"Überschreitung des Berges der Reisenden" - Mont Pèlerin


Publiziert von Henrik , 11. Juni 2010 um 20:40.

Region: Welt » Schweiz » Waadt » Waadtländer Alpen
Tour Datum:10 Juni 2010
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VD 
Aufstieg: 320 m
Abstieg: 270 m
Strecke:Palézieux - Mont Pèlerin - Vevey - St. Saphorin
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Palézieux
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo St. Saphorin
Unterkunftmöglichkeiten:Montreux - Vevey Riviera

....oder 1 ½ h Genussdebattieren in St. Saphorin...(la page de Henry Suter dit: Du nom de saint Symphorien, né et mort à Autun en 179 ou 257. Nom issu du grec sumphoros, « qui accompagne » ou « profitable, utile »).



...statt mit Dagmar auf die Hohe Winde zu steigen, entschloss ich mich, ihr den Lavaux zu zeigen, ich rechnete mit guter Fernsicht ums Genfer Seebecken einschliesslich eindrücklicher Panoramen. Dagmar ist noch nicht oft mit der Bahn in der Schweiz unterwegs gewesen, so gab es also den Einstand, ihr das System CH-ÖV näher zu bringen und auch eine Lanze für ein Halbtax zu brechen! Die Fahrt nach Palézieux schenkte ich ihr – wir trafen uns in der „wuseligen“ Schalterhalle, wo eine rege  Betriebsamkeit herrschte und die Luft bereits zum Schneiden dick war. Im Gegensatz zu Olten und dem Mittelland lag Basel zur Abfahrtszeit um 9 Uhr noch unter einer Wolkenglocke. Heute reisten wir Second Class – es mangelte nicht an Reiseproviant, den ich vorneweg besorgt hatte, zusammen mit dem wirklich mundenden Kaffee der „elvetinorailbar“, das soll doch mal hier gebührend ausgesprochen werden!
 

Entgegen der Gewohnheit, mich auf der Neubaustrecke hinter Zeitungsblättern zu vertiefen, gab es jetzt Anlass Dagmar vielerlei Fakten zur Schweiz näher zu bringen: Olten und der Bahnkilometer 0, der Jura, das Rivella, die Orte am Fuss des Juras, die Bahn 2000 und 2030 und die Nähe der Alpen, die zwar nur bedingt zu sehen waren.
 

In Bern umsteigen in den Regio nach Palézieux – der am mittleren Vormittag fast schon leer nach Genf unterwegs war. Die spannend, wechselnde Landschaft nach Freiburg ist auch für mich als Vielfahrer immer wieder ein besonderer Genuss, die schiere „Unendlichkeit“ mit den natürlichen Begrenzungen durch die Freiburger Voralpen, deren Spitzen teilweise immer noch Schnee trugen, inspiriert zu weitern Besu-chen, durch Wälder und den zahlreichen kleinen Dörfern, die oft wie Romont oder Rue auf Anhöhen gebaut wurden.
 

Dass der Zug in Palézieux  in Schräglage auf Gleis 1 hält, fiel Dagmar besonders auf. Während ich einen Briefkasten aufsuchte, schaute sie sich auf dem Bahnhof etwas näher um, mit der Kamera. Im gegenüberliegenden „Hotel de la Gare“, das letztes Jahr einen Fassadenneuanstrich erhalten hatte, setzten wir uns auf die  Terrasse und bestellten erneut zum zweiten Mal heute schon einen Kaffee bzw. einen Espresso.
 

Alles war hier etwas anders: die Sprache, die Atmosphäre, die etwas verbeulten Fahrzeuge auf dem PP, die Bauweise der Häuser – es roch auch anders als in Basel und zudem fegte ein warmer Wind über den Bahnhofsplatz, der Dagmar nicht so freute. Um halb zwölf fuhr der Bus nach Granges, La Cuvigne – wir hätten die blossen zwei Kilometer nun wirklich auf der Strasse laufen können, doch wir sind nicht „Asphalt-Cowboy bzw. girl“. Kaum entstiegen wir dem Bus als einzigste Passagiere, schlug uns dieser an ein Gebläse gemahnender Wind ins Gesicht und Haar (zerzausend). War es ein Mistral, oder der Scirocco, oder der Chamsin – der Föhn blies! Die Mittagssonne tat das ihrige: sie brannte auf die zu begehende Strasse und auf das noch ungeschützte Haupt. Wir folgten der Wegmarkierung zum Mont Pèlerin.  (Patronymes Pelerin, Pélerin, pouvant désigner à l´origine des pélerins, nom issus du latin peregrinus, « étranger, voyageur ».) Die umliegende Landschaft gab genügend Vorwand immer wieder inne zu halten: das Broye-Becken und die Dent de Lys sowie prägnant die Tours de Mayen und d’Ai.


