Zwei kleine Krümelchen gefällig...?
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Die beiden spitzen und unzugänglich erscheinenden Miettes - zu Deutsch "Krümel" -, waren mir erstmals bei meinen Touren im Vallon de la Morge SW oberhalb St-Gingolph ab 2018 aufgefallen. Zu ihrem eigentümlichen Namen steht zwar nichts im Führer, aber da es sich von ihrer steil aufragenden Form her kaum um bloss bergsteigerische Brosamen handeln kann, könnte er sich stattdessen auf ihre bescheidene Höhe von weniger als 2000m oder ihre bröselig-krümelige Konsistenz, wie sie im Führer beschrieben ist und ich sie später kennenlernen sollte, beziehen. Mein Interesse und meine Neugier wurden umso mehr geweckt, als die Schwierigkeit einer Besteigung der Grande Miette im Führer mit nur maximal PD bzw. WS angegeben wird.
Einen 1. Versuch Anfang August 2020 widmete ich der S-Flanke, zu der es im Führer heisst: "Escalade rendue dangereuse par les plaques de gazons revouvrant le rocher et se détachant facilement. Déconseillé.", und die dort mit PD- bewertet und mit nur 1h vom Chalet de Lovenex veranschlagt wird. Nach einer bereits recht anspruchsvollen Überschreitung der im Führer nicht beschriebenen Petite Miette gelangte ich indes nur bis zum "bref ressaut", wo ich mich in einem brüchigen Kamin W einer für einen Stand in die Erde getriebenen Aluminimumstange ohne Sicherung nicht weiter getraute. So stieg ich zurück, überschritt den Grat vom Mont Gardy bis zur Grand Jumelle, und probierte auf dem Rückweg noch die mit PD angegebene E- bzw. eigentlich NE-Flanke, kam aber ausgehend vom Col de la Croix nur bis vor die "montagnes russes" - zu Deutsch "Achterbahn" -, einem unter den mächtigen Flühen, die die sonst aus Gras bestehende NE-Flanke in zwei Abschnitte teilen, entlang führenden gewellten Band, dessen Begehung laut Führer einer "progression assez délicate" entsprechen soll.
Bei einem 3. Versuch Mitte August 2020 rückte ich deshalb mit der Kletterausrüstung an. Durch eine Rinne und über eine Rampe stieg ich auf steilem Gras direkt zum SE Ende der "montagnes russes" unter die mit 3a bewertete angebliche "pointe faible" der die NE-Flanke teilenden "paroi" auf, wo ich mit einem Camalot und einem Rock einen Stand baute. Die darüber liegende Grasrampe war aber derart steil, dass ich trotz bissigem Eisgerät allen Mut verlor und erneut die Segel strich, während solche, sich munter in einer steifen Brise straffend und flatternd, auf dem tief unten liegenden Lac Léman die zahlreichen Segelboote weiter vorantrieben...Ich seilte am Stand und weiter unten ein zweites Mal ab, kehrte enttäuscht nach Hause zurück, und ersetzte bei Bächli mein zurückgelassenes Material. So schweren und heiklen Routen mit der Bewertung PD- und PD war ich bisher noch nie begegnet.
Inzwischen waren vier Jahre vergangen, aber trotz den bisher drei misslungenen Versuchen liessen mich die Miettes nicht mehr los, und jedes Mal, wenn ich wieder in der Gegend war und ihrer ansichtig wurde, begann das Feuer für sie wieder aufzuflackern. Etwa im September 2022 bei der neuerlichen Überschreitung vom Pas de Lovenex zur Grande Jumelle, oder Anfang diesen September 2024 bei der Überschreitung von Les Cornettes de Bise, wobei mir die Grate bei letzteren im Unterschied zu den von mir aus eher unterbewerteten Routen zur Grande Miette recht überwertet vorkamen. So nahm ich Mitte diesen September 2024 nochmals einen Anlauf, musste aber diesmal wegen frühem Schnee bis tief hinunter passen, was mir dafür eine spannende "Ersatztour" bescherte, die die begehrten beiden Spitzchen für einmal im winterlichen Kleid präsentierte. Doch schon eine Woche später war all der Schnee weggeschmolzen und schienen die Verhältnisse für einen 5. Versuch günstig zu sein.
