Von der Göscheneralp zum Furkapass (Lochberglücke, 2814 m)


Publiziert von Fico , 1. September 2015 um 22:37.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum: 5 August 2015
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR   CH-VS 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1700 m
Abstieg: 1070 m
Strecke:Göscheneralpsee - Älprigenplatten - Älprigensee - Lochberglücke - Albert Heim Hütte - Schafberg - "Nepali Highway" - Sidelenhütte - Furkapass (ca. 21 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Göscheneralp, Dammagletscher
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Furka, Passhöhe
Unterkunftmöglichkeiten:Albert Heim Hütte
Kartennummer:1231 (Urseren)

Als dieses Jahr im Mai Felsbrocken so schwer wie Lokomotiven in die Schöllenenschlucht stürzten, blieb die Strasse von Göschenen nach Andermatt während mehrerer Wochen gesperrt. Ausser per Bahn war das Urserental nur auf Umwegen über die Alpenpässe Oberalp, Gotthard oder Furka erreichbar – oder zu Fuss von Norden, vom Göschenertal her. Betrachtet man die Landeskarte mit den Wanderwegen, fällt sogleich die blau eingezeichnete Route auf, die von der Göscheneralp über die Lochberglücke führt. Es ist nicht der alleinige Übergang vom Göschener- ins Urserental, jedoch der einzige durchgehend weiss-blau-weiss markierte und unterhaltene Weg. Und auch dieser ist lang und beschwerlich und führt durch alpines Gelände.
 
Als ich vor einem Jahr die Route auf der Karte entdeckte, war ich sogleich begeistert. Aufgrund der vorhandenen Berichte hielt ich die Tour machbar für mich. Im Wege standen jedoch Wetter und Verhältnisse. Im Frühsommer lag noch zu viel Schnee und nach dem verregneten Sommer hatte es im Herbst schon bald wieder geschneit. So gab ich mich, bevor der Winter kam, mit dem Urschner Höhenweg zufrieden und wartete auf eine gute Gelegenheit. Diese schien nun gekommen. Ich reservierte einen Schlafplatz in der Albert Heim Hütte und einen Sitzplatz im Postauto zur Göscheneralp.
 
Auf der Bahnfahrt am Morgen stelle ich fest, dass in der Zentralschweiz die Wolken bis tief hinunter reichen. Die ganze Rigi-Kette liegt im Nebel. Diesmal nicht „unten grau und oben blau“, wie so oft im Winter. Heute sieht es genau umgekehrt aus. Am Abend vorher hatte ich noch kurz im Internet die Wetterprognosen angeschaut. Nur einer der Wetterdienste hatte eine Wolkendecke prophezeit, die von der Bise an die Berge gedrückt werde. Was wird mich beim Aufstieg zur Lochberglücke erwarten? Hätte ich vielleicht doch besser auch Handschuhe eingepackt?
 
Meine Befürchtungen erweisen sich als unbegründet. Als ich auf der Göscheneralp aus dem Postauto steige, ist der Himmel nahezu wolkenlos. Offenbar war das, was ich auf der Fahrt gesehen hatte, Restbewölkung, die von der kräftigen Augustsonne schnell aufgelöst wurde. Die kleine Glocke am Wegesrand erinnert an die ehemalige Siedlung Hinteralp, die vor mehr als einem halben Jahrhundert dem Stausee Platz machen musste. Es kommt mir wieder in den Sinn, dass mir mein Vater einmal, als ich noch klein war, vom Widerstand der Hirtenbauern gegen ihre Vertreibung erzählte. Er hatte seinerzeit seine Aktivdiensttage in der Gegend geleistet. Der Stausee auf der Göscheneralp war übrigens der Ersatz für das Grossprojekt, welches das ganze Urserental von Andermatt bis Realp unter Wasser gesetzt hätte, wenn sich die ansässige Bevölkerung nicht erfolgreich dagegen gewehrt hätte.
 
