Schönberg NW-Flanke und Tiefkar-Überschreitung - abseits vom Mainstream


Publiziert von algi , 22. August 2023 um 08:18.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Karwendel
Tour Datum:21 August 2023
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   D 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1650 m
Abstieg: 1650 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mittenwald, Parkplatz an der Auffahrt zur Bundesstrasse

Die westlichen Ausläufer des Karwendelgebirges sind durch Hütten und Seilbahnen touristisch sehr gut erschlossen. Mit ein bisschen Recherche lassen sich aber doch noch „Ecken“ finden, in die sich nur sehr selten jemand „verirrt“.

 

Die hohen Tagestemperaturen legen einen sehr frühen Aufbruch nahe, also starte ich heute bereits um 5:45 Uhr am Parkplatz an der Bundesstrasse. Der Weg übers „Bankerl“ in Richtung Hochlandhütte ist zwar etwas weiter als „von den Kasernen“, aber durch den flacheren Zustieg kommt man nicht so schnell ins Schwitzen, was bei der zu erwartenden Hitze durchaus ein Vorteil ist. Nach dem Abzweig des Normalweges zur Tiefkarspitze / des Predigtstuhles unterhalb des Mitterkares, nutze ich wieder den linken Rand des Latschenfeldes um die erste steilere Stufe zu überwinden. Da muss man zwar ein paar Höhenmeter mehr machen, aber dafür ist dieser Steig frei von losem Geröll.

 

Oben angelangt höre ich Glocken läuten, eine Schafherde weidet weit oberhalb auf den ausgedehnten Wiesenbändern unterhalb des Steinklippengrates. Ich quere mit möglichst geringem Höhenverlust auf  Schafspuren in den Grund des hinteren Mitterkares hinab, kurz bevor es in einer sanften Rechtsbiegung ins Anderkar übergeht. Der Untergrund ist relativ fest, so dass ich kraftsparend vorankomme. Auf der Tiefkarseite des Anderkares hat sich ein Gamsrudel eingefunden, nach 2 Warnrufen merken sie sehr schnell, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Eine seichte blockige Rinne innerhalb des Geröllfeldes führt schließlich zum Einstieg unterhalb der beeindruckenden Wandfluchten empor.

 

Hier sollte man nun einen Helm tragen, da  Gämsen unterhalb des Schönbergs Steine zu Tale befördern könnten, zumindest sind mir ein paar Geschosse um die Ohren geflogen. Die Beschreibung lt. AVF ist eindeutig, die unterste Wandstufe soll in einer Rechtsschleife über ein Band erstiegen werden. Die eingelagerte Verwerfung, ist bereits von Weitem sichtbar, aber da sie nicht weiter erwähnt wird, gehe ich davon aus, dass es eine einfache Lösung zu ihrer Überwindung gibt. Leider weit gefehlt, das Ding ist steil, brüchig und abwärts geschichtet, mit Abstand die unangenehmste und gefährlichste Passage der gesamten Tour. Zumindest optisch sieht es so aus, als ob man diese unterste Wandstufe auch in einer Linksschleife ( ohne Verwerfung ) ersteigen kann.

 

Der im Führer erwähnte Riß entpuppt sich als Rinne, der Ausläufer einer oberhalb liegenden kleinen Schlucht. Der Fels ist halbwegs fest und weist deutliche Steinschlagspuren auf. Die Rinne geht in die Schlucht über, und dort wo sie ungangbar wird, kann man nach rechts in felsdurchsetztes Schroffengelände ausweichen. Als Richtpunkt dient ein kleiner auffälliger Zacken, linkerhand daran vorbei, und danach werden die Felsschroffen immer mehr durch Grasschroffen abgelöst. Zuletzt von einem Sattel über die Südseite auf den Schönberg, die Aussicht ist wirklich der Hammer, das sollte man sich nicht entgehen lassen. Anscheinend ist in den beiden Steinhaufen jeweils ein eigenes Gipfelbuch hinterlegt, das zweite Schatulle habe ich jedoch erst gesehen, als ich mich wieder auf den Weiterweg machte.

