Gardez vous du Mont Gardy...!


Publiziert von lorenzo , 28. September 2021 um 18:34.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Unterwallis
Tour Datum:22 September 2021
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 2130 m
Abstieg: 1460 m
Strecke:19 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo St-Gingolph
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Miex, Le Flon
Unterkunftmöglichkeiten:Hôtel Les Chemins du Léman
Kartennummer:LK 1264 Montreux, 1263 Evian-les-Bains, 1284 Monthey; R. Meier, Guide: Chaîne franco-suisse, CAS 2003

Wer einmal den Mont Gardy besucht hat, kehrt bei Gelegenheit gerne zu ihm zurück, denn zu eindrücklich ist der Zustieg durch das Vallon de la Morge und vorbei am Lac de Lovenay, zu erwartungsverheissend die Sicht auf den Grat vom Sé Villemod zum Mont Gardy, zu abwechslungsreich und interessant der Gang und die Kletterei darüber und zu schön die umfassende Aussicht vom Jura über die Savoyer Berge, den Mont Blanc und die Walliser, Berner- und Waadtländer Alpen bis zu den Préalpes, sowie die Tiefblicke auf den Lac Léman, den Lac de Lovenay und den Lac de Taney, um ihn bloss abzuhaken und ihm dann den Rücken zu zu kehren. Und um sich von den Herausforderungen seiner Überschreitung zu erholen, lohnt es sich, auch noch die panoramistisch in keiner Weise zurückstehende Traversierung zum benachbarten Mont Valeur und weiter zur Grande Jumelle anzuhängen. Im Sommer 2020 war ich von La Planche oberhalb Novel aufgestiegen und von Süden vom Montagne de Loz über eine steile Grasflanke zum westlichen Ende des Sé Villemod gelangt, musste aber wegen dem dort parkierten Auto wieder nach La Planche zurückkehren. Diesmal wollte ich per öV anreisen, die Tour auf "Meereshöhe" im Grenzort  St-Gingolph beginnen und zuletzt zum verheissungsvollen Lac de Taney und weiter zur nächsten Postautohaltestelle in Le Flon absteigen. Die Fahrplanverbindungen schienen gar nicht so schlecht zu sein und gaben ein grosszügiges Zeitfenster von rund achteinhalb Stunden frei, das eigentlich ausreichen sollte.

Über dem Genfersee hing tiefer Nebel, als ich in St-Gingolph ausstieg, dank der vorbildlich ausgeschilderten Route konnte ich das kleine Dorf aber bald hinter mir lassen und auf einem guten Weg zum Croix des Dames aufsteigen. Die etwas monotonen Kilometer in dichtem Laubwald durch das tief eingeschnittene Vallon de la Morge, die weit unten seewärts rauschte, waren jedoch wie gemacht zum Einlaufen und liessen zwischendurch sogar etwas meditatives Flair aufkommen. Auf L'Au de la Morge öffnete sich die Sicht und erstes Blau schimmerte durch den sich langsam lichtenden Nebel. Bis zum Col de la Croix begegnete ich insgesamt vier Jägerduos: zuunterst beobachteten zwei Veteranen das Wild vom Auto aus, im oberen Drittel kamen mir zwei Jäger mit einer erlegten Gemse entgegen, und noch etwas weiter oben hatte einer von zwei anderen Jägern gerade daneben geschossen und so alle verbleibenden Tiere weggescheucht..., während sich beim Pass ein Pärchen noch auf Pirsch befand. Zum Pas de Lovenex war es nun nicht mehr weit, und einmal mehr genoss ich bei der Querung dorthin die Aussicht über den, seine Farbe wie ein Chamäleon immer wieder wechselnde Lac de Lovenay, wo immer noch Gusti weideten, hinüber zu den Préalpes. Bereits während dem Zustieg hatte ich erwogen, den Sé Villemod diesmal direkt vom Pas de Lovenex über die erste Felsbastion anzugehen, und so suchte ich während der ersten Pause beim Gedenkkreuz über dem Pas nach einer geeigneten Linie, die ich entlang Grasbändern zwischen den Felsen auch schon bald gefunden zu haben glaubte.

