Piz Scerscen 3971m - Eisnase


Publiziert von whannes , 15. August 2011 um 22:09.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum:14 August 2011
Hochtouren Schwierigkeit: S
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   I   Piz Bernina   Bernina-Gruppe 
Zufahrt zum Ausgangspunkt:RhB bis Pontresina, ab dort mit Bike bis etwas nach dem Hotel Roseg.
Unterkunftmöglichkeiten:Chamanna da Tschierva SAC (2583 m)

Hoch, anspruchsvoll und extrem einsam: Das ist der Piz Scerscen. Zwischen dem hochfrequentierten Bernina und dem häufig begangenen Piz Roseg pflegt der mittlere der drei Eisriesen ein Schattendasein. Allerdings nur bezogen auf die Anzahl Begehungen, denn technisch und bergsteigerisch hat der einsame Gipfel sehr viel zu bieten und ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall!

Eigentlich hatten wir eine jener prestigeträchtigen Touren auf einen hohen Walliser geplant. Doch die Prognosen für Sonntag waren alles andere als sicher und das Risiko war uns zu gross. Im Osten sollte die Schönwetterhausse noch etwas länger hinhalten und so beschlossen wir am Freitagabend ganz spontan, ins Berninagebiet zu wechseln und uns am Piz Scerscen zu versuchen.

Hüttenzauber

Spätabends riefen wir in der Tschiervahütte an und sogleich folgte eine vorübergehende Ernüchterung: Die Hütte sei vollkommen ausgebucht, es seien aber einige Gäste noch nicht eingetroffen, wir sollen es doch später nochmals versuchen. Gesagt getan, uns tatsächlich: Letztenendes konnten wir noch für zwei Personen reservieren.

Wegen der etwas spontanen Planung konnten wir keine Bikes nach Pontresina mitnehmen. Wir wollten zwar am Bahnhof noch welche mieten, aber die unverschämt hohen Preise (56.-- p.P.) liessen uns davon absehen. So gedachten wir, beim Rückweg dand die wesentlich günstigere Kutschenfahrt vorzuziehen (20.-- p.P.).

Der Anmarsch zur Hütte war heiss, gestaltete aber kurzweiliger als in Erinnerung. Das lag vielleicht daran, dass ich diesen bisher erst im Abstieg begangen hatte. Trotzdem schmeckte das Bier wie immer besonders gut und liess alle Strapazen der von mir meist ungeliebten Hüttenzustiege vergessen.

Für die Tatsache, dass die Hütte voll war, lief alles sehr gesittet und koordiniert ab. Das tolle Hüttenteam meisterte den Ansturm problemlos, natürlich auch durch die grosszügigen Platzverhältnisse unterstützt.

Aufstieg

In den bequemen Betten schliefen wir hervorragend wurden aber bereits um 02:45 unsanft aus dem Schlaf gerissen. Es folgte ein ausgedehntes Zmorgä, auch hier waren wir überrascht, wie gesittet zu und her ging (Selbstverständlich hatte es auch ein paar Italiener, welche mit der vollen Montur inkl. Bergschuhen etc. am Tisch sassen, aber das gehört halt einfach dazu ;-) )

Um 03:30 starteten wir. Wir folgten dem Weg Richtung  Piz Roseg, dieser ist hier schon hinlänglich beschrieben worden. Auf diesem westlich vorbei am Piz Umur, wobei ab P.2814 der Ausläufer östlich umgangen wird und erst dann auf den Gletscher und damit die westliche Seite gewechselt wird.

Relativ bald gelangten wir so zum Einstieg in die Scharte bei P.3279. Hier folgten nun die Schlüsselstellen der Tour: Eine Seillänge mit Stellen IV bis IV+ und eine Seillänge III+ bis IV. Man bleibt dabei praktisch ausschliesslich auf der Gratkante und wird so mit durchaus schönem und festen Fels belohnt. Die wenigen Stellen, wo wir vom Grat abweichten, befanden sich alle auf der westlichen Seite. Nach 45m folgte der erste Stand, welcher perfekt abgesichert ist (Bohrhaken) und nach weiteren 30m ein ebenso gut abgesicherter Stand. Dazwischen befanden sich einige alte Normalhaken, den Rest konnten wir mit Zackenschlingen gut absichern. Die Friends und Keile blieben zwar während dem ganze Aufstieg am Gurt, waren aber hilfreich für die Psyche ;-)

Nachdemdiese beiden Seillängen über den ersten Aufschwung gemeistert waren, konnten wir den Rest des Grats bis zur Eisnase meist am kurzen, gelegentlich auch am halblangen Seil gehen. Die Schwierigkeiten bewegen hier im Bereich II, einzelne Stellen III.