In St-Gingolph bedeutete mir der Zollbeamte mit erhobener Hand, anzuhalten, nachdem ich die beiden Abzweigungen nach Le Frénay verpasst hatte, und zur Douane Suisse rollte. Ich fuhr rückwärts, wendete den Wagen und bog von der Haupt- in die Dorfstrasse ein. Auf der Route de Frénay folgten mir dann zwei Scheinwerfer, und beim Parkplatz La Tine drehte ein Auto und fuhr talwärts. Ohne mir allzu viele Gedanken darüber zu machen, ging ich los, der rauschenden La Morge entlang durch den Wald, und durch die Weide. Auf L'Au de Morge wurde ich wieder vom Sennenhund begrüsst, und die Älplerin erzählte mir etwas wehmütig, dass ein Drittel der Tiere schon abgezogen seien, und sie wohl nur noch bis Anfang Oktober oben bleiben würden. Beim kleinen Wäldchen unter dem Col de la Croix lagen eine Jägerin mit ihrem Sohn auf der Pirsch, die ich aber nicht störte, da sich die Gemsen, wie sie mir erklärten, bereits über den Pass auf die andere Seite verzogen hätten, wohin die beiden ihnen denn auch folgten. Beide Frauen kannten die Miettes vom Namen, waren aber noch nie oben gewesen.
Ich zweigte dagegen unter dem Pass nach S ab, und querte über steiles Gras und vorbei an den beiden Miettes zum nächsten Couloir hinüber und stieg durch dieses auf Geröll zum Sattel zwischen der Crête du Vélan und der Petite Miette hoch. Deren SSW-Grat ist zwar brüchig und ausgesetzt, aber gut gestuft, und so liess der Gipfel nicht lange auf sich warten. Beim Abstieg über den von oben wie unten recht harmlos aussehenden NE-Grat kam ich dann aber bei einigen grasdurchsetzten Stufen gehörig ins Stocken, und ich war dann ziemlich erleichtert, im Sattel zwischen den beiden Miettes wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Durch dieses Vorspiel auf steiles Gras und brüchigen Fels gut vorbereitet, und mit Klettergurt und griffbereitem Sicherungsmaterial ausgestattet, machte ich mich an die S-Flanke und stieg zuversichtlich entlang der rechtsseitigen felsdurchsetzten Grasrippe auf bereits bekanntem Weg zum "bref ressaut" auf und machte Stand an der Aluminiumstange. Der brüchige und erdige Kamin W davon liess sich aber nicht wie erhofft absichern, so dass ich zum Stand zurückkehrte - so weit war ich schon einmal gewesen...- und nach Alternativen Ausschau hielt.
Die offensichtlichste, die ich übersehen hatte, obwohl das Gute so nah vor Augen und Nase lag, führte mich direkt über dem Stand auf zwar brüchigen, aber leichten Felsen zu einem Quergang, der nach W in eine erdige Grasrinne oberhalb des Kamins führte, und sich einigermassen vernünftig absichern liess. Nach zwei Zwischensicherungen klingelte das Handy, und "Police Cantonale" erschien auf dem Display: "Syd Ihr där Lorenz?" ertönte Tschuggers Stimme. "Ja, dä byn i". "Was isch das gsy hittä am Morgu?" "I ha d'Abzweigig nach Le Frénay verpasst". "Wahära syd Ihr denn jetza vom Öuto üs gange?" "I"by am Chlättere ar Grand Miette." "Wa? I verstan Euch schlächt." "Bim Col de la Croix". "Aha...", und dann brach die Verbindung ab...Er konnte ja nicht ahnen, dass ich weder Kalashnikovs noch Kokakin über die Grenze schmuggelte, sondern bloss auf schiefer Bahn Brösmeli zusammenwischte...Von einem gebastelten Zwischenstand ging es dann wieder leichter zu einer zweiten Aluminiumstange. Ich machte nochmals Stand, konnte im folgenden, ebenfalls etwas brüchigen Kamin, der sich aber im Unterschied zum ersten gut erklettern liess, jedoch keine Zwischensicherungen anbringen. Den letzten Stand an einer Tanne auf dem SE-Grat brauchte ich dann nur noch zum Abseilen und lösen des Seils. Insgesamt war in der S-Wand das Gras zwar steil, die Erde staubig und rutschig und der Fels oft unzuverlässig gewesen, sich ablösende Grasmutten hatten mir in der S-Flanke aber nicht zu schaffen gemacht. Nach einem Abstecher zum Mittelgipfel und einigen letzten und leichten Klettermetern konnte ich endlich den lange ersehnten Gipfel der Grand Miette betreten und die atemberaubenden Tiefblicke zum Lac de Lovenex und zum Lac Léman geniessen.
