Monte Cevedale (3769 m) - eine Woche im Angesicht von König Ortler
"Komm mit mir ins Abenteuerland und tu's auf deine Weise, deine Phantasie schenkt dir ein Land, das Abenteuerland..."
Ganz im Sinne von PUR möchte ich den Leser an die Hand nehmen und durch eine Woche in der sonnigen Ortlergruppe führen. Zwischen der Tragödie der Ortlerfront mit ihren vielen Toten und gletscherbedeckten Bergriesen wird die Fantasie fast von selbst angeregt. Man fühlt sich hinein in diese Bergwelt und versucht, sich im Angesicht der verfallenen Stellungen in die Ängste und das Leid der Soldaten hineinzuversetzen. Die umgebenden Bergriesen bilden dabei die drohende Kulisse. Auf dass die Menschheit daraus lernt und sich solch eine Katastrophe nie wieder ereignet!
Der Bergsteiger sieht die Berge natürlich weniger von ihrer drohenden Seite, stellt er sich ihnen doch nur bei guten Bedingungen. Doch selbst dann verbreiten sie ein besonders alpines Ambiente: Vor der neuen Alpenvereinseinteilung der Ostalpen (1984) war der Ortler der höchste Berg der Ostalpen.
Der dritthöchste Berg der Ortlergruppe, Monte Cevedale, ist im wahrsten Sinne des Wortes Höhepunkt der hier vorgestellten Tourenwoche. Interessante, kombinierte Touren sind die Überschreitung der Hinteren Schranspitze und die Überschreitung der Veneziaspitzen. Und auch der Freund reiner Felstouren soll mit der Überschreitung der Madritschspitze etwas finden.
Die Tour beginnt am Ende des Martelltals. Auf einer teilweise recht abenteuerlichen Straße wird der günstig gelegene Ausgangspunkt erreicht. Die Parkgebühren sind horrend und man tut gut daran, beim Hotel Enzianhütte anzufragen, ob man auf dem hauseigenen Parkplatz parken darf. Diese Lösung wird auf alle Fälle billiger sein, als sein Auto auf die für Tagesgäste konzipierten, öffentlichen Parkplätze zu stellen. Der Automat dort nimmt außerdem nur Münzgeld und zwar für jeden Tag gesondert. Wer sich diesen Schwachsinn ausgedacht hat, hatte es wohl nicht so mit dem logischen Denken... Wer ganz schlau ist, fährt übrigens von Martell aus mit dem Bus und spart sich damit die Parkgebühr.
Tag 1:
Vom Parkplatz über einen breiten Fußweg hinauf zur Zufallhütte, die am Ende eines Rückens hoch über der Klamm des Plimabachs steht. Weiter geht's, gut ausgeschildert, ins Hochtal hinein, wo man auf einen alten Damm aus Blockwerk stößt, der seinerzeit dazu gedacht war, die Bevölkerung vor einem Gletscherseeausbruch zu schützen. Auf dem Damm wird der Bach überquert und auf der anderen Talseite leitet der gute Steig hinauf zur schön gelegenen Martellerhütte.
Tag 2:
Strahlender Sonnenschein am frühen Morgen - die Ortlergruppe wird ihrem Ruf als Sonnenbank der Alpen gerecht. Geplant ist die Überschreitung der Hinteren Schranspitze (3357 m), die nach Norden einen langen Grat aussendet. Auf dem guten Weg in Richtung Vordere Rotspitze quert man im Moränengelände in mehrfachem Auf und Ab unter den von den Veneziaspitzen herunterziehenden Gletschern hindurch. Kurz vor dem Gipfelaufbau der Vorderen Rotspitze verlässt man den markierten Weg nach rechts und steigt zum Grat an. Auf ihm unschwierig entlang, Gehgelände und einfache Kraxelstellen (I) wechseln sich ab. Man genießt die Aussicht, nur der Blick auf das Ziel wird erst spät frei, da der Gipfel lange durch Graterhebungen verdeckt wird. Die letzten beiden Erhebungen werden links im Firn umgangen, der Gipfel wird wahlweise durch steiles Blockwerk oder ein Firnfeld erstiegen.