Auf Pfadspuren gelangte ich zur avisierten Schrofenrinne, die sich aber als schwieriger und sperriger erwies, als es von unten ausgesehen hatte, so dass ich beinahe die Flinte ins Kraut geworfen hätte. Auch die schräg nach links hinaufführenden steilen Grasschrofen waren nicht ganz leicht, dafür erleichterten dann auf dem nach rechts führenden ausgesetzten Band solide Kalkgriffe die Querung
zum S-Grat, über den ich schliesslich ohne weitere Schwierigkeiten zum obersten Punkt der Felsbastion gelangte. Ein kurzer Abstieg nach Osten brachte mich zur Scharte, die auch von Süden über den erwähnten Grashang erreichbar ist, dann folgte die anregende weitere W-E-Überschreitung des Gratkamms des Sé Villemod auf scharfem, von Alpenrosen- und Wacholderstauden überwucherten Schrattenkalk über den Kulminationspunkt und weitere Kuppen zum Collet Villemod. Der steil aufragende Mont Gardy sah auch diesmal unnahbar aus, und obwohl ich vom letzten Mal wusste, dass der W-Grat über den "grünen Wanderweg" nicht allzu schwierig ist, befürchtete ich, dass die Schlüsselstelle, eine Felsrinne im oberen III. Grad gleich zu Beginn, die gegen Mittag immer noch im Schatten lag, feucht und rutschig sein und mich so abweisen könnte. Eine Steingeiss rechts vom Einstieg, die sich von mir nicht aus der Ruhe bringen liess, flösste mir aber Zuversicht ein, und tatsächlich: besagte Stelle war trocken und liess sich problemlos überwinden. Auch die sich darüber entlang dem W-Grat hinaufschlängelnde Graslinie und die beiden Felssstufen fast zuoberst waren trocken und boten wie letztes Mal einen der faszinierendsten und schwindelerregendsten, natürlichen Strukturen folgenden Anstiege durch senkrechte Flühe, die ich kenne. Zum Gipfel winkten neben dem eingangs erwähnten Prachtspanorama schon die beiden nächsten Gipfel Mont Valeur und Grande Jumelle und dunkel schimmernd der Lac de Taney, zunächst erforderten aber der Abstieg über den SE-Grat und die NE-Rinne, wo diesmal kein Fixseil hing, nochmals volle Konzentration, bevor am Fusse der NE-Flanke das Gröbste überstanden war.

Auf einer wunderbaren, einem das berauschende Gefühl von Schwerelosigkeit vorgaukelnden Gratwanderung hoch über dem, den Genfersee bedeckenden Nebelmeer zur Linken und dem alles überragenden Mont Blanc zur Rechten, gelangte ich über dne Mont Valeur zur Grande Jumelle, wo sich ein Steinbockrudel tummelte, und zu der Wandernde vom nahen Le Grammont herübergrüssten. Auch der Lac de Taney weit unten war näher und die Zeit vor gerückt, die verbleibenden rund dreieinhalb Stunden sollten aber bis Le Flon längstens ausreichen, so dass einer zweiten Pause nichts im Weg stand. Beim Abstieg von der Grande Jumelle begegnete ich dem ersten Wanderer, der zum Gipfel aufstieg. Auch gewahrte ich mehrere grosse adlergrosse Vögel, die über der S-Flanke schwebten, bevor sie hinter Felsriffen wieder verschwanden. Ich war erstaunt, denn bisher hatte ich Adler immer nur alleine oder höchstens zu zweit in der Luft kreisen sehen. Aber das Rätsel sollte sich schon bald lösen, denn unterhalb vom Chalet de La Combe, wo ich nochmals eine kurze Pause gemacht hatte, sah ich von weitem auf einer Geröllhalde etwas rot schimmerndes, das von mehreren sich bewegenden braun-weissen und schwarzen Flecken umringt war. Die Szene entpuppte sich beim Näherkommen als Aasfrass durch ein halbes Dutzend Gänsegeier und einige Kolkraben, von denen einige aufgeschreckt mit weiten Schwingen davon segelten, während sich die übrigen von mir bei ihrer Mahlzeit nicht aus der Ruhe bringen liessen. Ich selber begnügte mich beim weiteren Abstieg über das vielfältig mit Blumen, Stauden und Bäumen bewachsene Karrenfeld von Les Creux dagegen mit einigen erfrischenden Himbeeren. In Taney genossen Gäste auf der Terrasse des Refuge du Grammont den sonnigen Herbstanfang, während ich dem tiefblauen See entlang zum Col de Taney und von dort steil hinunter nach Le Flon weiter wanderte, wo sogar genug Zeit für die zweitletzte Verbindung blieb. Das Postauto hatte dann zwar fünf Minuten Verspätung, so dass der Anschluss in Vouvry Richtung St-Maurice in Frage gestellt war, die Chauffeurin, die sich mit der Suche ihrer Schlüssel entschuldigte, fuhr uns Wartende aber in sportlichem Tempo geschickt über die holprige und mit Haarnadelkurven gespickte Bergstrasse hinunter, so dass es schliesslich - grand merci! -doch noch für den Anschlusszug reichte...


