Animiert durch einen Tourenvorschlag in Blodigs Alpenkalender, beschloß ich, mal wieder das schöne Schweizer Ländle zu besuchen und dort das Vordere Gärstenhorn zu besteigen - ein Geheimtip über dem Grimselpaß, angeblich mit hervorragender Aussicht, u.a. auf das Berner Oberland und die Walliser Berge. Ich sollte nicht enttäuscht werden.
Das Vordere Gärstenhorn erhebt sich zwischen Grimselpaß und Rhonegletscher, sehr eindrucksvoll von der südseitigen Furkapaßstraße zu bestaunen. Was ich zunächst noch nicht wußte: es sollte ein anstrengeder Kampf gegen grobes Blockwerk werden, völlig weglos zunächst die Südflanke hinauf, bestenfalls gelegentliche Steigspuren, zuletzt (mühsame) Kletterei über den SW-Grat zum Gipfel. Der Preis für einen Tag in totaler Einsamkeit!
Hier kann ich mal getrost eine Schwierigkeitsbewertung abgeben: der SAC-Führer "Urner Alpen 2" bewertet den SW-Grat auf das Vordere Gärstenhorn mit WS.
Früh um 6 Uhr startete ich an den Gestaden des Grimselsees - genauer gesagt: des Totensees, dieser kleinen Lacke unmittelbar auf der Paßhöhe (2165m). Bis auf weiteres folgte ich der Beschilderung zum Nägelisgrat - Rhonegletscher, da führt ja ein schmuckes Weglein hinüber zum Hotel Belvedere an der Furkastraße. Wunderbar, diese herbstlichen Farben gegen den makellos blauen Septemberhimmel zu früher Morgenstunde!
Schon sehr schnell hat man genügend Höhe gewonnen, um hineinschauen zu können in die Mischabelgruppe: Alphubel, Täschhorn und Dom hatten bereits die erste Ladung Schnee abbekommen. Über den Simplon grüßen die Gipfel der Weißmiesgruppe herüber, allen voran das Laggin- und Fletschhorn mit imposanten Nordflanken.
Am schuttbedeckten Lauteraargletscher entlang gleitet der Blick hinein ins Berner Oberland, zum Finsteraarhorn, zum Lauteraarhorn und all den anderen stolzen Drei- bzw. Viertausendern.
Mein Ziel, die sonnenüberflutete Felspyramide des Vorderen Gärstenhorns, beobachtete meinen Weg mit abwartendem Schweigen - grad so, als wollte es sagen: warte nur, balde ...
Gut 1,5 Stunden nach Abmarsch hatte ich das weitläufige, felsdurchsetzte Wiesengelände des Nägelisgrates erreicht. Inzwischen lugten auch das Matterhorn und das Weißhorn herüber. Der Galenstock spiegelt sich in der Lacke des Grätlisee (2661m). Nur: irgendwo hier müßte es nun hinauf gehen Richtung Gärstenhorn - weit und breit keine diesbezügliche Markierung, kein erkennbarer Abzweig! Es hatte keinen Sinn, noch weiter den Markierungen zum Rhonegletscher zu folgen - jenseits des Grätlisees fällt der Steig wieder ab. Wohl oder übel mußte ich nun die extrem schuttige Block- und Geröllflanke in Angriff nehmen, die zur deutlich sichtbaren Scharte am Begin des SW-Grates des Vorderen Gärstenhornes hinaufführt. Puh, das konnte ja heiter werden! Also los....
Es war ein anstrengender Kampf, bis ich nach einer weiteren guten Stunde besagte Scharte erreicht hatte. Geländeblick, Trittsicherheit, urwüchsige Urgesteinslandschaft, zerborstene Gesteinstürme - wieder mal so recht nach meinem Geschmack! Und immer wieder dieser Blick zu höheren Zielen .... phantastisch!
Die Schlüsselstelle des Aufstiegs ist eine 20m hohe Felsstufe, die bei etwa 3000m entlang eines Risses auf den oberen Teil des SW-Grates (in der LK als Gärstengrat bezeichnet) hinaufleitet. Das Gestein ist hier nicht ganz zuverlässig, man befindet sich zudem in etwas exponierter Situation unmittelbar neben dem von überall her deutlich erkennbaren Plattenschuß, der vom Gärstengrat mind. 100m in das Blockgelände abfällt, durch das man zuvor aufgestiegen ist. Umso erfreulicher ist, daß diese Felsstufe durch ein lose herabhängendes Seil abgesichert ist, das vor allem beim Abstieg hervorragende Dienst leistet. Also immerzu hinauf, es wird schon gehen, ich würde die folgenden 20m mit II+ einstufen!
Hat man diese einzig schwierige Stelle des Aufstiegs überwunden, geht es in anregender Kraxelei immer auf bzw. knapp links (nordwestlich) neben der Schneide aufwärts. Diese Seite besteht - wie könnte es sein - aus losem, aber problemlos zu begehenden Blockwerk. Steigspuren allerdings gibt es auch hier nicht.
Nach einiger Zeit erreichte ich dann den Gipfelaufbau - wo geht es denn jetzt weiter? Dieser Berg wartet mit erstaunlich vielen (mäßig erfreulichen) Überraschungen auf! Man quert nun zuletzt südlich über loses Blockwerk um den Gipfelaufbau herum, kommt so auf die Ostseite und turnt nun hoch über dem Rhonegletscher dem Gipfel entgegen. Dabei geht es - in für Urgestein typischer Manier - über große, aber lose Platten einigen Steinmandln folgend, endgültig hinauf. Um 10:20 Uhr saß ich auf dem Gipfel, einer Ansammlung loser Platten, die nicht allzuviel Platz zum Ausruhen bieten. Aber die Aussicht - wow, die entschädigt für die teils nicht unerheblichen Mühen des Aufstieges! Seht Euch die Bilder an, sie sagen wie so oft mehr als tausend Worte. Wolkenloser Septemberhimmel, wohin mein Auge blickte .....
Der Abstieg ist erfreulicherweise wesentlich weniger anstrengend als der Aufstieg. An der Schlüsselstelle half mir das lose Fixseil ganz erheblich, und die südseitige Schuttflanke kann man teilweise leidlich vorsichtig abfahren.
Am frühen Nachmittag war ich wieder am Grimselpaß zurück und fuhr dem nächsten Ziel entgegen. Der folgende Tag sah mich oberhalb von Macugnaga, unterhalb des Monte Moro-Passes, in unmittelbarem Angesicht der Monte-Rosa-Ostwand auf dem Faderhorn. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.
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