„Trial and error” auf den Follaplatten (Gonzen 1830 m)


Publiziert von Fico , 27. Mai 2014 um 23:58.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:25 Mai 2014
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1400 m
Abstieg: 860 m
Strecke:Sargans - Cholplatz - Follaplatten - Gonzen - Alp Folla - Kurhaus Alvier (16,6 km)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Sargans
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Luftseilbahn beim Hotel Alvier, cff logo Oberschan
Kartennummer:1155 (Sargans)

Es gibt Gipfel, die sind keine 2000 m hoch und heben sich dennoch derart imposant von der Landschaft ab, dass sie wie das Sinnbild eines Berges erscheinen. Dazu gehören beispielsweise der Grosse Mythen (1898 m) bei Schwyz und der Gonzen (1830 m) bei Sargans. Bereits als Kind, wenn ich sie aus dem Zugfenster bestaunte, wie sie majestätisch über dem Talgrund thronten, hatte ich den Wunsch, einmal dort oben zu stehen. Auf dem Grossen Mythen war ich zum ersten Mal als junger Erwachsener. Beim Gonzen hat es viel länger gedauert, bis mein Kinderwunsch Wirklichkeit geworden ist.
 
Der direkte Weg von Sargans auf den Gonzen führt durch die mächtige Südwand und ist erfahrenen Kletterern vorbehalten. Die Wanderwege umgehen östlich die Wand und erreichen den Gipfel allmählich ansteigend von Norden her. Ein Weg dazwischen – eine echte Alpinwanderung – ist die Route über die Follaplatten, die auch im SAC-Buch „Alpinwandern/Gipfelziele Ostschweiz“ enthalten ist und mit Schwierigkeit T5, I angegeben wird. Die gleiche Schwierigkeit also wie beispielsweise die Chammhaldenroute auf den Säntis. Kurzum, Schwierigkeiten, an die ich mich in den letzten Jahren allmählich herangetastet hatte und die mir daher nicht unüberwindbar schienen. Für den Abstieg wählte ich die Variante zum Kurhaus Alvier, wo es eine Seilbahn nach Oberschan gibt. Ein knackiger Aufstieg und ein sanfter Ausklang, das war meine Absicht. Dass ich mir auf dieser Tour derart, fast buchstäblich die Zähne ausbeissen würde, hätte ich nicht erwartet.
 
An diesem Wochenende ist der Sonntag eindeutig der beste Tag zum Wandern. Bereits am Morgen scheint die Sonne vom nahezu wolkenlosen Himmel. Die Zugfahrt durchs Rheintal ist ein Genuss: vom Hohen Kasten über die Stauberen bis zu den Kreuzbergen ziehen sie alle der Reihe nach am Fenster vorbei. Weiter hinten sieht man die immer noch verschneiten Gipfel von Säntis und Altmann. Und dann in Sargans, kaum aus dem Zug gestiegen, steht der mächtige Gonzen vor mir: magisch anziehend, herausfordernd und bedrohlich zugleich.
 
Der Wanderweg Richtung Gonzen ist so üppig beschildert, dass man ihn fast nicht verfehlen kann. Auf einer alten Tafel kurz vor dem Schloss Sargans steht: Gonzen 3 ½  Stunden – das sind rund 400 Höhenmeter pro Stunde und damit eher etwas für jene, die sportlich unterwegs sind. Auf dem Weg zum Cholplatz (1109 m) überholen mich ganze Wandergruppen. Der Gonzen scheint heute ein beliebtes Gipfelziel zu sein. Schon bald bin ich beim berühmten Verbotsschild, wo man, um zu den Follaplatten zu gelangen, den Wanderweg links verlassen muss.
 
Wenige Schritte weiter kommt ein ganz neues Warnschild: „Sensibler Lebensraum Gonzenwald“. Dieser Weg führe in eine Sackgasse und ausserdem: „Bitte bedenken Sie, dass Sie beim Weitergehen das Wild stören.“ Daneben ein Landkartenausschnitt mit einem eingezeichneten Gebiet. Hoffentlich wurde auch das Wild in Kenntnis gesetzt, wo die vom Menschen gezogene Grenze verläuft. Was kommt als nächstes? Ein „AM..ICHES .ERBOT“ wie auf der alten Tafel? Manchmal kommt es mir vor, als diene diese Art von "Naturschutz" vor allem zur Beruhigung des schlechten Gewissens, angesichts dessen, was der Mensch der Natur alles angetan hat – und weiterhin tut.
 
