Von 2200m auf -2m in wenigen Sekunden
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Passend zum Skitourenauftakt eine Geschichte von 2010, als Warnung was kommen könnte und worüber man eventuell einmal in ein paar ruhigen Minuten nachdenken sollte. Die Realität bei solch einem Unfall unterscheidet sich teilweise enorm von dem, was man sich in Trockenübungen so angelernt hat.
Freitag, 19.Februar 2010
Nach Einbruch der Dunkelheit erreiche ich wie verabredet das südliche Strassenende im Safiental. Zusammen mit drei weiteren Kollegen wollen wir das Wochenende über dort Skitouren unternehmen. Das Wetter ist nicht gerade einladend. Es schneit und zudem pfeift ein kühler Wind aus nördlicher Richtung. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch, wir übernachten zusammen im Zelt.
Samstag, 20.Februar 2010
Keine grosse Wetteränderung in Sicht. Schneefall, Wind aus Nord, schlechte Sicht dank Wolken, SLF meldet Lawinenwarnstufe 3. Nach einem Frühstück (Verkohlte Spiegeleier, gebrutzelt auf einem Schweizer BVB) brechen wir in Richtung Tomülpass auf. Kurz nach dem Start gesellt sich eine Dreiergruppe zu uns und zusammen spuren wir bei schlechter Sicht hangaufwärts. Irgendwo nach der Falätscher Hütte übernehme ich die Spurarbeit.
Aufgrund der herschenden Windrichtung und der Ausrichtung der Schneewechten an den Kuppen um uns herum gehen wir von frischem Triebschnee in den Südhängen aus. Eine Abfahrt in die Richtung des Wannatobels bzw. P2044 verwerfen wir da zu dem Zeitpunkt schlechte Sicht herrscht und der Bereich nicht eingesehen werden kann. Statt dessen folgen wir dem Höhenrücken weiter in westlicher Richtung und landen so auf 2200m im Gufer.
Der Hangbereich hier gefällt mir nicht. Aus dem Grund gehe ich alleine unter Beobachtung des Gruppenzweiten rund 10-20m nach Süden und lande ebenfalls in steilem Gelände, welches mir nicht gefällt. Nach der Umkehr legen wir eine Pause ein und beratschlagen die weitere Vorgehensweise. Einer plädiert für Umkehr, zwei sind unentschieden, der vierte möchte unbedingt weiter und macht klar dass er bei einer Rückkehr ins Tal unten bleiben würde, da er keine Lust darauf hat, im Hang "Jojo" zu spielen.
Während unserer Diskussion ist die Dreiergruppe an uns vorbeimarschiert und zieht eine Spur in nordwestliche Richtung durch den Hang. Da bei uns keine endgültige Entscheidung gefällt ist warten wir zunächst weiter ab und beobachten die Leute bei der Querung des steileren Stücks. In diesem Zeitrau schliesst eine weitere Gruppe (2 Personen) auf. Der Führende beklagt sich noch über die schlechte Spur der Vorgänger, zieht dann ohne Bedenkpause an uns vorbei und legt weiter oben dann eine Spur weiter links (südlich) an.
Ohne konkrete Entscheidung dafür/dagegen setzt sich dann unsere Truppe in Bewegung, nachdem sich die erste Gruppe bereits an der oberen Kante des steileren Stücks befindet und die zweite Gruppe ebenfalls sich schnell auf den Ausstiegsbereich hinarbeitet. Sieht also so aus als ob unsere Bedenken falsch sind. In extragrossen Abständen folgen wir der Spur aufwärts. Noch bevor ich den Punkt erreiche wo sich diese teilt kommt von oben Geschrei. Beim Blick aufwärts sehe ich dass im Hang schräg links oben Schneestaub herumfliegt, beim Blick nach rechts oben zeigt sich das gleiche Bild - Schneestaub oberhalb der Schneefläche. Der gesamte Hang ist auf 100m Breite abgerissen, wir stehen mitten im Bereich eines Schneebretts.
Mein jämmerlicher Fluchtversuch (Aufstiegshilfe drin, Felle drunter...) endet bereits nach 1 Meter abrutschen, dann überrollt mich das Schneebrett. Es wird sofort dunkel, ausser diversen Grautönen bei der Helligkeit bleibt keine Orientierung. Nach einigen Sekunden dann ein Aufschlag, ich werde herumgewirbelt und sehe wieder Tageslicht. Nach 1-2 Sekunden wird mir klar dass mich die Lawine über einen der wenigen Felsen geschoben hat, die sich in dem Hang befinden. Dabei hat sich mein Ski im Felsen verfangen und meine Fahrt gestoppt. Nun hänge ich kopfüber an einem Felsen, etwa 50cm über dem Boden und die gesamte Lawine ist über mich drüber gerutscht.
