Von der Glattalp in grandioser Landschaft zum Klausenpass (Mären 2304 m, Glatten 2505 m)
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Wenn die Nullgradgrenze auf 4400 m liegt und im Flachland die Temperaturen auf über 30 Grad klettern, ist es zwischen 2000 und 2500 m Höhe recht angenehm zum Wandern. Meine Wahl fiel darum auf eine Tour, die ich schon seit einiger Zeit im Kopf hatte: der Glatten (2505 m) hoch über dem Klausenpass.
„Technisch unschwierige Etappe, die jedoch bereits bei guten Sichtverhältnissen einiges an Orientierungsvermögen verlangt“, steht im SAC Alpinwanderführer Zentralschweiz Vierwaldstättersee (1. Auflage 2011). Mit 800 m Höhenmetern Aufstieg und nur leicht mehr im Abstieg keine allzu strenge Tour. Und die angegebene Zeit von 4 Std. 45 Min. verleitet zum Bummeln.
Wegen des Hinweises im Buch auf die „manchmal langen Wartezeiten bei der Seilbahn“ stehe ich eine Stunde früher auf und nehme den ersten Zug. Als ich um acht Uhr bei Sahli zuhinterst im Muotatal aus dem Postauto steige, steht bereits eine Gruppe Wanderer dort und wartet auf die Seilbahn. So ist es kurz nach halb neun, bis ich auf der Glattalp (1850 m) ankomme – bald vier Stunden, nachdem ich von zu Hause weggegangen bin. Doch die lange Anreise lohnt sich: Die mächtige Bergkulisse vor dem wolkenlos blauen Himmel zieht einen sogleich in ihren Bann.
Bei der Bergwirtschaft trennen sich die Wege: Richtung Firner Loch geht es südwärts über eine Anhöhe zum Schafboden. Die weiss-blau-weissen Markierungen sind so zahlreich, dass ich ihnen keine Beachtung mehr schenke und einfach dem Alpweg folge. Auf einmal hat es keine mehr. Offenbar habe ich die Abzweigung verpasst. Da klar ist, wohin ich muss, steige ich weglos aufs erste Band hinauf. Da sind sie wieder und genau so üppig wie vorher. Stetig ansteigend führt der Weg in den Trichter der Inner Brüelchälen, deren halbkreisförmige Steilwände an ein unterirdisches Höhlensystem denken lassen, das irgendwann in grauer Vorzeit eingestürzt ist. Weiter über Geröll und Schneefelder, dann die letzten 100 Meter steil über gut gestufte Felsen hinauf. Oben angekommen gelangt man nordwärts in weniger als 10 Minuten zum Aussichtspunkt des Mären (2304 m) mit Kreuz und Gipfelbuch. Die Sicht hier oben ist so umwerfend prächtig, dass man sich fast festhalten muss – auch weil es auf drei Seiten steil hinuntergeht.
Der Weg vom P. 2304 zum Firner Loch führt über das zerklüftete Hochplateau des Mären. Man wähnt sich auf einem versteinerten Gletscher, über dessen Spalten von oft unergründlicher Tiefe man springen muss. Manchmal sind sie nur ganz schmal, manchmal aber so breit, dass es einen beherzten Schritt braucht, um auf die andere Seite zu gelangen. Beim Firner Loch (2248 m) enden die Markierungen. Auf dem Weiterweg Richtung Glatten muss man sich von den Steinmändli leiten lassen, die wie winzige Menhire aussehen und in schmalen Karstspalten ihren festen Platz gefunden haben. Anfänglich hat es so viele, dass man gar nicht weiss, welchen man folgen soll. Plötzlich sind sie verschwunden, so als hätten die monolithischen Mannli – es ist kurz nach zwölf – Mittagspause. Etwas verloren ohne ihre Führung, halte ich Ausschau. An einem Ort, wo ich es nicht erwartet hätte, taucht der erste der steinernen Zwerge, der offenbar seine Pause vorzeitig beendet hat, wieder auf und bittet mich, ich möge mich doch dorthin begeben. Ohne die wackeren Gesellen – inzwischen sind auch die andern zurückgekehrt – wäre die Wegfindung in dieser unendlich scheinenden Steinwüste bedeutend schwieriger.
