Trettach-Quintett


Publiziert von frmat , 13. August 2019 um 16:40. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum:11 August 2019
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Zeitbedarf: 7:15
Aufstieg: 1720 m
Abstieg: 1720 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:PKW bis Parkplatz Renksteg, Bus zur Alpe Eschbach.

Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen, steigen dem Gipfelkreuz zu...

Wer kennt ihn nicht, diesen alt-ehrwürdigen Klassiker aus der Mundorgel. Noch zu Zeiten meiner Ferienlager in den 90ern, bei denen wir die Walsertaler Berge der Reihe nach bestiegen, gehörte der Song zum klassischen Liedgut und durfte bei keinem Gitarrenabend am Lagerfeuer fehlen.
Für viele wird das natürlich der pure Kitsch sein, bei anderen weckt die Melodie heute eine romantische Sehnsucht nach dem Bergsteigen vergangener Tage, transportiert doch der Liedtext ein Erlebnis aus Naturverbundenheit und Bergkameradschaft.
In Zeiten von mit Duschen – oder noch schlimmer mit WLAN – ausgestatteten Hütten, in denen mit Pulsuhren bewaffnete Adrenalinjunkies die Alpen zum Sportgerät degradieren, und in denen die Bergbahn täglich Hundertschaften von Softshelljacken bewährten Touristen am Eingang des Klettersteiges ausspuckt, sind solche Erlebnisse rar geworden.

Aber egal ob Bergsteigerromantik oder Kitsch – der Berg, um den es hier geht, kann beides. Die 2595m in den Allgäuer Himmel ragende Trettachspitze ist ein echtes Multitalent, wenn es darum geht unterschiedliche Interessen zu bedienen. Wem der Genuss eines Postkartenidylls genügt wird sich mit der pittoresken Szenerie von Einödsbach, dem südlichsten Ort Deutschlands, zufrieden geben, welchen der Gipfel um 1,5km überragt. Für alle anderen heißt es anschnallen und aufsitzen für den Tagesritt auf den zweitschönsten Allgäuer Berg.

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Schwierigkeit und Gehzeit:
  • Alpe Eschbach – Einödsbergalpe: zunächst T1, dann T2; 1:15 Std.
  • Einödsbergalpe – Märchenwiese: oft T2, Stellen T3; 1:30 Std.
  • Märchenwiese – Einstieg: T4; 40 Min.
  • Einstieg – Trettachspitze: T6 und III, meist II; 35 Min.
  • Trettachspitze – Einstieg: zunächst T5 und II, dann 3x abseilen, unten T5+ und II, 1:15 Std.
  • Einstieg – Wildengundkopf – Einödsbergalpe: s.o.; 1:00 Std.
  • Einödsbergalpe – Einödsbach – Alpe Eschbach: T3, eine Stelle T4, zuletzt T1; 1:00 Std.

Subjektiv habe ich die Trettachspitze erheblich anspruchsvoller empfunden als die *Überschreitung der Höfats vergangenes Jahr. Dies ist sicherlich auch der nicht in Worte zu fassenden Ausgesetztheit am NO-Grat geschuldet, denn klettertechnisch ist es eigentlich sogar einfacher.

Ausrüstung:
C-Schuhe, Helm, Stöcke für den Zustieg.
Wer sichern mag: 60m-Seil, Abseilgerät, je 5 Exen und Schlingen.

Absicherung:
NO-Grat: Keine gebohrten Stände, vereinzelt Klebehaken und Normalhaken, Köpfl-Schlingen können reichlich gelegt werden.
NW-Grat: Gebohrte Stände, jedoch nicht bis zum Gipfel, vereinzelt Zwischensicherungen.

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In unsren Herzen brennt eine Sehnsucht, die lässt uns nimmermehr in Ruh...

Was die Trettachspitze anbelangt existiert die Sehnsucht sie zu besteigen schon seit geraumer Zeit, und so wird es mutmaßlich vielen gehen, denen es die Allgäuer Berge angetan haben. Sowohl der Respekt vor der Ernsthaftigkeit der Route als auch ein passender Termin, an dem jeder aus unserem Grüppchen Zeit hat, haben das Unternehmen bislang vereitelt. Aber heute soll es nun endlich raufgehen.