 

Der Grat zum Mitterkarkopf gefällt mir sehr gut, ein sanftes Auf und Ab, mal ausgesetzt, dann auch wieder breiter und die Felsqualität ist ebenfalls in Ordnung. Die vorgelagerte Schulter des Mitterkarkopfes ersteigt man am Besten etwas weiter links ( SO-seitig ), hier findet man eine Felsqualität wie an der Schüsselkar vor. Der Übergang zum Gipfel beinhaltet die Schüsselstelle der Überschreitung, die durch eine alte lange Reepschnur entschärft wurde. Ich kann nur jedem empfehlen sich nicht daran hochzuziehen oder abzulassen, der Strick erreicht bald den Aggregatzustand „Mikroplastik“, und der bestimmt 3 cm aus den Fels stehende Haken hat den Wettlauf mit der Korrosion auch irgendwann mal verloren. Im Aufstieg ist die Kletterstelle dann nur halb so wild, und auch im Abstieg gut machbar ( siehe Kommentar von LamsnJojo ). Der Abstieg in die Scharte zwischen Mitterkarturm und Tiefkarspitze ist der brüchigste Abschnitt der Überschreitung, nicht schwer, aber man muss halt einfach aufpassen.

 

Da mir für den nun folgenden Aufstieg zur Tiefkarspitze keine vernünftige Beschreibung zur Verfügung steht, gehe ich die Schroffenflanken einfach dort hinauf, wo es am Einfachsten aussieht. Das war offenbar nicht verkehrt, da ich auf Anhieb einen gangbaren Weg gefunden habe. Echte Orientierungshilfen in Form von Steinmännern oder farbliche Markierungen gibt es kaum ( habe 2 Steinmänner und 2 orangene Punkte, eher im oberen Abschnitt, gesehen ). Zuletzt quert man zur Scharte wo die rote Rinne den Grat erreicht, und geht die letzten Meter auf dem Normalweg zum Gipfel. Witzigerweise war es bislang immer noch so kühl, dass ich beim Aufstieg kaum geschwitzt habe, das hat sich beim Abstieg zur Dammkarhütte aber ins absolute Gegenteil verkehrt.

 

Subjektiv eingeschätzte Schwierigkeitsübersicht

 

Mittenwald - Abzweig ins Mitterkar: T2

Mitterkar - Anderkar : T3

NW-Flanke Schönberg: III, T6-

Schönberg - Mitterkarturm: II+, T5

Aufstieg zur Tiefkarspitze: T4+

 

Fazit:

die NW-Flanke des Schönbergs ist für sich gesehen eher unlohnend, als „Zubringer“ für Übergänge zur Tiefkarspitze oder zum Wörner aber eine echte Alternative zur Komplettüberschreitung. 

Vorzugsweise nach einer Trockenphase einsteigen, da nach Regenfällen vmtl. länger nass

 

VG Albert


Tourengänger: algi


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Kommentare (11)


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derMainzer hat gesagt: Tiefkarspitze
Gesendet am 22. August 2023 um 09:57
Griaß di Algi,

toller Bericht und großartige Leistung. Ich habe am Samstag, den 19.08.2023 versucht über den Nordwestgrat die Tiefkarspitze zu überschreiten. Ich bin allerdings an der Schlüsselstelle Kamin Stelle UIAA +III gescheitert. Ich bin dort abgedreht, obwohl ich mir die Filme von den Influencern im Youtube Kanal angesehen habe. Irgendwie kriege ich dort keinen gescheiten Halt und Tritt hin, um zum nächsten Schritt/Tritt in die Rinne ansetzen zu können. Mein Bergschuh ist mir beim Ansetzen zweimal abgerutscht, ohne das Seil als Griff hätte ich wohl ernsthafte Schwierigkeiten gehabt. Aus meiner Sicht waren für mich die Griffe und Tritte der rechten Wandseite zu klein und zu weit entfernt, ich hätte dort weit ausspreizen müssen. Deshalb wohl auch die +III/UIAA Bewertung. Danach wäre es eigentlich eine gmahde Wiesn gewesen. Ich muss mir nochmal meine Aufnahmen von der Schlüsselstelle detaillierter auswerten. Irgendwann werde ich die Tour über den Nordwestgrat nochmal nachholen und hoffentlich funktioniert dann die Überschreitung. Die Tiefkarspitze ist wirklich ein schöner Berg in der Nördlichen Karwendelkette, diesen kann man nur überschreiten. Die Route über das Kirchelkar, Larchetfleckkar oder die Kirchln (Normalweg!) wird diesem Berg irgendwie nicht gerecht. Wo bist du denn eigentlich abgestiegen? Über den Notabstieg, wo du schon mal runter bist?