Es ist, als wäre man in eine andere Welt versetzt. Die Landschaft gleicht streckenweise einer vorsintflutlichen Ruinenstadt, die bei einem gewaltigen Erdbeben zerstört wurde, während die Spalten, als die Erde sich öffnete, im damaligen Zustand erstarrt sind. Wie eine Art „Atlantis der Berge“ – nicht jenes, das die Kastelruther Spatzen besingen, sondern ein viel archaischeres, urtümlicheres, das die Kraft der Naturelemente erahnen lässt. Die Hausmauern sind vollständig eingestürzt, während die Untergeschosse teilweise noch erhalten sind und über zerfallende Treppenstufen besichtigt werden können. Ebenso ein steinernes Ecksofa, das mitten in der Gegend steht. Im Süden wird die versunkene „Petropolis“ von einem unüberwindlich scheinenden Felsriegel – einer Stadtmauer gleich – abgeschirmt. Dort geht es nicht mehr weiter. Wahrscheinlich bin ich ohnehin vom direkten Weg Richtung Glatten abgekommen und ungewollt an diesem geheimnisumwitterten Ort gelandet. Also verlasse ich die imaginäre Stadt wieder und wende mich gegen Westen, wo Firnfelder, die von Weitem recht steil aussehen, in der Sonne glänzen.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Dass in der Inner Brüelchälen bis in den Sommer hinein Schneefelder liegen, steht bereits in der Tourenbeschreibung. Jene dort sind jedoch harmlos und schnell durchquert. Mit ziemlich gemischten Gefühlen nähere ich mich dem Respekt einflössenden Firn. Es besteht kein Zweifel, dort oben ist der Gipfel des Glatten, dort muss ich hinauf. Mit den schweren Bergschuhen und den Wanderstöcken geht es weit besser als befürchtet, zumal abgeschmolzene Trittspuren vorhanden sind, die ich benützen und vertiefen kann. Um Viertel vor zwei bin ich auf dem Gipfelplateau des Glatten (2505 m). Rund 2 ½ Stunden habe ich gebraucht, um vom P. 2304 hierher zu kommen – statt 1 Std. 45 Min. wie im SAC-Buch angegeben. Auch wenn ich vermutlich ab und zu vom kürzesten Weg abgekommen bin und reichlich Zeit zum Fotografieren gebraucht habe, scheint mir diese Zeitangabe doch allzu knapp bemessen. Denn durch die Trümmerlandschaft bewegt man sich nicht gleich schnell wie auf einem richtigen Bergweg.
Beim Abstieg vom Glatten Richtung Balmer Grätli trifft man bald einmal auf die bekannten Steinskulpturen. Wie eine monolithische Kultstätte ausserhalb der Mauern der utopischen Ruinenstadt. Wer kann hier der Versuchung widerstehen und nicht seine eigene Skulptur errichten? Die schmalen Steinplatten passen meist in die eingefressenen Kalkspalten wie ein Schlüssel ins Schloss und setzen sich dort sogleich unverrückbar fest. Doch vor lauter Steinen sieht man fast den Weg nicht mehr. Nach dem Gipfelplateau geht es eine Zeit lang in südwestlicher Richtung sanft hinunter. Dann befinde ich mich am Rand einer Steilstufe und muss in einem Bogen nach einer geeigneten Stelle suchen, um hinabzukommen. Vereinzelte Steinmännchen sind dabei behilflich. Unterhalb der Stufe übernehmen pinkfarbene Punkte die Führung durch das Felslabyrinth.
