Einsame Silvretta - Expedition auf die Bodmerspitze


Publiziert von gstuermer , 12. September 2023 um 14:01.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Silvretta
Tour Datum: 3 September 2023
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1000 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:14 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bieler Höhe über Silvretta-Hochalpenstraße
Unterkunftmöglichkeiten:Madlener Haus oder auf dem Wohnmobil-Dauerparkplatz der Bieler Höhe

Eine Expedition in der Silvretta? Im 21. Jahrhundert klingt das reichlich überspitzt formuliert, denn schließlich ist alles bereits entdeckt und die Gipfel sind tausende Male bestiegen worden. Doch dafür, dass die Bodmerspitze sogar direkt neben der Silvretta Hochalpenstraße liegt und von der stark frequentierten Bieler Höhe auch direkt sichtbar ist, war ich sehr verwundert, dass es weder auf Hikr noch woanders im Internet Informationen dazu gibt. Die Beschreibung im Alpenvereinsführer ist wie immer recht spartanisch und zudem mindestens 70 Jahre alt: Im online verfügbaren Original von Walther Flaig aus den 50er Jahren befindet sich derselbe Text wie in der letzten verfügbaren Auflage. 

Dabei handelt es sich bei der Bodmerspitze nicht um einen unbedeutenden Nebengipfel, sondern immerhin um den höchsten des Kleinvermuntkamms - und man hat eine sehr schöne Sicht auf das Fluchthorn und die vergletscherte Silvretta. Ein guter Grund, dass ich dort einmal aktiv werde und den hiesigen Gipfeln einen Besuch abstatte. Dabei ergab es sich, dass sogar eine Gratüberschreitung vom Hennebergkopf über die Roßköpfe bis zur Bodmerspitze mit Überschreitung und neu entdeckter Abstiegsvariante drin war. Doch alles der Reihe nach.

Roßtal, T4, 2h

Los geht es gegen halb acht auf der Bieler Höhe. Ich entschied mich die Hennespitze auf der Nordseite zu queren, was sich als recht mühsam und zeitraubend herausstellte. Neben steilen mit Heidelbeeren zugewachsenen Geröllhängen galt es ebenfalls ein kleines Blockgeröllfeld mit mannshohen Blöcken zu überwinden. Rund zwei Stunden später erreichte ich das einsame und idyllische Roßtal.

Roßtalscharte (2697 m), T4, 2.5h

Da der AVF anpreist, der Südgrat der Bodmerspitze wäre über die Roßköpfe "noch lohnender" zu erreichen, steuerte ich die südlich liegende Roßtalscharte (P. 2697) an. Die Scharte ist über eine ca. 35 Grad steile Schuttflanke nach bereits 150 Hm gegen Mittag erreicht. 

Hennebergkopf (2836 m), T5/II, 45 Min hin und 30 Min zurück

Von dort erscheint P. 2836 der Hennebergspitzen leicht erreichbar, weswegen ich mir noch diesen Abstecher gönne. Nach ausführlichem Studium des AV Führers stelle ich im Nachhinein fest, dass P. 2836 zu den von Flaig "Hennebergköpfen" genannten Erhebungen gehört und die Hennebergspitzen weiter südlich zu P. 2931. Auch wenn dies auf offiziellen Karten anders dargestellt wird, habe ich bei OSM und Hikr die Vorschläge nun so übernommen, da es meiner Ansicht nach mehr Sinn ergibt.
Der Nördliche Hennebergkopf ist eigentlich nur ein unbedeutender Gratturm, den man auf der Ostseite recht gut umgehen kann. Als erste Schwierigkeit wartet ein horizontaler Abbruch, der vom Grat ins Kar zieht. Dieser lässt sich durch kurzes, aber etwas heikles Abklettern (II) bezwingen. Auf der anderen Seite klettert man leichter wieder hoch und man umgeht den folgenden Gratturm, indem man nach links quert (keinesfalls rechts auf die Platten). Nach der nächsten Ecke folgt man einem ausgesetzten, aber gut zu gehendem Band, an dessen Ende man auf der rechten Seite eine kleine, aufsteigende Rinne erreicht. Diese führt treppenartig auf die Südseite des Nördlichen Hennebergkopfs. Der Weiterweg bis zum Mittleren Hauptgipfel ist dann ersichtlich. Um die Rinne von der anderen Seite zu erreichen, darf man sich nicht verleiten lassen ein bequemes Band nach rechts zu queren, welches heikel abgeklettert werden müsste, sondern steigt auf, um besagte Rinne zu erreichen. Insgesamt dauert es durch die Wegsuche gut 45 Minuten, bis ich auf dem Mittleren Hennebergkopf angekommen bin.
Von hier wirkt die Bodmerspitze recht weit entfernt und ich hoffe mein Tagesziel erreichen zu können. Nachdem ich dem Gipfelchen noch einen kleinen Steinmann spendiert habe, ging es auf selbem Weg zurück zur Roßtalscharte. 