Pfiat di
derMainzer


algi hat gesagt: RE:Tiefkarspitze
Gesendet am 22. August 2023 um 12:20
Servus Mainzer,

danke, die Tour hat wirklich gut geklappt, das Ambiente im Anderkar ist auch sehr beeindruckend, kommt auf den Bildern halt nicht so richtig zum Ausdruck.
Ursprünglich wollte ich zur Dammkarscharte, aber nach Mittag hat die Hitze dann voll zugeschlagen, so dass ich wieder den Notabstieg gewählt habe. Im Nachhinein war ich auch froh drum, denn vom Schwitzen "wie ein tropfender Wasserhahn" bis zur Dehydrierung ist der Weg gar nicht so weit. Wäre bei ähnlichen Bedingungen mal fast am Schildenstein gescheitert, bin damals auf allen Vieren zum Gipfel hochgekrochen, seither habe ich beim Bergsteigen sehr großen Respekt vor hohen Temperaturen.
Zum NW-Grat kann ich nichts sagen, habe die Tour noch nicht gemacht. Wenn schwerere Kletterstellen zu erwarten sind, habe ich immer ein zweites Paar leichte und enge Kombi-Schuhe dabei, damit habe ich gefühlt einen viel engeren Kontakt zum Fels und kann auch auf kleineren Tritten problemloser stehen.

VG Albert

Nic hat gesagt: RE:Tiefkarspitze
Gesendet am 22. August 2023 um 20:44
Servus,

ich habe den Kamin gar nicht so schwierig in Erinnerung. Mit Hilfe des Seils war es für mich gut machbar. Ohne wäre es mir aber zu schwer. Weiter oben bleibt es aber abschnittsweise durchaus anspruchsvoll. Ich kann mich an eine ausgesetzte II+ Stelle erinnern. Und der Fels ist Karwendel typisch mit Vorsicht zu genießen. Aber für dich sollte es machbar sein.

Gruß Nico

LamsnJojo hat gesagt: RE:Tiefkarspitze
Gesendet am 24. August 2023 um 06:39
Richtig Nic, oben raus bleibt es interessant! An die II im AV-Führer will ich höchstens glauben, wenn man auf Biegen und Brechen nach dem einfachsten Weg sucht. Ansonsten kommen einem ab und zu noch schöne IIIer Stellen in meines Erachtens gutem Fels unter die Füße. Der Kamin ist tatsächlich kurz III+, Seil und Verankerung wirken zwar ok (an der Larchetkarspitze schon Schlimmeres gesehen), aber vertraut habe ich ihm nicht...
Beste Grüße LamsnJojo

derMainzer hat gesagt: RE:Tiefkarspitze
Gesendet am 24. August 2023 um 09:03
Griaß eich,

