergerfahrenen Wanderern das Ansteigen) vorbei, und 2 Std. nach  Abmarsch in Eschenlohe passiere ich das malerisch auf einer grünen Wiese gelegene Jagdhaus Pustertal.

Danach wird der Steig steiler - unverwechselbar zieht er aufwärts durch das Pustertal (natürlich nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Landschaft Südtirols), eine Geländestufe wird auf unterhaltsame Weise überwunden, und dann erreiche ich kurz unter dem Gipfel der schon lange sichtbaren Hohen Kiste eine Art Sattel an derem Ostgrat (3 1/2 Std ab Eschenlohe, ca. 1850 m).

Von hier aus quere ich auf gutem Steiglein die Ostflanke meines Bergzieles und stehe nach einem finalen Schlußanstieg kurz vor 8 Uhr auf dem Gipfel der Hohen Kiste (1922 m).

Ich halte mich nicht lange auf: von allen Seiten quellen Wolken in den Himmel, und wenn ich durch das Kistenkar absteigen will, sollte ich weiterkommen, bevor sich das Wetter zum Schlechten wendet. Unmittelbar südlich des Gipfels setzt in einer Scharte das Kistenkar an. Aber wie sieht es da heute aus: dicker Nebel quillt herauf, nur sporadisch kann ich hinuntersehen - die ganze Szenerie hat etwas sehr Abschreckendes. Wie zu Beginn geschildert, steige ich auf nassem Untergrund vorsichtig abwärts, aber schon nach wenigen Minuten gebietet mir ein Felsriegel Einhalt: bei diesen Verhältnissen lasse ich mich nicht auf Experimente ein! Die Moral ist für heute dahin, ich kehre um und wandere lieber wieder auf dem Anstiegsweg zurück nach Eschenlohe.


Aber ..... es läßt mir keine Ruhe; am


23. Juli 2013

bin ich bei besseren Verhältnissen nochmals vor Ort. Als ich um 4:30 Uhr starte (P Schellen-bergstraße auf etwa 670 m), ist der Himmel wolkenlos, und es dämmert. Ich folge der Beschilderung des Hahnbichlsteiges, die sehr abschreckend klingt: "Nur für Geübte" und "Nicht bei Nässe oder Dunkelheit" heißt es da auf einem Schild. Aber ... ich muß es leider in harschen Worten sagen: eine glatte Fehlinformation, der Hahnbichlsteig führt zu 50 % über Forstwege, und der Rest ist Waldpfad. Zwar gelegentlich ein bißchen steil, aber die Hände muß man nicht ein einziges Mal aus den Hosentaschen nehmen. Ich würde sagen: so etwa T2, maximal. Die Herzogstand-Heimgarten-Überschreitung ist anspruchsvoller.

Durch lieblichen, sonnigen Bergwald geht es dahin; nach 90 Minuten habe ich den Normalweg kurz vor dem Wetzstoa erreicht, und kurze Zeit später stehe ich wieder auf der Märchenwiese am Jagdhaus Pustertal. Um Neues kennezulernen, wähle ich diesmal den kleinen, aber sehr empfehlenswerten Umweg durch das Möselkar: man darf den mit einem kleinen Steinmann markierten, unauffälligen Abzweig vom Steig ins Pustertal nicht verfehlen, genau dort, wo ca. 15 Minuten oberhalb des Jagdhauses Pustertal der Weg markant um 90 Grad Richtung Westen abknickt. Durch Latschenflecken geht es nun wieder auf deutlichem Steig bergauf, er führt wenig später um den Möselgrat herum ins Möselkar hinein - man betritt hier eine herrlich abseits gelegene, liebliche Märchenlandschaft.

Etwas später knickt auch dieser Steig beim Erreichen des Ostgrates der Hohen Kiste nach Westen um, vereinigt sich am namenlosen Sattel mit dem durch das Pustertal herauf-führenden Weglein, und dann stehe ich ein weiteres Mal auf der Hohen Kiste (1922 m).