Nach einigen Tritten mit dem zweiten Fuss (hier hat die Bindung ausgelöst, der Skier liegt auch oben am Fels) lande ich kopfüber im Schnee, greife mir Schaufel und Sonde, stelle das LVS auf Suchen und werfe einen ersten Blick in die Gegend.
Der gesamte Hang sieht aus wie nach einem Bombenangriff und niemand ist in Sichtweite. Das LVS zeigt zudem keinerlei Signale an, dafür höre ich Schreie aus dem Teil nördlich von mir. Nach wenigen Metern stosse ich auf zwei Leute (1x meine Gruppe, 1x Zweiergruppe) welche bereits den ersten Verschütteten ausgraben. Von diesem ragt ein Bein aus dem Schnee, keine LVS-Suche notwendig.. Die Rega ist bereits alarmiert, ich übernehme die Grabarbeiten an dem Loch während die zwei nach oben eilen. Dort sind zwei weitere Personen aus der Dreiergruppe damit beschäftigt, sich aus dem Schnee zu befreien und benötigen Unterstützung. Von unten naht zudem ein weiterer aus meiner Gruppe. Er hatte sich zum Unfallzeitpunkt noch nicht einmal die Skier wieder angeschnallt und konnte sich mit einem Sprung hinter einen weiteren Felsen vor dem Schlimmsten in Sicherheit bringen. Seine Skier bleiben verschollen und sind später eine Angelegenheit für die Haftpflichtversicherung. Bei meinen Grabarbeiten stellt sich heraus dass die Hilfe zu spät kommt, das Opfer gibt kein Lebenszeichen mehr von sich.
Die weiteren Abläufe habe ich nicht mehr im Kopf, lediglich Puzzleteile sind davon übrig:
Wiederbelebungsmassnahmen an der ersten Person verliefen negativ.
Die Sucharbeiten waren extrem energie- und zeitaufwendig, da der Schnee ungleich stark komprimiert war und die Lawine grob 100mx250m Fläche gross war. Man ging (ohne Ski) einen Schritt und brach dann beim zweiten Schritt bis zur Hüfte durch.
Ich erinnere mich noch wie ich den ersten Heli (Bernina) einwies und dass ein Bergretter mit Suchhund ausstieg. Wann der Rest dazu kam - keine Ahnung, ich habe davon nichts an dem Tag mitbekommen. Irgendwann wimmelte es im Hang einfach nur so von Personen und fünf Helikopter (2x Rega, 2x Air Grischa, 1x Bernina) flogen herum.
45 Minuten nach Lawinenabgang wurde eine weitere Person in der Lawinenzunge geortet und ausgegraben. Nach Reanimation durch den Regaarzt erholte dieser sich sehr rasch. Während wir ihn für die Reanimation aus dem Loch hieften waren keine Lebenszeichen erkennbar, als der Heli ihn ausflog sass er schon aufrecht auf der Trage und hatte wieder eine normale Hautfarbe.
Da ich von den betroffenen Leuten am ehesten noch den Überblick und die Ruhe bewahren konnte fungierte ich als primärer Ansprechpartner vor Ort für die Bergpolizei (welche ebenfalls anwesend war und die Koordination übernahme).
Nachdem abgeklärt war, dass alle Personen gefunden waren (der letzte wurde nach 2 Stunden von einem Suchhund geortet) wurde der überwiegende Teil per Heli ausgeflogen, ein Careteam alarmiert und die Vernehmung im Restaurant im Tal durchgeführt. Ich fuhr zusammen mit der Bergrettungsgruppe ins Tal ab.
Bei der Vernehmung wurden aus jeder Gruppe jeweils eine Person zum Unfallhergang und zur Organisation der Gruppe (Geführt, erfahrung der Teilnehmer,...) befragt. Den restlichen Abend kümmerte sich ein Careteam um diejenigen, die nervlich am stärksten belastet waren.
Sonntag, 21.Februar 2010
Nach einer weiteren Nacht im Zelt fahre ich nach Ilanz, informiere meine Verwandschaft darüber dass mir nichts passiert ist und warte dort auf die Polizei. Mit dem leitenden Polizisten habe ich vereinbart, dass ich ihm bei der Auswertung der Luftaufnahmen gerne behilflich bin, welche das SLF heute anfertigen will. Nach grob 3-4 Stunden Warterei auf dem Parkplatz analysieren wir den Ablauf, dann geht es heim.