Trotz Warnhinweis gehe ich weiter. Ich gebe mir Mühe, möglichst leise zu sein. Das Rascheln der Blätter unter den Schuhen lässt sich dennoch kaum vermeiden. Am Ende des Weges steige ich ziemlich steil hinauf. Auf einem Felsen auf 1200 m Höhe, unter zwei kräftigen Buchen lasse ich mich nieder. Es ist Zeit für eine Pause und um den Helm aufzusetzen. Denn nun folgt der spannende, alpine Teil der Wanderung.
 
Beim Weiteraufsteig, am Ende des Waldes, bleibe ich auf der Wegspur, die in östlicher Richtung ansteigt. Es sieht aus, als wäre weiter rechts ein Einstieg, der dann mehr oder weniger horizontal wieder nach links führt, auch wenn ich mir noch nicht recht vorstellen kann, wo es dort oben einen Weg über die Follaplatten geben soll. Am Ende der Wegspur finde ich keinen Einstieg und will bereits umkehren, als ich auf einmal eine Felsentreppe entdecke, die mir vorher verborgen geblieben war. Ohne den geringsten Zweifel steige ich die Treppe hoch und denke, es sei schon komisch, dass diese markanten Treppenstufen in keiner Routenbeschreibung über die Follaplatten erwähnt werden. Bei einem etwas abdrängenden Felsen hat es einen Bohrhaken, an dem man sichern könnte. Am Ende der Treppe, bei einer Eisenstange kann ich mich nur noch mit Mühe hochziehen. Erst jetzt kommt mir die Erkenntnis, dass das unmöglich der Weg über die Follaplatten sein kann und dass ich unverzüglich – solange ich noch kann – umkehren muss. Behutsam und mit grösster Vorsicht steige ich die Treppe, am abdrängenden Felsen vorbei, wieder hinunter.
 
Während ich am Rande des Geröllfeldes zurückgehe, befürchte ich bereits, dass ich damit den Versuch, den Gonzen über die Follaplatten zu besteigen, abbrechen müsste. Da sehe ich in oranger Farbe auf den Fels gepinselt das Wort „Gonzen“ oder „Gonzo“. Doch ein Blick nach oben genügt, damit mir klar wird, dass es sich dabei nicht um einen Wegweiser handelt, sondern – wie ich inzwischen herausgefunden habe – um den Namen einer Kletteroute (7c). Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Wo ich die ganze Zeit herumirre, das sind nicht die Follaplatten, das ist der Wandfuss der Gonzen Südostwand. Wahnsinn, wenn ich nicht einmal plattige Felswände von Schrofengelände unterscheiden kann!
 
Am Ende des Geröllfeldes, unweit von der Stelle, wo ich vorher den Wald verlassen und mich sogleich nach rechts gewandt hatte, finde ich endlich die Wegspur über die Follaplatten. In diesem Gelände fühle ich mich bedeutend wohler. Vereinzelte Steinmännchen bestätigen, dass ich mich diesmal auf dem richtigen Weg befinde. An der steilsten Stelle hat es sogar ein Fixseil. Anschliessend auf einem Sporn hinauf und in die Rinne, die zum hausgrossen Klemmblock führt. Die Rinne ist voller Geröll und rutschig. Da versuche ich lieber rechts auf den trockenen Felsen weiterzukommen. Keine gute Idee! Am griffarmen Felsblock rutsche ich ab und sause ins Couloir hinunter. Fünf, vielleicht zehn Meter weit. Dann werde ich vom Geröll ausgebremst. Oder anders ausgedrückt: Mein Schutzengel hat mich am unsichtbaren Seil gehalten. Abgesehen von etlichen Schrammen und einem ausgeschlagenen Zahn ist der Sturz zum Glück glimpflich verlaufen.
 
