Muscheren Trilogie oder Lawinenkurs: praktischer Teil


Publiziert von lorenzo , 2. Mai 2012 um 21:28.

Region: Welt » Schweiz » Freiburg
Tour Datum:25 April 2012
Ski Schwierigkeit: SS
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-FR   CH-BE 
Zeitbedarf: 7:15
Aufstieg: 1850 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Sangernboden; Pw bis Spitz
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:LK 253 S/1226; D. Anker/R. Schnegg, Skitouren Berner Alpen West, SAC 2000

Jedes Mal, wenn ich in letzter Zeit bei klarem Wetter auf dem Balkon stand, lockte über den bewaldeten Hügeln des Schwarzenburgerlands das oberste leuchtend-weisse Dreieck der Widdergalm NE-Flanke, und ich fragte mich, ob es wohl möglich ist, über diese östlich der im Skitourenführer beschriebenen Route direkt vom Gipfel abzufahren? "Möglich ist Vieles..." hatte mir einst ein Hüttenwart gesagt, fragte sich bloss für wen...

Bedenken stellten sich auch wegen der Lawinensituation und möglichen Schiessübungen durch das Militär ein: das SLF prognostizierte für die Préalpes Stufe "erheblich" oberhalb 2200m für Triebschneehänge NW bis E, ich ging deshalb für die Gantrischkette, die diese Höhe nur punktuell erreicht,  von der Stufe "mässig" aus, die aber wegen dem starken Föhn im Tagesverlauf auch unterhalb 2200m auf "erheblich" ansteigen konnte. Immerhin erfuhr ich von vorbeifahrenden Militärs und anhand der Schiessanzeige, dass z.Z. nur im westlichen Muscherenschlund geschossen wurde, der östliche aber frei und zugänglich sei.

Ein Versuch würde also vertretbar sein, 
Vorsicht und entsprechende Verzichtbereitschaft waren aber angesagt. Am Widdergalm waren die Verhältnisse sicher, und ich konnte fast vom Gipfel über die geplante Route durch die NE-Flanke abfahren. Ich beschloss deshalb kurzfristig, auch noch den Schafarnisch zu überschreiten, weiter zur Märe aufzusteigen, und von dort zuletzt durch das WNW-Couloir abzufahren. Bei der Einfahrt in die Schafarnisch N-Flanke löste sich trotz vorsichtiger Routenwahl nahe dem felsigen N-Grat, wo nur wenig Triebschnee zu liegen schien, ein Schneebrett und riss mich ca. 80 Hm hinunter, wo es bei einer Abflachung auf ca. 2000m zum Stillstand kam: ich blieb zum Glück unversehrt und musste bloss oben einen Ski und unten einen Stock einsammeln. Ein Blick zurück verriet, dass sich unter dem Gipfel zuerst ein oberflächliches ca. 30cm dickes Schneebrett gelöst hatte, das weiter unten ein ca. 70cm dickes der darunterliegenden Schicht mitriss, das drei nebeneinander liegende Anrisse aufwies (siehe Foto). Die weitere Abfahrt, der Wiederaufstieg auf die Märe und die Abfahrt durch das WNW-Couloir und die W-Flanke verliefen dann bei wiederum sicheren Verhältnissen ohne weitere Probleme.

Obwohl ich in der näheren Umgebung keine anderen Leute bemerkt hatte, und das Schneebrett soweit ich es beurteilen konnte, oberhalb der NNW-Couloirs zum Stillstand gekommen war, ging ich auf dem Spittelboden nochmals bis zur Schneegrenze, um festzustellen, ob doch noch neue Spuren Richtung Chänel und Steinig Gantrisch führten oder nicht, was ich aber wegen dem Einfluss von Sonne und Regen, der inzwischen eingesetzt hatte, nicht mehr sicher ausschliessen konnte. Unter dem östlichen NNW-Couloir sah ich einen Lawinenkegel, der aber ev. schon am Morgen dort gelegen war. Bei der Rückkehr zum Spitz sah ich keine parkierten Autos mehr. Sobald ich eine gute Verbindung hatte, meldete ich 3h später vom Zollhaus aus den Lawinenabgang bei der KaPo Fribourg.


