Drachenloch, 2427 m


Publiziert von roko , 13. Juni 2010 um 13:13.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:12 Juni 2010
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 1500 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Vättis - Quoderenau
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Vättis - Quoderenau
Unterkunftmöglichkeiten:Vättis
Kartennummer:Vättis - 1175

Ob Sibylle heute mitkommen würde, war uns erst klar, als wir ihr Auto an der Rheinbrücke bei Maienfeld sahen - eine freudige Überraschung! Auf der Fahrt nach Vättis wurde es immer dunkler. Regen setzte ein und wir blieben, oben angekommen, noch einen Moment im Auto sitzen um das Gewitter durchziehen zu lassen.
Der Aufstieg erfolgt zuerst dem Chrüzbach und dem Chüzbachtobel entlang steil bergauf und übers Chrächeli und den Chrüzboda auf den Gelbberg. Die alte Gelbbergalpe existiert nicht mehr. Es wurde jedoch eine schöne Hütte nicht weit vom Platz der alten Alpe errichtet, welche privat benutzt wird (mit freundlichen Leuten welche uns gleich zum Kaffee einluden).  
Von der Hütte geht es gut markiert die letzten 500 Höhenmeter unter den Drachenberg hoch. Nach einer kurzen Querung gegen Osten ist auf dem letzten, steilen Anstieg zum Höhleneingang ein Fixseil angebracht, welches wir angesichs der nassen Felsen heute nicht verschmähten.
Der Abstieg geht ganz schön in die Beine, speziell wenn der Boden nass ist und im unteren Bereich noch eine Menge Laub auf dem Weg liegt.
Es war schön nach ungefähr 25 Jahren wieder einmal die alte, prähistorische Fundstelle zu besuchen - zusammen mit Sibylle und Gerd.

Tagebuchauszüge: Geschichte und Ausgrabung von Theophil Nigg, Schulmeister in Vättis und Grabungsleiter in den Jahren 1917 bis 1923