Der Abstieg erfolgt über die unschwierige Südwestflanke hinunter zur Scharte zwischen der Dritten Veneziaspitze und der Hinteren Schranspitze. Dort betritt man den Schranferner (vollständige Gletscherausrüstung!) und in nördlicher Richtung, im Zweifel rechts haltend, erreicht man die Endmoräne des Gletschers. Hinauf zum Aufstiegsweg, der auf der Moräne verläuft, und auf ihm zurück zur Martellerhütte.
Tag 3:
Eine weitere schöne, kombinierte Tour ist die Überschreitung der drei Veneziaspitzen, bei der man auch noch die unscheinbare Köllkuppe erreicht. Vier 3300er an einem Tag - wann ist das schön möglich?!? Start an der Martellerhütte und am Steig entlang der Trinkwasserleitung hinauf zum Beginn des Hohenferners. Der gegenüberliegende Felskamm wird anvisiert und der in diesem Abschnitt flache Gletscher in südlicher Richtung gequert (komplette Gletscherausrüstung!). Je nach Routenwahl wird es am Schluss etwas steiler. In der Regel wird man hier gute Spuren finden. Auf den Kamm und weiter zur Köllkuppe (3330 m), dem ersten Gipfel der Tour.
Weiter geht es auf dem schönen Blockgrat in Richtung Veneziaspitze. Vor einigen Jahren ist ein Teil des Grats ausgebrochen. Dort steht nun eine Markierungsstange, die in die steile Nordwestflanke leitet. Auf gut erkennbaren Steigspuren durch unangenehm splittriges, häufig vereistes und rutschiges Gelände wird die Flanke ein Stück gequert und anschließend der Grat durch eine Rinne wieder erreicht. Dort wartet die Schlüsselstelle der Tour, die auch beim Gratausbruch entstanden ist: Ein deutlich überhängender Fels muss ausgesetzt erklettert werden (III-). Ist dieses Hindernis überwunden, wird's wieder deutlich einfacher. In leichtem Fels- und Gehgelände (I) wird bald die Veneziaspitze (3386 m) erreicht.
Am unschwierigen Blockgrat weiter, abwechselnd durch Firn und Blockwerk zur Zweiten Veneziaspitze (3371 m) und zur Dritten Veneziaspitze (3356 m).
Von dort folgt man dem Grat weiter in Richtung Hintere Schranspitze, bis man nach Norden gut auf den Schranferner übergehen kann. Wie am Vortag wird über den Gletscher abgestiegen und die Marteller Hütte über den von der Vorderen Rotspitze kommenden Weg erreicht.
Weiter hinunter zur Zufallhütte auf dem bereits vom ersten Tag bekannten Weg.
Anmerkung: Ein Bergführer blieb am nächsten Tag mit seiner Gruppe trotz der Markierungsstange direkt am Grat. Über die Schwierigkeiten kann ich jedoch nichts berichten.
Tag 4:
Die Madritschspitze führt, neben der höheren und markierten Hinteren Schöntaufspitze gelegen, ein Schattendasein. Ihr schöner Nordgrat bietet sich für eine abwechslungsreiche Gratkraxelei an. Von der Zufallhütte auf markiertem Weg ins Madritschtal und hinauf ins Madritschjoch. Hier ist viel los - man ist mit Kind und Kegel unterwegs, mit Handtäschchen und schickem Hut. Sogar ein paar Radler schieben ihr Mountainbike auf ihrer Alpencross-Tour den Berg hinab. Man zweigt links ab und folgt dem zunächst unschwierigen Kamm in die Felsen. Dort wird es wieder einsam. Die Route ist überraschenderweise mit gelben Punkten markiert und somit kaum zu verfehlen. Meist geht es in einfachem Kraxelgelände zu Werke (I). Dort, wo die Steigspuren scheinbar in eine sehr steile und ausgesetzte Rinne zu führen scheinen, kraxelt man besser rechter Hand eine steile, etwas glatte Platte und anschließend einen Felsabsatz nach oben (I+). Weiter geht's am Grat an den unmittelbaren Gipfelaufbau heran. Durch Gehgelände mit leichten Kletterstellen (I) bis zur Schlüsselstelle: Ein steiles Wandl kurz vor dem Gipfel wird direkt erklettert (II). Ist dieses Hindernis überwunden, sind es nur noch wenige Schritte zum Gipfelkreuz.
Der problemlose Abstieg führt auf gut ausgetretener Spur durch die Südflanke hinunter ins Butzental. Weiter abwärts zum querenden Weg Zufallhütte-Casatihütte und auf ihm zurück zur Zufallhütte.
