Fünf-Jöcher-Übergang zur Rüsselsheimer Hütte mit über 80kg Gepäck


Publiziert von alpensucht , 27. Oktober 2013 um 15:07. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Ötztaler Alpen
Tour Datum: 8 Oktober 2013
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 12:15
Aufstieg: 1250 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:Hauersee - Luibisscharte - Sandjoch - Breitlehnjoch - Kapuzinerjoch - Gahwinden - Rüsselsheimer Hütte 12km

Ein wunderschöner Morgen begrüßt uns, als wir aus den Zelten kriechen. 6 Uhr. Der erste Schimmer ist am östlichen Horizont zu sehen. Heute bin ich nicht sicher, ob wir es tatsächlich über alle fünf Jöcher mit so viel Gepäck schaffen. Sicher müssen wir spätestens unter dem Kapuzinerjoch die Zelte noch einmal aufbauen, bevor wir die Hütte erreichen... Es hat Raureif auf den Rucksackplanen, obwohl das Thermometer 2°C anzeigt. Joe will heute unbedingt bis zur Hütte gelangen. Wir sind gespannt.

 

Die Route führt uns durch bekanntes Terrain bis kurz vor die Luibisscharte, wo wir die deponierten Steigeisen und Pickel aufnehmen. Danach erwarten uns steile, gefährliche Abstiege, endlose Geröllkare und zermürbende Gegenanstiege auf vier weitere Jöcher. Auf einen Gipfel mache ich mir heute keine großen Hoffnungen, doch darauf kommt es ja nicht an. Den Abschnitt zwischen Breitlehnjoch und Gahwinden kenne ich ja schon von meiner Soloüberschreitung an der Hohen Geige. Der Wegweiser zeigt einen „schwarzen Bergweg“ an, für den man nur 8h benötigen soll. Rechnen wir 2h Pause und 2h zusätzlich wegen des schweren Gepäcks!

 

Hauersee – Luibisscharte (T5-, I)

6:40 Uhr verlassen wir den Hauersee in südliche Richtung, füllen 2l pro Person Wasser an einem der Zuflüsse auf und betreten kurz danach die markierte Route zur Luibisscharte. Heute betreten wir den Gletscher nicht, müssen aber an den gesicherten Passagen über die plattigen Gletscherschliffe äußerst vorsichtig agieren, weil es vereiste Stellen gibt. Die Sonne erreicht uns genau als wir auf ca. 3000m an der Weggabelung (Luibiskogel/-scharte) Frühstückspause machen wollen.

 

8:45 Uhr.Wir breiten sämtliche nassen Textilien nach Südosten hin aus und freuen uns an der Wärmestrahlung, obwohl es kaum 5°C hat. Zum Frühstück gibt’s Müsli, Honig und Milch aus Magermilchpulver und einige Stücken Schokolade.

 

Luibisscharte – Sandjoch – Breitlehnjoch (T5, I)

Gegen 9:45 Uhr queren wir auf dem Weg hinüber zur Luibisscharte. Der Abstieg ins dahinter liegende Tal stellt die Schlüsselstelle der Tour dar. Die markierte Route führt zunächst in eine steile, wilde Rinne, in der im oberen Teil ein bis 40° steiles Eisfeld zu überwinden ist, wenn man nicht weglos im brüchigen Geröllgelände absteigen möchte. Dieses Eisfeld nutze ich gleich für die nächste Übung: Abstieg mit Hilfe des Eispickels (Kopfstütztechnik) im gestuften Eis. Die Stufen haue ich mit meinen Alpinstiefeln in den guten, festen, nicht mehr pickelharten Firn. Der Eispickel bietet sehr guten Halt. Nur LuNo benutzt den preparierten Weg unter den wenigstens teilweise kontrollierten Bedingungen (Stufen, Trittfirn, frühe Stunde=sehr geringe Steinschlaggefahr, Pickeltechnik, keine nennenswerte Steilstufe im Abrutschfall, kein Zeitdruck, kein Gepäck am Rücken etc.). Direkt am Ende der Stelle können wir an die Fixe Kette greifen.