Am Reservoir vorbei, wechselte die Strasse in weichen Waldboden, beinahe eine Fin-nenbahn, doch auch aufgeweicht durch schweres Forstgerät mit tiefen wassergefüllten Furchen. An viel Fallholz vorbei, an ruhendem Vieh und zerzausten Buchen gelangten wir auf den Mont Chesau zum Pt. 982. Und etwas später zur Buvette du Mont de Cheseaux, wo eine Gruppe Jugendlicher ausgelassen an Langtischen ein Fondue geniesst – bis zum Funi oberhalb Vevey sind wir niemanden sonst begegnet!
 

Wir verbleiben auf dem ausgeschilderten WW, an der Alp La Moille vorbei, von wo der Swisscom-Turm Plein Ciel schon zu sehen ist, den wir dann nicht besuchen, da a) ich nicht schwindelfrei bin und b)  der Turm aufgrund des starken Windes ohnehin gesperrt ist (Der kostenpflichtige, 65m hohe Panoramalift (Selbstbedienung) ist während des Winters und bei Sturmwin-den über 45 km nicht in Betrieb. Oben geniesst man einen Rundblick ins Berner- und Fribourger Mittelland, ins Wallis, nach Frankreich und über den halben Genfersee).  Einige Schritte weiter das Chalet Butticaz und seine Umgebung, das  laponia in seinem Bericht gebührend beschreibt. Wir gelangen hier wieder auf den WW – kurz vor dem Punkt 945, am Mont de Chardonne öffnet sich der Blick auf einen Teil des Genfersees.  Ums Reservoir herum fällt der Weg hin-ab, eine metallene Treppe erleichtert den Abstieg und ein wuchtiger Gebäudekomplex (l’établissements médico-sociaux du Mont Pèlerin) baut sich da vor uns auf, als wir die abschliessende Wiese begehen – nicht ohne Ironie zum Abschluss des Wandertages tritt Dagmar in den letzten Kuhfladen vor der „Zivilisation“....sch......!
 

Um genau dieser Zivilisation wieder anständig zu begegnen, ziehe ich mich an, werden Hemd und Hose zurecht gezupft, die zerzausten Haare mit der Hand durchgekämmt, betreten wir das Funi an der Bergstation Mont-Pèlerin  (das von GoldenPass betrieben wird) und lassen uns die 430 m in der schwülen Hitze der halb-leeren Kabine hinunter nach Vevey-Plan bringen: unterwegs staunen wir über das sich bietende Panorama mit dem gletscherblauen See (wirklich, der Lac Léman sieht von hier oben noch aus wie solcher), dem mediterran wirkenden Vevey. Entlang des Trassée  der Standseilbahn entdecken wir eine reiche Blumenwelt, Girlanden gleich schmücken Rosenhecken die Hauswände bzw. die Brücken, die diese überqueren.
 

Auf halbem Weg kommt das Logo von Néstle ins Blickfeld – wir gewärtigen uns den Alltag vorzustellen ohne diesen Marktführer, sogar das Trinkwasser in Afrika trägt diesen Schriftzug!