Tag 5:
Die Casatihütte dient als klassisches Domizil für die Besteigung des Monte Cevedale. In einer Höhe von 3254 m gelegen, ist sie von der Marteller Seite nur als Gletschertour zu erreichen (gletscherfreier Zugang von Südwesten). Von der Zufallhütte hinauf zur alten Staumauer und weiter taleinwärts. Am Bach entlang, später auf der Seitenmoräne ansteigend und mit besten Ausblicken auf den Langerferner geht es an ein einigen schönen Seen vorbei. Nach dem Blockkar unterhalb der Eisseespitze schwingt sich der Steig deutlich auf und führt hinauf ins obere Gletscherbecken. Am Gletscher endet der Steig. Dort finden sich auch diverse Gegenstände menschlicher Behausungen, die das Eis freigegeben hat und auch eine Granatenhülse habe ich gefunden. Am Gletscher (komplette Gletscherausrüstung!) in leichtem Linksbogen und unter den Hängen der Suldenspitze vorbei, zur bereits lange sichtbaren Casatihütte.
Tag 6:
Ein Blick nach draußen: Nebel und Nieselregen. Das ist ein Tag für die leicht erreichbare Suldenspitze (3376 m). Am Nebengebäude (Guastihütte) vorbei und auf gut erkennbaren Steigspuren den breiten, nur mäßig geneigten Hang hinauf zur Suldenspitze. Von der Hütte ist sie schnell erreicht und der Weg ist auch im Nebel zu finden. Überall finden sich hier verfallene Schützengräben und Behausungen der Soldaten des ersten Weltkriegs. Bei diesem tristen Wetter fällt es einem noch leichter, sich in ihren harten Alltag hineinzuversetzen. Die Bedauernswerten mussten hier sogar im Winter dienen.
Wieder an der Hütte und bei besserem Wetter folgt dann der zweite Teil der Reise in die Vergangenheit. Die "Tre Cannoni" ist eine Felseninsel inmitten des Gletschers, die dem Talschluss des Marteller Tals zugewandt ist. Im Ersten Weltkrieg wurden hier drei Kanonen positioniert, um das Gelände zu sichern. Nicht, dass man diese Kanonen einmal ernsthaft gebraucht hätte... trotzdem mussten viele Soldaten wegen der schwierigen Bedingungen (Felsstürze, Lawinen etc.) ihr Leben lassen. Die Soldaten sind weg, die Kanonen aber blieben und sind heute stille Zeugen der Vergangenheit. Von der Casatihütte ist die Tre Cannoni in einem Gletscherspaziergang (komplette Gletscherausrüstung!) zu erreichen. Wie die schweren, gusseisernen Kanonen transportiert werden konnten, ist mir ein Rätsel.
Beim Rückweg zur Hütte klart es zunehmend auf und der Monte Cevedale legt sein Wolkenkleid ab.
Tag 7:
Den Monte Cevedale (3769 m), dritthöchster Berg der Ortlergruppe nach Ortler und Königsspitze, gleich nebenan und eine sternklare Nacht - da muss man nicht mehr lange über das Ziel nachdenken. Der Wetterbericht kündigt allerdings einen Frontendurchzug an und der spektakuläre Sonnenaufgang an der Casatihütte ist bereits der feuchten Luft zu verdanken. Von der Hütte auf gut ausgetretener Spur südostwärts über den Zufallferner (komplette Gletscherausrüstung!). Zuerst wenig steil, das Ziel immer vor Augen. Im Westen ist die Front bereits aktiv: Der Himmel ist dunkel und die Berge sind in Wolken gehüllt. Auch der Monte Cevedale verschwindet bald darauf. Noch bevor es in die steile Flanke des Berges geht, fällt auch hier der Nebel ein. Etwas rechts haltend geht es durch die steile Flanke hinauf. Eine frische Lawinenbahn vom Vortag hat die Spur mitgenommen, mit Steigeisen ist aber alles gut machbar, nur ausrutschen sollte man besser nicht. So wird der Verbindungsgrat zwischen Monte Cevedale und den Zufallspitzen erreicht. Auf ihm noch ein Stück nach rechts, etwas ausgesetzt hinüber zum Gipfel, der mittlerweile eisfrei ist und von einem Steinmann geziert wird. Der beginnende Schneefall und der unangenehm kalte Wind verleitet zu einem baldigen Abstieg.
