Fletschhorn 3.985 m (abgebrochen)


Publiziert von Basti , 9. August 2012 um 10:53.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:27 Juli 2012
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 

Eigentlich schreibe ich keine Beiträge zu abgebrochenen Routen. Erst recht nicht, wenn es sich um einen vermeintlich sehr leichten Gipfel handelt. Aber ich möchte mal erzählen, was man an einem so leichten Gipfel alles falsch machen kann bzw. wie schnell alles schief laufen kann.

Wir fuhren zügig ins Wallis und erreichten den Parkplatz in Saas Grund um 01:00h. Sternenklare Nacht, Sternschnuppen beim Einschlafen beobachtet, bis dahin und bis zum Aufwachen war alles bestens. Das Wetter versprach bis zum Nachmittag sehr gut zu werden. Erster Fehler war, dass wir uns keinen Bürgerpass organisiert hatten und den vollen Preis für die Seilbahn zahlen mußten. Es ging rasch rauf Richtung Hohsaas und dann zu Fuß abwärts Richtung Tälligletscher. Hier folgte der zweite und alles entscheidende Fehler: In meinem Rother Führer 2003 steht als Normalweg die Route unterhalb der Felsen des Jegigrates über eine Schuttrampe zu einer Scharte westlich und 100Hm niedriger als Punkt 3.527m. Die Route über die Firnfelder haben wir gesehen (WoPo hat kürzlich darüber berichtet) und wäre aus der Ferne betrachtet auch ganz gut zu begehen gewesen (im Rother Führer nur als Variante). Wir hatten nur keine Lust, die Steigeisen anzuziehen und wollten über die Schuttrampe "schnell nach oben fliegen". Mit fliegen war nicht viel. Nach 10 Hm durch das Geröll hatte ich schon eine Vorahnung, aber es wurde etwas besser. Der Anstieg zur Scharte 3.420m war gezeichnet von stets losem und mühsam begehbarem Geröll. An Scharte 3.420 angekommen, das Rätselraten, wie man nun weiter gehen sollte. Ein Felsturm versperrte den Weg. Drüber klettern war machbar, aber athletisch. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass dies der Normalweg ist, da der steile überhängende Kamin gänzlich ohne Haken belegt war. Und wie sah die Rückseite aus? Also den Felskopf mal auf der rechten Seite angeschaut. Steil, nur loses Geröll, sofort eine Steinlawine ausgelöst... Umdrehen! Links herum probieren! Ausgesetzte Traverse auf der Norseite, alles extrem brüchig! Sehr vorsichtig folgten wir dieser Traverse. Definitiv kein Normalweg! Hinter uns donnerten im 5 Minuten-Takt Steinlawinen vom Inner Rothorn zum Grubengletscher...Klimawandel! Den Felskopf endlich umrundet, die Frage, wie geht es jetzt hoch zu Punkt 3.527? Als logische Linie bot sich ein ausgesetzter Verbindungsgrat an, gefolgt von sehr plattigem Gelände. Keine Haken erkennbar. Eigene Sicherungen in dem brüchigen Gelände waren  völlig unmöglich. So langsam wurde es klar, dass der Klimawandel wohl diesen Normalweg völlig zerstört hat. Die ständigen Steinlawinen auf der Nordseite bestätigten die Einschätzung für mich. Nächste Frage, wie kommen wir runter? Umkehren? Muss auch anders gehen. Wir umrundeten den Felskopf nun auf die Südseite und stiegen in einer steilen Rinne hinunter, sehr langsam, dauernd lösten wir im brüchigen Geröll Steinlawinen aus...kein Spass mehr! Nach langer Zeit kamen wir zu einem Absatz, wo trickreich eine 2-Meter-Bandschlinge im Fels verlegt war. Abseilstelle? Es scheint als hätte sich schon einmal eine Seilschaft auf dieser Route verhauen. Unter uns drei senkrechte Felsstufen. Frage an den Bergkameraden Wolfgang: "Wie tief?" -  "60 Meter!" - "Wir haben nur ein 60-Meter Seil!" - "Zweimal abseilen!" - "Weißt du, ob du an einer der ausgesetzten Stufen nochmal eine Schlinge findest oder in dem brüchigen Gelände nochmal eine setzen kannst?" Bis zu der Schlinge habe ich keine Stelle gefunden, die überhaupt als irgendwie fest zu bezeichnen wäre. Die Entscheidung: Ein Abseilen wäre ein Weg ins Ungewisse! Wir suchten weiter und wurden auf der rechten Seite auf einem erneuten Absatz fündig und sahen eine mäßig steile Rinne, die auf das Firnfeld hinunter führte.