Noch war es aber zu früh, um mich richtig zu freuen, denn ein kniffliger Abstieg wartete. Die Wegfindung und der Gang über die pentes sommitales d'abord "adoucies" puis "très incliniées" der NE-Flanke waren aber zunächst erstaunlich leicht, und erst über den Flühen musste ich eine Weile suchen, bis ich die unterste Tannengruppe fand, von der ich abseilen konnte. Bereits im Seil hinaus hängend konnte ich erkennen, dass es bis zum Fuss der Felsen reicht, und wie durch ein Wunder landete ich nach 25 senkrechten Freiluftmetern schliesslich exakt auf der steilen Grasrampe NW der "pointe faible" unter dem Stand, wo ich letztes Mal umgedreht war. Camalot, Karabiner, Rock und Schlinge waren noch da, hatten nur wenig Patina angesetzt, und liessen sich problemlos lösen und an den Klettergurt hängen. Nach den restlichen Abseilmetern war das Gelände etwas weniger steil, und trotz der zu Beginn starken Reibung durch die Tannenrinde liess sich das Seil gut abziehen. Ich stieg entlang der mir bereits bekannten Route vorsichtig über immer noch recht steiles Gras und Schrofen zum Wandfuss ab, querte auf dem Weg zum Col de la Croix, sortierte mein Material, und genoss, nun richtig entspannt und befriedigt zum steil aufragenden Krümelmonster zurückblickend, eine letzte Pause, während in beiden Richtungen Wandernde vorbeizogen. Auf L'Au de Morge bellte der in der Küche allein gelassene Sennenhund zum Abschied, und zurück auf dem Parkplatz stellte ich erleichtert fest, dass kein Avis oder Busszettel unter einem der Scheibenwischer klemmte. Als ich beim Schweizer Zoll in St-Gingolph dem Beamten die Situation beschrieb, meinte er: "C'était la Police, pas nous. Elle était là ce matin, mais l'affaire est complétée, vous pouvez filer." Nachdem auch die letzten beiden Steine in den Brunnen gefallen waren, fuhr ich, wie Hans im Glück, befreit von allen Lasten und glücklich und zufrieden von dannen...
Petite Miette
Aufstieg SSW-Grat: von La Tine (913m) gelben Markierungen folgend auf dem Wanderweg und der Alpstrasse nach L'Au de Morge (1181m), und auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Nant de Morge, die Abzweigung 1380 und Lanche bis unter den Col de la Croix (1757m). Nach S (Gras, Wildwechsel) unter die Grand Miette NW-Wand, und dieser entlang, und auf ca. 1790m weiter nach S zum eingezeichneten markanten WNW- Couloir. Durch dieses (Geröll) hinauf in den 1. Sattel ca. 1855m zwischen der Crête du Vélan und der Petite Miette, T4, und über den SSW-Grat (Schrofen, brüchige Felsen, I) auf den Gipfel (1878m), T5, 2h 15min.
Abstieg NE-Grat: vom Gipfel (1878m) über den NE-Grat (Gras, brüchige Felsstufen, II) hinunter in den 2. Sattel ca. 1855m, 15min, T6.
Grande Miette
Aufstieg S-Flanke: vom 2. Sattel ca. 1855 rechts entlang einer Rippe (Gras, Fels, I) hinauf zu einem Band (Gras) und 1. Stand an einer 1. Aluminimumstange. In einer 1. SL gut gestuft hinauf und Quergang nach links (brüchiger Fels), und durch eine Rinne (Erde, Gras, brüchiger Fels) zu einem 2. Zwischenstand an Rock und Schlinge (25m, 3 Zwischensicherungen mit Camalot, Schlinge an Felszacke und Express an Wurzel, II). In einer 2. SL zuerst links, dann schräg nach rechts hinauf (Gras, brüchige Felsen) zu 3. Stand an einer 2. Aluminiumstange unter dem Mittelgipfel (25m, 1. Zwischensicherung an einer Wurzel, I). In einer 3. SL nach links zu einem Kamin, und durch diesen (ca. 7m, z.T. brüchig, III) hinauf und kurz weiter zum Sattel zwischen Mittel und Hauptgipfel und 4. Stand mit einer Schlinge an einer Tanne (15m, III). Abstecher über den SE-Grat (Schrofen, Wurzeln) zum Mittelgipfel, zurück zum Sattel, und weiter über den SE-Grat (leichte Felsen, I) auf den Hauptgipfel (1937m), und von diesem einfach nach N hinunter zum Kreuz, 2h, T6, WS.
