Goldener Herbst im Urserental (Höhenweg)


Publiziert von Fico , 4. November 2014 um 23:44.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:31 Oktober 2014
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1100 m
Strecke:Andermatt - Lutersee - Hübschboden - Blauseeli - Lochbergbach -Albert Heim Hütte - Tiefenbach - Realp (ca. 25 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Andermatt
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Realp
Unterkunftmöglichkeiten:Hotels in Andermatt
Kartennummer:1231 (Urseren)

Diesen Sommer wäre ich gerne einmal vom Göscheneralpsee über die Lochberglücke ins Urserental gewandert. Doch im Frühsommer lag noch zu viel Schnee. Dann war entweder das Wetter schlecht oder es kam sonst etwas dazwischen. Und Mitte Oktober ist bereits wieder der erste Schnee gefallen. So wollte ich wenigstens, bevor es endgültig Winter wird, sonst eine Tour in der Gegend unternehmen. Dank moderner Technik kann man sich bequem von zu Hause aus ein Bild vor Ort machen: Die Webcam bei der Albert Heim Hütte liess die Hoffnung aufkommen, dass der Neuschnee grösstenteils wieder weg wäre.

Mein Plan war, von Realp zur Albert Heim Hütte und so weit wie möglich Richtung Lochberglücke hinaufzusteigen. Da um diese Jahreszeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nur rund zehn Stunden zur Verfügung stehen, wollte ich am Vortag anreisen, um frühzeitig unterwegs zu sein. Bereits hier tauchte die erste Schwierigkeit auf: Sämtliche Hotels und Pensionen in Realp haben Betriebsferien und selbst in Andermatt ist die Auswahl alles andere als gross. Da ich den Samstag anderweitig verplant hatte, nahm ich einen Tag frei und reservierte für den Donnerstagabend ein Zimmer. So änderte natürlich die Route: Statt von Realp wollte ich mich nun von Andermatt her über den Urschner Höhenweg meinem Ziel nähern. Das ist zwar deutlich weiter, bietet aber die Möglichkeit, die Tour notfalls vorzeitig zu beenden. Es kam dann allerdings alles etwas anders.

Der Tag ist vielversprechend. Vom Frühstückstisch aus sehe ich die verschneiten Berggipfel, die von der Sonne wie von einem gigantischen Scheinwerfer angeleuchtet werden. Vor dem Fenster hängen traurig die erfrorenen Geranien. Es sieht aus, als wäre der Wintereinbruch vor zehn Tagen ziemlich überraschend gekommen. Die Schmelzwasserpfützen sind über Nacht gefroren, die Schulkinder tragen Wollmützen und Handschuhe, und bis die wärmenden Sonnenstrahlen das Dorf erreichen, wird es noch etwas dauern. Die Kirchenglocken schlagen achtmal, als ich mich etwas ungeduldig auf den Weg mache. In neun Stunden bereits wird die Sonne wieder untergehen. Albert Heim Hütte: 5 Stunden 45 Minuten, zeigt die Wanderwegtafel am Dorfausgang.

Etwa 300 Meter nach der Reussbrücke beginnt der Höhenweg. Bis zur Einmündung des Weges, der von Hospental heraufkommt, ist es ein bequemer, breiter Wanderweg (T1), der ganz sanft ansteigt. Kurz vor 9 Uhr taucht die Sonne hinter den Bergen auf und verwandelt die Gegend in eine Jahreszeit, die irgendwo zwischen Vorfrühling und Spätherbt zu liegen scheint. Wie eine Art Ersatz für den Sommer, der dieses Jahr nicht stattgefunden hat. Der Himmel ist wolkenlos und die Sicht so klar, wie ich es den ganzen Sommer nicht erlebt habe. Und es sieht nicht danach aus, als würde sich das im Laufe des Tages ändern.