Die Woche(n) danach:
Die psychische Belastung hält sich bei mir in Grenzen. Nach 2-3 Tagen klingen die Anzeichen des Belastungstraumas bereits ab. Einem weiteren Teilnehmer aus unser Gruppe ergeht es ebenso, der Dritte geht jedoch auf unser Anraten hin in eine psychologische Betreuung. Eine Woche nach dem Unglück steht dann der letzte Gang an, wir gehen zur Beerdigung der vierten Person aus unserer Gruppe.
Analyse:
Es existiert ein Tourenbericht aus der gleichen Ecke vom gleichen Wochenende: http://www.hikr.org/tour/post21787.html - hier sieht man wie angespannt die Lage letztendlich vor Ort war. Die verlinkte Analyse des SLF (siehe Kommentare dort) ist jedoch schlichtweg nichts wert, da sie nicht die Ursachen zeigt sondern lediglich von falscher Koordination im Hang ausgeht.
Ursache 1: schlechte Sicht
Wie man auch auf den Bildern sieht herschten schlechte Sichtbedingungen. So war die obere verwechtete Hangkante (dort wo die Lawine dann auch herunter kam) beim Aufstieg nicht sichtbar. Aufgrund der schlechten Sicht verzichteten wir auch auf die Abfahrt nach Süden (entlang des Sommerwegs), da der Bereich nicht einschätzbar war. Dies führte dazu, dass wir den Höhenrücken entlang aufstiegen und im Lawinenhang landeten.
Ursache 2: Wind und verdeckte Signale
Der Wind aus Nord drehte die gesamten Wechten im sichtbaren Bereich (bis auf eine wie ich nach Fotostudium jetzt erst herausgefunden habe) nach Süden. Die Tage davor herrschte jedoch Wind aus Südwest bis West was zur Schneeansammlung im Lawinenhang führte.
Ursache 3: Gruppendynamik
In einer Gruppe die sich eigentlich nicht kennt und bei der keiner eine klare Führungsrolle inne hat ist eine Entscheidungsfindung schwer, insbesondere wenn andere Gruppen durch ihr Verhalten eine Entscheidung provozieren, die letztendlich falsch ist (Umkehren ja/nein).
Gelerntes:
Im Zweifel umdrehen und die Hitzköpfe ("ich will aber") auflaufen lassen.
Es gibt nur drei Methoden um Lawinen zu überleben:
1) Vermeiden
2) Oben bleiben
3) Weiter atmen.
Variante 1) ist die Beste, diese klappt aber leider nicht immer. Für 2) benötigt man Auftriebshilfen in Form eines Lawinenrucksacks (Snowpulse,....), bei Variante 3) sollte man eine Avalung dabei haben. Alles andere ist Hoffnung, denn selbst bei schneller Ortung/Bergung liegt man länger als 1-2 Minuten unter dem Schnee und kommt zumindest mit sehr ungesunder Gesichtsfarbe wieder raus.
Bei unserem Kollegen half das LVS gar nichts. Er wurde in eine kleine Felsrinne gespült welche das Signal optimal abschirmte. Auf 10m Entfernung konnte ich ihn nicht orten (beides digitale LVS neuester Generation und keine analoge Gurken wie man sie oftmals noch sieht), selbst aus dem Helikopter war kein Signal ortbar.
Ich war bei zwei der drei Verschütteten direkt dabei als sie aus dem Schnee geborgen wurden und konnte zusehen, wie der Regaarzt einen davon reanimierte. Für mich stand danach fest: unbedingt oben bleiben.
Lediglich mit Aluschaufeln lassen sich Verschüttete ausgraben. Die früher üblichen Plastikschäufelchen gehören an den Strand und nicht ins Gebirge. Sieht man leider immer noch mal wieder am Rucksack herumbaumeln.
Wer in Tarnfarben (schwarz/grau/weiss) in die Berge zieht muss farbenblind oder sich zu sehr von modischen Einflüssen leiten lassen. So etwas zeigt sich dann aber erst im Ernstfall. Dank rotem Pulli war ich für den Heli deutlich sichtbar, trotz eingeschränkter Sicht. Es ist schon ein sehr beruhigendes Gefühl wenn man mitten in einem Schlachtfeld steht, einen Helimotor vernimmt der sich von unten durch den Nebel mit voller Leistung nach oben schraubt und dieser dann auf einen einschwenkt, sobald er in Sicht kommt.