Bemerkung: mit einem 50m Einfachseil kann vermutlich direkt vom 1. zum 2. Stand und von diesem zum Gipfel aufgestiegen werden.
Abstieg NE-Flanke: vom Kreuz nach NE über die Gipfelflanke (Gras) hinunter zu einer Rippe, links von dieser durch eine Rinne (Gras) hinab, und beim felsigen unteren Ende der Rippe nach rechts zu einer Tanne. Links unter dieser hindurch und nach rechts zu einer Tannengruppe. An einem kräftigen Stamm 25m auf eine Rampe abseilen (vermutlich links bzw. NW des im Führer erwähnten "point faible"). Auf dieser (Gras) schräg nach links hinunter, Quergang nach rechts (Schrofen) zu einer Felskluft, und durch eine Rinne (Gras) wieder links haltend hinunter, bis nach rechts auf Schrofen auf den Grashang unter der NE-Flanke ausgestiegen werden kann. Auf diesem einfach hinunter zum eingezeichneten Weg, der zum Col de la Croix (1757m) führt, 1h 15min, T6, WS. Von diesem auf dem oben beschriebenen Zustieg zurück, 1h, T3. Insgesamt 2h 15min.
Bemerkungen: im Aufstieg müsste diese Route wohl mit T6+/ZS bewertet werden. Vorsicht wegen losen Steinen, die auf den darunter liegenden, recht gut frequentierten Weg treffen könnten.
Verhältnisse: bei mässigem S-Wind sonnig mit Schleier- und Quellwolken und mild. Wege, Gras und Felsen sonnseitig trocken, schattseitig z.T. feucht und rutschig.
Material: übliche Alpinwanderausrüstung mit Stirnlampe und Kletterausrüstung mit 50m 7,5mm Zwillingsseil (1 Strang), 4 Schlingen, 6 Express, 3 mittleren Camalots und 1 Satz Rocks. Altes Eisgerät und 3 Normalhaken nicht gebraucht.
Fahrplan: 6.45 Start, 8.45 1. Sattel ca. 1855m, 9 Uhr Petite Miette, 9.15 2. Sattel ca. 1855m, 11.15 Grande Miette, 12.45 Col de la Croix, 14 Uhr retour.
Einen 1. Versuch Anfang August 2020 widmete ich der S-Flanke, zu der es im Führer heisst: "Escalade rendue dangereuse par les plaques de gazons revouvrant le rocher et se détachant facilement. Déconseillé.", und die dort mit PD- bewertet und mit nur 1h vom Chalet de Lovenex veranschlagt wird. Nach einer bereits recht anspruchsvollen Überschreitung der im Führer nicht beschriebenen Petite Miette gelangte ich indes nur bis zum "bref ressaut", wo ich mich in einem brüchigen Kamin W einer für einen Stand in die Erde getriebenen Aluminimumstange ohne Sicherung nicht weiter getraute. So stieg ich zurück, überschritt den Grat vom Mont Gardy bis zur Grand Jumelle, und probierte auf dem Rückweg noch die mit PD angegebene E- bzw. eigentlich NE-Flanke, kam aber ausgehend vom Col de la Croix nur bis vor die "montagnes russes" - zu Deutsch "Achterbahn" -, einem unter den mächtigen Flühen, die die sonst aus Gras bestehende NE-Flanke in zwei Abschnitte teilen, entlang führenden gewellten Band, dessen Begehung laut Führer einer "progression assez délicate" entsprechen soll.