Die Weidezäune sind abgebaut, ebenso die Wanderwegweiser. Das Vieh ist längst unten im Tal. Kein Mensch weit und breit. Von unten dringt Baulärm herauf und zertrümmert die Stille, die über dem Tal liegt. An den Strommasten vorbei steigt der Weg etwas steiler an und bleibt dann auf etwa gleicher Höhe. Der kleine, blaue Lutersee ladet zum Bade – oder vielleicht eher zum Schlittschuhlaufen? Die Wasseroberfläche scheint gefroren zu sein. Je weiter ich gehe, desto abgeschiedener wirkt die Gegend. Kein einziges Geräusch, nur mein Atem und meine Schritte sind zu hören. Ich halte inne und setze mich auf einen Stein. Gibt es etwas Feierlicheres, als dieser Stille zu lauschen? Ein Stück weiter, beim Hübschboden, halte ich erneut an und setze mich neben dem munter plätschernden Bächlein ins trockene Gras. Gleich daneben, nur durch das Wasser getrennt, die dahinschmelzenden Reste des ersten Schnees. Am liebsten würde ich noch lange hier verweilen und wie Nektar die harmonische Stimmung aufsaugen.

Es ist bald Mittagszeit, die Stunden bis Sonnenuntergang sind gezählt. Auf einer Felsplatte neben der verschlossenen Alphütte, an welcher der Höhenweg vorbeiführt, mache ich Rast und esse mein Picknick. Am letzten Oktobertag auf dieser Höhe nur im T-Shirt an der Sonne zu sitzen, ist ein Geschenk der Natur und keineswegs selbstverständlich. Auf dem Weiterweg taucht im Westen tiefverschneit der Galenstock auf. Ein alter, langersehnter Gipfelwunsch. Wird er je in Erfüllung gehen? Laut Karte müsste ich nun am Blauseeli vorbeikommen. Umsonst halte ich Ausschau. Offenbar ist es gänzlich ausgetrocknet. Weit unten im Tal liegt Realp. Von dort werde ich am Abend die Heimreise antreten. Vorher allerdings will ich noch hinauf zur Albert Heim Hütte und zum Schafberg (2591 m). Ein Vorhaben, das mir noch immer realistisch erscheint. Es ist inzwischen ein Uhr nachmittags. Obwohl ich es recht gemütlich genommen habe, liegt der grössere Teil der Strecke hinter mir. Und für die verbleibenden 4-5 km und die 400-500 Höhenmeter müssten anderthalb bis zwei Stunden eigentlich ausreichen.

Nach dem kurzen Abstieg zum Lochbergbach ändert, kaum steigt der Weg wieder an, die Szenerie ganz plötzlich. In der schattigen, nordöstlich gerichteten Flanke liegt bedeutend mehr Schnee als bis anhin. Und je weiter ich hinaufkomme, desto kompakter ist die Schneedecke. Waren die einzelnen Schneeflecken vorher, in der sonnigen Südflanke, recht gut verfestigt, so sinke ich nun immer mal wieder bis zu den Knien ein. Weiter oben scheint zwar wieder die Sonne, doch durch den Schattenhang hinauf zu stapfen, kostet mich viel Zeit und Mühe. Ohne Sonne empfinde ich den schneebedeckten Berg als kalt und abweisend, ja fast düster und bedrohlich. Noch immer bin ich nur im T-Shirt unterwegs. Soll ich etwas Wärmeres anziehen oder möglichst schnell weiter?

Ich entscheide mich fürs rasche Weitergehen und halte die Kälte aus. Kaum wieder in der Sonne angekommen, brauche ich eine Pause. Müdigkeit macht sich bemerkbar. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass es bis zur Hütte weniger als zwei Kilometer sind und noch etwa zweihundert Höhenmeter. Kurz darauf, beim Lochbergbach, kreuze ich einen andern Wanderer – der einzige Mensch, dem ich auf der ganzen Tour begegnen werde. Er grüsst kurz und geht gleich weiter, als wollte er möglichst schnell hinab ins Tal. So bleibt mir keine Zeit, um ihn zu fragen, woher er komme. Weit oben, auf einem Felssporn, ist nun zu Hütte zu sehen. Bis zur Weggabelung, wo der weiss-blau-weisse Weg zur Lochberglücke abzweigt, steigt der Weg deutlich an. Ausserdem liegt er bereits wieder im Schatten –und sehr oft auch unter dem Schnee verborgen. Immer wieder muss ich nach den Markierungen Ausschau halten. Wo es geht, benütze ich die vorhandenen Fussspuren, die jedoch nicht alle halten. Und die Schneebrücken zwischen den Steinblöcken sind heimtückisch. Nur noch sehr langsam komme ich voran.

