Liskamm-Überschreitung


Publiziert von roger_h , 14. September 2016 um 23:05.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:13 September 2016
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 12:00

Ende August hatte ich mich bereits mit dem Gedanken angefreundet, dass es im 2016 für mich keine Tour jenseits der 4000er-Grenze geben wird. Abhaken und die Planung für 2017 starten lautete zu diesem Zeitpunkt meine Devise. Alleine der Initiative meines Bergführers Jean-Paul und der damit verbundenen Kontaktaufnahme ist es zu verdanken, dass ich am Ende der Hochtourensaison 2016 dann doch noch eine sensationelle Tour unternehmen durfte.

Jean-Paul und ich telefonierten einige Male, während diesen Telefonaten wechselten wir mehrere Male das Tourenziel oder verschoben die Tour auf ein anderes Datum. Wir einigten uns schlussendlich auf eine Liskamm-Überschreitung. Mit dem geplanten Start beim Klein Matterhorn und Tourende bei der Station Rotenboden wartete das Jahr 2016 betreffend Höhenmeter und Horizontaldistanz definitiv noch mit einem echten Konditions- und Belastungstest auf.

Ich übernachtete von Sonntag auf Montag in der Sidelenhütte im Furkagebiet. Einerseits lernte ich letztes Jahr auf unserer Tour zum *Galenstock die Hütte und Hüttenwart Walti Gisler kennen und schätzen, andererseits liegt die Hütte immerhin auf 2700m und bietet damit ein ideales Ziel für eine erste Höhenakklimatisierung auf dem Weg ins Wallis. Den Fehler, direkt von zuhause aus eine Nacht in der Lodge Klein Matterhorn zu verbringen, wollte ich nach 2013 kein zweites Mal begehen. Den Montag nutzte ich dann für die Anreise nach Zermatt und zum Klein Matterhorn, wo ich am Abend Jean-Paul traf.

Wir starteten am Dienstag um 4:00 Uhr zur Tour, den Marsch zum Einstieg des Castors und den Gipfelaufstieg absolvierten wir bei völliger Dunkelheit. Sogar der Mondschein hatte seinen Dienst quittiert und so spendeten nur unsere Stirnlampen etwas Licht. Die letzten Höhenmeter zum Ausstieg auf den Gipfelgrat des Castors waren blank und mühsamer als ich dies von meinen beiden vergangenen Castor-Besteigungen im Gedächtnis hatte. Den scharfen Gipfelgrat im Dunkeln zu absolvieren und sowieso mein erster 4000er-Gipfel bei Dunkelheit war ebenfalls etwas Neues und somit Spezielles.

Nach einem kurzen Abstieg vom Castor gelangten wir ins Felikjoch und querten zum Einstieg zum Liskamm. Auch hier präsentierte sich die steile Flanke vor dem Westgipfel mit einigem Blankeis. Wir schraubten uns zu den Felsen unterhalb des Ausstiegs zum Westgipfel. In diesen Felsen liess sich ein grosser Teil der vereisten Flanke komfortabel umgehen. Am Liskamm-Westgipfel bestätigte sich endgültig, dass wir den Tag für die Tour nicht besser hätten wählen können. Wir waren die einzige Seilschaft am Liskamm und das Wetter zeigte sich von seiner bestmöglichen Seite.

Der Grat zum Ostgipfel ist wie vielerorts beschrieben recht "scharfkantig" und die Schritte müssen konzentriert gesetzt werden. Der Grat fällt auf beiden Seiten steil ab. Wir fanden eine gutgriffige Spur vor. Ab und zu wird der Schneegrat von felsigen Abschnitten unterbrochen, an einer Stelle ziemlich bald nach dem Westgipfel geht es ein paar Meter abwärts, man kann dort an Schlingen abseilen oder recht einfach abklettern. Der Schlussanstieg zum Ostgipfel ist noch einmal recht steil und kräftezehrend.

Vom Ostgipfel geht es bald steil abwärts in Richtung Lisjoch und es ist noch einmal höchste Konzentration gefordert. Im Lisjoch angekommen  fragte mich mein Bergführer, welche der vor uns liegenden Schweizer 4000ern mir noch in der Liste der 48 fehlen würden, mir schwante sofort, dass er mir in diesem Moment eine Fangfrage stellte. Ich war mir vor der Tour ziemlich sicher, dass mich die Strecke vom Klein Matterhorn nach Rotenboden mehr als genügend fordern wird. Deshalb und aufgrund der noch zu erwartenden 5 Stunden Marsch bis Rotenboden war ich mehr als skeptisch, ob ich noch weitere Gipfel anhängen wollte, auch wenn diese Gipfel jeder für sich vom Lisjoch aus keine Gewaltsleistung mehr darstellen. Jean-Paul machte den in meinen Augen zu diesem Zeitpunkt völlig verrückten Vorschlag, noch schnell Ludwigshöhe, Parrotspitze, Signalkuppe und Zumsteinspitze "mitzunehmen", bevor wir ins Tal absteigen, also sozusagen eine "kleine" Spaghettitour an einem Tag zu absolvieren.
Wir einigten uns darauf, die Ludwigshöhe zu besteigen und dann weiterzusehen. Ausgerechnet während dem Aufstieg zum Gipfel hatte ich eine kleine Schwächephase mit Kopfschmerzen, deshalb teilte ich Jean-Paul mit, dass ich nach der Ludwigshöhe gerne absteigen würde.