Es ist wie so oft bei meinen Touren: Zum ersten Mal bin ich auf der Göscheneralp. Es gibt so manche Orte, die ich noch nie besucht habe. Im Alter die Schweiz entdecken? Warum auch nicht! Um Neues zu erleben, braucht es weder Reisebüro noch Flugzeug. Ein Internetanschluss und ein Halbtax-Abo (oder ein GA Senior) genügt. Und ein wenig Abenteuerlust sowie die Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen. Selbst wenn ich jeweils direkt von zu Hause aus losmarschiere, fallen mir in den heimischen Wäldern immer wieder Dinge auf, die ich früher, beim flüchtigen Vorbeigehen, übersehen hatte.
 
Der Wegweiser am Ende des Staudamms gibt für die Lochberglücke eine Zeit von 3 h 15 min an und für die Albert Heim Hütte 4 h 30 min. Das ist recht sportlich. Immerhin sind bis zur Lochberglücke gut 1000 Höhenmeter zu bewältigen sowie rund 6 km Horizontaldistanz. Mich brauchen diese Zeitangaben nicht zu kümmern. Das Abendessen in der Hütte ist um halb sieben. Ich kann es gemütlich nehmen. Überhaupt soll diese Zweitagestour stressfrei verlaufen und auch ohne Adrenalinschübe. So habe ich mir vorgenommen, immer schön auf dem Weg zu bleiben und keine abenteuerlichen Abstecher zu unternehmen.
 
Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Bereits im Aufstieg zu den Älprigenplatten verliere ich die Markierungen aus den Augen und komme zu weit rechts ins Schrofengelände. Auf einer Felsplatte mache ich Halt und warte, bis die nächste Wandergruppe – von denen heute einige unterwegs sind – unter mir vorbeizieht. Nun quere ich das kurze Stück und bin schnell wieder auf dem markierten Weg. Ab jetzt richte ich mich mehr nach den Markierungen als nach dem Weg. Weiter oben ist es ohnehin am besten, direkt auf den rauen, trockenen Granitplatten zu gehen.
 
Bei den beiden Älprigenseeli mache ich Halt und geniesse die Schönheit der Landschaft. Mehr als zwei Drittel des Aufstiegs liegen hinter mir. Die verbleibenden dreihundert Höhenmeter führen durch deutlich alpineres Gelände mit Geröll und groben Felsblöcken. Bald taucht auch das erste, etwas längere Schneefeld auf. Während ich die Wanderstöcke bereit mache, kommt mir ein Paar entgegen, das mich freudig überrascht grüsst. Ich sei heute der erste Wanderer, dem sie seit Realp begegnen. Das ist tatsächlich erstaunlich, denn vor mir – so glaube ich gesehen zu haben – sind noch andere unterwegs. Vielleicht nahmen sie einen andern Weg zwischen den Felsen hindurch, so dass sie einander nicht bemerkt haben.
 
Über die Lochberglücke (2814 m) weht ein Wind, der sich, obwohl er von Süden kommt, recht kühl anfühlt. Vor allem wenn eine der vorbeiziehenden Wolken die Sonne verdeckt. Sonst ist es auch auf dieser Höhe hochsommerlich warm. Das ist nicht weiter erstaunlich, wenn man weiss, dass heute die Nullgradgrenze auf über 4500 m liegt. Für die verspätete Mittagsrast – es ist fast 14 Uhr – suche ich mir ein windgeschütztes Plätzchen hinter den Felsen. Es ist ein faszinierender Ort, inmitten wilder, bizarrer Felszacken. Und die Versuchung ist gross, weiter Richtung Lochberg hinaufzukraxeln. Es sieht nicht schwieriger aus als der bisherige Aufstieg. Dennoch lasse ich es bleiben. Seit meinem Gonzen-Abenteuer habe ich mir vorgenommen, auf waghalsige Alleingänge zu verzichten.
 
Der Abstieg Richtung Urserental ist am Anfang sehr steil. Der Weg ist staubtrocken, sandig oder mit feinem Geröll bedeckt, auf dem sich die herumliegenden Steinbrocken wie auf Kugellagern bewegen. Nur ab und zu wird er von kleinen Schneefeldern unterbrochen. Der Permafrost scheint hier der Vergangenheit anzugehören. Kurzum, es ist angezeigt, behutsam abzusteigen und sich lieber, wo es geht, mit einer Hand festzuhalten. Zum Glück ist nur das erste Wegstück so, nachher wird es besser. Der Weg allerdings bleibt steinig und beschwerlich, bis man den kleinen See – nach den Hitzeperioden dieses Sommers eher ein Tümpel – erreicht, wo Schafe friedlich grasen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Weggabelung: links geht es hinab Richtung Realp, rechts hinauf zur Albert Heim Hütte.
 