Zustieg von St-Gingolph
Vom Bahnhof St.Gingolph (ca. 390m) gelben Markierungen folgend auf dem Wanderweg zum Croix des Dames (634m) und auf der Strasse und dem Wanderweg über Le Frénay (782m), Clarive (844m) und La Tine (913m) nach L'Au de Morge (1180m). Auf dem weiss-rot markierten Bergweg über P. 1379 zum Col de la Croix (1756m) und weiter zum Pas de Lovenex (1850m), 1470Hm Auf- und 10Hm Abstieg, 2h 30min-3h, T2.

Traversierung Sé Villemod
Vom Pas de Lovenex (1850m) nach E zu einem Gedenkkreuz und ab- und aufsteigend (Pfadspuren) zur SW-Flanke der ersten markanten Felsbastion. Durch eine Schrofenrinne kurz nach links, dann nach rechts hinauf (II), über Grasschrofen schräg nach links hoch, Querung horizontal nach rechts und auf einem ausgesetzten Schrofenband (II) weiter nach rechts zum S-Grat, der über leichte Felsen zum obersten Punkt führt. Abstieg in die nächste Scharte (I) und weiter über den Grat des Sé Villemod auf leichten Felsen und Karrenfeldern (Pfadspuren) in wiederholtem Auf und Ab zum Kulminationspunkt 2058 und weiter zum Collet Villemod (2030m), 260Hm Auf- und 80Hm Abstieg, 45min, WS oder T6.

Mont Gardy
Aufstieg W-Grat: vom Collet Villemod (2030m) über den folgenden Grashang (Pfadspuren) nach NE hinauf zum Einstieg des W-Grats bei ca. 2100m. Querung auf einem Band nach rechts zu einer Felsrinne und durch diese hinauf (ca. 5m, III+). Querung auf Gras nach rechts, einen Grashang hinauf und ab- und ansteigende Querung weiter nach rechts sowie gerade hoch in ein 1. Grascouloir (das linke von 2 Couloirs). Durch dieses nach links ansteigend zu einem Sattel hinter dem markanten Pfeiler. Über 2 Felsstufen (5m, II und 3m, III) wieder nach rechts empor zu einem 2. Grascouloir, das nach links hinauf zum Gipfelgrat führt. Über diesen auf leichten Felsen (I-II) auf den Mont Gardy (2201m), 170Hm Aufstieg, 30min, WS.

Abstieg SE-Grat: vom Gipfel des Mont Gardy (2201m) entlang dem SE-Grat zu einem Einschnitt vor einem Gendarm. Nach links durch ein enges Couloir hinunter zu einer Schrofenrinne, und durch diese (20m, II, Bh, z.Z. kein Fixseil) an den Fuss der NE-Flanke bei einem vorgelagerten Pfeiler bei ca. 2120m, 80Hm Abstieg, 15min, T5.

Überschreitung Mont Valeur-Grande Jumelle
Vom Fuss der Mont Gardy NE-Flanke (ca. 2120m) nach NW hinauf unter den felsigen Abbruch des NE-Grats (ca. 2155m), wo der Verbindungsgrat beginnt. Auf diesem (Pfadspuren) über einen Aufschwung in eine Scharte hinunter und über einen weiteren Aufschwung zum Mont Valeur (2147m). Leicht absteigend in eine Gratsenke und schwach wiederaufsteigend zum Gipfelaufbau der Grande Jumelle. Über eine niedrige Felsstufe (2m, I) und den folgenden grasig-felsigen Grat zur Meteostation und über den Felsgrat (I) auf den Gipfel (2215m), 205Hm Auf- und 110Hm Abstieg, 45min, T3.