Nach 2 Stunden Irrsinn waren wir schließlich endlich unten auf dem Firnfeld. Wolfgang und ich schauten uns kurz an, dann stand die Entscheidung, jetzt die Rother-Variante (Normalweg) über den "Flaschenhals" zu nehmen, sehr schnell standen wir auf Punkt 3.527m. Gurt an, Seil raus. Schnell unter dem Eisbruch durch (Nachmittag!) und Richtung Nordwestgrat. Im unteren Bereich des Nordwestgrates kamen wir an eine Stelle mit zwei Spuren. Eine weit links an der Gratkante. Diese war mit 80 cm Abstand zur Wechte (Nordwand 600m) nicht vertrauenswürdig. Erst recht nachmittags, wenn die Wechte schon weicher ist. Die rechte Spur (von Tourengängern angelegt, die die Wechte ebenfalls vermeiden wollten) ging über ein blankes 20m breites Eisfeld. Hier hätten die Eisschrauben ihren Einsatz finden müssen. Im Hinblick auf die Tragödie wenige Wochen vorher am Lagginhorn eine logische Entscheidung nicht am Seil im eisigen Absturzgelände zu traversieren. Die Stelle ist nicht so steil wie am Lagginhorn, aber dennoch...sicher wäre sicher gewesen. Während der letzten 30 min, war der Gipfel mehrmals in leichte Wolken gehüllt. Wir drehten uns um, wollten nochmals das Wetter kontrollieren und sahen über dem Weisshorn sich etwas zusammenbrauen. Aufgrund des Wetterumschwungs hätten wir nun nur noch ein ganz, ganz kurzes Zeitfenster gehabt. Dieses wäre jedoch zu knapp gewesen, die Eisschrauben rauszuholen, noch zum  Gipfel zu gelangen und wieder runter bis mindestens zur Hütte abzusteigen. Wir entschieden uns, nach knapp 5,5h Marschzeit auf 3.780 m umzudrehen. Die Entscheidung war natürlich leicht, standen doch alle Kriterien auf "Rückzug". Noch auf dem Grubengletscher sahen wir über St. Nikolaus ein Gewitter, welches Richtung Visp und Brig zog. Auch am Dom braute sich jetzt ein Gewitter zusammen. Diesmal zog es über das Weissmies an uns vorbei. Trotzdem, die ersten kleinen Tröpfchen erreichten uns bereits auf 3.500m. Wir flogen schnell runter Richtung Weissmieshütte. Wirklich nass sind wir nicht geworden. So langsam verbesserte sich auch das Wetter wieder. Blauer Himmel kam raus. An der Weissmieshütte tranken wir noch eine Apfelschorle, dann machten wir uns auf den Rückweg nach Saas Grund. Das Retour-Billet war natürlich unnütz, die letzte Bahn hatten wir eh verpasst. Kurz hinter Kreuzboden zog vom Dom her wieder ein Gewitter auf uns zu, das dritte. Diesmal nicht wie zweimal zuvor an uns vorbei, sondern auf uns zu. Mitten im Gewitter wurden wir natürlich nass. Erst aüßerlich, dann drang das Wasser durch die Hose bis in die Stiefel. Wir waren klitsch-nass!!! Kurz vor Saas Grund kam natürlich wieder die Sonne raus, war ja klar. Nach 10h Stunden Gehzeit waren wir wieder am Auto und schüttelten nur den Kopf, über diese absurde Tour, die doch doch so "plaisir" hätte sein sollen.