Die Eisnase selber sah nicht wirklich schwierig aus, eine Blankeispassage von 70m Länge bei einer Steigung von ca. 50°, Tendenz abnehmend. Ein Beispiel dafür, wie der Klimawandel gewisse Touren auch vereinfachen kann. Wir sicherten mit einem Tibloc-Zwischenstand und waren so mit sechs Eisschrauben schnell oben. Für den Vorstieg hatte ich ein zweites Eisgerät mitgenommen, die Kollegin kam im Nachstieg gut mit einem Pickel zurecht.

Bis kurz unter den Gipfelaufbau stiegen wir danach das etwas langfädige Gletscherplateau hoch. Dieses wird gegen den Schluss immer steiler und anstrengender. Beim Bergschrund wechselten wir wieder auf das kure Seil und stiegen in sehr hartem Firn die kurze aber bis zu knapp 50° steile Gipfeleiswand hoch. Die Gipfelfelsen selber musste dann noch im kombinierter Kletterei erstiegen werden und endlich, nach 6.5h, standen wir auf dem Piz Scerscen!

Obwohl sich im Westen nun bereits einige Wolken abzeichneten, genossen wir unsere Gipfelpause. Der Aublick nach Italien blieb uns aber wegen der Nebelfetzen, die sich am Grenzkamm bildeten, verwehrt. Dennoch, alles was in der Schweiz liegt präsentierte sich einem fantastischen Panorama.

Abstieg

Gleich neben dem Gipfel befand sich eine Schlingen-Abseilstelle, an welcher wir wieder auf die Gipfeleiswand abseilen konnten. Diese kletterten wir ab und seilten uns beim Bergschrund wieder an. Schnell waren wir so wieder bei der Eisnase, welche wir ebenfalls mit einem Zwischenstand abkletterten.

Den nun folgende Grat kletterten wir hauptsächlich am halblangen Seil ab, insgesamt trotzdem eine sehr zeitintensive Angelegenheit. Vom oberen Bohrhakenstand kann man gut zum unteren Abseilen. Ab hier könnte man direkt via einem Schlingenstand Richtung Gletscher abseilen, da wir aber nicht genau wussten, ob dies mit unserem 50m Einfachseil reichen würde (es hätte gereicht...), seilten wir mühsam über den Grat zu einem anderen Schlingenstand und dann direkt auf den Gletscher ab. Erstere Variante wäre aber sicher vorzuziehen gewesen, schon nur wenn ich bedenke, wie lange wir brauchten, bis sich das Seil abziehen liess.

Nun ist eigentlich auch schon fast alles gesagt: Es ging wieder zurück, vorbei am Piz Umur und zum rettenden Bier in der Tschiervahütte. Danach zum Hotel Roseg, wo wir um 17:00 extrem knapp gerade noch eine Kutsche erwischten.

Fazit: Eine anspruchsvolle und sehr empfehlenswerte Tour, welche alle Facetten des klassischen Bergsports enthält: schöner Fels, steiles Eis und harter Schee. Dazu absolut einsam in einem Gebiet, wo sich an schönen Tage die Bergsteiger gegenseitig auf dem Kopf rumstehen.

Tourengänger: whannes


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Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

Bambula hat gesagt:
Gesendet am 15. August 2011 um 23:03
Gratulation zur eindrücklichen Tour.
In der Bernina-Region scheinst du diesen Sommer ja fast alle grossen Touren abzuräumen.

Gruss, Michel

whannes hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. August 2011 um 20:31
Ciao Michel

Das hat sich einfach so ergeben. Aber jetzt wo du es sagst: Ich war noch gar nie im Wallis diesen Sommer! Kaum zu glauben, muss ich irgendwann noch nachholen ;-)

Gruess, Hannes

Alpin_Rise hat gesagt: Den Scerscen (ver)suchen
Gesendet am 16. August 2011 um 11:04
Super Tour, gute Beschreibung!

Merci und Gratulation
G, Rise

DHM123 hat gesagt: Wow
Gesendet am 29. Januar 2012 um 22:36
Super-Tour und tolle Bilder.
Scheint recht selten begangen zu werden.
Wo ist denn die V- Stelle ?
LG aus M

whannes hat gesagt: RE:Wow
Gesendet am 30. Januar 2012 um 00:07
Ja, in der Tat sehr selten begangen. Die V-Stelle (wobei ich eher IV+ sagen würde), befindet sich untmittelbar nach dem Enstieg auf den Grat.


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