Skier sind wie Anker in einem Lawinenhang. Dies muss aber nicht immer eine negative Tatsache darstellen. Mich hat ein nicht ausgelöster Ski aufgefangen.
Eine Suche im Lawinenhang ist weitaus anstrengender und zeitaufwendiger als bei einer Übung, da der Untergrund (Lawinenkegel vs. unverspurtem Schnee sowie oft Ebene vs. Hang) komplett anders ist. Selbst mit Skier steht man ab einer gewissen Lawinengrösse recht hilflos herum, insbesondere dann wenn sie einen im Aufstieg erwischt und man sich nicht von oben nach unten den Hang herunter arbeiten kann. Wir befanden uns höhenmässig grob in der Mitte und hatten die Qual der Wahl bei der Suchrichtung. Zur Verdeutlichung: trotz ca. 20 Leute, Hunde und Helikopter dauerte es letztendlich 2 Stunden bis der Letzte gefunden wurde.
Auch bei einer relativ großen Gruppe die zur Suche eingesetzt werden kann herrscht zwischen Übung und Realität ein großer Unterschied, da insbesondere Leute die selber von der Lawine betroffen sind manchmal nicht mehr für die Suche eingesetzt werden können (sondern im Gegenteil eher Betreuung benötigen).
Wenn es die gesamte Gruppe oder mehrere Gruppen komplett erwischt entfallen hilfreiche Details (wie z.B. die Verfolgung der Lawine und somit die grobe Lagebestimmung).
Leider kam ich in der ersten Sekunden nicht mehr auf die Idee, die Latten mitzunhemen. Dies galt auch für die Jacke, die lag die gesamten 2-3 Stunden am Rucksack und ich lief im Pulli im Hang herum - der liebe vergessene Selbstschutz eben (und dabei wurde mir das mal beigebracht).
Eine Versicherung lohnt sich. Bei uns beliefen sich die Kosten auf rund 20000 CHF (5 Helis, 1 Rettungskolonne, 3 Suchhunde, Polizei, Careteam).
Leute welche nervlich sehr stark belastet sind sollten schnellstmöglich vom Unfallort in Sicherheit gebracht und eventuell auch sofort betreut werden. Beobachtet eure Kollegen (auch die Tage danach) auf etwaige Nachwirkungen und schickt sie notfalls in Behandlung.
Die Psychologie eines Lawinenunfalls (aus Sicht eines Laien):
Während der Suche/Bergung steht man unter Hochspannung und konstantem Zeitdruck, da man weiss, dass es um Menschenleben geht. Dies brennt sich mehr oder weniger stark ins Gedächtnis ein.
So wie zu jedem Zeitpunkt muss man auch anschliessend ständig Entscheidungen treffen (Essen ja/nein, Aufstehen ja/nein, Arbeit 1 oder 2 zuerst erledigen,...). Das Hirn priorisiert dann basierend auf dem Gelernten einzelne Dinge und trifft so Entscheidungen.
Diesen Mechanismus wirbelt der Unfall durcheinander. Sobald der Betroffene unter Druck gesetzt wird ("das muss jetzt erledigt werden") greift das Hirn auf die Erlebnisse/Erfahrungen zurück, findet die Unfallerlebnisse und stuft in Relation dazu alles weitere ein. Im Endeffekt verblasst alles gegen das Unfallerlebnis und wird als unwichtig eingestuft. Die Person ist blockiert, teilnahmslos.
Es ist durchaus interessant zu sehen, wie schnell sich hinterher dann eine ganze Reihe von Profis im Web finden, welche die Situation als "eindeutig" und "vorhersehbar" und somit "vermeidbar" abstempeln. Hinterher ist man immer klüger, insbesondere dann wenn man Bilder danach sieht, die zudem bei guten Sichtbedingungen aus dem Heli heraus aufgenommen wurden. Fakt aber ist dass ausgerechnet derjenige mit der besten Ausbildung und der grössten Erfahrung die erste Spur in den Hang zog (und umkam) und lediglich der Unerfahrenste von allen umkehren wollte. Für ihn war es jedenfalls die erste und letzte Skitour, er hatte danach keine Lust mehr.
Fazit:
Ich hoffe dass mit dieser Geschichte herüber kommt, dass zwischen Übung und Ernstfall schon ein Unterschied besteht und man sich nicht all zu sehr in Sicherheit wiegen sollte weil man den Umgang mit dem LVS beherrscht. Es spielen sich dann auch mal heftige Szenen währenddessen ab und auch wenn dann alle an dem Tag unten im Tal sitzen ist die Geschichte oftmals noch nicht ganz vorbei.