Wohl oder übel kraxle ich weiter das Couloir hoch. In der Höhle unter dem Klemmblock hat es Fixseile. Andernfalls wäre ich auf den feuchten, rutschigen Felsen nicht hinaufgekommen. Inzwischen sitzt mir ohnehin die Furcht vor einem weiteren Sturz im Nacken. Am oberen Ende der Höhle angelangt und wieder im Freien, muss ich mich zuerst am Stand der Sonne orientieren, wo ich bin und wohin ich gehen muss. Ringsum sieht es ziemlich abschüssig aus. Die recht ausgesetzten Querungen – zuerst auf die nächste Rippe hinauf und dann in den Follawald hinunter – sind alles andere als Wohlfühlgelände. Im Follawald sind die Wegspuren eher undeutlich, ich komme zu weit hinunter und muss, um eine Runse zu queren, wieder hinauf.
 
Noch bevor ich den Wald verlasse, macht mir mein knurrender Magen klar, dass es höchste Zeit ist für die Mittagsrast. Es ist bereits zwei Uhr nachmittags. Eigentlich müsste ich längst oben auf dem Gipfel sein. Unter den gegebenen Umständen bin ich froh, wenn ich überhaupt noch dorthin kommen werde. Am Ende des Waldes geht es, zwischen blühenden Enzianen und Schlüsselblumen, hinauf auf die Kuppe, wo man auf den Wanderweg trifft. Es ist fast halb vier, als ich auf dem Gipfel bin. Rund sieben Stunden habe ich dafür gebraucht, einschliesslich aller Pausen und Irrläufe. Nun stehe ich dort oben und schaue wie aus dem Flugzeug auf Sargans und ins Rheintal hinunter.
 
Mein Ziel, den Gonzen auf dieser doch recht alpinen Route zu besteigen, habe ich erreicht, wenn auch etwas angeschlagen und mitgenommen. Offenbar sieht es schlimmer aus, als es ist. Jemand fragt mich mit besorgtem Blick, ob ich Hilfe brauche. Hilfe? Wenn der Sturz im Couloir weniger glücklich verlaufen wäre, hätte ich tatsächlich Hilfe benötigt. Dort allerdings war ausser mir keine Menschenseele. Einzig das GPS piepste und meldete: „Kein Satellitenempfang“ – und somit wahrscheinlich auch kein Handyempfang.
 
Wieder zu Hause mache ich mir natürlich meine Gedanken. War diese Tour zu schwierig für mich? Hinsichtlich Wegfindung war sie eindeutig anspruchsvoller als beispielsweise die Chammhaldenroute auf den Säntis, wo es überall Markierungen hat. Habe ich mich über- und die Gefahren unterschätzt? Gehe ich zu grosse Risiken ein? Von jugendlichem Leichtsinn könnte man bei mir eigentlich nicht sprechen, zumindest was ersteres betrifft... Wie dem auch sei, mit Alleingängen in diesem Schwierigkeitsbereich werde ich in nächster Zeit wohl etwas zurückhaltender sein.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

alpstein hat gesagt:
Gesendet am 28. Mai 2014 um 06:48
Vielen Dank für den spannenden Bericht. Obwohl wir die Chammhalden schon 2x gemacht haben, haben wir uns an die Follaplatten nicht herangetraut. Das ist wohl gut so.

Zum Glück ist der "Absturz" einigermaßen glimpflich verlaufen.

Grüße
Hanspeter

Bergamotte hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Juni 2014 um 16:47
Hallo Hanspeter

War diesen Samstag oben. Für jemanden mit Eurem Tourenportfolio sollten die Follaplatten - zumindest bei trockenen Verhältnissen - gut machbar sein. Helm für die Rinne nicht vergessen.

Beste Grüsse

alpstein hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Juni 2014 um 17:53
Vielen Dank für die aufmunternden Worte:-) Beste Grüße aus dem Trientino. Hanspeter

Felix hat gesagt:
Gesendet am 30. Juli 2014 um 11:51
da hast du wieder einen informativen und persönlichen, berührenden Bericht von einer wohl "anregenden" Tour verfasst - vielleicht wage ich mich auch mal dran ...

lg Felix

tricky hat gesagt: Glück gehabt
Gesendet am 28. August 2017 um 08:09
Schön das nichts schlimmeres passiert ist. Mittlerweile habe ich viele Steinmänner in der Follaplatte gelegt. Im Wald kann man sich aber immer noch verlaufen. Mal schauen was ich da noch machen kann.


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