Wo noch vor 5 Wochen das Gewölk herumfuhr, ist heute nur blauer Himmel, und der Tiefblick ins Kistenkar über die jäh abfallende Westflanke der Hohen Kiste höchst beeindruckend. Wieder packt mich etwas Unruhe .... wird mir der Abstieg heute gelingen?

Und wieder stehe ich am Einstieg ins Kistenkar: schaut schon beeindruckend aus, fast ein bißchen Dolomitenlandschaft. ABER heute wallen keine dunklen Wolken, heute herrscht blauer Himmel über mir, und die Moral ist top! Wo bitte gab es vor 5 Wochen Schwierigkeiten? Der Fels ist trocken, und ohne jegliches Zaudern habe ich die lächerlich kleine Steilstufe überwunden, die noch vor wenigen Wochen ein ernstes Hindernis darstellte.

Ich steige durch das Kistenkar ab - und ich bin aufs Höchste überrascht: ein recht passables Steiglein wird durch Dutzende, ja Hunderte von Steinmännlein markiert, ab und zu finden sich Reste einer roten Markierung. Zügig gehts abwärts; der einzige Wehrmutstropfen ist, daß man das Kar nicht abfahren kann, sondern konzentriert Schritt für Schritt setzen muß. Hartgebackener Untergrund machen ein zügiges Bergabhüpfen unmöglich, zumindest im oberen Bereich des Kistenkares.

Man erreicht die untere Hälfte des Kares ziemlich genau dort, wo in der Mitte ein kleiner Latschenfleck am weitesten hinaufreicht. Ab hier wird das Gefälle geringer, der Steig noch ausgeprägter und die Gangart flotter. Unmißverständlich erreicht man tief drunten die Waldgrenze, und von dort führt ein prächtiges, nicht zu verfehlendes Steiglein erst längere Zeit fast horizontal in etwa 1000 m Höhe das imposante, tief eingeschnittene Archtal auswärts, um in einem finalen Steilabstieg hinunter nach Eschenlohe und zurück zum Ausgangspunkt der Bergtour zu führen.


Fazit:

- Der Hahnbichlsteig ist eine harmlose Alternative zum langweiligen Hatscher über die Forststraße.

- Der Abstieg durchs Kistenkar ist trittsicheren Bergsteigern bei trockenen Verhältnissen zu empfehlen; er führt in eine eindrucksvolle Landschaft, die man an so einem Voralpenberglein nicht vermutet. Die Schlüsselstelle stellt eine Felsstufe etwa 30 Hm unterhalb des oberen Karendes (wo man den Verbindungsweg zwischen Hoher Kiste und Weilheimer Hütte erreicht) dar; hier wird auf 2m Höhe kurz der I. Klettergrad erreicht.

- Das Kistenkar ist als Schnellabstieg völlig ungeeignet - wenn auch ohne technische Schwierigkeiten, so muß doch im obersten Abschnitt jeder Schritt gesetzt werden, da der Untergund aus hartgebackenem Geröll besteht.

- Ich habe diesem Bericht beide GPS-Tracks angefügt - also sowohl den Track via Forstsraße und Pustertal als auch den Track via Hahnbichlsteig, Möselkar und Kistenkar.

Tourengänger: gero


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden


Geodaten
 16924.gpx Überschreitung Hohe Kiste: Hahnbichlsteig hinauf, Kistenkar hinunter
 16944.gpx Auf die Hohe Kiste: Forststraße ab Eschenlohe, dann durch das Pustertal

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (10)


Kommentar hinzufügen

83_Stefan hat gesagt:
Gesendet am 25. Juli 2013 um 06:35
Hallo gero, eine schöne Tour hast du gemacht. Die Bilder sprechen für sich!