Drachenberg und Drachenloch

Wer von Pfäfers kommend, im Talkessel von Vättis dem Dorfe zuschreitet, erblickt hoch oben in den Gipfelwänden des Drachenberges ein weit geöffnetes Höhlentor, den Eingang zur Drachenhöhle 2427 m ü.M. Es sieht aus, wie das Tor zu einer riesigen, hochgelegenen Burg. Vom Talboden von Vättis aus führt ein schmaler, überaus steiler Fusspfad hinauf zur Höhle in der Gipfelwand des Drachenberges. Jedem, der zum erstem Mal den Aufstieg zur Höhle wagt, wird die strenge, beinahe 4 Stunden lange unerbittliche Steigung des Weges dauernd in Erinnerung bleiben. Bei einer Horizontaldistanz von rund 3 km beträgt der Höhenunterschied zwischen Vättis und der Drachenhöhle nahezu 1500 m und die Steigung durchschnittlich 50%. Bei diesem Aufstieg überschreitet man bis ins Älpchen Gelbberg (2040 m) hinauf alle geologischen Formationen vom Urgebirge (Gneis) des Talbodens von Vättis bis hinauf zu den in eozänen Schiefern (Nummulitenkalk und Wildflysch) liegenden grünen Rasenhängen der Gelbbergalp. Der darüber aufsteigende Drachenberggipfel aber besteht aus einer von Süden her auf das Eocean der Gelbbergalp überschobenen Decke aus Jura und Kreide. Die Höhle selbst liegt auf Gault im Seewerkalk (obere Kreide) in einer ausgewitterten Verwerfungsspalte. Ein kurzer, steiler Anstieg durch das Höhlentor führt hinein in das Innere des etwa 5 m hohen Gewölbes der vorderen Höhlenkammer. Die Höhle ist eine Art Schlauch der sich in westlicher Richtung, immer enger werdend, auf über 60 m Länge beinahe waagrecht ins Berginnere hineinzieht. Die Höhle ist durch eine längere (ca 4 m) und eine kürzere (ca 1 m) Einschnürung deutlich in drei hintereinander liegende Kammern geschieden, die von uns bei den Grabungen als H1, H2 und H3 bezeichnet wurden. Der äussere Höhlenraum, die H1, gleich hinter dem Portal, ist in ihren Ausmassen und ihrer Raumgestaltung fast einem Kirchenschiff vergleichbar, wie wir sie in den Dorfkirchen unseres Bergtales finden, bei etwa 5,5 m Höhe bildet sie einen nahezu 27 m langen, nach innen an Breite etwas zunehmenden, bis über 8 m breit werdenden Raum mit einer kuppelartigen Ausbuchtung rechts im Hintergrund. Hinten links der H1, gerade gegenüber dem Kuppelraum, befand sich vor den Ausgrabungen am Höhlenboden ein etwa meterbreiter, kaum 50 cm hoher Durchschlupf durch den man etwa 5 m weit kriechend in den Raum der H2 vordringen konnte. Die Höhlendecke, die langsam gegen das Innere der H2 steigt, ist seltsam glatt und eben und macht beinahe den Eindruck, dass sie beim ehemaligen durchschlüpfen der Höhlenbären gerieben und gescheuert wurde.
Die H2 ist beinahe ein kreisförmiger Raum von ungefähr 5 m Durchmesser, dessen Decke in mehrere spitz zulaufende, jedoch blind endigende Kamine oder Schlote übergeht.
Ein merkwürdiger Durchschlupf besteht in H2 zu H3. Es ist wieder ein kaum 0,5 m hoher, etwa 2 m breiter Einschlupf am Boden der Hinterwand von H2. Aber was immer seltsam vorkam, der Einschlupf war durch einen mitten darin steckenden, ihn in der Höhe ganz ausfüllenden Gesteinsblock so zugesperrt, dass es nur knapp möglich war, sich links und rechts daneben auf dem Höhlenboden kriechend durchzuzwängen. Wie war der Stein in diese merkwürdige Lage gekommen? Ein Deckenbruch an dieser Stelle hatte nie stattgefunden, da heute noch jede Spur eines ehemaligen Ausbruches fehlt. Er muss durch menschlichen Eingriff an diese Stelle gebracht worden sein, als eine Art Abschluss der inneren Höhlenteile. Aber wann? Diese Frage steht heute noch unbeantwortet und wird es wohl bleiben. Hinter diesem Einschlupf beginnt der längliche niedrige Raum der hintersten Höhle 3. Kaum etwa 3 m über dem Boden verläuft in ihrer ganzen Länge von etwa 17 m die Höhlendecke des stellenweise bis zu 5 m breiten Raumes. Auffallend sind in diesem Höhlenteil die vielen auf dem Boden liegenden schweren Blöcke aus Kalkspat oder Tropfstein. Theobald vermutet in diesen Stalaktiten eher Arragonit als Kalkspat. Heute sehen wir in diesem etwas feuchteren Höhlenteil wenig mehr von Stalaktiten, die Höhle wurde in früheren Zeiten hauptsächlich als Fundort von Tropfsteinen und Kalkspaten aufgesucht und ausgebeutet. Die gegen den Hintergrund immer niedriger werdende Höhlenkammer endet mit einem zur Tiefe gehenden Sack im hintersten Winkel des Höhlenbodens. Es ist der etwas erweiterte Anfang eines sich schief abwärts weiter ins Innere des Berges hineinziehenden Schlauches, durch den man sich durchzuzwängen vermag, sofern einem nicht körperliche Korpulenz daran hindert. Der Schlauch endigt nach wenigen Metern. Funde von Tierknochen und menschlichen Artefakten sind in diesen schwer zugänglichen Endräumen nicht zu erwarten.