In der Casatihütte wird noch kurz Pause gemacht, dann geht es an den langen Abstieg zur Zufallhütte. Das Wetter bessert sich wieder etwas, aber der Monte Cevedale bleibt stets in Wolken gekleidet. Nach einer letzten Einkehr in der Zufallhütte geht es wieder hinunter zum Parkplatz, wo die schöne Tour endet.
Schwierigkeiten:
Hüttenaufstieg Zufallhütte: T1.
Hüttenaufstieg Marteller Hütte: T2.
Nordgrat Hintere Schranspitze: T4, I.
Abstieg via Schranferner: L.
Aufstieg zur Köllkuppe über Hohenferner: L.
Überschreitung der Veneziaspitzen: T5+, III- (nur eine Stelle, sonst deutlich einfacher).
Aufstieg zum Madritschjoch: T2.
Madritschspitze Nordgrat: T5-, II.
Abstieg via Butzental: T2.
Hüttenaufstieg Casatihütte via Langenferner: T3, L.
Gipfelanstieg Suldenspitze: T2.
Gletscherwanderung zu Tre Cannoni: L.
Monte Cevedale via Zufallferner: WS.
Fazit:
Tolle Tour in schönem, nicht überlaufenem Gebiet. Zufallhütte und Martellerhütte sind klasse, die Casatihütti ist um mehr als eine Liga schlechter (bei www.huettentest.de trägt sie derzeit den unrühmlichen Platz 266 von 270). Angesichts der dortigen Getränkepreise (0,4 l Limo 5,50 €) habe ich das eigentlich nicht trinkbare, ekelhaft schmeckende Leitungswasser getrunken - ohne negative Folgen. Überall versteht man Deutsch (mit Ausnahme der Casatihütte, dort aber dafür nicht mal ein Wort).
Interessanter Gletscherlehrpfad beim Aufstieg zur Martellerhütte. In der Speisekarte der Martellerhütte ist viel über die Geschichte des Tals nachzulesen.
Insgesamt eine abwechslungsreiche 5*-Tour.
Mit auf Tour: Anne, Gerd, Katrin, Peter, Sascha, Stefan.
Kategorien: Ortleralpen, Mehrtagestour, Hochtour, 5*-Tour, 3700er, T5.
Ganz im Sinne von PUR möchte ich den Leser an die Hand nehmen und durch eine Woche in der sonnigen Ortlergruppe führen. Zwischen der Tragödie der Ortlerfront mit ihren vielen Toten und gletscherbedeckten Bergriesen wird die Fantasie fast von selbst angeregt. Man fühlt sich hinein in diese Bergwelt und versucht, sich im Angesicht der verfallenen Stellungen in die Ängste und das Leid der Soldaten hineinzuversetzen. Die umgebenden Bergriesen bilden dabei die drohende Kulisse. Auf dass die Menschheit daraus lernt und sich solch eine Katastrophe nie wieder ereignet!
Der Bergsteiger sieht die Berge natürlich weniger von ihrer drohenden Seite, stellt er sich ihnen doch nur bei guten Bedingungen. Doch selbst dann verbreiten sie ein besonders alpines Ambiente: Vor der neuen Alpenvereinseinteilung der Ostalpen (1984) war der Ortler der höchste Berg der Ostalpen.
Der dritthöchste Berg der Ortlergruppe, Monte Cevedale, ist im wahrsten Sinne des Wortes Höhepunkt der hier vorgestellten Tourenwoche. Interessante, kombinierte Touren sind die Überschreitung der Hinteren Schranspitze und die Überschreitung der Veneziaspitzen. Und auch der Freund reiner Felstouren soll mit der Überschreitung der Madritschspitze etwas finden.
Die Tour beginnt am Ende des Martelltals. Auf einer teilweise recht abenteuerlichen Straße wird der günstig gelegene Ausgangspunkt erreicht. Die Parkgebühren sind horrend und man tut gut daran, beim Hotel Enzianhütte anzufragen, ob man auf dem hauseigenen Parkplatz parken darf. Diese Lösung wird auf alle Fälle billiger sein, als sein Auto auf die für Tagesgäste konzipierten, öffentlichen Parkplätze zu stellen. Der Automat dort nimmt außerdem nur Münzgeld und zwar für jeden Tag gesondert. Wer sich diesen Schwachsinn ausgedacht hat, hatte es wohl nicht so mit dem logischen Denken... Wer ganz schlau ist, fährt übrigens von Martell aus mit dem Bus und spart sich damit die Parkgebühr.
