Trettachspitze-Überschreitung NO-NW


Publiziert von quacamozza , 24. Juli 2018 um 08:51.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:20 Juli 2018
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1900 m
Strecke:P Fellhornbahn-Alpe Eschbach-Einödsbach-Waltenberger Haus-Märchenwiese-Trettachspitze-Wildengundkopf-Märchenwiese und zurück
Kartennummer:AV-Karte Bayerische Alpen BY 4 1:25 000 Allgäuer Hochalpen Hochvogel, Krottenkopf

Es ist genau 10.00 Uhr. Ich sitze neben dem Gipfelkreuz auf der Trettachspitze. Hier oben ist mehr Platz, als man vermuten würde, wenn man ihre schlanke Silhouette von weitem betrachtet. Der Berg wird ja auch abgedroschen das "Matterhorn des Allgäus" genannt. Manche Allgäuer Gipfel haben ihren Ruf weg. Die Höfats ist gefährlich, der Torkopf wird wohl auch nach Jahrzehnten der "kleine Giftzwerg" sein. Im Grunde sind diese Bezeichnungen eher ein Fall, um 2 oder 3 € ins Phrasenschwein (z.B. für die Bergwacht) zu stecken.

Obwohl ich den schönen Gipfel schon recht oft besucht habe, bin ich nun das erste Mal alleine hier oben. Ich sehe die zwei Mädels, die eine halbe Stunde vor mir dran sind, noch beim Abklettern über den Nordwestgrat, bevor sie aus meinem Blickfeld verschwinden. Die beiden kommen ebenfalls öfter hoch. Im Gipfelbuch finde ich viele bekannte Namen, die den Berg jedes Jahr besteigen. Aber hinter mir betritt an diesem schwülwarmen Freitag niemand mehr den Gipfel. Das ist eher ungewöhnlich, denn an solchen Tagen sind normalerweise ca. ein Dutzend Leute am Berg.
Als ich noch vor dem Mittag wieder am Wandfuß stehe, weiß ich auch, warum. Trotz der Vorhersage, die sicheres Wetter verspricht, braut sich bereits eine Gewitterzelle direkt über der Trettach zusammen. Nachdem ich der grasigen Doppelkuppe des Wildengundkopfes einen Besuch abgestattet habe, donnert es. Später fallen einige Tropfen vom Himmel. Das Gewitter ist allerdings kleinräumig, so dass ich beim Rückweg zur Hütte nicht sprinten muss, und im weiteren Tagesverlauf kommt in der dampfigen Luft sogar wieder die Sonne zum Vorschein.

Vom Waltenberger Haus habe ich ziemlich genau 2 Stunden bis hierher gebraucht. Wenn man die Tour auf zwei Tage verteilt, geht es selbstverständlich zeitlich entzerrter und damit auch entspannter zu.

Es hat allerdings seine guten Gründe, warum die meisten Trettachbesteiger statt des Weges über das Waltenberger Haus den Direktaufstieg über die Einödsbergalpe und den Gundrücken wählen. Es geht direkter und schneller nach oben, und es gibt keine heiklen Wanderabschnitte.
Die gut einstündige Querung vom Waltenberger Haus zur Märchenwiese ist da schon eine ganz andere Hausnummer. Der schmale Weg durch steiles Mergelgelände ist zwar markiert und am Beginn sogar mit Seilen versichert, aber trotzdem noch überaus anspruchsvoll zu begehen. Selbst unter guten Bedingungen ist er mit T 4 zu bewerten. Es sind zahlreiche ausgesetzte Querungen zu bewältigen. Vor allem aber sind es die fast ganzjährig vorhandenen Altschneefelder, die Kummer bereiten können. Für diese Passagen nehme ich stets die Steigeisen mit, die mir auch heute wieder ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit geben. Wer hier als durchschnittlicher Bergsteiger ohne Ausrüstung kommt, dem kann man nur die sofortige Umkehr nahelegen, wenn man denn den Nervenkitzel nicht unbedingt braucht. Selbst das Hüttenteam empfiehlt diesen Weg nicht als Wandertour, und es ist sicherlich auch kein Zufall, dass der zum Inventar der alten Hütte gehörende Trettach-Wegweiser nicht mehr aufgestellt wurde. 


Vom Parkplatz der Fellhornbahn bin ich gestern Nachmittag nach Einödsbach geradelt und habe vom dortigen Gasthof noch ein großes Brot für Hüttenwirt Markus und seine Crew in meinen Rucksack gesteckt. Die teilweise stark unterhöhlten Schneebrücken auf dem Weg nach oben sind schon länger ein Thema bei Wanderern und Hüttenbesatzung. Der Aufstieg durch das Bacherloch ist allerdings auch so recht alpin. Auf ca. 1750m wird eine Wand mit Hilfe von Seilversicherungen, Eisentritten und Brücken überwunden. Im unteren Teil sind einige Tobel zu queren, an denen es Trittsicherheit braucht.