Wohin die Punkte führen bleibt rätselhaft. Da die Richtung stimmt, vertraue ich mich ihnen an. Allerdings nicht, ohne vorher noch südlich bis zum Ende der Felsen zu gehen, um mich zu orientieren. Lieber ein paar zusätzliche Meter hinauf als alles in die falsche Richtung hinunter. Direkt unter mir liegt die Klausenpassstrasse, links sehe ich die Passhöhe, rechts die Haarnadelkurven. Also zurück zu den pinkenen Punkten und ihnen entlang hinab. Zuerst geht es, wie vorher auf dem Mären, über Spalten und horizontale Felsplatten, nachher in einer schmalen Schlucht über Geröll und Schneefelder, die alle gefahrlos und sanft auslaufen. Ohne die Pinkpunkte wäre es alles andere als einfach sich zurechtzufinden. Vor allem beim ersten Mal auf dieser Route. Einmal, als sie wieder aufwärts leiten, verlasse ich mich nicht mehr auf sie und nehme die untere, schlechtere Geröllspur. Ich will ja hinab zum Balmer Grätli und nicht ins Ungewisse hinauf. Zu Unrecht, wie sich bald herausstellt. Beide Spuren vereinigen sich wieder und führen, an bizarren Felsenformationen vorbei, über groben Schutt und Blockgelände direkt zum Balmer Grätli.
Inzwischen ist es 16 Uhr. Rund doppelt so lange wie angegeben habe ich für die Etappe vom Glatten zum Balmer Grätli (2218 m) gebraucht. Kurz vor halb fünf fährt das Postauto. Direkt unter mir sehe ich das Hotel Klausenpass. Vielleicht schaffe ich es noch, schiesst es mir durch den Kopf. Und ohne viel zu überlegen haste ich los. Nach zehn Minuten sehe ich die Sinnlosigkeit meines Vorhabens ein und setze mich auf einen Stein. Inzwischen macht sich auch Müdigkeit in den Gliedern bemerkbar, nach all den Stunden im oft ruppigen Gelände.
Auf dem Fahrplan sehe ich, dass das nächste und letzte Postauto erst um 18.20 Uhr fährt (und das auch nur am Wochenende!). Aber eine Stunde vorher hat es noch eines ab Urigen. Dann gehe ich eben dorthin, fasse ich einen allzu schnellen Entschluss. Denn wo Urigen liegt, steht buchstäblich auf einem andern Blatt:nämlich auf einem andern Blatt der Kartenausschnitte, die ich mir jeweils im Massstab 1:20'000 ausdrucke und mitnehme. Erst als ich auf der Alp Oberbalm ankomme, nachdem ich recht mühsam über stotzige Weiden abgestiegen bin, sehe ich auf dem Wegweiser dort, dass man nach Urigen mehr als zwei Stunden braucht. An der Haltestelle auf der Passstrasse mit all den ratternden und stinkenden Motorrädern mehr als eine Stunde zu warten, wäre unerträglich. Also bleibt mir keine andere Wahl, als in einer Art „Ehrenrunde“ wieder zum Hotel Klausenpass aufzusteigen, wo ich wenigstens bei Speise und Trank auf das Postauto warten kann.
Diese zwei Stunden am Schluss der Tour hätte ich gewiss etwas schöner verbringen können. Das nächste Mal werde ich es besser machen. Keine Frage, dass ich wiederkomme! Dann aber werde ich auf der Glattalp oder auf dem Urnerboden übernachten, um auf dem Glatten mehr Zeit zur Verfügung zu haben. Wie ein Archäologe werde ich durch mein „Atlantis der Berge“ streifen, meiner Fantasie freien Lauf lassen und meine imaginären Entdeckungen mit der Digitalkamera festhalten. Oder in Ruhe kunstvolle Menhire aufrichten und mit Klangsteinen, an denen es nicht mangelt, ein Xylofon bauen. Kurzum, tief eintauchen in die nur scheinbar leblose Felswüste, die ganze Magie der Steine auf mich wirken lassen. Wer sagt denn, dass die Berge keine „Seele“ haben? Schaut man vom Hotel Klausenpass zum Balmer Grätli hinauf, kann man mit etwas Fantasie in den Felsen rechts davon ein Gesicht erkennen. Wie eine männliche Sphinx, die den Eingang zum „Atlantis der Berge“ bewacht.