Tag 1:
Vom Parkplatz über einen breiten Fußweg hinauf zur Zufallhütte, die am Ende eines Rückens hoch über der Klamm des Plimabachs steht. Weiter geht's, gut ausgeschildert, ins Hochtal hinein, wo man auf einen alten Damm aus Blockwerk stößt, der seinerzeit dazu gedacht war, die Bevölkerung vor einem Gletscherseeausbruch zu schützen. Auf dem Damm wird der Bach überquert und auf der anderen Talseite leitet der gute Steig hinauf zur schön gelegenen Martellerhütte.
Tag 2:
Strahlender Sonnenschein am frühen Morgen - die Ortlergruppe wird ihrem Ruf als Sonnenbank der Alpen gerecht. Geplant ist die Überschreitung der Hinteren Schranspitze (3357 m), die nach Norden einen langen Grat aussendet. Auf dem guten Weg in Richtung Vordere Rotspitze quert man im Moränengelände in mehrfachem Auf und Ab unter den von den Veneziaspitzen herunterziehenden Gletschern hindurch. Kurz vor dem Gipfelaufbau der Vorderen Rotspitze verlässt man den markierten Weg nach rechts und steigt zum Grat an. Auf ihm unschwierig entlang, Gehgelände und einfache Kraxelstellen (I) wechseln sich ab. Man genießt die Aussicht, nur der Blick auf das Ziel wird erst spät frei, da der Gipfel lange durch Graterhebungen verdeckt wird. Die letzten beiden Erhebungen werden links im Firn umgangen, der Gipfel wird wahlweise durch steiles Blockwerk oder ein Firnfeld erstiegen.
Der Abstieg erfolgt über die unschwierige Südwestflanke hinunter zur Scharte zwischen der Dritten Veneziaspitze und der Hinteren Schranspitze. Dort betritt man den Schranferner (vollständige Gletscherausrüstung!) und in nördlicher Richtung, im Zweifel rechts haltend, erreicht man die Endmoräne des Gletschers. Hinauf zum Aufstiegsweg, der auf der Moräne verläuft, und auf ihm zurück zur Martellerhütte.
Tag 3:
Eine weitere schöne, kombinierte Tour ist die Überschreitung der drei Veneziaspitzen, bei der man auch noch die unscheinbare Köllkuppe erreicht. Vier 3300er an einem Tag - wann ist das schön möglich?!? Start an der Martellerhütte und am Steig entlang der Trinkwasserleitung hinauf zum Beginn des Hohenferners. Der gegenüberliegende Felskamm wird anvisiert und der in diesem Abschnitt flache Gletscher in südlicher Richtung gequert (komplette Gletscherausrüstung!). Je nach Routenwahl wird es am Schluss etwas steiler. In der Regel wird man hier gute Spuren finden. Auf den Kamm und weiter zur Köllkuppe (3330 m), dem ersten Gipfel der Tour.
Weiter geht es auf dem schönen Blockgrat in Richtung Veneziaspitze. Vor einigen Jahren ist ein Teil des Grats ausgebrochen. Dort steht nun eine Markierungsstange, die in die steile Nordwestflanke leitet. Auf gut erkennbaren Steigspuren durch unangenehm splittriges, häufig vereistes und rutschiges Gelände wird die Flanke ein Stück gequert und anschließend der Grat durch eine Rinne wieder erreicht. Dort wartet die Schlüsselstelle der Tour, die auch beim Gratausbruch entstanden ist: Ein deutlich überhängender Fels muss ausgesetzt erklettert werden (III-). Ist dieses Hindernis überwunden, wird's wieder deutlich einfacher. In leichtem Fels- und Gehgelände (I) wird bald die Veneziaspitze (3386 m) erreicht.
Am unschwierigen Blockgrat weiter, abwechselnd durch Firn und Blockwerk zur Zweiten Veneziaspitze (3371 m) und zur Dritten Veneziaspitze (3356 m).
Von dort folgt man dem Grat weiter in Richtung Hintere Schranspitze, bis man nach Norden gut auf den Schranferner übergehen kann. Wie am Vortag wird über den Gletscher abgestiegen und die Marteller Hütte über den von der Vorderen Rotspitze kommenden Weg erreicht.