Schon seit längerem wollte ich unbedingt einmal auf dem seit der Sommersaison 2017 neu eröffneten Waltenberger Haus übernachten und die Atmosphäre des Neuen und den Duft nach frischem Holz einatmen. Wie ich bereits in einem früheren Tourenbericht erwähnte, finde ich die neue Hütte persönlich gut gelungen. Viele Einheimische trauern der alten Hütte bzw. den alten Zeiten nach, als der dienstälteste Hüttenwirt der Alpen, "Mandi" Böllmann, seinen Gästen Einfachheit, Ruhe und ein strenges Hüttenregiment vorexerzierte.
Aber die Zeiten, in denen Hüttenwirte durch eine Durchreiche ihren Gästen nach stundenlangem Warten Spaghetti mit wässriger Tomatensoße servierten oder in denen es für 70 Schlafplätze nur 25 Sitzplätze in der Stube gab, sind glücklicherweise auch im Allgäu vorbei. Mit übertriebenem Komfort und fehlender Urigkeit hat das alles wenig zu tun. Nach wie vor gibt es keine Materialseilbahn zur Hütte, und die Hütte selbst ist immer noch eine kleine Hütte ohne großen Schnickschnack. Von dem Flair einer unbewirtschafteten Hütte, in der man unter der Woche alleine übernachtete und selbständig für Wärme und Nahrung sorgen musste, wie etwa in den 80er-Jahren in der Spannort- oder der Calandahütte, war das Waltenberger Haus im Sommer ohnehin immer weit entfernt. Nicht zuletzt sollte auch der Arbeitsplatz des Hüttenwirtes leistungsfördernd, jedenfalls zumutbar sein, und das war er zuletzt in keiner Weise mehr. Von den vielen Rechtsvorschriften über Hygiene, Brandschutz und dergleichen ganz zu schweigen. 

Die Erinnerungen an die alte Hütte freilich bleiben. Als ich anno 1986 zum ersten Mal auf dem Waltenberger Haus übernachtete, wurde ich von Mandi zur Sau gemacht, weil ich aus lauter Spaß die Glocke betätigte, nur um zu schauen, ob er sie hören würde. Den Gute-Nacht-Keks musste ich mir daraufhin zwei, drei Stunden später bei meinem Vater erbetteln. Bei einem weiteren Besuch im Jahre 1994 entwickelte sich aufgrund eines abendlichen Platzregens, der Enge der Hütte und eines gemeinsamen Tourenziels (der Trettach natürlich) eine langjährige Freundschaft zu einem anderen Alleingänger. Später besuchte ich die Hütte nur noch, wenn es absolut notwendig war, denn den Launen von Mandi in dieser Umgebung mochte ich mich nicht mehr aussetzen, abgesehen davon, dass ich immer weniger ein Freund von Hüttenübernachtungen wurde.

An der Trettach war für mich immer wieder Neues zu entdecken, nicht nur die unterschiedlichsten Bergsteiger, die teils mit enormer Schnelligkeit und Turnschuhen unterwegs sind, teilweise aber auch stundenlange Seilsicherung praktizieren. 
Um die ideale Route zu finden, musste ich einige Male hochsteigen. Einmal kletterte ich viel zu weit rechts des Grates hoch und wunderte mich über die zahlreichen IV er Stellen auf der angeblich leichten Führe. Heute bin ich überrascht, dass an zwei Stellen am Nordostgrat noch rostige Normalhaken stecken. Es ist ja schon erstaunlich, dass ein so frequentierter Aufstieg nicht in moderner Art mit Bohr- oder Bühlerhaken ausgestattet ist. Dafür hängt heute über einem Köpfl eine nagelneue Bandschlinge mit Karabiner, die ich natürlich nicht mopse. Lange am Ort hängen wird sie vermutlich aber nicht. Ansonsten gibt es zwar am Grat überall Sicherungsmöglichkeiten, aber vor allem an den Einstiegsplatten ist schon einiges an Do-it-yourself Know-how gefragt. Eigentlich müsste man da mal mit der Bohrmaschine anrücken.  

Das Schneefeld, das in alten Bergbüchern und Tourenberichten immer als wichtiger Orientierungspunkt erwähnt wird, existiert mittlerweile nicht mehr. Aufgrund der glatten Platten kann man aber sehr genau erkennen, wo es einmal war.

Beim Abstieg über den Nordwestgrat sind einige rote Markierungspunkte, Richtungspfeile und Stand-/Abseilhaken angebracht. Das erleichtert die Orientierung, macht die Kletterei aber nicht einfacher. Der beste Weg durch die Platten ist oft nicht sofort erkennbar.
Wenn man abseilen möchte, muss man gut auf die eingerichteten Stände achten. Die Abseilstrecken sind unterschiedlich lang, zwischen 15 und 25 Metern.  
Wenn viele Kletterer unterwegs sind, ist die Steinschlaggefahr recht hoch. Gerade auf den Platten am Nordwestgrat und in der Rinne an der Schlüsselstelle liegen viele Steinchen herum. 


Die Überschreitung über den Nordost- und Nordwestgrat ist sicherlich eine der lohnendsten Klettertouren, wenn nicht die lohnendste im Allgäu zwischen dem II. und dem III. Grad. Die Felsqualität ist insgesamt für diesen Schwierigkeitsbereich als sehr gut zu bezeichnen. Gerade am Nordostgrat ist der Spaßfaktor hoch. Wenn dann noch, wie heute, wenig los ist, kann man schon von einem perfekten Bergerlebnis sprechen. 



Tourengänger: quacamozza


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Kommentare (1)


Kommentar hinzufügen

Frank1972 hat gesagt:
Gesendet am 20. August 2022 um 09:27
Toller Bericht!

Wie würdest du die Trettach im Vergleich zur Parseierspitze von der Schwierigkeit einordnen? Die Parseierspitze ist halt perfekt durchmarkiert und auch mit reichlich Bohrhaken versehen (die man nicht braucht, aber ein gutes Gefühl geben). Die Parseierspitze war für uns ok, die Trettach ist für unser Niveau wahrscheinlich eher grenzwertig. Wir sind auch nicht die Schnellsten und würden das deswegen unter der Woche statt am WE machen.


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