Trotz alledem: Auf eine hübsche Saison.
Freitag, 19.Februar 2010
Nach Einbruch der Dunkelheit erreiche ich wie verabredet das südliche Strassenende im Safiental. Zusammen mit drei weiteren Kollegen wollen wir das Wochenende über dort Skitouren unternehmen. Das Wetter ist nicht gerade einladend. Es schneit und zudem pfeift ein kühler Wind aus nördlicher Richtung. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch, wir übernachten zusammen im Zelt.
Samstag, 20.Februar 2010
Keine grosse Wetteränderung in Sicht. Schneefall, Wind aus Nord, schlechte Sicht dank Wolken, SLF meldet Lawinenwarnstufe 3. Nach einem Frühstück (Verkohlte Spiegeleier, gebrutzelt auf einem Schweizer BVB) brechen wir in Richtung Tomülpass auf. Kurz nach dem Start gesellt sich eine Dreiergruppe zu uns und zusammen spuren wir bei schlechter Sicht hangaufwärts. Irgendwo nach der Falätscher Hütte übernehme ich die Spurarbeit.
Aufgrund der herschenden Windrichtung und der Ausrichtung der Schneewechten an den Kuppen um uns herum gehen wir von frischem Triebschnee in den Südhängen aus. Eine Abfahrt in die Richtung des Wannatobels bzw. P2044 verwerfen wir da zu dem Zeitpunkt schlechte Sicht herrscht und der Bereich nicht eingesehen werden kann. Statt dessen folgen wir dem Höhenrücken weiter in westlicher Richtung und landen so auf 2200m im Gufer.
Der Hangbereich hier gefällt mir nicht. Aus dem Grund gehe ich alleine unter Beobachtung des Gruppenzweiten rund 10-20m nach Süden und lande ebenfalls in steilem Gelände, welches mir nicht gefällt. Nach der Umkehr legen wir eine Pause ein und beratschlagen die weitere Vorgehensweise. Einer plädiert für Umkehr, zwei sind unentschieden, der vierte möchte unbedingt weiter und macht klar dass er bei einer Rückkehr ins Tal unten bleiben würde, da er keine Lust darauf hat, im Hang "Jojo" zu spielen.
Während unserer Diskussion ist die Dreiergruppe an uns vorbeimarschiert und zieht eine Spur in nordwestliche Richtung durch den Hang. Da bei uns keine endgültige Entscheidung gefällt ist warten wir zunächst weiter ab und beobachten die Leute bei der Querung des steileren Stücks. In diesem Zeitrau schliesst eine weitere Gruppe (2 Personen) auf. Der Führende beklagt sich noch über die schlechte Spur der Vorgänger, zieht dann ohne Bedenkpause an uns vorbei und legt weiter oben dann eine Spur weiter links (südlich) an.
Ohne konkrete Entscheidung dafür/dagegen setzt sich dann unsere Truppe in Bewegung, nachdem sich die erste Gruppe bereits an der oberen Kante des steileren Stücks befindet und die zweite Gruppe ebenfalls sich schnell auf den Ausstiegsbereich hinarbeitet. Sieht also so aus als ob unsere Bedenken falsch sind. In extragrossen Abständen folgen wir der Spur aufwärts. Noch bevor ich den Punkt erreiche wo sich diese teilt kommt von oben Geschrei. Beim Blick aufwärts sehe ich dass im Hang schräg links oben Schneestaub herumfliegt, beim Blick nach rechts oben zeigt sich das gleiche Bild - Schneestaub oberhalb der Schneefläche. Der gesamte Hang ist auf 100m Breite abgerissen, wir stehen mitten im Bereich eines Schneebretts.
Mein jämmerlicher Fluchtversuch (Aufstiegshilfe drin, Felle drunter...) endet bereits nach 1 Meter abrutschen, dann überrollt mich das Schneebrett. Es wird sofort dunkel, ausser diversen Grautönen bei der Helligkeit bleibt keine Orientierung. Nach einigen Sekunden dann ein Aufschlag, ich werde herumgewirbelt und sehe wieder Tageslicht. Nach 1-2 Sekunden wird mir klar dass mich die Lawine über einen der wenigen Felsen geschoben hat, die sich in dem Hang befinden. Dabei hat sich mein Ski im Felsen verfangen und meine Fahrt gestoppt. Nun hänge ich kopfüber an einem Felsen, etwa 50cm über dem Boden und die gesamte Lawine ist über mich drüber gerutscht.