„Technisch unschwierige Etappe, die jedoch bereits bei guten Sichtverhältnissen einiges an Orientierungsvermögen verlangt“, steht im SAC Alpinwanderführer Zentralschweiz Vierwaldstättersee (1. Auflage 2011). Mit 800 m Höhenmetern Aufstieg und nur leicht mehr im Abstieg keine allzu strenge Tour. Und die angegebene Zeit von 4 Std. 45 Min. verleitet zum Bummeln.
Wegen des Hinweises im Buch auf die „manchmal langen Wartezeiten bei der Seilbahn“ stehe ich eine Stunde früher auf und nehme den ersten Zug. Als ich um acht Uhr bei Sahli zuhinterst im Muotatal aus dem Postauto steige, steht bereits eine Gruppe Wanderer dort und wartet auf die Seilbahn. So ist es kurz nach halb neun, bis ich auf der Glattalp (1850 m) ankomme – bald vier Stunden, nachdem ich von zu Hause weggegangen bin. Doch die lange Anreise lohnt sich: Die mächtige Bergkulisse vor dem wolkenlos blauen Himmel zieht einen sogleich in ihren Bann.
Bei der Bergwirtschaft trennen sich die Wege: Richtung Firner Loch geht es südwärts über eine Anhöhe zum Schafboden. Die weiss-blau-weissen Markierungen sind so zahlreich, dass ich ihnen keine Beachtung mehr schenke und einfach dem Alpweg folge. Auf einmal hat es keine mehr. Offenbar habe ich die Abzweigung verpasst. Da klar ist, wohin ich muss, steige ich weglos aufs erste Band hinauf. Da sind sie wieder und genau so üppig wie vorher. Stetig ansteigend führt der Weg in den Trichter der Inner Brüelchälen, deren halbkreisförmige Steilwände an ein unterirdisches Höhlensystem denken lassen, das irgendwann in grauer Vorzeit eingestürzt ist. Weiter über Geröll und Schneefelder, dann die letzten 100 Meter steil über gut gestufte Felsen hinauf. Oben angekommen gelangt man nordwärts in weniger als 10 Minuten zum Aussichtspunkt des Mären (2304 m) mit Kreuz und Gipfelbuch. Die Sicht hier oben ist so umwerfend prächtig, dass man sich fast festhalten muss – auch weil es auf drei Seiten steil hinuntergeht.
Der Weg vom P. 2304 zum Firner Loch führt über das zerklüftete Hochplateau des Mären. Man wähnt sich auf einem versteinerten Gletscher, über dessen Spalten von oft unergründlicher Tiefe man springen muss. Manchmal sind sie nur ganz schmal, manchmal aber so breit, dass es einen beherzten Schritt braucht, um auf die andere Seite zu gelangen. Beim Firner Loch (2248 m) enden die Markierungen. Auf dem Weiterweg Richtung Glatten muss man sich von den Steinmändli leiten lassen, die wie winzige Menhire aussehen und in schmalen Karstspalten ihren festen Platz gefunden haben. Anfänglich hat es so viele, dass man gar nicht weiss, welchen man folgen soll. Plötzlich sind sie verschwunden, so als hätten die monolithischen Mannli – es ist kurz nach zwölf – Mittagspause. Etwas verloren ohne ihre Führung, halte ich Ausschau. An einem Ort, wo ich es nicht erwartet hätte, taucht der erste der steinernen Zwerge, der offenbar seine Pause vorzeitig beendet hat, wieder auf und bittet mich, ich möge mich doch dorthin begeben. Ohne die wackeren Gesellen – inzwischen sind auch die andern zurückgekehrt – wäre die Wegfindung in dieser unendlich scheinenden Steinwüste bedeutend schwieriger.