*****
Wenn mir jemand erzählen kann, wie man ab 3.420 m aktuell zum Punkt 3.527 m gelangt, wäre ich aus reiner Neugierde dankbar, wiederholen werde ich diese Route jedoch nicht.

*****

Tourengänger: Basti


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

ZS- III
T3 WS
12 Jul 12
Fletschhorn · WoPo1961
T3 ZS III
5 Sep 21
Lagginhorn (4010 m) cresta Sud · martynred
T4 WS+
18 Jul 09
Sass Grund Weissmies · ser59
T2 L
17 Jul 05
Weissmies · a1
WS+ II
8 Jul 18
Weissmies 4017 · Patrik Caspar

Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

roger_h hat gesagt:
Gesendet am 9. August 2012 um 11:10
Ich denke, solche Touren sind im ersten Moment vielleicht ärgerlich, aber mit den entsprechenden Schlüssen lehrreich und tragen vermutlich mehr zum Erfahrungsschatz bei als eine Tour, bei der von Anfang bis Ende alles 100% glatt läuft.
Weiter finde ich, dass solche Berichte ebenfalls auf hikr gehören und auch für andere Tourengänger sehr aufschlussreich sind.
Weiter schöne Touren & Gruss
Roger

Basti hat gesagt: RE:
Gesendet am 9. August 2012 um 11:24
Sehe ich genauso...auch wenn es natürlich wirklich ärgerlich ist. Wäre auch mein letzter, noch fehlender Berg im Saas-Grunder Dreigestirn gewesen. Naja, demnächst noch einmal...
Gruß
Sebastian

WoPo1961 hat gesagt: RE:
Gesendet am 9. August 2012 um 11:45
Hi Basti,
kann dir leider auch nicht erzählen, wie man von Punkt 3420 zu Punkt 3527 gelangt. Fand aber deinen Bericht dafür spannend geschrieben und finde, solche Berichte gehören definitiv auf Hikr (sonst müßte ich ja fast die Hälfte meiner Berichte wieder löschen :-)... damit kein anderer auf die Idee kommt "deinen" Weg zu wählen.
Wünsche dir für deinen näxten Versuch gutes Wetter (ohen Gewitterneigung!) und noch bessere Verhältnisse.
Grüße aus dem Haxen-Reha-Center Flachlandhausen vom WoPo

dominik hat gesagt: RE:
Gesendet am 9. August 2012 um 16:06
Genau! Nur aus Fehlern und Problemen lernt man und man muss halt hoffen, dass die Fehler nie wirklich gravierend sind. Ich mache nach jeder ernsthafteren Tour zusammen mit den Tourenpartnern ein Debriefing um unser Verhalten zu analysieren und Verbesserungen vorzuschlagen.

Gruss
Dominik

jimmy hat gesagt: Umkehren
Gesendet am 9. August 2012 um 12:09
Lieber Basti,
Bergsteiger, die umkehren können, leben wahrscheinlich länger; deshalb bravo zu diesem Entscheid. ALs ich (allerdings vor 4 Jahren und vor Sonnaufgang) gegen das Fletschhorn aufstieg, nahm ich den gleichen Weg wie WoPo und erreichte den Grat zum Grüebugletschererst auf ca 3600m, damals nix Felsen und Gerölllawinen. Dann leicht ansteigend rübergequert auf den N-Grat, der bei 3800m erreicht wird.
Vielleicht hat sich aber ja die Landschaft unterdessen völlig geändert...
Lg
Jimmy


Kommentar hinzufügen»