Weiter hinunter zur Zufallhütte auf dem bereits vom ersten Tag bekannten Weg.
Anmerkung: Ein Bergführer blieb am nächsten Tag mit seiner Gruppe trotz der Markierungsstange direkt am Grat. Über die Schwierigkeiten kann ich jedoch nichts berichten.
Tag 4:
Die Madritschspitze führt, neben der höheren und markierten Hinteren Schöntaufspitze gelegen, ein Schattendasein. Ihr schöner Nordgrat bietet sich für eine abwechslungsreiche Gratkraxelei an. Von der Zufallhütte auf markiertem Weg ins Madritschtal und hinauf ins Madritschjoch. Hier ist viel los - man ist mit Kind und Kegel unterwegs, mit Handtäschchen und schickem Hut. Sogar ein paar Radler schieben ihr Mountainbike auf ihrer Alpencross-Tour den Berg hinab. Man zweigt links ab und folgt dem zunächst unschwierigen Kamm in die Felsen. Dort wird es wieder einsam. Die Route ist überraschenderweise mit gelben Punkten markiert und somit kaum zu verfehlen. Meist geht es in einfachem Kraxelgelände zu Werke (I). Dort, wo die Steigspuren scheinbar in eine sehr steile und ausgesetzte Rinne zu führen scheinen, kraxelt man besser rechter Hand eine steile, etwas glatte Platte und anschließend einen Felsabsatz nach oben (I+). Weiter geht's am Grat an den unmittelbaren Gipfelaufbau heran. Durch Gehgelände mit leichten Kletterstellen (I) bis zur Schlüsselstelle: Ein steiles Wandl kurz vor dem Gipfel wird direkt erklettert (II). Ist dieses Hindernis überwunden, sind es nur noch wenige Schritte zum Gipfelkreuz.
Der problemlose Abstieg führt auf gut ausgetretener Spur durch die Südflanke hinunter ins Butzental. Weiter abwärts zum querenden Weg Zufallhütte-Casatihütte und auf ihm zurück zur Zufallhütte.
Tag 5:
Die Casatihütte dient als klassisches Domizil für die Besteigung des Monte Cevedale. In einer Höhe von 3254 m gelegen, ist sie von der Marteller Seite nur als Gletschertour zu erreichen (gletscherfreier Zugang von Südwesten). Von der Zufallhütte hinauf zur alten Staumauer und weiter taleinwärts. Am Bach entlang, später auf der Seitenmoräne ansteigend und mit besten Ausblicken auf den Langerferner geht es an ein einigen schönen Seen vorbei. Nach dem Blockkar unterhalb der Eisseespitze schwingt sich der Steig deutlich auf und führt hinauf ins obere Gletscherbecken. Am Gletscher endet der Steig. Dort finden sich auch diverse Gegenstände menschlicher Behausungen, die das Eis freigegeben hat und auch eine Granatenhülse habe ich gefunden. Am Gletscher (komplette Gletscherausrüstung!) in leichtem Linksbogen und unter den Hängen der Suldenspitze vorbei, zur bereits lange sichtbaren Casatihütte.
Tag 6:
Ein Blick nach draußen: Nebel und Nieselregen. Das ist ein Tag für die leicht erreichbare Suldenspitze (3376 m). Am Nebengebäude (Guastihütte) vorbei und auf gut erkennbaren Steigspuren den breiten, nur mäßig geneigten Hang hinauf zur Suldenspitze. Von der Hütte ist sie schnell erreicht und der Weg ist auch im Nebel zu finden. Überall finden sich hier verfallene Schützengräben und Behausungen der Soldaten des ersten Weltkriegs. Bei diesem tristen Wetter fällt es einem noch leichter, sich in ihren harten Alltag hineinzuversetzen. Die Bedauernswerten mussten hier sogar im Winter dienen.
Wieder an der Hütte und bei besserem Wetter folgt dann der zweite Teil der Reise in die Vergangenheit. Die "Tre Cannoni" ist eine Felseninsel inmitten des Gletschers, die dem Talschluss des Marteller Tals zugewandt ist. Im Ersten Weltkrieg wurden hier drei Kanonen positioniert, um das Gelände zu sichern. Nicht, dass man diese Kanonen einmal ernsthaft gebraucht hätte... trotzdem mussten viele Soldaten wegen der schwierigen Bedingungen (Felsstürze, Lawinen etc.) ihr Leben lassen. Die Soldaten sind weg, die Kanonen aber blieben und sind heute stille Zeugen der Vergangenheit. Von der Casatihütte ist die Tre Cannoni in einem Gletscherspaziergang (komplette Gletscherausrüstung!) zu erreichen. Wie die schweren, gusseisernen Kanonen transportiert werden konnten, ist mir ein Rätsel.
