Tällistock komplett: Inwyler-Bielmeier rauf, Normalroute runter


Publiziert von Alpin_Rise , 22. September 2014 um 13:08. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum: 3 September 2014
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: VII- (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Titlis und Wendenstockgruppe   CH-BE 
Aufstieg: 950 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Gadmen, Tällibahn, die Tällibahn fährt im Jetonbetrieb für moderate 6.- Franken pro Weg jeweils von 7 bis 19.30 Uhr.
Unterkunftmöglichkeiten:Die Tällihütte wird von einer sympathischen, jungen Hüttenwartin geführt,die Einkehr oder gar Übernachtung lohnt sich!

Der Tällistock hat auf hikr durchaus eine gewisse Prominenz: ein gutes Dutzend Berichte beschreibt den gleichnamigen Klettersteig. Der Eisenweg führt allerdings nicht auf den Hauptgipfel, er endet auf einem Schuttsattel einen guten Kilometer westlich vom eigentlichen Tällistock. Kein Zufall, dass dieser noch keinen Hikr-Eintrag hat: Die Besteigung des westlichen Eckpunktes der Wendenstöcke ist gar nicht so trivial, wie Landkarte und Gipfelform vermuten lässt.
Vor allem nicht, wenn man auf den Spuren des Duos Inwyler-Bielmeier wandelt. Diese begingen 1960 in den damals üblichen schweren Bergschuhen und entsprechend antiker Ausrüstung eine unglaublich ausgesetzte und steile Linie durch die Tällistock Südwand. 13 Seillängen mit unzähligen, steilen Verschneidungsmetern, zwei ausgesetze Quergänge und stotzige Wandkletterei bis in den unteren siebten Grad verlangen noch heute solide, vielfältige Klettertechnik sowie etwas Ausdauer. Mehr als 50 Jahre nach der Erstbegehung ist die Route längst klassisch und zieht zu Recht immer noch viele Kletterer an. Nicht zuletzt, da sie Eingang in die
100 legendären Touren des Buches "Im extremen Fels" von Walter Pause gefunden hat. Betrand hat übrigens die Kletterei für dieses Portal bereits in Französisch dokumentiert.

Für mich war die Tour trotz Kletterfinken, realtiv leichtem Rucksack und Nachstieg kein Spaziergang, war ich doch das letzte Mal mit Ossi in den Churfirsten durch ein vergleichbares Gemäuer geklettert. Dank den kompetenten Vorsteigern mde & Pause-Touren Sammler Tobias, zwei, drei beherzten Griffen in die Schlingen und ausgereifter Spreiz/Stütztechnik über weite Stecken konnte ich die Route trotz mangelnder Kraftausdauer geniessen.


Geniale, klassische Kletterei in bestem Kalk auf den selten bestiegenen Tällistock

Die Kletterei und den Zustieg hat mde in seinem erstklassigen Kletterblog bereits derart treffend beschrieben, dass ich an dieser Stelle seinen Text zum Zustieg und zur Kletterei zitiere. Aspiranten für den Normalweg finden unter "Abstieg" dann Angaben zum einfachsten Weg auf den erstaunlich selten begangenen Tällistock Hauptgipfel.

Beginnen tut die Sache bequem mit einer Seilbahnfahrt. Die Tällibahn kann vorbildlich in Selbstbedienung betrieben werden, und so sind denn auch deren Betriebszeiten von 7.00-19.30 Uhr sehr klettererfreundlich. So ist denn auch die heimelige Tällihütte (1726m), welche sich gerade bei der Bergstation befindet, nicht zwingend als Quartier zu nutzen.
Für den Zustieg verlässt man den blau-weiss-blau markierten Weg, der zum Klettersteig führt, schon nach 2-3 Kehren und ca. 30 zurückgelegten Höhenmetern. Für uns wurde die Aufgabe durch dichten Nebel erschwert, zum Glück hatten wir nach unserer Anfahrt über den Sustenpass da schon die Gewissheit, dass wir bald wieder durch die auf rund 2000m liegende Decke stossen würden. Ab dem Abzweig geht man steil und weglos rechts neben einer plattig-gneisigen Felsbastion hinauf, und zwar bis man auf ca. 1840m auf ein Querband aus Kalk trifft. Man steigt an deren Fuss nach links, bis sie einfach überwunden werden kann (Fixseil). Oberhalb hält man sich wieder nach rechts und steigt zum zweiten Band empor, welches an offensichtlicher Stelle recht einfach überwunden wird (Fixseil). Nach einer weiteren Grasquerung nach rechts hinauf, wartet schliesslich das dritte Band. Wenn man sich da nicht am Fixseil hochziehen könnte, so müsste man hier einen steilen Dreier über etwa 30m klettern, und würde nicht auf eine Seilsicherung verzichten wollen. Danach geht's nochmals etwas im Gras hoch bis zum Einstieg (ca. 2170m), der nur gerade durch eine Sanduhrschlinge gekennzeichnet ist.