 

Die beiden anderen A_Thorne und Joe steigen neben der Route zügig im Schutt und Geröll ab (auch T5). Nach den steilen Fixseilstellen geht die Route in flacheres, unübersichtliches Moränengelände über. Bei Nebel dürfte es hier erhebliche Orientierungsschwierigkeiten geben, weil sich eine Vielzahl an kleinen Moränen mit variabler Anordnung durch das Kar zieht. Inzwischen ist es so warm geworden, dass ich meine lange Thermounterwäsche loswerden muss. Dann geht es wieder einen nicht unbedeutenden Aufschwung von rund 250Hm hinauf ins Sandjoch, welches wir 11:45 Uhr erreichen. Eine kleine Verschnaufpause können wir uns leisten, da wir schon etwa die Hälfte der Gesamtstrecke und die meisten Aufstiegshöhenmeter geschafft haben (rund 300Hm fehlen noch)

 

Sandjoch – Mittagspause (T3) am Hundstalkogel und Übungstraverse (T6, III)

Der nun folgende Abschnitt entpuppt sich als landschaftlich besonders schön. Einige flache Passagen ziehen durch den Talboden des Südlichen Luibiskarles und auf einer alten begrünten, teils noch blühenden Moräne entlang hinüber zum wieder sehr steilen Aufschwung in einen unbedeutenderen Sattel. Er trägt in meiner AV-Karte von 1999 keine Bezeichnung. Somit wird mir die Ehre zuteil, diesem hier bei Hikr einen eigenen Namen geben zu können. Es soll Mittagsjöchl heißen, weil man spätestens mittags dort sein sollte bei einem Übergang in beide Richtungen und es wirklich unbedeutend ist. Bis hierhin bin ich 2012 auf der 1. Akklimatisierungstour (Bericht folgt noch) bei Schlechtwetter gegangen. Nach einigen Hm flachen Abstiegs entscheiden wir uns für eine ausgiebige Mittagspause. Wir essen also reichlich und überlegen einfach in die Flanke in unseren Rücken einzusteigen.

Es handelt sich um die Ostflanke des Hundstalkogels. Den Gipfel zu erreichen hoffe ich gar nicht erst. Der Abstecher dient lediglich als Übung.

 

Die Flanke über dem Pausenplatz besteht zunächst aus weglosen, steiler werdenden Schutt (T4) bis zum Felsansatz. Die Felsstufe ist plattig und wird zum Teil von kleinen Rinnsalen durchzogen, was die Kletterei nicht gerade angenehm macht. Die ersten Züge sind I-II (anhaltend T5) und leiten bis zu einem breiten Steilgrasband (ausgesetztes Gehgelände). Dieses begehen wir nach rechts. Es leitet zu einem weiteren noch steileren Aufschwung. Hier ist Schluss mit T5. Jetzt würde es in sehr ernstes T6-Gelände gehen, weshalb Joe auch ganz klar abbrechen möchte. So suche ich wenigstens eine kurze, machbare Traverse im III. Grad ca. 4m oberhalb des Bands, wo es Sicherungsmöglichkeiten für meine 10m Reepschnur gibt. Insgesamt drei Köpfelschlingen kann ich legen, wobei nur die erste 100% sicher wirkt („Fusselschlinge“--> Verwendung im Elbsandstein geübt). Am dritten Fixpunkt bleibe ich und lasse meine Begleiter nacheinander die Traverse klettern und jeden einmal ins Fixseil hängen, um ihr Vertrauen ins Material zu üben. Alle bestätigen nachher den Wert der Übung und fühlen sich beim Abstieg insgesamt auch sicherer. Mit LuNo gehen wir visuell noch einige mögliche Linien in der Ostflanke durch, weil sie das Gelände lesen üben lernen möchte (auch ich bin da noch im Anfängerstadium!).

 

Breitlehnjöchl – Kapuzinerjoch T4 – Gahwinden – Rüsselsheimer Hütte T3

14:15 Uhr. Weiter geht’s hinab zum Breitlehnjoch und hinüber auf Pitztaler Seite. Die weitere kleine Geröllwüste und der sehr steile Anstieg zum Kapuzinerjoch (Rötkarljoch, T4) erweist sich als große Herausforderung. Die steilen Serpentinen im Schutt verlangen uns alles ab. Und die letzten Höhenmeter durch steile Felspassagen steigen wir an z.T. übermurten Ketten hinauf. Als ich oben mit schmerzenden Schultern ankomme, lege ich nur meinen Rucksack ab und gehe meinen Gefährten entgegen, um ihnen einen Rucksack abzunehmen, doch keiner möchte ihn hergeben. Joe empfände dies als Misserfolg an diesem Tag und schleppt sich gleichmäßig weiter aufwärts. Beim zweiten Mal oben habe ich meinen heutigen konditionellen Tiefstand erreicht. 16:30 Uhr.