Abstieg nach Le Flon
Vom Gipfel der Gande Jumelle (2215m) zurück zur Meteostation, auf dem eingezeichneten Pfad durch die S-Flanke hinunter zum Chalet de La Combe (1916m) und weiter auf dem weiss-rot markierten Bergweg zur Abzweigung ca. 1845m. Auf dem eingezeichneten Pfad (z.T. weiss-rote Markierungen) nach SE über Les Creux zu P. 1600 und auf der Fahrstrasse über Le Plan de Taney hinunter nach Taney (1415m). Gelben Markierungen folgend auf der Strasse über den Col de Taney (1440) und auf dem Wanderweg hinunter nach Miex, Le Flon (ca. 1060m), 1180Hm Ab- und 25Hm Aufstieg, 1h 45min-2h, T3.

 Insgesamt 2130Hm Auf- und 1460Hm Abstieg und 6h 30min-7h 15min.

Verhältnisse: bei leichter Bise Nebel bis ca. 1500m, der sich im Tagesverlauf z.T. auflöst, darüber sonnig. Gras und Felsen schattseitig z.T. feucht, sonst trocken.

Material: Leichthelm und -pickel sowie 30m Reepschnur für alle Fälle zusätzlich zu üblicher Alpinwanderausrüstung. 

Fahrplan: 8.15 St-Gingolph, 10.45 Pas de Lovenex, 12.30 Mont Gardy, 13.15 Grande Jumelle, 15.15 Miex, Le Flon.

Tourengänger: lorenzo


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (4)


Kommentar hinzufügen

mb4 hat gesagt: Wieder einmal…
Gesendet am 28. September 2021 um 23:17
Eine Lorenzo-Tour.
Eine völlig unbekannte Gegend.
Ein Bericht, der gluschtig macht (spannend geschrieben).
Mit Bildern, die neidisch machen (wer sieht Geier so nahe).
Während derJagdsaison sollte man die Flinte nicht ins Korn und auch nicht ins Kraut werfen.
Einerseits hat’s kein Korn mehr.
Andererseits wäre es bedauerlich.
Dann gäbe es diesen Bericht nicht, der zum Nacheifern ermuntert.
Und erst noch in einer Gegend, die ich auch nicht zertifiziert besuchen darf.
Danke!

lorenzo hat gesagt: RE:Wieder einmal…
Gesendet am 29. September 2021 um 16:28
Hallo mb4

es freut mich, dass ich Dein Interesse wecken konnte! Die Gegend liegt ja wirklich nicht gerade im Mittelpunkt der Schweiz, ist aber zumindest von der Westschweiz aus auch mit öV gut erreichbar, und bis jetzt zum Glück zudem noch ohne Zertifikat...

Ich bin auch froh, dass ich die Flinte nicht hingeworfen habe, selbst wenn ich kein Jäger bin und das Wild lieber beobachte, denn Gras und Kraut hätte es dafür noch mehr als genug gegeben...

Die Geier waren wirklich beeindruckend, vor allem wenn sie mit aufgespannten Flügeln herumgeflattert oder davongeflogen sind. Aber leider gelang es mir nicht, von einem der wegfliegenden Geier ein befriedigendes Foto zu machen...

Beste Grüsse

lorenzo

3614adrian hat gesagt: Sieht spannend aus!
Gesendet am 4. Oktober 2021 um 08:54
Super Fotos hast du geschossen und dabei das Ziel nicht verfehlt oder durch mögliche Fehlschüsse wenigstens kein Wild vertrieben! Deine roten Linien gefallen mir auch gut!
Gruss
Adrian

lorenzo hat gesagt: RE:Sieht spannend aus!
Gesendet am 4. Oktober 2021 um 14:29
Hallo Adrian

um das Wild zu vertreiben, brauche ich leider - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - weder ein Jagdgewehr noch Munition, mein blosses Erscheinen genügt da in der Regel.

Und die Fotos von einem davonschwebenden Geier sind auch gehörig verwackelt bzw. unscharf.

Aber solange man auf der grünen Linie bleibt, überschreitet man die rote nicht...und das dürfte sogar mit je einer zusätzlichen Stunde Zugfahren von und zurück nach Zürich möglich sein...

Beste Grüsse

lorenzo


Kommentar hinzufügen»