Die ersten Funde

Es waren die Entdeckungen der Funde in der Wildkirchlihöhle durch Bächler (1904), wo schon durch frühere Untersuchungen und Funde, 1851 Prof. Deiske das Vorhandensein des diluvialen Ursus spleaeus Blumenbach Höhlenbären nachgewiesen hat. Bei seinen Grabungen im Jahre 1904 für das Naturhistorische Museum in St. Gallen in der Wildkirchlihöhle, entdeckte Bächler daselbst auch Werkzeuge des Menschen, der zur Höhlenbärenzeit ebenfalls hier anwesend sein musste.  Es waren von ihm zu schneidenden Wekzeugen zugeschlagene, gekerbte Quarzstücke.
Ich wohnte zu jener Zeit in Gossau SG und hörte damals einen Vortrag von Herrn Bächler in St. Gallen über seine Entdeckungen im Wildkirchli. Als ich im Jahre 1908 als Lehrer in mein Heimattal, und zwar nach Vättis kam, stand mein Entschluss fest, die dort bekannte Drachenlochhöhle baldmöglichst auf ihren Inhalt zu untersuchen.
Die Höhle ist schon vom Talboden aus an verschiedenen Stellen in der Umgebung des Dorfes, in der Gipfelwand das Drachenberges sichtbar. Man erblickt schon von hier aus den mächtigen, weit geöffneten Torbogen des Höhleneinganges. Ich kannte damals das Drachenloch nur vom hörensagen und hatte erfahren, dass es in seinem Inneren zahlreiche Reste mit von Füchsen auf den benachbarten Alpen aufgelesener und eingeschleppter verendeter Alptiere gebe. Aber es verging eine Reihe von Jahren, bis ich wirklich dazu kam, meinen längst geplanten Besuch im Drachenloch auszuführen. Ich verwendete hierzu einen schulfreien Nachmittag, es war der 7. Juli 1917, ein Samstag. Als ich von meinen beiden Buben begleitet, nach dem Mittagessen zur Höhle hinaufstieg, in der Absicht, sie auf ihren Inhalt zu prüfen. Zu diesem Zweck wurde - in einen Sack eingewickelt, ein Spaten mitgenommen.
Oben auf dem Gelbbergsässli angekommen steuerten wir dem kleinen Schäferhüttchen zu, um den sich hier aufhaltenden Schafhirten, den Knaben Leo Bonderer, nach dem Zugang zu dem mächtigen, gewölbten Höhlenportal zu fragen, das hoch aus der Gipfelwand des Drachenberges zu uns herschaute. Er wisse den Weg zur Höhle nicht, er sei noch nie "d`joub" gewesen, doch zeige er sich willig, mit uns zu kommen und zu helfen, den besten Aufstieg zu suchen. So machten wir uns zu Viert auf den Weg und fanden über die quer durchs Gehänge ziehenden steilen Rasenbänder hinauf ohne allzu grosse Schwierigkeiten den Aufstieg zum Höhleneingang. Der letzte kurze, aber überaus steile Einstieg ins Höhlentor war durch einen geschlossenen Staudenwald von dicht stehenden hohen Eisenhüten (Aconitum) zu bahnen der offensichtlich schon seit langer Zeit nicht mehr durchdrungen worden war. Der langsam von aussen nach innen gegen die Höhle ansteigende Boden war mit einem zarten Schleier hellgrünen Mooses leicht überzogen, der mit der Abnahme des von aussen eindringenden Lichtes zusehends spärlicher wurde. Auch der Boden dieser Höhle trug alle Anzeichen, schon lange währender Unberührtheit. Wir drangen nun durch den niedrigen, kaum 0,5 m hohen, dunklen Einschlupf zurvorderst in der linken Seitenwand der ersten Höhle kriechen weiter ins dunkle Innere vor, indem wir die brennende Velolaterne (Karbid) vorausschoben. So krochen wir langsam in die zweite Höhlenkammer hinein. Bald war in H2, in der wir uns befanden, die Höhlendecke wieder so hoch, dass wir aufrecht stehen konnten. In diesem beinahe kreisförmigen Höhlenraum von nahezu 5 m Durchmesser, öffnete ich nun mit dem Spaten beim Scheine der Velolampe den fast schuttfreien, mulmigen Höhlenboden. Schon nach den ersten Spatenstichen zeigte es sich, dass auch unter der Oberfläche Knochenreste im Boden vorhanden waren, dabei auch Zähne, die keineswegs von Weidetieren, sondern von Raubtieren stammten. Da fiel mir ein Reisszahn in die Hände. Nun war kein Zweifel mehr möglich: es handelte sich bei diesen Funden um Ueberreste grösserer Raubtiere, und zwar konnten es nur Bären sein. An Höhlenbären zu denken wagte ich vorerst der ungewöhnlichen Höhenlange wegen noch nicht.