Beim Abendessen in der Hütte bleibt kaum ein Platz frei. Entsprechend gut belegt sind auch die Schlafplätze. Ich bin froh, ein „Zweierabteil“ im Massenlager für mich allein zu haben. Sehr früh, kurz nach Sonnenuntergang, lege ich mich schlafen. Andere, die ihren Schlafplatz später aufsuchen und glauben, ihre Suche auch mit Worten kundtun zu müssen, kümmert das wenig. Einer erklärt seiner Frau dreimal, und dies keineswegs im Flüsterton, wo er die Taschenlampe hinlegt, damit er sie wieder findet, wenn er in der Nacht aufstehen muss. Als sie ihn darauf hinweist, dass andere Leute bereits am Schlafen sind, meint er: „Die schlafen gar nicht, die haben sich nur hingelegt!“ Gewiss, jetzt nicht mehr…
 
Der Sonnenaufgang in den Bergen ist jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis. Um ihn ja nicht zu verpassen, stehe ich frühzeitig auf. Um 7 Uhr habe ich bereits fertig gefrühstückt, gepackt und mache mich auf den Weg. Zuerst besuche ich den Schafberg (2591 m). Ein richtiger Gipfel mit Kreuz, der von der Hütte in einer knappen halben Stunde auf dem weiss-rot-weiss markierten Bergweg bequem erreichbar ist. Nach einer kurzen, morgendlichen Gipfelrast zurück zur Hütte und weiter Richtung Furkapass, dem Ziel meiner zweitägigen Tour. Das Postauto fährt erst nachmittags um zwei Uhr. So habe ich alle Zeit der Welt, um dorthin zu kommen.
 
Der Höhenweg von der Albert Heim Hütte zur Sidelenhütte, der sog. „Nepali Highway“, ist weiss-blau-weiss markiert und gilt somit als Alpinwanderweg mit besonderen Gefahren. Solche habe ich jedoch nirgends bemerkt. Er ist weder steil noch ausgesetzt und über die beiden einzigen, kurzen Kraxelstellen hilft ein Fixseil hinweg. Die Querung einer breiten Rinne mit Felsblöcken ist vielleicht ein wenig mühsam, aber kaum vergleichbar mit der Lochberglücke – oder mit einem Referenzberges wie dem Vorder Glärnisch. Kurzum, man sollte sich von der T4-Bewertung nicht allzu sehr davon abhalten lassen, den landschaftlich sehr reizvollen Höhenweg, der südlich um das Kleine Bielenhorn herum führt, zu begehen.
 
Bei der Sidelenhütte tummeln sich jede Menge Leute. Lange halte ich mich dort nicht auf. Auf dem Weg zum Furkapass kommen mir ganze Kolonnen von Wanderern entgegen. Wollen die alle in einer der beiden Hütten übernachten? So schnell es geht, verlasse ich den offiziellen Weg und folge einer Spur, die zu einer Art „Schleichweg“ führt. Es handelt sich um ein auch in der Landeskarte eingezeichnetes Wegstück vom P. 2644 bis hinunter in die Schwemmebene des Sidelenbaches. Wunderschön einsam, kein Mensch ausser mir ist dort unterwegs.
 
Auch auf dem Weiterweg bis zum Furkapass nütze ich jede Gelegenheit, um abseits des markierten Weges einige landschaftlich besonders reizvolle Plätze zu besuchen. Dazu gehört der rauschende Sidelenbach, in dessen Nähe ich Mittagsrast mache. Viel zu früh bin ich in Galenbödmen, wo ich auf das Postauto warten könnte. Stattdessen folge ich einer Wegspur, die mich nochmals ein kleines Stück hinauf bringt. An einer prächtigen Blumenwiese vorbei wandere ich zu den Felsen, von denen aus ich das Treiben auf dem Furkapass beobachten kann, bevor ich gemütlich hinab schlendere und die Heimreise antrete.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (1)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 7. Oktober 2015 um 19:58
sehr schön - gefällt mir!


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