danke für die ermutigenden Worte und Hinweise. Ich werde es auf alle Fälle versuchen, evtl., bis es funktioniert hat, ich bin ja schließlich noch jung und habe Zeit genug dafür.
@LamsnJojo: Der Unterschied zwischen Larchetkar- und der Tiefkarspitze liegt darin, dass man an der Larchetkarspitze auch ohne Fixseil durch die Stelle III/UIAA an der Felsverschneidung gut hochkommt. Das habe ich 2020 ja selbst erlebt, bei dem dortigen angebrachten Fixseil waren die Seilseelen auf ca. 1,50m sichtbar, die Ummantelungen war durchgescheuert. Die Schüsselstelle +III/UIAA am Nordwestgrat der Tiefkarspitze stellt mental deutlich höhere Anforderungen an den Aspiranten. Wie ich schon beschrieben habe, sind die Griffe und Tritte, wo ich angesetzt habe, für mich deutlich zu weit entfernt, um sicher in die Felsrinne hineinzukommen. Hier ist eine ausgereifte Technik wie beim Bouldern wahrscheinlich erforderlich. Jedenfalls möchte ich dort nicht aus der Rinne in das steile Geröllfeld hineinstürzen.
Beim Fixseil bin ich ganz deiner Meinung, dieses sollte man auf gar keinen Fall mit seinem Gesamten Gewicht belasten. Noch ein Hinweis von den Wirtsleuten der Dammkarhütte. Die BW im Mittenwald geht da schon länger nicht mehr hinauf, das lässt darauf schließen, dass alle Markierungen und die angebrachten Sicherungsmöglichkeiten von individuellen Tourengeher stammen. Dann sind da auch mal Zweifel an der fachlichen und sachlichen Richtigkeit angebracht, wie beim montierten Fixseil.

Pfiats eich
derMainzer

Nic hat gesagt:
Gesendet am 22. August 2023 um 20:40
Hallo Albert,

Gratulation zur tollen Tour! Schönberg von Norden, darauf muss man erstmal kommen! Der Schönberg von Süden hat mir damals sehr gut gefallen. Leider war das GB damals Nass. War glaube ich schon über 20 Jahre alt. ADI war letztes Jahr nochmal mit ein paar Freunden oben. Sie haben ein neues GB spendiert. Von einem zweiten weiß ich nichts. Womöglich noch das alte GB.

Gruß Nico

algi hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. August 2023 um 07:10
Ah, dann habe ich wohl zunächst das alte GB unter einem Stein entdeckt. Habe mich schon gewundert, dass in den letzten 2 Jahren jeweils nur 1 Eintrag verzeichnet war. In das neue GB hab ich dann nicht mehr reingeschaut, die Schatulle ist mir erst beim Abmarsch aufgefallen, schade.

VG Albert

Westfale hat gesagt:
Gesendet am 22. August 2023 um 20:50
Schöne Tour und toller Bericht, gratuliere. Dieser Ecke will ich auch seit Jahren mal wieder einen Besuch abstatten. Wahnsinn, was es alles abseits des Mainstreams noch zu entdecken gibt..

algi hat gesagt: RE:
Gesendet am 23. August 2023 um 07:30
Ja, wenn man sich im Karwendel alle Touren bis zum 3./4. Schwierigkeitsgrad anschauen wollte, wäre vmtl. die volle Aufmerksamkeit über Jahre hinweg erforderlich.

LamsnJojo hat gesagt:
Gesendet am 23. August 2023 um 20:54
Servus algi,
wilde Tour... Habe einen Tag nach dir Tiefkarspitze und Schönberg besucht (weiter zum Wörner). Im Gipfelbuch des letzteren dacht ich mir, "den Namen kenn ich doch aus den einschlägigen hikr-Berichten"! Habe nur ein Buch gesehen (in Brotzeitbox-ähnlicher Blechschatulle). Die Stelle am Mitterkarturm ist im Abstieg auch gut machbar (ohne die fragwürdige Reepschnur), wenn man sich von Anfang an nicht zu hoch hält.
Beste Grüße LamsnJojo

algi hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. August 2023 um 06:16
Servus LamsnJojo,
vielen Dank für deine Ergänzungen, dann war meine Einschätzung ja so halbwegs ok.
Habe auch die Brotbox "gefunden" und dann natürlich nicht nach einem weiteren GB Ausschau gehalten. Nic hat bestätigt, dass ADI im letzten Jahr ein neues GB spendiert hat, welches im Steinhaufen mit dem Stock "untergebracht" wurde. Habe zuletzt noch bemerkt, dass da eine silberfarbene Ecke herausgeragt hat.
VG Albert


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