Um 9.15 Uhr waren wir nach 45 Minuten Zustieg bereit zum Loslegen:

L1, 40m, 4c: Der Auftakt noch recht grasig und einfach, der Vorteil des Nachsteigers liegt hier darin, die schöne aber ungesicherte Platte links daneben klettern zu können. Weiter oben dann noch zwei Aufschwünge, so dass diese Länge ihren Grad durchaus verdient.

L2, 50m, 5c: Einfacher Auftakt, vorbei an altem NH-Stand, und dann einem Muniring. Nach diesem geht es in die Crux, eine Steilzone will durch eine kaminähnliche Verschneidung oder an den Henkeln links daneben gemeistert werden.

L3, 20m, 6a: Vor allem für die Zeit der Erstbegehung ein sehr kühner Quergang in steiler Wand nach links hinaus. Man klettert hier in prima Tropflochfels, eine der besten Längen der ganzen Tour!

L4, 45m, 6a+: Steile Seillänge, die Crux bildet die Dachzone etwa 10m oberhalb vom Stand. Sie klettert sich einfacher wie es den Anschein macht, bis auf einen etwas schlechteren Seitgriff sind es "alles Henkel". Der Rest dann einfacher dem Riss entlang, selbst der moosig-feuchte, düstere Kamin zum Schluss löst sich prima auf.

L5, 20m, 5c+: Steile Kletterei dem Hauptriss entlang. Von unten gesehen könnte man hier den Bammel bekommen, doch die Sache ist irre griffig und die Wand daneben tiptop strukturiert, so dass man hier erstaunlich einfach vorwärts marschieren kann. Wer möchte, kann die nächste Länge gleich anhängen.

L6, 30m, 6a: Erneut eine total geniale Länge in steiler Wand, die aber mit Henkeln nur so gespickt ist, so dass die Schwierigkeiten überschaubar bleiben. Nach den ersten 10m verlässt man den Hauptriss und zieht nach links hinaus auf den deutlichen Pfeilerkopf, wo ein sehr bequemer Standplatz wartet.

L7, 25m, 5c+: Zuerst schöne und steile Wandkletterei, immer noch gut, jedoch qualitativ nicht mehr ganz so perfekt wie die vier Längen davor. Zum Schluss dann noch einige einfachere Meter ins Amphitheater unter den grossen Überhängen.

L8, 25m, 6a: Wir wechseln die Führung, und der Ausgang aus dem überdachten Amphitheater bildet der berühmte Quergang nach rechts. Von diesem war ich dann fast ein bisschen enttäuscht. Soo luftig ist die Sache nun denn auch wieder nicht, das Band auf welchem man quert ist meist 30-40cm breit, so dass man fast rüberspazieren kann. Erst am Ende der Querung, wo es dann wieder raufgeht, warten 2-3 etwas schwierigere Züge in Wandkletterei. Klar, zu Zeiten der Erstbegehung war das sicher eine sehr kühne Sache und eine prima Leistung, insbesondere da man mit den damaligen Mitteln kaum sichern konnte! Heute steckt aber fast alle 2m ein BH, so dass hier auch schwache Nachsteiger kein Nervenflattern bekommen werden.

L9, 30m, 6a+: Die ersten 10m vom Stand weg bieten wendenmässige Wandkletterei an super Tropflochfels, erneut für die damalige Zeit eine sehr kühne Leistung! Danach kurz etwas einfacher zur abschliessenden, etwas plattigen Wandzone. Entgegen der Angabe im Filidor-Topo kommt die Crux meines Erachtens erst hier. Ich bin die einfachere, rechte Variante geklettert, sie verlangt technisches Geschiebe an Seitgriffen und sauberes Antreten, der Fels ist etwas staubig.