Bei einem 3. Versuch Mitte August 2020 rückte ich deshalb mit der Kletterausrüstung an. Durch eine Rinne und über eine Rampe stieg ich auf steilem Gras direkt zum SE Ende der "montagnes russes" unter die mit 3a bewertete angebliche "pointe faible" der die NE-Flanke teilenden "paroi" auf, wo ich mit einem Camalot und einem Rock einen Stand baute. Die darüber liegende Grasrampe war aber derart steil, dass ich trotz bissigem Eisgerät allen Mut verlor und erneut die Segel strich, während solche, sich munter in einer steifen Brise straffend und flatternd, auf dem tief unten liegenden Lac Léman die zahlreichen Segelboote weiter vorantrieben...Ich seilte am Stand und weiter unten ein zweites Mal ab, kehrte enttäuscht nach Hause zurück, und ersetzte bei Bächli mein zurückgelassenes Material. So schweren und heiklen Routen mit der Bewertung PD- und PD war ich bisher noch nie begegnet.
Inzwischen waren vier Jahre vergangen, aber trotz den bisher drei misslungenen Versuchen liessen mich die Miettes nicht mehr los, und jedes Mal, wenn ich wieder in der Gegend war und ihrer ansichtig wurde, begann das Feuer für sie wieder aufzuflackern. Etwa im September 2022 bei der neuerlichen Überschreitung vom Pas de Lovenex zur Grande Jumelle, oder Anfang diesen September 2024 bei der Überschreitung von Les Cornettes de Bise, wobei mir die Grate bei letzteren im Unterschied zu den von mir aus eher unterbewerteten Routen zur Grande Miette recht überwertet vorkamen. So nahm ich Mitte diesen September 2024 nochmals einen Anlauf, musste aber diesmal wegen frühem Schnee bis tief hinunter passen, was mir dafür eine spannende "Ersatztour" bescherte, die die begehrten beiden Spitzchen für einmal im winterlichen Kleid präsentierte. Doch schon eine Woche später war all der Schnee weggeschmolzen und schienen die Verhältnisse für einen 5. Versuch günstig zu sein.
In St-Gingolph bedeutete mir der Zollbeamte mit erhobener Hand, anzuhalten, nachdem ich die beiden Abzweigungen nach Le Frénay verpasst hatte, und zur Douane Suisse rollte. Ich fuhr rückwärts, wendete den Wagen und bog von der Haupt- in die Dorfstrasse ein. Auf der Route de Frénay folgten mir dann zwei Scheinwerfer, und beim Parkplatz La Tine drehte ein Auto und fuhr talwärts. Ohne mir allzu viele Gedanken darüber zu machen, ging ich los, der rauschenden La Morge entlang durch den Wald, und durch die Weide. Auf L'Au de Morge wurde ich wieder vom Sennenhund begrüsst, und die Älplerin erzählte mir etwas wehmütig, dass ein Drittel der Tiere schon abgezogen seien, und sie wohl nur noch bis Anfang Oktober oben bleiben würden. Beim kleinen Wäldchen unter dem Col de la Croix lagen eine Jägerin mit ihrem Sohn auf der Pirsch, die ich aber nicht störte, da sich die Gemsen, wie sie mir erklärten, bereits über den Pass auf die andere Seite verzogen hätten, wohin die beiden ihnen denn auch folgten. Beide Frauen kannten die Miettes vom Namen, waren aber noch nie oben gewesen.
Ich zweigte dagegen unter dem Pass nach S ab, und querte über steiles Gras und vorbei an den beiden Miettes zum nächsten Couloir hinüber und stieg durch dieses auf Geröll zum Sattel zwischen der Crête du Vélan und der Petite Miette hoch. Deren SSW-Grat ist zwar brüchig und ausgesetzt, aber gut gestuft, und so liess der Gipfel nicht lange auf sich warten. Beim Abstieg über den von oben wie unten recht harmlos aussehenden NE-Grat kam ich dann aber bei einigen grasdurchsetzten Stufen gehörig ins Stocken, und ich war dann ziemlich erleichtert, im Sattel zwischen den beiden Miettes wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Durch dieses Vorspiel auf steiles Gras und brüchigen Fels gut vorbereitet, und mit Klettergurt und griffbereitem Sicherungsmaterial ausgestattet, machte ich mich an die S-Flanke und stieg zuversichtlich entlang der rechtsseitigen felsdurchsetzten Grasrippe auf bereits bekanntem Weg zum "bref ressaut" auf und machte Stand an der Aluminiumstange. Der brüchige und erdige Kamin W davon liess sich aber nicht wie erhofft absichern, so dass ich zum Stand zurückkehrte - so weit war ich schon einmal gewesen...- und nach Alternativen Ausschau hielt.