Der Abstieg über den Grenzgletscher Mitte September ist ein zweifelhaftes Vergnügen. Je näher man der neuen Monte-Rosa-Hütte kommt, umso mehr gleicht der Abstieg einem zeitraubenden Hindernisparcour und Zick-Zack-Lauf. Auf der Monte-Rosa-Hütte gönnten wir uns eine Stunde Pause mit einem kühlen Blonden (Bier, die Bedienung war zwar ebenfalls etwas kühl, aber dunkelhaarig). Der Weg zum Rotenboden zog sich dann noch elend in die Länge, aber ich war nun wieder voll bei Kräften (ist Bier vielleicht wirklich isotonisch?), Jean-Paul konnte sich aufgrund meines finalen Energieanfalls die Bemerkung nicht verkneifen, dass heute doch noch mehr Gipfel dringelegen wären. Spätestens nach dem Erblicken der einfahrenden Gornergratbahn und dem resultierenden Spurt zum Rotenboden war dann aber bei mir endgültig der Ofen aus.
Müde und überglücklich ging ich zuhause ins Bett mit der Gewissheit, meinem Touren-Palmarès einen weiteren Höhepunkt hinzugefügt zu haben.

Die Liskamm-Überschreitung ist bei guten Verhältnissen eine Tour, die nicht übermässig schwierig ist, den Bergsteiger aber während mehrerer Stunden mental fordert. Man bewegt sich über eine recht grosse Strecke wörtlich auf der Messers Schneide. Bei schlechten Verhältnissen oder stark verwächtetem Grat wird die Überschreitung aus meiner Sicht schnell zum Unternehmen, welches den sehr erfahrenen Alpinisten fordert.
Wir waren - die einstündige Pause in der Monte-Rosa nicht eingerechnet - 12 Stunden unterwegs. Wir waren recht flott unterwegs und hatten abgesehen vom Ausstieg zum Castor und zum Liskamnm-Westgipfel gute Verhältnisse.

Tourengänger: roger_h


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Kommentare (11)


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Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 15. September 2016 um 06:28
Genial! Gratulation zu dieser unverhofften Liskamm-Überschreitung! Eine super Tour, welche ich auch noch in bester Erinnerung habe ...

Gruss, Richard

roger_h hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. September 2016 um 08:20
Sali Richard

Danke für deine Gratulation, ja der Liskamm ist eine wahrhaft tolle Tour, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Gruss
Roger

garaventa hat gesagt: Dank
Gesendet am 15. September 2016 um 06:51
des hervorragenden Wetters im September, hast Du alles richtig entschieden.

Ich gratuliere zur erfolgreichen Überschreitung und denke, dass Du im nächsten Jahr die restlichen Monte-Rosa-Gipfel jenseits der Ludwigshöhe auch noch einsammeln wirst.

Gruss

dominik hat gesagt: RE:Dank
Gesendet am 15. September 2016 um 07:18
Gratuliere!

roger_h hat gesagt: RE:Dank
Gesendet am 15. September 2016 um 08:23
Danke dir!

Gruss
Roger

roger_h hat gesagt: RE:Dank
Gesendet am 15. September 2016 um 08:23
Danke auch dir vielmals. Die Monte-Rosa-Gipfel stehen nicht zuoberst auf meiner Wunschliste, aber früher oder später werde ich wieder einmal Gelegenheit dazu erhalten, diese zu besteigen.

Gruss
Roger

amphibol hat gesagt: Herzliche Gratulation!
Gesendet am 15. September 2016 um 07:43
..umso mehr in Anbetracht deines Leidens in diesem Jahr. Alle Achtung für die gewaltige Tour! Es scheint als ob dein Trainingsprogramm, trotz abruptem Zwischenhalt, trotzdem gefruchtet hat, und wie! So macht das dann auch nicht jeder! ;-). Vielleicht nachhaltiger, hast du nicht noch die Hörner dahinter abgeklappert... Erscheint mir so oder so günstiger vielleicht mal mittels einer Skitour..

Gratulation und auf nächsten Sommer!
Gruss, Raphael

roger_h hat gesagt: RE:Herzliche Gratulation!
Gesendet am 15. September 2016 um 08:36
Hoi Raphael

Danke für deinen Kommentar und deine Glückwünsche!

Es tat vor allem mir irgendwie gut, dass ich diese Tour noch machen konnte. Ich hatte mir im Frühling schon allerlei ausgemalt wegen meiner Hüfte, da war die Trainings-Zwangspause noch das kleinste aller möglichen Übel.

Natürlich motiviert mich der Gedanke an den nächsten Sommer überaus, aber ich muss schauen, dass das Ganze nicht in Übermotivation umschlägt. Weil Ärzte verwenden plötzlich auffällig häufig eigenartige Formulierungen, wenn die Patienten die 40ig überschritten haben ("Männer in ihrem Alter, Hang zur Übertreibung, es lieber langsam angehen lassen" etc.) :-)))

Danke noch einmal und Gruss
Roger

WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 15. September 2016 um 20:06
Hallo "alter" Mann, natürlich ist Bier isotonisch!!! Erinnere dich wie müde und kaputt wir nach der Strahlhorn-Süd-Tour waren als wir die Britanniahütte erreichten... und mit welch federnden Schritten wir dieses Etablissement wieder verliessen!! Glückwunsch zur Tour, ich hätte es nicht besser machen können :-)
Übrigens: nur noch 15 Tage bis zum Hikr Treffen, wir freuen uns!!
lieben Gruß vom jungen Spund aus Flachlandhausen.

roger_h hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. September 2016 um 20:17
Wahrlich das erste Mal, dass jemand für eine SAC-Hütte den Begriff Etablissement verwendet. Aber wenn jemand das schafft, dann mein Freund WoPo! :-))

WoPo1961 hat gesagt: RE:
Gesendet am 15. September 2016 um 20:35
Bis ich DAS Wort richtig schreiben konnte, hab ich auch ein paar Tage für gebraucht.. da warst du noch garniert auf Tour.


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