Im Urwald des Valle di Sementina
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Das Valle di Sementina ist eines jener kaum bekannten, wenig erschlossenen Tessiner Seitentäler und Schauplatz einer meiner bisher anspruchsvollsten Touren. Der Zeitaufwand ist enorm und der Wasserverbrauch mit ca. 5.5 Litern ebenso.
Der Tag beginnt wenig spektakulär mit dem Fussmarsch von Bellinzona (226 m) nach Monte Carasso (229 m), am Ausgang des Valle di Sementina. Hier steigen wir bei prächtigem Sonnenschein in den steilen Abhang hinauf bis zur kleinen Bergkirche San Bernardo (616 m), von wo aus sich ein ausgezeichneter Ausblick auf das breite Tal des Ticino bietet.
Leider verfehlen wir den direkten Weg nach Monti Leone, weshalb wir ein Stück Richtung Belcorte aufsteigen und bei einer kleinen Lichtung linkerhand den Pfad einschlagen, der ebenfalls zu den verlassenen Hütten von Monti Leone (729 m) führt.
Hier beginnt der sehr reizvolle Hangweg hinein in das Valle Sementina, welcher zur Zeit ausgebessert wird. Der Grund liegt auf der Hand, denn um in die reizvolle kleine Siedlung Monti Sella (926 m) zu gelangen, gibt es keine andere Möglichkeit, als diesen Weg zu benutzen.
Monti Sella liegt auf einem Geländerücken hoch über dem Talgrund und bietet eine fantastische Aussicht über diese wilde Landschaft. Bis hierher entspricht die Tour einer gewöhlichen Bergwanderung (T2), aber nun wird das Gelände anspruchsvoller. Ein teils ausgesetzter, schmaler Pfad führt abwärts Richtung Bach. Hier begegnen wir einem jungen Tessiner namens Sandro, der uns für eine Weile begleitet, am Bach aber beschliesst, umzukehren.
Somit gehen wir alleine weiter. Unser Ziel ist, den Aufstieg nach Ör Piatto zu finden, was in diesem weglosen Gelände sehr schwierig ist. In der imposanten Landschaft am Bach Rio Sementina machen wir aber erstmal Mittagsrast.
Frisch gestärkt kraxeln wir anschliessend über riesige Granitblöcke und durch das Dickicht längs des Baches, wo wir auf ca. 900 m Höhe Fragmente eines Weges entdecken, sowie einen roten Kunststoffbändel an einem Baum, der wie eine Markierung aussieht.
Der Aufstieg verläuft laut Karte in einer Rinne und mangels erkennbarem Weg klettern wir diese direkt hinauf, finden aber auf ca. 970 m einen Durchschlupf zwischen den Felsen, der uns schliesslich zu den Ruinen von Ör Piatto leitet.
Hier ist seit Jahrzehnten alles verlassen und die Nahrungsmittel, die beim letzten Aufbruch zurückgelassen wurden, wird nie mehr jemand essen. Sogar eine halbvolle Flasche Merlot del Ticino, Jahrgang 1966 fristet dort noch ihr Dasein. Davon lassen wir aber die Finger, denn für den nächsten Abschnitt braucht es unbedingt einen klaren Kopf!
Laut Karte existiert eine Verbindung durch sehr kompliziertes Gelände nach Monti di Dentro. Von einem Weg oder auch nur Spuren ist aber überhaupt nichts auszumachen. Deshalb ist unser Vorhaben mit vielen Schwierigkeiten verbunden.
Erst gilt es, in einen Graben abzusteigen, dort einem Grätchen zu folgen, um von dort einen weiteren Graben zu erreichen. Besagter Grat erweist sich aber in Realität als felsig und für uns unpassierbar, weshalb wir gezwungen sind, bereits vorher in den nächsten Graben hinunter zu kraxeln und uns dort in einem Gewirr aus Steinen und umgestürzten Bäumen weiter abwärts zu kämpfen. Etwas unterhalb von 900 m müssen wir diese Rinne durch den Gegenhang verlassen um in einem grösseren Graben den dortigen Bach zu erreichen. Diese Hangtraverse erweist sich als machbar, ist allerdings sehr ausgesetzt und entsprechend heikel. Zum Schluss krabbeln wir durchs Dickicht an besagten Bach und fragen uns, wie viele Menschen wohl bereits an dieser Stelle gestanden sein mögen...?
Nun gilt es, mehr als 250 Höhenmeter zu gewinnen, um die Monti di Dentro (1165 m) zu erreichen. Mangels Alternativen zerren wir uns durch den enorm steilen Grashang in der Falllinie empor, wobei uns stellenweise mannshoher Farn fast verschluckt. Ab ca. 1000 m wird das Gelände besser begehbar und weniger steil. Sogar ein Pfad ist hier wieder auszumachen! Stolz auf die vollbrachte Leistung erreichen wir gegen 17:00 Uhr endlich wieder Spuren der Zivilisation, wobei auch Monti di Dentro unbewohnt ist.
Nach Hause ist es aber immer noch ein weiter Weg. Der Hangweg durch das Tal Cröisa ist durch einen Bergsturz weggerissen worden und erweist sich als unpassierbar, weshalb wir gezwungen sind, weitere 140 Höhenmeter aufzusteigen, um bei Sciupada auf 1300 m den markierten Bergwanderweg zu erreichen.
Ab jetzt geht es nur noch bergab und dies nicht zu knapp. Leider wird bei Fontana di Biasca zur Zeit eine neue Strasse gebaut und es wurde unterlassen, die Wegführung und -markierung entprechend anzupassen. Dies zwingt uns, ein Stück dieser Staubstrasse zu folgen, was sehr ärgerlich ist. Dann erwischen wir bei Monti di Boscaloro (998 m) wieder einen Pfad, der nun ernsthaft talwärts führt. Über San Defendente (677 m) und Fontanella (560 m) gelangen wir so nach Sementina (247 m). Leider fährt der nächste Bus erst in 20 Minuten und in unserem Zustand, verschwitzt und gezeichnet von der Wildnis, würde er uns vielleicht gar nicht mitnehmen... Deshalb legen wir die restliche Strecke bis Bellinzona auch noch zu Fuss zurück, was weitere 35 Minuten beansprucht. So kommen insgesamt 11 Stunden 30 Minuten zusammen, ohne lange Pausen eingelegt zu haben und auch ohne nennenswerte Verhauer. Dank der hervorragenden Landeskarte, dem Höhenmesser und unserem Wissen, wie damit richtig umzugehen, konnte uns dies gelingen.
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