Nach einigen Tritten mit dem zweiten Fuss (hier hat die Bindung ausgelöst, der Skier liegt auch oben am Fels) lande ich kopfüber im Schnee, greife mir Schaufel und Sonde, stelle das LVS auf Suchen und werfe einen ersten Blick in die Gegend.
Der gesamte Hang sieht aus wie nach einem Bombenangriff und niemand ist in Sichtweite. Das LVS zeigt zudem keinerlei Signale an, dafür höre ich Schreie aus dem Teil nördlich von mir. Nach wenigen Metern stosse ich auf zwei Leute (1x meine Gruppe, 1x Zweiergruppe) welche bereits den ersten Verschütteten ausgraben. Von diesem ragt ein Bein aus dem Schnee, keine LVS-Suche notwendig.. Die Rega ist bereits alarmiert, ich übernehme die Grabarbeiten an dem Loch während die zwei nach oben eilen. Dort sind zwei weitere Personen aus der Dreiergruppe damit beschäftigt, sich aus dem Schnee zu befreien und benötigen Unterstützung. Von unten naht zudem ein weiterer aus meiner Gruppe. Er hatte sich zum Unfallzeitpunkt noch nicht einmal die Skier wieder angeschnallt und konnte sich mit einem Sprung hinter einen weiteren Felsen vor dem Schlimmsten in Sicherheit bringen. Seine Skier bleiben verschollen und sind später eine Angelegenheit für die Haftpflichtversicherung. Bei meinen Grabarbeiten stellt sich heraus dass die Hilfe zu spät kommt, das Opfer gibt kein Lebenszeichen mehr von sich.
Die weiteren Abläufe habe ich nicht mehr im Kopf, lediglich Puzzleteile sind davon übrig:
Wiederbelebungsmassnahmen an der ersten Person verliefen negativ.
Die Sucharbeiten waren extrem energie- und zeitaufwendig, da der Schnee ungleich stark komprimiert war und die Lawine grob 100mx250m Fläche gross war. Man ging (ohne Ski) einen Schritt und brach dann beim zweiten Schritt bis zur Hüfte durch.
Ich erinnere mich noch wie ich den ersten Heli (Bernina) einwies und dass ein Bergretter mit Suchhund ausstieg. Wann der Rest dazu kam - keine Ahnung, ich habe davon nichts an dem Tag mitbekommen. Irgendwann wimmelte es im Hang einfach nur so von Personen und fünf Helikopter (2x Rega, 2x Air Grischa, 1x Bernina) flogen herum.
45 Minuten nach Lawinenabgang wurde eine weitere Person in der Lawinenzunge geortet und ausgegraben. Nach Reanimation durch den Regaarzt erholte dieser sich sehr rasch. Während wir ihn für die Reanimation aus dem Loch hieften waren keine Lebenszeichen erkennbar, als der Heli ihn ausflog sass er schon aufrecht auf der Trage und hatte wieder eine normale Hautfarbe.
Da ich von den betroffenen Leuten am ehesten noch den Überblick und die Ruhe bewahren konnte fungierte ich als primärer Ansprechpartner vor Ort für die Bergpolizei (welche ebenfalls anwesend war und die Koordination übernahme).
Nachdem abgeklärt war, dass alle Personen gefunden waren (der letzte wurde nach 2 Stunden von einem Suchhund geortet) wurde der überwiegende Teil per Heli ausgeflogen, ein Careteam alarmiert und die Vernehmung im Restaurant im Tal durchgeführt. Ich fuhr zusammen mit der Bergrettungsgruppe ins Tal ab.
Bei der Vernehmung wurden aus jeder Gruppe jeweils eine Person zum Unfallhergang und zur Organisation der Gruppe (Geführt, erfahrung der Teilnehmer,...) befragt. Den restlichen Abend kümmerte sich ein Careteam um diejenigen, die nervlich am stärksten belastet waren.
Sonntag, 21.Februar 2010
Nach einer weiteren Nacht im Zelt fahre ich nach Ilanz, informiere meine Verwandschaft darüber dass mir nichts passiert ist und warte dort auf die Polizei. Mit dem leitenden Polizisten habe ich vereinbart, dass ich ihm bei der Auswertung der Luftaufnahmen gerne behilflich bin, welche das SLF heute anfertigen will. Nach grob 3-4 Stunden Warterei auf dem Parkplatz analysieren wir den Ablauf, dann geht es heim.