MANAL hat gesagt:
Gesendet am 25. Juli 2013 um 10:39
Danke für den Tourenbericht. Ist die Tour in Gegenrichtung nicht besser geeignet wenn man das schwierigere und steile Kistenkar im Aufstieg macht? Oder ist das Kar so geröllig dass es im Aufstieg (wie z.B. das Schinderkar) eher eine Qual ist?

gero hat gesagt: RE:
Gesendet am 29. Oktober 2013 um 18:05
Sorry, daß ich mich erst jetzt - so spät nach Deiner Anfrage - melde.
Ich denke, daß man das Kistenkar besser im Abstieg begeht. Denn Schwierigkeiten gibt es bei normalen Verhältnissen keine, aber es ist vermutlich wesentlich anstrengender im Aufstieg zu begehen als das Schinderkar (an das ich allerdings nur eine vage Erinnerung habe).
Wer eine Beschreibung des AUFstiegs sucht, sei hier auf den Berich tvon curi verwiesen.

Gruß vom Georg

MANAL hat gesagt: RE:
Gesendet am 31. Oktober 2013 um 22:47
Danke für Deine Antwort. Das klingt plausibel.

Werde ich wohl mal im nächsten Jahr angehen, in diesem werde ich es wohl nicht mehr schaffen bevor der Winter einkehrt.

Felix hat gesagt:
Gesendet am 19. November 2013 um 17:58
aufschlussreicher Bericht - gerade im Vergleich deiner zwei Begehungen

petro4213 hat gesagt: Sehr hilfreich
Gesendet am 13. Juni 2018 um 22:51
Hallo gero, danke für den sehr detaillierten und hilfreichen Bericht. Ich will das Kar am Samstag aufwärts gehen. Mal schauen, wie das wird. Gruß, petro4213

gero hat gesagt: RE:Sehr hilfreich
Gesendet am 14. Juni 2018 um 07:49
Na dann - viel Erfolg! Aufwärts dürfte das ganz schön anstrengend sein, aber durchaus machbar. mir ist damals beim Abstieg ein Bergkamerad im Aufstieg entgegengekommen!

Gruß vom gero

petro4213 hat gesagt: RE:Sehr hilfreich
Gesendet am 17. Juni 2018 um 22:07
Hallo gero, das Kistenkar war ganz schön krass. Also ich muss sagen, dass ich das runterwärts nur sehr ungern machen würde, so steil und rutschig wie das im oberen Teil ist.
Allerdings hatte ich einen kleinen Verhauer drin: Wenn man aufsteigt kommt man an eine schuttige Rinne, wo auf beiden Seiten Steinmandl sind. Ich habe mehrmals versucht, die Rinne von rechts nach links (im Aufstieg) zu überqueren, aber das schien mir dann überall zu heikel. Es wird dann rechts aber so steil und durch Geröll rutschig, dass ich teils auf allen Vieren gegangen bin. Oben kann man dann zwar auf den rechten (also eher linken) Weg zurück, aber das ist auch saumäßig heikel: Immer an der Wand lang und jeder Griff und Schritt muss sitzen. Das ist eher T4 und II.

Gämsen waren auch unterwegs und haben teils nicht unerhebliche Steinschläge ausgelöst - zum Glück nicht in meiner Fall-Linie.

Als ich dann oben war und runtergeschaut habe, dachte ich mir: Da würde ich nie runtersteigen. Schaut schon sehr furchteinflössend aus von oben - nicht ganz zu Unrecht...

gero hat gesagt: RE:Sehr hilfreich
Gesendet am 18. Juni 2018 um 16:21
Hey Petro,

immerhin - you made it, Gratulation!

Beste Grüße vom gero

petro4213 hat gesagt: RE:Sehr hilfreich
Gesendet am 19. Juni 2018 um 07:34
Ja, und ich bin ganz stolz. So arg anstrengend fand ich den Aufstieg jetzt nicht - höchstens psychisch, weil's halt a bisserl gefährlich war. Da es in der Früh noch kühl und schattig war (bin um 3/4 5 unten los), bin ich gar nicht richtig ins Schwitzen gekommen - höchstens vor Angst ;-)
Auf jeden Fall kommt das Kar demnächst nochmal dran - mit einem Freund! Aber dann geh ich gleich richtig rauf!


Kommentar hinzufügen»