L10, 25m, 5c+: Hammer-Seillänge, die bis auf eine SU-Schlinge und einen NH clean ist. Hier muss man ziemlich zwingend 2-3 Cams/Keile legen, wohingegen dies im Rest der Route eigentlich nur punktuell zur Ergänzung nötig ist. Der kühne, gelbe, einschüchternd steile Riss klettert sich aber echt super, der Fels ist einfach total strukturiert und die Griffe und Tritte zahlreich.

L11, 35m, 5c+: Das Filidor-Topo ist hier unpräzise, vom Stand weg quert man zuerst 10-15m horizontal auf einem Band nach links. Dann an einer Rippe (NH) aufwärts, bevor man schliesslich supertolle, griffige Wasserrillen in Vollendung in die Hand kriegt. Für den angegebenen Grad eine sehr gutmütige Seillänge (eher 5ab).

L12, 20m, 6a: Nun wird es doch noch alpin! Ob dem Stand etwas "gschüderigs" Gelände, d.h. unsicherer Fels und schlechte Absicherung. Man klettert bis unter das markante Dach hoch, wo man endlich einen Verhau aus zwei schlechten NH und einer Knotenschlinge einhängen kann. Danach kühn und recht schwierig für den Grad links ums überhängende Eck rum und in den glatten Kamin (dort dann NH) hinein. Dies ist eindeutig die Vorstiegscrux der Route! Hier muss man eine 6a schon sauber draufhaben, die Stelle befindet sich 1-2m über der letzten, schlechten und einzigen Sicherung. Für mich etwas unverständlich, warum man hier nicht auch einen BH gesetzt hat, denn praktisch in der ganzen Route hat es pro Länge jeweils ein paar Exemplare und an wenigen Stellen waren sie so nötig wie hier.

L13, 40m, 2a: Einfaches Verbindungsstück hinauf zum Abschlusskamin. Erst ziemlich schuttig, wenn sich andere Seilschaften in der Wand befinden ist hier grösste Vorsicht angezeigt! Danach noch etwas leichtes Klettergelände, ein Dreier wie im Topo angegeben ist das jedoch bei Weitem nicht.

L14, 40m, 5b: Wieder mal eine Seillänge, vor der man leicht den Bammel kriegen könnte! Der tief eingeschnittene Kamin lässt Böses schwanen. Dank irre strukturiertem Fels an den Seitenwänden geht es dann aber doch super, genussvoll und absolut ohne Gerampfe. Auch wenn einige NH und 4 BH stecken, ist die Sache doch etwas kühn - und ein Sturz liegt definitiv nicht drin, das Pingpong an den Seitenwänden würde bestimmt übel enden! Aber tja, ist ja nur 5b - was wahrscheinlich sogar stimmt, aber die Seillänge ist so ungewöhnlich, dass sie auf der Schwierigkeitsskala schwer einzuordnen ist. Auf jeden Fall: aussen bleiben, cool bleiben!

Um 14.45 Uhr sind wie schliesslich alle am Top angelangt. Das waren jetzt echt tolle 5.5 Stunden an bester Kletterei!

Weil das Wetter nach wie vor einwandfrei aussieht, wollen wir noch den äusserst selten besuchten Hauptgipfel des Tällistock versuchen: Vom Ausstieg auf rund 2500m sind es zwar nur etwa 80 Höhenmeter und 130m Horizontaldistanz. Trotzdem ist die Sache nicht zu unterschätzen, denn es sind doch noch einige Aufschwünge zu erklettern, die Schwierigkeiten liegen im III. Grad oder T6. Das erste, wenig hohe Felsband überwindet man, nachdem man einige Meter in die Nordflanke abgestiegen ist. Die Kletterei entpuppt sich als anspruchsvoller als gedacht, da der Fels abwärts geschichtet ist, II-III.  Nacher quert man etwas verschlungen wieder zurück zum Ostgrat, um den zweiten Felsriegel etwa zehn Meter von der Gratkante entfernt entlang eines Risses und einer kleinen Verschneidung zu erklettern, III. Danach folgt vor der nächsten Terasse noch etwas steileres Schuttgelände mit Abseilschlinge um einen Block und darauf der dritte und letzte Felsriegel: dieser wird erst wieder etwas rechterhand unangenehm erklettert (III+), dann zur Kante zurückgequert und exponiert über der Südwand, aber einfacher wieder auf den Grat gestiegen. Nun ists nicht mehr weit zum Gipfel, wo wir leider kein Gipfelbuch finden konnten.
Vielleicht gibts auch noch einen einfacheren Anstieg zum Tällistock mehr in der Nordflanke, weiss jemand mehr?