Widdergalm
Aufstieg: von der Abzweigung Spitz dem Strässchen entlang bis Chänel Gantrisch und dem Bergweg folgend bis Steinig Gantrisch. Nach W zur Steinige Gabel (1808m), die NE-Flanke (35-40 Grad) hinauf zum NW-Grat SE P. 2097 und über diesen auf den Gipfel, 2h 30min, ZS. Abfahrt: Durchbohren der Gipfelwächte und Abstieg mit Pickel einige Meter in die NE-Flanke. Zur Prüfung des Grip auf Ski und mit Pickel weiter einige  Meter abschreiten und -rutschen, dann nach N bis ca. 2020m abfahren (zuoberst 50-55 Grad, dann 40-45 Grad), Querung nach E in das NE-Couloir (bis 40 Grad), durch dieses hinunter bis ca. 1720m (siehe Foto) und Querung nach SE bis ca. 1680m, 1h, SS.

Schafarnisch
Wiederaufstieg nach Chüearnisch und über den SW-Rücken (Steilstufe zwischen 1840m-1920m) auf den Gipfel, 45min, WS+. Abfahrt: über die N-Flanke (40 Grad) in den Sattel ca. 2000m und dem Grat folgend (kurzer Wiederaufstieg, z.T. ausgesetzt) zum Chänelpass, 30min, ZS.

Märe
Wiederaufstieg zu P. 1987 und über den SSW-Grat auf den Gipfel, 45min, WS. Abfahrt: vom Sattel zwischen beiden Gipfeln durch das WNW-Couloir (bis 45 Grad) bis ca. 2000m, dann über die W-Flanke (bis 35 Grad) hinunter nach Ober Spittel Gantrisch und zurück, ZS+, 45min.

Abhängig von Tragpassagen insgesamt 6-7h.

Verhältnisse: Schnee ab 1300-1400m. Widdergalm: bis Chänel Gantrisch hart, bis NE-Hang zuletzt 30cm Pulver, NW-Grat hart, NE-Flanke 5-10cm wenig verfestige Schicht auf griffiger Unterlage, NE-Couloir Pulver. Schafarnisch: bis Chüearnisch 20cm Pulver, SW-Rücken verblasen, N-Flanke Triebschnee und 2-schichtiges Schneebrett (30cm u. 70cm) ausgelöst, Grat bis Chänelpass angezogener Pulver. Märe: SSW-Grat aufgeweicht, WNW-Couloir griffig, W-Flanke angezogener Pulver und unten faul.

Material: zusätzlich Pickel und Steigeisen.

Fazit: es erwischt nicht immer nur die Anderen!  Vorbeugend sollte deshalb bei der - aus meiner Erfahrung jeweils zuverlässig angegebenen - Gefahrengrenze im Lawinenbulletin genügend Höhenreserve (mind. 200 Hm) nach unten (Triebschnee) und oben (Nasschnee) eingeplant werden (für den Folgetag wurde die Gefahrengrenze für die Stufe "erheblich" auf 1800m hinunter verschoben). 

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (4)


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Zaza hat gesagt:
Gesendet am 2. Mai 2012 um 21:46
Glück gehabt...oder einen leistungsfähigen Schutzengel! Dies umso mehr, als sich bloss zwei Tage zuvor am gleichen Berg ein tödlicher Lawinenunfall ereignet hatte.

Take care...Gruess, zaza

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 2. Mai 2012 um 22:35
Das hatte ich nicht gelesen und tut mir leid. Meine herzliche Anteilnahme den Angehörigen.

Grüsse

lorenzo

Hurluberlu hat gesagt: Sain et sauf
Gesendet am 6. Mai 2012 um 17:03
Manu m'a appris aujourd'hui les frayeurs que vous avez eues il y a deux semaines, et suis soulagé d'apprendre que, malgré ses caprices, la montagne vous a préservé.

lorenzo hat gesagt: RE:Sain et sauf
Gesendet am 6. Mai 2012 um 17:35
Merci pour ta reponse, c'était en effet effrayant, mais heuresement la quantitée de neige était moyenne et la pente pas trop raide avec un plateau à son bout. La lecon c'est de faire encore plus d'attention que d'habitude.

Salutations

lorenzo



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