Die offensichtlichste, die ich übersehen hatte, obwohl das Gute so nah vor Augen und Nase lag, führte mich direkt über dem Stand auf zwar brüchigen, aber leichten Felsen zu einem Quergang, der nach W in eine erdige Grasrinne oberhalb des Kamins führte, und sich einigermassen vernünftig absichern liess. Nach zwei Zwischensicherungen klingelte das Handy, und "Police Cantonale" erschien auf dem Display: "Syd Ihr där Lorenz?" ertönte Tschuggers Stimme. "Ja, dä byn i". "Was isch das gsy hittä am Morgu?" "I ha d'Abzweigig nach Le Frénay verpasst". "Wahära syd Ihr denn jetza vom Öuto üs gange?" "I"by am Chlättere ar Grand Miette." "Wa? I verstan Euch schlächt." "Bim Col de la Croix". "Aha...", und dann brach die Verbindung ab...Er konnte ja nicht ahnen, dass ich weder Kalashnikovs noch Kokakin über die Grenze schmuggelte, sondern bloss auf schiefer Bahn Brösmeli zusammenwischte...Von einem gebastelten Zwischenstand ging es dann wieder leichter zu einer zweiten Aluminiumstange. Ich machte nochmals Stand, konnte im folgenden, ebenfalls etwas brüchigen Kamin, der sich aber im Unterschied zum ersten gut erklettern liess, jedoch keine Zwischensicherungen anbringen. Den letzten Stand an einer Tanne auf dem SE-Grat brauchte ich dann nur noch zum Abseilen und lösen des Seils. Insgesamt war in der S-Wand das Gras zwar steil, die Erde staubig und rutschig und der Fels oft unzuverlässig gewesen, sich ablösende Grasmutten hatten mir in der S-Flanke aber nicht zu schaffen gemacht. Nach einem Abstecher zum Mittelgipfel und einigen letzten und leichten Klettermetern konnte ich endlich den lange ersehnten Gipfel der Grand Miette betreten und die atemberaubenden Tiefblicke zum Lac de Lovenex und zum Lac Léman geniessen.
Noch war es aber zu früh, um mich richtig zu freuen, denn ein kniffliger Abstieg wartete. Die Wegfindung und der Gang über die pentes sommitales d'abord "adoucies" puis "très incliniées" der NE-Flanke waren aber zunächst erstaunlich leicht, und erst über den Flühen musste ich eine Weile suchen, bis ich die unterste Tannengruppe fand, von der ich abseilen konnte. Bereits im Seil hinaus hängend konnte ich erkennen, dass es bis zum Fuss der Felsen reicht, und wie durch ein Wunder landete ich nach 25 senkrechten Freiluftmetern schliesslich exakt auf der steilen Grasrampe NW der "pointe faible" unter dem Stand, wo ich letztes Mal umgedreht war. Camalot, Karabiner, Rock und Schlinge waren noch da, hatten nur wenig Patina angesetzt, und liessen sich problemlos lösen und an den Klettergurt hängen. Nach den restlichen Abseilmetern war das Gelände etwas weniger steil, und trotz der zu Beginn starken Reibung durch die Tannenrinde liess sich das Seil gut abziehen. Ich stieg entlang der mir bereits bekannten Route vorsichtig über immer noch recht steiles Gras und Schrofen zum Wandfuss ab, querte auf dem Weg zum Col de la Croix, sortierte mein Material, und genoss, nun richtig entspannt und befriedigt zum steil aufragenden Krümelmonster zurückblickend, eine letzte Pause, während in beiden Richtungen Wandernde vorbeizogen. Auf L'Au de Morge bellte der in der Küche allein gelassene Sennenhund zum Abschied, und zurück auf dem Parkplatz stellte ich erleichtert fest, dass kein Avis oder Busszettel unter einem der Scheibenwischer klemmte. Als ich beim Schweizer Zoll in St-Gingolph dem Beamten die Situation beschrieb, meinte er: "C'était la Police, pas nous. Elle était là ce matin, mais l'affaire est complétée, vous pouvez filer." Nachdem auch die letzten beiden Steine in den Brunnen gefallen waren, fuhr ich, wie Hans im Glück, befreit von allen Lasten und glücklich und zufrieden von dannen...