Als der Bus um kurz vor halb Acht bei der Alpe Eschbach die Türen öffnet, liegen nicht nur eine Nacht mit wenig Schlaf sondern auch eine knapp einstündige Autofahrt und ein paar Kilometer im Bus hinter uns. Da sich die Gespräche unterwegs auch um die Bergunfälle der letzten Tage drehten konnte von einem entspannten Start eher nicht die Rede sein. An der Trettach gibt es – wie an der Höfats – keine Verletzten. Mit dem nötigen Respekt machten wir uns daher auf den Weg talein, bis wir nach wenigen Minuten vom Sträßlein nach links auf einen steilen Alpweg wechselten. Das war insofern gut, als dass es nun statt unschöner Gedanken zu hegen eher galt, einen passenden Gehrhythmus zu finden. Zeit zur Entspannung und um den Puls zu drosseln bietet das Gelände kaum. Die Route führt immer stramm aufwärts bis wir neben der Einödsbergalpe eine erste kleine Rast einlegen. Jetzt sind wir endlich drin, die Anspannung fällt erstmal ab und wir genießen das uns umgebende Ambiente.

Ja ja ja, herrliche Berge, sonnige Höhen…

Auch nach der Alpe führt der Pfad derart steil bergan, dass wir meist nur einen Blick auf die nächsten, schlammigen Tritte haben. Rasch verlassen wir die Waldzone und betreten die für den Lias-Fleckenmergel typischen Hochwiesen mit ihrer Blütenpracht, die nicht nur eine echte Augenweide sind, sondern auch einen Duft wie im Kräuterladen versprühen. So wird die Rast in einem Sattel auf dem Himmelschrofenzug unterm Spätengundkopf ein Erlebnis für die Sinne. Den Gipfel auf dem Hinweg rechts umgehend wird das Gelände bald durchaus ein wenig ausgesetzt. Vor allem bei der Umgehung des Wildengundkopfes genießt man prächtige Tiefblicke ins 1000m unter uns liegende Einödsbach. Dann ein paar Meter hinab zur Märchenwiese und gleich weiter ins mächtige Schuttkar, in welchem die Nordwand der Trettachspitze fußt. Zwei Steinböcke beobachten uns und suchen bald unter lautem Krachen das Weite. Hier machen wir eine ausgiebige Fresspause und unterhalten uns über das weitere Vorgehen und die Route. Wie bereits daheim abgesprochen möchte Benni den Gipfel auslassen, eine Entscheidung, die mir höchsten Respekt abverlangt, ist der Verzicht doch meist härter als der Gipfelaufstieg selbst. Auch die Frage der Absicherung haben wir bereits im Vorfeld geklärt: So lange sich alle wohlfühlen gehen wir seilfrei hoch. Dementsprechend passt die folgende Zeile im Liedtext nur suboptimal:

Mit Seil und Haken, alles zu wagen, hängen wir in der steilen Wand…

Für uns müsste es heißen: Rundherum Steine, Haken fast keine, stehen wir auf dem schmalen Grat… Aber um dorthin zu kommen müssen wir zunächst das Schuttfeld an seinem linken Rand hochsteigen. Und dann geht‘s zu Sache, aber wie. Die nette IIer-Kletterei in der plattigen Rampe wird rasch kleingriffig, erste Stellen im Schwierigkeitsgrad II-III spülen ein wenig Adrenalin in den Körper. Auch hier erlauben nur ganz wenige Unterbrechungen ein echtes Durchatmen, der Tiefblick macht mulmig. Dann der Ausstieg nach links auf den Grat mit garantiertem Wow-Effekt. In aberwitziger Ausgesetztheit führt der NO-Grat zapfig bergan. Es ist steil, schmal aber dennoch immer gutgriffig, somit technisch relativ einfach.

Wolken sie ziehen (noch nicht), Edelweiß blühen (hier nicht), wir klettern mit sicherer Hand…

Letzteres ist allerdings sakrosankt, denn der geringste Fehler endet hier mit ziemlicher Sicherheit am Wandfuß, wahlweise auf der Nord- oder Ostseite. Der kurzzeitig aufblitzende Gedanke bezüglich einer Anfrage zur Seilsicherung wird dankenswerterweise von Ulf ad absurdum geführt, denn sein wohlwollender Zuspruch und seine Erinnerung an meine Fähigkeiten ermutigen mich, konzentriert weiterzuklettern. Und trotzdem, so ganz traue ich dem Braten nicht. Die kleinen zu überkletternden Türmchen entpuppen sich zwar als recht solide, dennoch lassen die Berichte von diversen Felsausbrüchen im Alpenraum meinen Wohlfühlfaktor im unteren Drittel verharren. Schließlich habe ich gerade einige hundert Meter Luft unterm Pöter, aber was solls, ich trete die Flucht nach vorne an. Glücklicherweise erreiche ich wenige Minuten später den Blodigkessel, wo die anderen schon auf mich warten. Über uns lockt die kaum ausgesetzte Schlüsselstelle, ein nach links abdrängender Riss (III-), der mit etwas hochstemmen recht einfach zu meistern ist. Außerdem sind wir danach auf dem Gipfel. Dachte ich. Statt dem Gipfelerlebnis stellt sich noch ein drei Meter hoher Turm in den Weg, und auch dieser fiese Möpp kann eine II+ und ist gut ausgesetzt. Aber danach ist es es geschafft.