Rößköpfe, T4, 30 Min

Eine schuttige, breite und vielleicht 30 Grad steile Schuttrinne führt von dort auf den Südlichen Roßkopf - das nächste Etappenziel. Anschließend schlendert es sich gemütlich mit wenig Höhenverlust zum Nördlichen Roßkopf. Die eher unbedeutenden Roßköpfe wurden übrigens von Walther Flaig so benannt, wie er im 1958 erschienenen AV Führer schreibt. Diese Information fiel in späteren Ausgaben leider dem Rotstift zum Opfer.
Nun lässt sich der Südgrat der Bodmerspitze betrachten, welchem mehrere kleine Grattürmchen und ein Vorgipfel vorgelagert sind. Davon ist im AVF natürlich nichts erwähnt, die "Expedition" erreicht ihren Höhenpunkt. 

Bodmerspitze Südgrat, T5/II, 2h

Die Grattürmchen sind schnell erreicht und lassen sich noch recht gut auf der Westseite umgehen. Bald stehe ich vor dem Vorgipfel und bin mir unsicher, ob ich diesen umgehen oder überklettern soll - mit dem Risiko nicht auf der anderen Seite absteigen zu können. 
Ich entscheide mich fürs Überklettern, es sind auch höchstens 40 Hm, die man notfalls wieder abklettern muss. Die Kletterei ist hier zunächst recht steil und ein solider IIer, nach einigen Metern landet man allerdings in etwas angenehmeren Gelände. Auf der anderen Seite müssen ca. 45 Grad steile Platten abklettet werden, was für mich gerade noch verantwortbar war. Dazu bleibt man in Abstiegsrichtung auf der rechten Seite, wo man sich hier und da auch mal am begrenzenden Fels festhalten kann. Leider habe ich davon kein Foto (da waren die Nerven wohl gerade etwas blank), aber im Video kann man sie kurz sehen. 

Nun stehe ich vermutlich also in der vom AVF beschriebenen Südgratscharte, welche anscheinend von allen Seiten unschwierig zu erreichen ist. Von Westen führt eine steile, unangenehme brüchige Rinne hoch, welche ich nicht einladend empfand. Zumal hier oben viele Gemsen und Steinböcke rumgesprungen sind, welche ordentlich Material in die Rinne geworfen haben. Helm ist somit absolute Pflicht. Und die 1000 Hm von Osten vom Jamtal steigt hier sicher sowieso niemand auf. 
Somit konzentrierte ich mich auf den Südgrat. Es sind nur wenige Höhenmeter im II. Grad zu bewältigen, der Charakter ist so ähnlich wie beim Vorgipfel, und schließlich erreiche ich den Gipfel der Bodmerspitze. 
Die Reste des Gipfelkreuzes könnten noch von Walther Flaig persönlich stammen. Doch anstatt hier ein neues aufzustellen, steht merkwürdigerweise auf dem nordwestlichen Vorgipfel, welcher in der AV Karte nicht eingezeichnet ist, ein Gipfelkreuz mit neuem Buch von 2022. Dieses enthielt erwartungsgemäss sehr wenige Einträge - ich war der dritte Besteiger in diesem Jahr. Der Übergang zum Vorgipfel ist ein gut zu begehender, wenig ausgesetzter Grat.