Die Woche(n) danach:
Die psychische Belastung hält sich bei mir in Grenzen. Nach 2-3 Tagen klingen die Anzeichen des Belastungstraumas bereits ab. Einem weiteren Teilnehmer aus unser Gruppe ergeht es ebenso, der Dritte geht jedoch auf unser Anraten hin in eine psychologische Betreuung. Eine Woche nach dem Unglück steht dann der letzte Gang an, wir gehen zur Beerdigung der vierten Person aus unserer Gruppe.
Analyse:
Es existiert ein Tourenbericht aus der gleichen Ecke vom gleichen Wochenende: http://www.hikr.org/tour/post21787.html - hier sieht man wie angespannt die Lage letztendlich vor Ort war. Die verlinkte Analyse des SLF (siehe Kommentare dort) ist jedoch schlichtweg nichts wert, da sie nicht die Ursachen zeigt sondern lediglich von falscher Koordination im Hang ausgeht.
Ursache 1: schlechte Sicht
Wie man auch auf den Bildern sieht herschten schlechte Sichtbedingungen. So war die obere verwechtete Hangkante (dort wo die Lawine dann auch herunter kam) beim Aufstieg nicht sichtbar. Aufgrund der schlechten Sicht verzichteten wir auch auf die Abfahrt nach Süden (entlang des Sommerwegs), da der Bereich nicht einschätzbar war. Dies führte dazu, dass wir den Höhenrücken entlang aufstiegen und im Lawinenhang landeten.
Ursache 2: Wind und verdeckte Signale
Der Wind aus Nord drehte die gesamten Wechten im sichtbaren Bereich (bis auf eine wie ich nach Fotostudium jetzt erst herausgefunden habe) nach Süden. Die Tage davor herrschte jedoch Wind aus Südwest bis West was zur Schneeansammlung im Lawinenhang führte.
Ursache 3: Gruppendynamik
In einer Gruppe die sich eigentlich nicht kennt und bei der keiner eine klare Führungsrolle inne hat ist eine Entscheidungsfindung schwer, insbesondere wenn andere Gruppen durch ihr Verhalten eine Entscheidung provozieren, die letztendlich falsch ist (Umkehren ja/nein).
Gelerntes:
Im Zweifel umdrehen und die Hitzköpfe ("ich will aber") auflaufen lassen.
Es gibt nur drei Methoden um Lawinen zu überleben:
1) Vermeiden
2) Oben bleiben
3) Weiter atmen.
Variante 1) ist die Beste, diese klappt aber leider nicht immer. Für 2) benötigt man Auftriebshilfen in Form eines Lawinenrucksacks (Snowpulse,....), bei Variante 3) sollte man eine Avalung dabei haben. Alles andere ist Hoffnung, denn selbst bei schneller Ortung/Bergung liegt man länger als 1-2 Minuten unter dem Schnee und kommt zumindest mit sehr ungesunder Gesichtsfarbe wieder raus.
Bei unserem Kollegen half das LVS gar nichts. Er wurde in eine kleine Felsrinne gespült welche das Signal optimal abschirmte. Auf 10m Entfernung konnte ich ihn nicht orten (beides digitale LVS neuester Generation und keine analoge Gurken wie man sie oftmals noch sieht), selbst aus dem Helikopter war kein Signal ortbar.
Ich war bei zwei der drei Verschütteten direkt dabei als sie aus dem Schnee geborgen wurden und konnte zusehen, wie der Regaarzt einen davon reanimierte. Für mich stand danach fest: unbedingt oben bleiben.
Lediglich mit Aluschaufeln lassen sich Verschüttete ausgraben. Die früher üblichen Plastikschäufelchen gehören an den Strand und nicht ins Gebirge. Sieht man leider immer noch mal wieder am Rucksack herumbaumeln.
Wer in Tarnfarben (schwarz/grau/weiss) in die Berge zieht muss farbenblind oder sich zu sehr von modischen Einflüssen leiten lassen. So etwas zeigt sich dann aber erst im Ernstfall. Dank rotem Pulli war ich für den Heli deutlich sichtbar, trotz eingeschränkter Sicht. Es ist schon ein sehr beruhigendes Gefühl wenn man mitten in einem Schlachtfeld steht, einen Helimotor vernimmt der sich von unten durch den Nebel mit voller Leistung nach oben schraubt und dieser dann auf einen einschwenkt, sobald er in Sicht kommt.
Skier sind wie Anker in einem Lawinenhang. Dies muss aber nicht immer eine negative Tatsache darstellen. Mich hat ein nicht ausgelöster Ski aufgefangen.