Es ist bereits 16 Uhr, als ich endlich oben auf dem Sattel stehe. Auf eine Besichtigung der Hütte verzichte ich in Anbetracht der vorgerückten Zeit, auf die anfänglich geplante Besteigung des Schafbergs erst recht. Noch eine Stunde bis Sonnenuntergang. 1 Std. 10 Min. bis zur Postautohaltestelle Tiefenbach gibt der Wegweiser an. So bleibt nicht einmal mehr Zeit für eine kurze Rast vor dem Abstieg. Gleich wird die Sonne hinter dem Klein Bielenhorn verschwinden. Ein Stück weiter unten komme ich zwar wieder in die Sonne, doch die Schatten sind schon bedenklich länger geworden. Über weite Strecken geht es durch den Schnee, der zum Glück nicht allzu tief ist, so dass die Markierungen auf den Steinen meistens noch erkennbar sind. Eine gewisse Hast und Unruhe erfasst mich. Wenigstens beim Hotel Tiefenbach will ich noch bei Tageslicht ankommen. Ein Verlaufen oder ungewollte Umwege liegen nicht drin. Immer wieder verschwindet der Weg unter dem Schnee.

Als ich unten auf der Strasse bin, verspüre ich eine grosse Erleichterung. Es macht einen ziemlichen Unterscheid, ob man im Sommer bei Sonnenlicht allein in den Bergen unterwegs ist oder um diese Jahreszeit. Es ist zwar noch ein gutes Stück bis hinunter nach Realp, doch die Heimreise ist gesichert. Die Bahn fährt bis um 21 Uhr, im Stundentakt. Der Furkapass hat bereits Wintersperre, die Strasse habe ich ganz für mich. So hat der Fussmarsch im Mondschein auf der geschlossenen Passstrasse seinen ganz besonderen Reiz.

Die Nacht ist hell und klar. Weit unten die Lichterkette der Autos, die in Realp von der Verladerampe fahren. Der Mond wirft meinen Schatten auf die Strasse. Die Stirnlampe, die ich vorsorglich mitgenommen habe, brauche ich nicht. Sie würde nur stören und das vom Mond und von den Sternen ausgesendete Licht verfälschen. Nach einer guten Stunde komme ich unten in Realp an. Es ist kurz nach 18.30 Uhr. Mehr als zehn Stunden, einschliesslich aller Pausen, hat die ganze Tour gedauert.

Gewiss wäre es gemütlicher und vielleicht auch vernünftiger gewesen, bereits am Nachmittag, ohne Umweg über die Albert Heim Hütte, direkt nach Realp abzusteigen. Allerdings hätten mir dann die Herausforderung und die kleine Prise Abenteuer gefehlt. Sie sind für mich das Salz in der Suppe, das eine Tour so richtig würzig macht. Unter normalen Umständen liegt der Urschner Höhenweg im Bereich von T2. Bei den gegenwärtigen Verhältnissen ist er ein wenig anspruchsvoller, aber nirgends ausgesetzt. Einzig in jahreszeitlicher Hinsicht ist die Tour eine Art „Gratwanderung“ an der Grenze zwischen Sommer und Winter. Und für mich ist es wahrscheinlich die letzte Gelegenheit gewesen, hier oben einen goldenen Herbsttag zu geniessen, bevor sich der Winter definitiv durchsetzt.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (2)


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Runner hat gesagt:
Gesendet am 6. November 2014 um 09:44
schöne Tour :-) Ja, leider ist es halt so, dass man im Spätherbst nicht mehr viel Zeit für lange Wanderungen hat - es sei denn man nimmt eine Stirnlampe mit... aber es wird wieder Frühling und wieder Sommer ...

Felix hat gesagt:
Gesendet am 2. Januar 2015 um 19:42
wieder ein einfühlsamer Bericht - und:
auch ich bin kürzlich des Nachts vom Tiefenbach nach Realp (im Schnee) hinunter gewandert, stimmungsvoll ...

lg Felix


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