Bodmerspitze Westgrat, T5+, 45 Minuten

Da es nun bereits 16 Uhr war, wurde es Zeit für den Abstieg. Vom Roßtal aus war mir bereits der Westgrat, der vom Gipfelkreuz hinunterzieht, aufgefallen. Dieser war mit max. 40 Grad im oberen Teil deutlich weniger steil als der Südgrat und auch recht breit - man könnte es auch als Flanke durchgehen lassen.
Da ich die schuttige Rinne von der Südgratscharte für den Abstieg als nicht unbedingt einladend empfand und mir gern auch das Abklettern der IIer Stellen sparen wollte, wagte ich den Abstieg über den Westgrat - auch wenn mir keinerlei Informationen dazu vorlagen. Irgendwie hatte ich bei der Sache ein "gutes Gefühl" oder einfach nur Glück: nach rund 120 Hm mündet der Grat in einen Abbruch, doch wenn man sich nach Norden wendet, muss man lediglich ein kleines Stück (ca. 50 m nach GPS Track) eine recht steile Grasflanke leicht abfallend queren und erreicht bereits das Schotterkar, welches einen bequem in das Roßtal begleitet! Bis auf die steile Grasflanke (vielleicht T5+) stellt dies meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit dar, die Bodmerspitze mit wenig Kletterei zu erreichen.

Im AVF von 1981 gibt es noch zwei weitere Anstiegsmöglichkeiten: der Nordostgrat (III) sowie von Norden (II) aus dem Sedeltal. Bei letzterem Anstieg wird aber von einer Firnrinne gesprochen, die sicherlich nicht mehr existiert, was diese Variante wohl nicht angenehmer macht. Es würde mich interessieren, welchen Aufstieg die Aufsteller des Gipfelkreuzes verwenden, die den Gipfel zumindestens jährlich zu besuchen scheinen.

Eigentlich wollte ich über die Scharte südlich des Hennenkopfes (inklusive Besteigung) zurückkehren, um mir die Querung zu sparen, aber angesichts der fortgeschrittenen Zeit entschied ich mich doch für den ursprünglichen Weg. Diesen kannte ich zumindest schon und für den Hennenkopf hätte ich rund 1 km weit südlich ins Roßtal gehen und diese Distanz anschließend wieder nach Norden zurücklegen müssen.
Reichlich spät erreichte ich schließlich gegen halb acht wieder die Bieler Höhe.

Alternative Zustiegsmöglichkeit zum Roßtal

Eine super Tour eines sehr einsamen Gipfels - inmitten einer leider oft überlaufenen Landschaft. Dass mir mit dem Westgrat sogar noch eine Variante gelungen ist, die nicht mal im AV Führer erwähnt wird, passiert sogar mir nur sehr selten. 
Potentiellen Nachahmer empfehle ich aber statt der Hennenspitzen-Querung den direkten Aufstieg aus dem Kleinvermunt über die Roßböden zu versuchen. In der AV-Karte und teils bei Openstreetmap ist eine Wegspur eingezeichnet, die auf Luftaufnahmen ebenfalls zu erkennen ist. Trotz der zusätzlichen 200 Hm könnte dies der schnellere und bequemere Aufstieg sein. Falls man die Überschreitung vom Hennebergkopf durchführen möchte kann es sinnvoller sein, zunächst in die Scharte südlich davon (P. 2776) aufzusteigen, um die Gratpassagen nur einmal begehen zu müssen.

Die Fotos sind leider etwas lückenhaft, da ich recht viel Aufnahmezeit in das Tourenvideo investiert habe. Ich hoffe, dass dieses die Tour noch anschaulicher werden lässt. Danke fürs Gucken und über ein Like und Abo würde ich mich natürlich freuen.

Tourengänger: gstuermer


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Kommentare (2)


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rele hat gesagt: Super!
Gesendet am 13. September 2023 um 05:27
Danke für die spannende Neubeschreibung und gratuliere zur erfolgreichen Expedition :)

gstuermer hat gesagt: RE:Super!
Gesendet am 14. September 2023 um 14:05
Vielen Dank.. weitere Expeditionen sind in Planung ;)


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