Eine Suche im Lawinenhang ist weitaus anstrengender und zeitaufwendiger als bei einer Übung, da der Untergrund (Lawinenkegel vs. unverspurtem Schnee sowie oft Ebene vs. Hang) komplett anders ist. Selbst mit Skier steht man ab einer gewissen Lawinengrösse recht hilflos herum, insbesondere dann wenn sie einen im Aufstieg erwischt und man sich nicht von oben nach unten den Hang herunter arbeiten kann. Wir befanden uns höhenmässig grob in der Mitte und hatten die Qual der Wahl bei der Suchrichtung. Zur Verdeutlichung: trotz ca. 20 Leute, Hunde und Helikopter dauerte es letztendlich 2 Stunden bis der Letzte gefunden wurde.
Auch bei einer relativ großen Gruppe die zur Suche eingesetzt werden kann herrscht zwischen Übung und Realität ein großer Unterschied, da insbesondere Leute die selber von der Lawine betroffen sind manchmal nicht mehr für die Suche eingesetzt werden können (sondern im Gegenteil eher Betreuung benötigen).
Wenn es die gesamte Gruppe oder mehrere Gruppen komplett erwischt entfallen hilfreiche Details (wie z.B. die Verfolgung der Lawine und somit die grobe Lagebestimmung).
Leider kam ich in der ersten Sekunden nicht mehr auf die Idee, die Latten mitzunhemen. Dies galt auch für die Jacke, die lag die gesamten 2-3 Stunden am Rucksack und ich lief im Pulli im Hang herum - der liebe vergessene Selbstschutz eben (und dabei wurde mir das mal beigebracht).
Eine Versicherung lohnt sich. Bei uns beliefen sich die Kosten auf rund 20000 CHF (5 Helis, 1 Rettungskolonne, 3 Suchhunde, Polizei, Careteam).
Leute welche nervlich sehr stark belastet sind sollten schnellstmöglich vom Unfallort in Sicherheit gebracht und eventuell auch sofort betreut werden. Beobachtet eure Kollegen (auch die Tage danach) auf etwaige Nachwirkungen und schickt sie notfalls in Behandlung.
Die Psychologie eines Lawinenunfalls (aus Sicht eines Laien):
Während der Suche/Bergung steht man unter Hochspannung und konstantem Zeitdruck, da man weiss, dass es um Menschenleben geht. Dies brennt sich mehr oder weniger stark ins Gedächtnis ein.
So wie zu jedem Zeitpunkt muss man auch anschliessend ständig Entscheidungen treffen (Essen ja/nein, Aufstehen ja/nein, Arbeit 1 oder 2 zuerst erledigen,...). Das Hirn priorisiert dann basierend auf dem Gelernten einzelne Dinge und trifft so Entscheidungen.
Diesen Mechanismus wirbelt der Unfall durcheinander. Sobald der Betroffene unter Druck gesetzt wird ("das muss jetzt erledigt werden") greift das Hirn auf die Erlebnisse/Erfahrungen zurück, findet die Unfallerlebnisse und stuft in Relation dazu alles weitere ein. Im Endeffekt verblasst alles gegen das Unfallerlebnis und wird als unwichtig eingestuft. Die Person ist blockiert, teilnahmslos.
Es ist durchaus interessant zu sehen, wie schnell sich hinterher dann eine ganze Reihe von Profis im Web finden, welche die Situation als "eindeutig" und "vorhersehbar" und somit "vermeidbar" abstempeln. Hinterher ist man immer klüger, insbesondere dann wenn man Bilder danach sieht, die zudem bei guten Sichtbedingungen aus dem Heli heraus aufgenommen wurden. Fakt aber ist dass ausgerechnet derjenige mit der besten Ausbildung und der grössten Erfahrung die erste Spur in den Hang zog (und umkam) und lediglich der Unerfahrenste von allen umkehren wollte. Für ihn war es jedenfalls die erste und letzte Skitour, er hatte danach keine Lust mehr.
Fazit:
Ich hoffe dass mit dieser Geschichte herüber kommt, dass zwischen Übung und Ernstfall schon ein Unterschied besteht und man sich nicht all zu sehr in Sicherheit wiegen sollte weil man den Umgang mit dem LVS beherrscht. Es spielen sich dann auch mal heftige Szenen währenddessen ab und auch wenn dann alle an dem Tag unten im Tal sitzen ist die Geschichte oftmals noch nicht ganz vorbei.
Trotz alledem: Auf eine hübsche Saison.
Tourengänger:
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