Fels ist bezwungen, frei atmen Lungen, ach wie so schön ist die Welt...

Völlig korrekt diese Textzeile, wer den Gipfelblick von der Trettach nicht als grandios empfindet, dem ist nicht mehr zu helfen. Vor allem das Panorama über den schnurgeraden Himmelschrofenzug kann überzeugen und wird gerne mit dem Blick vom Oberdeck eines Schiffes verglichen. Vis-à-vis kann man den Besteigern der Mädelegabel zuwinken. Nach einigen Minuten am Gipfel, den wir überraschender Weise ganz für uns allein haben, bereiten wir uns auf den Abstieg vor. Der bedeutet zunächst mal, das Seil auszupacken, denn Abklettern ist zumindest mir erheblich zu heikel. So beschließen wir dann, alle vier bis auf die Platten im unteren Teil abzuseilen, was mit einem 60m-Seil ein dreifaches Manöver bedeutet. Blöd ist nur, dass der erste Haken zunächst kraxelnd erreicht werden will. Über den schuttigen, noch recht flachen NW-Grat kommen wir an eine schmale Schneide, unter der sich der erste Ring versteckt (II). Dann in rascher Abseilfahrt hinab, immer links haltend, und wir gewinnen bald wieder flacheres Terrain. Flach bedeutet in diesem Fall aber nur, dass es nicht mehr senkrecht ist. Nach wie vor verlangt das Gelände Konzentration und vor allem Trittsicherheit, denn noch trennen uns gut 80 Höhenmeter vom Wandfuß. Step by step geht‘s hinab, immer die schwächste Route nutzend, durch Rinnen und über Bänder, bis wir nach wenigen Minuten durchatmen können.

Handschlag, ein Lächeln, Mühen vergessen, alles aufs Beste bestellt…

Wie üblich kommt der Genuss mit dem Verschwinden der Anspannung. Und obwohl uns noch 1500 Höhenmeter vom Radler auf der Alpe Eschbach trennen, könnte ich mich nun wohler nicht fühlen. Alle gesund, dankbar und glücklich wieder unten. Eine zweite Fresspause erleichtert unsere Rucksäcke. Der Rest ist schnell erzählt: Zurück zur Märchenwiese, die Grasgupfe von Wildengundkopf und Spätengundkopf noch bestiegen und im Tiefflug hinab zur Einödsbergalpe, wo sich einer von uns im Brunnen sogleich eine Frischzellenkur für nahezu den gesamten Körper genehmigt. Dann nochmals Konzentration für den gar nicht so trivialen Abstieg nach Einödsbach, mit Postkarten-Motiv von Kapelle und Trettachspitze. Das lockere Auslaufen zurück zur Alpe Eschbach nimmt noch einmal 20 Minuten in Anspruch und nach einem Radler heißt es:

Wir kommen wieder, denn wir sind Brüder...

Nun, Bergvagabunden sind treu, klar. Wer das Allgäu mag sowieso. Ob ich allerdings nochmal auf die Trettach muss? Hm, eher nicht. Einen derartigen Adrenalinschub verkrafte ich nicht alle Tage. Außerdem war das Erlebnis einfach viel zu schön, als dass es so einfach zu toppen wäre. Aber gelohnt hat es sich in jedem Fall. Für die Zukunft werde ich mir diesen schönen Berg wohl eher aus der Umgebung anschauen und mich an einen unglaublich lohnenden Bergtag mit vier tollen Kameraden erinnern.

Tourengänger: frmat, quacamozza, Benniben


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Kommentare (2)


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Nic hat gesagt:
Gesendet am 14. August 2019 um 12:46
Schöne Tour und umso bessere Erzählung! Die T6 Bewertung im Tourenkopf überrascht mich etwas, da es sich ja überwiegend um Kletterei handelt. Wie auch immer. Gratulation zurr genialen Tour!

VG Nico

frmat hat gesagt: RE:
Gesendet am 14. August 2019 um 19:14
Servus Nico und danke für das Lob.

Die T6-Bewertung ist letztlich bei dieser Tour Ansichtssache. Der Zustieg ist zweifelsfrei nie schwerer als T4. Sofern man alles andere als reine Kletterei bewertet ist es T4/III. Allerdings gibt es im Gipfelaufbau durchaus Stellen, in denen nicht geklettert wird. Es sind wenige, klar. Für dieses Gehgelände kann man durchaus ein T5/T6 vergeben.

Beste Grüße


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