Der Absteig entlang dieser Route war mit den 3er Stellen auch nicht ganz trivial, der Abstecher vom Ausstieg zum Gipfel und retour kostete uns eine knappe Stunde. Wieder beim Ausstieg angelangt, folgt man einer Wegspur und einzelnen Steinmännern entlang des Grates bzw. leicht in der Nordflanke. Einige Felsstufen wollen auch noch abgeklettert werden, schwierig oder gar heikel ists aber nirgends mehr, T4.
Normalerweise erfolgt der Abstieg nach der Inwyler-Bielmeier über die Naht. Diese führt über eine Art Rampe mit exponiertem Kraxelgelände und ein paar Abseilern durch die SE-Wand hinunter. Der stetige Wechsel zwischen gehen, kraxeln und abseilen ist ja durchaus etwas mühsam, und soll gemäss verschiedenen Quellen zwischen 2.5-3.0h (vom Ausstieg zur Tällihütte) dauern.

Wir wollen jedoch einen alternativen  Abstieg ausprobieren: nach Westen durchs Tälli. Dies dürfte auch der Normalweg auf den Tällistock sein, doch weder Web noch Literatur geben dazu viel her.
In der Nähe von P. 2415, wo die Naht beginnt, steigen wir über schuttige Stufen und Geröll ins Tälli ab. Bis 2200m ist dies problemlos, dort wird das Gelände steiler. Wir wissen, dass es ein begehbares Band geben muss, dass nach Osten auf den Wanderweg hinunterleitet. Doch wo beginnt dieses bloss? Aufziehender Nebel macht die Sache nicht leichter, nach einem kurzen Irrlauf finden wir jedoch auf 2080m den richtigen Durchschlupf, nach ein paar Dutzend Metern und einer IIer Kletterstelle bestätigt auch ein deutlicher Gämswechsel unsere Spürnase. 10 Minuten später stehen wir auf dem Wanderweg Engstlenalp-Sätteli. Der Wildwechsel in Richtung Tälli und Tällistock zweigt übrigens bei einem markanten Stein mit Wanderwegsmakierung ab, die Route dürfte im Aufstieg wesentlich einfacher zu finden sein.

Der Gegenanstieg zum Sätteli ist dann nochmals etwas zäh, der Abstieg zur Tällihütte schnell geschafft und so stehen wir 1:40 Stunden ab Ausstieg Kletterroute wieder bei der Seilbahn. Diese bringt uns dank Selbstbedienung rasch ins Tal.

Die Inwyler-Bielmeier mit Abstieg über den anspruchsvollen "Normalweg" bescherte mir bei dem Kaiserwetter eine grandiose, ausgefüllte Bergfahrt - besten Dank meinen Begleitern an dieser Stelle!

Tourengänger: Alpin_Rise, mde


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Kommentare (5)


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markus1968 hat gesagt: Tolle Leistung, super...
Gesendet am 22. September 2014 um 15:35
da muss ich meine Psyche noch lange trainieren :-)

BG
Markus

danski hat gesagt: RE:Tolle Leistung, super...
Gesendet am 23. September 2014 um 19:17
Dem kann ich mich mit Bewunderung nur anschliessen... Grossartig!

Pere hat gesagt:
Gesendet am 22. September 2014 um 17:06
Félicitations !

MicheleK hat gesagt:
Gesendet am 23. September 2014 um 00:49
da kann man nur staunen! thanks for sharing, and big Congrats!

Dolomito hat gesagt:
Gesendet am 26. April 2020 um 21:11
Vielen Dank für diesen Tourenbeitrag. Taffe Kerle.


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