Es ist, als wäre man in eine andere Welt versetzt. Die Landschaft gleicht streckenweise einer vorsintflutlichen Ruinenstadt, die bei einem gewaltigen Erdbeben zerstört wurde, während die Spalten, als die Erde sich öffnete, im damaligen Zustand erstarrt sind. Wie eine Art „Atlantis der Berge“ – nicht jenes, das die Kastelruther Spatzen besingen, sondern ein viel archaischeres, urtümlicheres, das die Kraft der Naturelemente erahnen lässt. Die Hausmauern sind vollständig eingestürzt, während die Untergeschosse teilweise noch erhalten sind und über zerfallende Treppenstufen besichtigt werden können. Ebenso ein steinernes Ecksofa, das mitten in der Gegend steht. Im Süden wird die versunkene „Petropolis“ von einem unüberwindlich scheinenden Felsriegel – einer Stadtmauer gleich – abgeschirmt. Dort geht es nicht mehr weiter. Wahrscheinlich bin ich ohnehin vom direkten Weg Richtung Glatten abgekommen und ungewollt an diesem geheimnisumwitterten Ort gelandet. Also verlasse ich die imaginäre Stadt wieder und wende mich gegen Westen, wo Firnfelder, die von Weitem recht steil aussehen, in der Sonne glänzen.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Dass in der Inner Brüelchälen bis in den Sommer hinein Schneefelder liegen, steht bereits in der Tourenbeschreibung. Jene dort sind jedoch harmlos und schnell durchquert. Mit ziemlich gemischten Gefühlen nähere ich mich dem Respekt einflössenden Firn. Es besteht kein Zweifel, dort oben ist der Gipfel des Glatten, dort muss ich hinauf. Mit den schweren Bergschuhen und den Wanderstöcken geht es weit besser als befürchtet, zumal abgeschmolzene Trittspuren vorhanden sind, die ich benützen und vertiefen kann. Um Viertel vor zwei bin ich auf dem Gipfelplateau des Glatten (2505 m). Rund 2 ½ Stunden habe ich gebraucht, um vom P. 2304 hierher zu kommen – statt 1 Std. 45 Min. wie im SAC-Buch angegeben. Auch wenn ich vermutlich ab und zu vom kürzesten Weg abgekommen bin und reichlich Zeit zum Fotografieren gebraucht habe, scheint mir diese Zeitangabe doch allzu knapp bemessen. Denn durch die Trümmerlandschaft bewegt man sich nicht gleich schnell wie auf einem richtigen Bergweg.
Beim Abstieg vom Glatten Richtung Balmer Grätli trifft man bald einmal auf die bekannten Steinskulpturen. Wie eine monolithische Kultstätte ausserhalb der Mauern der utopischen Ruinenstadt. Wer kann hier der Versuchung widerstehen und nicht seine eigene Skulptur errichten? Die schmalen Steinplatten passen meist in die eingefressenen Kalkspalten wie ein Schlüssel ins Schloss und setzen sich dort sogleich unverrückbar fest. Doch vor lauter Steinen sieht man fast den Weg nicht mehr. Nach dem Gipfelplateau geht es eine Zeit lang in südwestlicher Richtung sanft hinunter. Dann befinde ich mich am Rand einer Steilstufe und muss in einem Bogen nach einer geeigneten Stelle suchen, um hinabzukommen. Vereinzelte Steinmännchen sind dabei behilflich. Unterhalb der Stufe übernehmen pinkfarbene Punkte die Führung durch das Felslabyrinth.