Da bereits 16 Uhr vorbei war und ich den Heimweg über die Alp Ladils nehmen wollte, verzichtete ich auf weitere Probegrabungen in der Meinung, wieder zu kommen und dann weitere Höhlenteile zu untersuchen. Nachdem ich die ausgegrabenen Zähne und Knochen in einer mitgenommenen Kartonschachtel gesammelt hatte, krochen wir mit unserer Lampe noch in die Höhle 3 vor, um sie kurz zu besichtigen und stiegen dann hinab ins Gelbbergtäli, wo wir am Bach unsere Funde rasch reinigten und trockneten, von unserem Begleiter Abschied nahmen und dann über die Planken unter dem Älplikopf hinaus der Alp Ladils zuschritten. In der Alp wies ich den Hirten die gefundenen Zähne vor, um ihr Urteil zu hören. Aber sie wussten nicht viel damit anzufangen, hielten die langen Zahnwurzeln für Zahnspitzen, rieten aber doch auf Bärenzähne, da es ihnen bekannt war, dass zu früherer Zeit in unseren Alpen öfter Bären an den Viehherden Schaden angerichtet hatten.
Zu Hause angekommen, brachte ich die Funde noch am selben Abend zur Post und sandte sie mit einem Begleitschreiben nach St. Gallen an Herrn Konservator Bächler zur Begutachtung, wobei ich im Brief die Vermutung aussprach, dass ich besonders der Zähne wegen glaube, es könnte sich um Bärenreste handeln. Auf Höhlenbären zu raten wagte ich damals wie schon gesagt, der hohen Lage des Fundortes wegen allerdings nicht. 
Am 12. Juli, also nach wenigen Tagen, langte aus St. Gallen die Antwort Bächlers ein, auf die ich ungeduldig gewartet hatte. Bächler dankte mir in seinem Schreiben für die Mitteilungen und die ihm zugestellten Funde und schrieb unter anderem: "...Ich muss Sie zu Ihrem Funde beglückwünschen, da es sich um wirkliche Bärenreste handelt und zwar von einer Art, welche jene des Höhlenbären an Grösse nahezu erreicht. Die Entdeckung ist also von Wert und ich möchte Sie dringend bitten, dafür zu sorgen, dass keine unberufenen Hände sich darein mischen. Im übrigen wird der Staat St. Gallen nach Bestimmung des Eidgen. Zivilgesetzes die Hand darauf legen, da derartige Lokalitäten wissenschaftlich nach neuesten Methoden untersucht werden müssen und der Kanton der gesetzliche Eigentümer dieser Funde ist. Wenn es sich schliesslich auch kaum um ein prähistorische Niederlassung handeln kann (es heisst zwar aufgepasst!) so muss die Stätte doch unter allen Umständen sehr genau durchgearbeitet werden, weil die Lagerung nach Schichten und übriger Funde sehr wichtig ist".

Zusammenfassung

Auch wenn die Höhle schon in früheren Zeiten sporadisch besucht wurde (Theophil Nigg entdeckte in der Höhle 3 die Jahreszahl 1766), muss die Entdeckung der Höhle als prähistorische Fundstätte (höchstgelegene Europas) Theophil Nigg, Lehrer in Vättis, zugesprochen werden. Die Ausgrabungen dauerten unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. Bächler (St. Gallen) von 1917 bis 1923. Neben vielen Artefakten wurden unter anderem zwei Feuerstellen entdeckt, welche nach der C14 Methode ein Alter von ca. 50 000 Jahren aufweisen, also in einen Zeitraum zwischen der letzten und der vorletzten Eiszeit fallen. Die Höhle wurde höchstwahrscheinlich nicht das ganze Jahr, sondern nur zu Jagdzeiten den Sommer über bewohnt.
Einen Einblick in die damalige Zeit mit Ausgrabungsstücken bietet das kleine Dorfmuseum in Vättis.

Tourengänger: roko


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