Beim Rückweg zur Hütte klart es zunehmend auf und der Monte Cevedale legt sein Wolkenkleid ab.
Tag 7:
Den Monte Cevedale (3769 m), dritthöchster Berg der Ortlergruppe nach Ortler und Königsspitze, gleich nebenan und eine sternklare Nacht - da muss man nicht mehr lange über das Ziel nachdenken. Der Wetterbericht kündigt allerdings einen Frontendurchzug an und der spektakuläre Sonnenaufgang an der Casatihütte ist bereits der feuchten Luft zu verdanken. Von der Hütte auf gut ausgetretener Spur südostwärts über den Zufallferner (komplette Gletscherausrüstung!). Zuerst wenig steil, das Ziel immer vor Augen. Im Westen ist die Front bereits aktiv: Der Himmel ist dunkel und die Berge sind in Wolken gehüllt. Auch der Monte Cevedale verschwindet bald darauf. Noch bevor es in die steile Flanke des Berges geht, fällt auch hier der Nebel ein. Etwas rechts haltend geht es durch die steile Flanke hinauf. Eine frische Lawinenbahn vom Vortag hat die Spur mitgenommen, mit Steigeisen ist aber alles gut machbar, nur ausrutschen sollte man besser nicht. So wird der Verbindungsgrat zwischen Monte Cevedale und den Zufallspitzen erreicht. Auf ihm noch ein Stück nach rechts, etwas ausgesetzt hinüber zum Gipfel, der mittlerweile eisfrei ist und von einem Steinmann geziert wird. Der beginnende Schneefall und der unangenehm kalte Wind verleitet zu einem baldigen Abstieg.
In der Casatihütte wird noch kurz Pause gemacht, dann geht es an den langen Abstieg zur Zufallhütte. Das Wetter bessert sich wieder etwas, aber der Monte Cevedale bleibt stets in Wolken gekleidet. Nach einer letzten Einkehr in der Zufallhütte geht es wieder hinunter zum Parkplatz, wo die schöne Tour endet.
Schwierigkeiten:
Hüttenaufstieg Zufallhütte: T1.
Hüttenaufstieg Marteller Hütte: T2.
Nordgrat Hintere Schranspitze: T4, I.
Abstieg via Schranferner: L.
Aufstieg zur Köllkuppe über Hohenferner: L.
Überschreitung der Veneziaspitzen: T5+, III- (nur eine Stelle, sonst deutlich einfacher).
Aufstieg zum Madritschjoch: T2.
Madritschspitze Nordgrat: T5-, II.
Abstieg via Butzental: T2.
Hüttenaufstieg Casatihütte via Langenferner: T3, L.
Gipfelanstieg Suldenspitze: T2.
Gletscherwanderung zu Tre Cannoni: L.
Monte Cevedale via Zufallferner: WS.
Fazit:
Tolle Tour in schönem, nicht überlaufenem Gebiet. Zufallhütte und Martellerhütte sind klasse, die Casatihütti ist um mehr als eine Liga schlechter (bei www.huettentest.de trägt sie derzeit den unrühmlichen Platz 266 von 270). Angesichts der dortigen Getränkepreise (0,4 l Limo 5,50 €) habe ich das eigentlich nicht trinkbare, ekelhaft schmeckende Leitungswasser getrunken - ohne negative Folgen. Überall versteht man Deutsch (mit Ausnahme der Casatihütte, dort aber dafür nicht mal ein Wort).
Interessanter Gletscherlehrpfad beim Aufstieg zur Martellerhütte. In der Speisekarte der Martellerhütte ist viel über die Geschichte des Tals nachzulesen.
Insgesamt eine abwechslungsreiche 5*-Tour.
Mit auf Tour: Anne, Gerd, Katrin, Peter, Sascha, Stefan.
Kategorien: Ortleralpen, Mehrtagestour, Hochtour, 5*-Tour, 3700er, T5.
Tourengänger:
83_Stefan

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