Wohin die Punkte führen bleibt rätselhaft. Da die Richtung stimmt, vertraue ich mich ihnen an. Allerdings nicht, ohne vorher noch südlich bis zum Ende der Felsen zu gehen, um mich zu orientieren. Lieber ein paar zusätzliche Meter hinauf als alles in die falsche Richtung hinunter. Direkt unter mir liegt die Klausenpassstrasse, links sehe ich die Passhöhe, rechts die Haarnadelkurven. Also zurück zu den pinkenen Punkten und ihnen entlang hinab. Zuerst geht es, wie vorher auf dem Mären, über Spalten und horizontale Felsplatten, nachher in einer schmalen Schlucht über Geröll und Schneefelder, die alle gefahrlos und sanft auslaufen. Ohne die Pinkpunkte wäre es alles andere als einfach sich zurechtzufinden. Vor allem beim ersten Mal auf dieser Route. Einmal, als sie wieder aufwärts leiten, verlasse ich mich nicht mehr auf sie und nehme die untere, schlechtere Geröllspur. Ich will ja hinab zum Balmer Grätli und nicht ins Ungewisse hinauf. Zu Unrecht, wie sich bald herausstellt. Beide Spuren vereinigen sich wieder und führen, an bizarren Felsenformationen vorbei, über groben Schutt und Blockgelände direkt zum Balmer Grätli.
Inzwischen ist es 16 Uhr. Rund doppelt so lange wie angegeben habe ich für die Etappe vom Glatten zum Balmer Grätli (2218 m) gebraucht. Kurz vor halb fünf fährt das Postauto. Direkt unter mir sehe ich das Hotel Klausenpass. Vielleicht schaffe ich es noch, schiesst es mir durch den Kopf. Und ohne viel zu überlegen haste ich los. Nach zehn Minuten sehe ich die Sinnlosigkeit meines Vorhabens ein und setze mich auf einen Stein. Inzwischen macht sich auch Müdigkeit in den Gliedern bemerkbar, nach all den Stunden im oft ruppigen Gelände.
Auf dem Fahrplan sehe ich, dass das nächste und letzte Postauto erst um 18.20 Uhr fährt (und das auch nur am Wochenende!). Aber eine Stunde vorher hat es noch eines ab Urigen. Dann gehe ich eben dorthin, fasse ich einen allzu schnellen Entschluss. Denn wo Urigen liegt, steht buchstäblich auf einem andern Blatt:nämlich auf einem andern Blatt der Kartenausschnitte, die ich mir jeweils im Massstab 1:20'000 ausdrucke und mitnehme. Erst als ich auf der Alp Oberbalm ankomme, nachdem ich recht mühsam über stotzige Weiden abgestiegen bin, sehe ich auf dem Wegweiser dort, dass man nach Urigen mehr als zwei Stunden braucht. An der Haltestelle auf der Passstrasse mit all den ratternden und stinkenden Motorrädern mehr als eine Stunde zu warten, wäre unerträglich. Also bleibt mir keine andere Wahl, als in einer Art „Ehrenrunde“ wieder zum Hotel Klausenpass aufzusteigen, wo ich wenigstens bei Speise und Trank auf das Postauto warten kann.
Diese zwei Stunden am Schluss der Tour hätte ich gewiss etwas schöner verbringen können. Das nächste Mal werde ich es besser machen. Keine Frage, dass ich wiederkomme! Dann aber werde ich auf der Glattalp oder auf dem Urnerboden übernachten, um auf dem Glatten mehr Zeit zur Verfügung zu haben. Wie ein Archäologe werde ich durch mein „Atlantis der Berge“ streifen, meiner Fantasie freien Lauf lassen und meine imaginären Entdeckungen mit der Digitalkamera festhalten. Oder in Ruhe kunstvolle Menhire aufrichten und mit Klangsteinen, an denen es nicht mangelt, ein Xylofon bauen. Kurzum, tief eintauchen in die nur scheinbar leblose Felswüste, die ganze Magie der Steine auf mich wirken lassen. Wer sagt denn, dass die Berge keine „Seele“ haben? Schaut man vom Hotel Klausenpass zum Balmer Grätli hinauf, kann man mit etwas Fantasie in den Felsen rechts davon ein Gesicht erkennen. Wie eine männliche Sphinx, die den Eingang zum „Atlantis der Berge“ bewacht.
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