Wir steigen in den Bus an der Rondelle in Vevey-Plan und lassen uns zum Gare du Vevey bringen. Das Rückfahrticket gekauft, verbleiben ¾ h hier, wo wir uns auf einer Bank unter Schatten spendenden Platanen am Place de la Marche hinsetzen, Kokos“mümpfeli“ picken und ein salziges Silserli teilen: das Thermometer am Bahnhof zeigt 32 Grad, die Schwüle macht mir ziemlich zu schaffen; um 15.40 fährt die S 1 der REV auf Gleis 1 ein, nur gerade drei Minuten später stehen wir so nahe am Ge-stade des Lac Léman, dass wir seine Gischt auf unseren Lippen spüren – die gelbe Farbe des kleinen bedachten Bahnhöfli wirkt verblichen und trägt Flugrost, wir blei-ben noch etwas stehen und lassen das vom Wind aufgewühlte Wasser des Sees auf uns wirken. Unter den Geleisen und der Kantonsstrasse hindurch tritt man in das am Hang klebende St. Saphorin ein – sofort fällt trotz der Durchgangsstrasse die Stille auf, die Ruelle Romaine steigt sanft an, die ersten Weinkeller bieten lokale Weine an und wir biegen nach rechts ein die Ruelle de l’onde – www.aubergedelonde.ch. Onde ist die Welle...wenn der Wind durchs Getreidefeld weht...dann sind das Ondes.....oder der Wind unduliert (massiert) das Feld....!


Wir setzen uns auf die strassenseitige Terrasse, gegenüber der Kirche und dem Dorfbrunnen, dessen Wasser ich mir über die Unterarme fliessen lasse – um 16 Uhr gibt es nur Kuchen, doch als wir um einen Salat bitten, wird uns eine herrliche Terrine gereicht, mit Salatblättern und Zwiebeln. Dazu der hiesige Wein, ein Vin blanc und eine grosse Karaffe „Hahnenburger“ – wir sind die einzigsten Gäste.   Auf dem Terrassendach des vis-à-vis gelegenen Hauses spielen Kinder mit Spritzpistolen, ein Gutsch Wasser landet sogar auf einem vorbeifahrenden Volvo, auf dem Kirchplatz unter einer Platane sitzen zwei Männer mit einer Staffelei und zeichnen, als wir die Kirche uns näher ansehen, treffen wir auf weitere Malende, an einer andern Ecke entdecken wir sogar eine Gruppe Frauen, die dasselbe tun.  Die reformierte Kirche von St. Saphorin kann auf eine beinahe 2000-jährige Geschichte zurückblicken – die Grundmauern entstanden im 4. Jhd. Im Untergeschoss ist sogar ein Museum eingerichtet (kostenlos), wir steigen eine steile Treppe hinab und werden ganz klein, ob der Grösse der ersten Architekten! ...es ist den hikr.s sicher schon oft aufgefallen, dass meine Wanderungen mit Kirchenbesuchen gekoppelt sind – entweder gleich zu Beginn oder dann abschliessend: mir geht es um die Architektur und die Stille, ja, auch ein wenig Spiritualität, nicht die an die grosse Glocke gehängte....wird sind ja Pilger oder einfach hikr.s!
 

Im Vorraum der Paroisse de St. Saphorin lacht uns Ottmar Hitzfeld entgegen – angesichts der WM wird um Gebetseinschluss gebeten....eine Handvoll gefaltete Blätter künden davon: Fussball und Kirche, beide haben die Welt in ihre Hände genommen!
 

Wir treten hinaus in die warmen Gassen, spazieren hinunter zum Bahnhof, ihm vorgelagert ein Kinderspielplatz: wir stutzen und werden uns nicht klar über einen Baum, dessen Blätter uns raten lässt – ich spreche eine Mutter auf einer Holzbank an, die uns dann erhellt, wir stünden vor einer Magnolie. Wir stellen uns diese Pracht vor, zwischen Kantonsstrasse und Bahngeleisen, dahinter die mit grossen Steinblöcken bewehrte Uferzone – der Lac Léman, heute blau wie ein Gletschersee. Dunstig im Westen nur schemenhaft die Genfer Ecke.
 


 


Tourengänger: Henrik
Communities: Touren und Tafeln


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2 Okt 11
Le phare du Mont Pèlerin · Henrik
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Petit tour au soleil · bergpfad73
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31 Jan 10
Schneewanderung Mont Pèlerin · Baeremanni
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Kommentare (1)


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laponia41 hat gesagt: Danke
Gesendet am 13. Juni 2010 um 08:14
für den vergnüglichen Bericht. Fotos sind ja total überflüssig, wenn man so episch und anschaulich beschreibt. Der heutige Regentag ist durch deine Anregungen gerettet: wir fahren ins Lavaux und wandern von Vevey zum schönsten Bahnhöfchen der Welt: nach Bossières.

Herzliche Grüsse
Peter


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