 

Nun glaube ich, dass wir die Hütte erreichen können. Joe macht auffällig plumsende Schritte beim Abstieg. Auch wenn die Oberschenkel bereits brennen, bereitet der Abstieg durch den steilen Schutt einen Riesenspaß und die Höhenmeter werden schnell verheizt, die wir gleich nachher wieder auf Gahwinden hinauf müssen. Doch vorher zieht sich der markierte Pfad über Geröll noch unangenehm in die Länge. Irgendwie spüre ich wieder eine enorme Kraft, auch in Erinnerung, mit welchem Tempo ich im Frühsommer 2012 hier durch gerannt bin. Der Abstand zu meinen Tourenpartnern vergrößert sich schnell.

 

Der letzte Aufstieg für heute steht an. Er ist wieder steil und schmerzt in jedem Muskelstrang meiner Beine. Irgendwie wird die Luft auf einmal dießig. Als ich 17:30 Uhr Gahwinden erreiche, fängt es plötzlich leicht zu Hageln an. Es war vorher spürbar, aber man sah nichts. Doch beim Blick über den Sattel sieht es böse aus. Es scheint eine Art Gewitter herauf zu ziehen. Hastig erledige ich mein dringendes Geschäft abseits und eile Luise entgegen, die sehr froh über die Erleichterung ist. Nach nur wenigen Minuten hört es wieder auf und die Wolkenwand zieht weiter nach Norden. Ein grandioses Schauspiel! Nach kurzer Rast machen wir uns auf in Richtung Hütte, hinein in den Nebel.

Der Weg führt flach im langen Bogen durch das Kar südwestlich der Hohen Geige. A_Thorne und ich rennen vor, um den Ofen in der Hütte schon anzuheizen. Der Nebel ist sehr dicht geworden. Wir freuen uns über die zahlreichen Markierungen und über die Wegweiser. Kurz vor Hereinbrechen der Dunkelheit erreichen wir um 18:50 Uhr die Hütte, die plötzlich aus dem Nebel auftaucht, kurz nachdem ich schon dachte, wir seien falsch gelaufen. Der Winterraum ist gar nicht leicht zu finden. Es hat leicht zu nieseln angefangen. Bald schon tauchen auch LuNo und Joe auf, die leider den Schlüssel haben, so dass wir noch nicht anfeuern konnten.

 

Selbstverständlich muss ich nochmal hinaus in Regen und Nebel zum Wasser holen. Kaum 200m vom Winterraum entfernt plätschert das Schmelzwasser vom Weißmaurachferner leicht trüb vorbei. Es gibt auch eine Betoneinfassung zum Wasserschöpfen, in der aber das Wasser besonders trüb ist. Weiter unten am Bach ist es deutlich besser.

 

Der Übergang war kräftezehrend, aber abwechslungsreich und schön. Diese Tour würde ich so sicher nicht noch einmal gehen. Der Hundstalkogel steht von nun an auf meiner Projektliste! Die Pausenübung dort ist gut gelungen. Das Schönste war, dass wir die umliegende Bergwelt aus so vielen Perspektiven sehen konnten. Die durchschnittliche Schwierigkeit liegt zwischen T3 und T4. Die anspruchsvollsten Passagen am Weg lagen im Fels über dem Hauerferner, beim Abstieg von der Luibisscharte, bei dem Abstecher am Hundstalkogel und zuletzt beim Aufstieg ins Kapuzinerjoch. Morgen wollen wir auf die Hohe Geige...

Das "Mittagsjöchl"  zählt nicht zu den im Titel gemeinten fünf Jöchern, weil  der eine oder andere diesem den Anspruch auf die Bezeichnung "Joch" absprechen würde :)


Tourengänger: alpensucht, A_Thorne, LuNo


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