Petite Miette
Aufstieg SSW-Grat: von La Tine (913m) gelben Markierungen folgend auf dem Wanderweg und der Alpstrasse nach L'Au de Morge (1181m), und auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Nant de Morge, die Abzweigung 1380 und Lanche bis unter den Col de la Croix (1757m). Nach S (Gras, Wildwechsel) unter die Grand Miette NW-Wand, und dieser entlang, und auf ca. 1790m weiter nach S zum eingezeichneten markanten WNW- Couloir. Durch dieses (Geröll) hinauf in den 1. Sattel ca. 1855m zwischen der Crête du Vélan und der Petite Miette, T4, und über den SSW-Grat (Schrofen, brüchige Felsen, I) auf den Gipfel (1878m), T5, 2h 15min.
Abstieg NE-Grat: vom Gipfel (1878m) über den NE-Grat (Gras, brüchige Felsstufen, II) hinunter in den 2. Sattel ca. 1855m, 15min, T6.
Grande Miette
Aufstieg S-Flanke: vom 2. Sattel ca. 1855 rechts entlang einer Rippe (Gras, Fels, I) hinauf zu einem Band (Gras) und 1. Stand an einer 1. Aluminimumstange. In einer 1. SL gut gestuft hinauf und Quergang nach links (brüchiger Fels), und durch eine Rinne (Erde, Gras, brüchiger Fels) zu einem 2. Zwischenstand an Rock und Schlinge (25m, 3 Zwischensicherungen mit Camalot, Schlinge an Felszacke und Express an Wurzel, II). In einer 2. SL zuerst links, dann schräg nach rechts hinauf (Gras, brüchige Felsen) zu 3. Stand an einer 2. Aluminiumstange unter dem Mittelgipfel (25m, 1. Zwischensicherung an einer Wurzel, I). In einer 3. SL nach links zu einem Kamin, und durch diesen (ca. 7m, z.T. brüchig, III) hinauf und kurz weiter zum Sattel zwischen Mittel und Hauptgipfel und 4. Stand mit einer Schlinge an einer Tanne (15m, III). Abstecher über den SE-Grat (Schrofen, Wurzeln) zum Mittelgipfel, zurück zum Sattel, und weiter über den SE-Grat (leichte Felsen, I) auf den Hauptgipfel (1937m), und von diesem einfach nach N hinunter zum Kreuz, 2h, T6, WS.
Bemerkung: mit einem 50m Einfachseil kann vermutlich direkt vom 1. zum 2. Stand und von diesem zum Gipfel aufgestiegen werden.
Abstieg NE-Flanke: vom Kreuz nach NE über die Gipfelflanke (Gras) hinunter zu einer Rippe, links von dieser durch eine Rinne (Gras) hinab, und beim felsigen unteren Ende der Rippe nach rechts zu einer Tanne. Links unter dieser hindurch und nach rechts zu einer Tannengruppe. An einem kräftigen Stamm 25m auf eine Rampe abseilen (vermutlich links bzw. NW des im Führer erwähnten "point faible"). Auf dieser (Gras) schräg nach links hinunter, Quergang nach rechts (Schrofen) zu einer Felskluft, und durch eine Rinne (Gras) wieder links haltend hinunter, bis nach rechts auf Schrofen auf den Grashang unter der NE-Flanke ausgestiegen werden kann. Auf diesem einfach hinunter zum eingezeichneten Weg, der zum Col de la Croix (1757m) führt, 1h 15min, T6, WS. Von diesem auf dem oben beschriebenen Zustieg zurück, 1h, T3. Insgesamt 2h 15min.
Bemerkungen: im Aufstieg müsste diese Route wohl mit T6+/ZS bewertet werden. Vorsicht wegen losen Steinen, die auf den darunter liegenden, recht gut frequentierten Weg treffen könnten.
Verhältnisse: bei mässigem S-Wind sonnig mit Schleier- und Quellwolken und mild. Wege, Gras und Felsen sonnseitig trocken, schattseitig z.T. feucht und rutschig.
Material: übliche Alpinwanderausrüstung mit Stirnlampe und Kletterausrüstung mit 50m 7,5mm Zwillingsseil (1 Strang), 4 Schlingen, 6 Express, 3 mittleren Camalots und 1 Satz Rocks. Altes Eisgerät und 3 Normalhaken nicht gebraucht.
Fahrplan: 6.45 Start, 8.45 1. Sattel ca. 1855m, 9 Uhr Petite Miette, 9.15 2. Sattel ca. 1855m, 11.15 Grande Miette, 12.45 Col de la Croix, 14 Uhr retour.
Tourengänger:
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